Wir sind sozial

...denn wir sind stundenlang auf Facebook. Von Tom Borg

Sind wir sozial wenn wir uns stundenlang auf sozialen Netzwerken wie Facebook & Co. aufhalten? Ist es sozial, sich gelangweilt die Zeit zu vertreiben mit Selfies posten und auf bunte Symbole zu klicken?

Auf den Philippinen frohlocken die Offiziellen: "We are social" - wir sind sozial, denn die Philippinen gelten prozentual gesehen als eine der größten Facebook-Fangemeinden mit teilweise über 3 Stunden täglicher Nutzung. Nicht zuletzt dank des größtenteils freien Zugangs zu Facebook über Mobilgeräte, die von Facebook subventioniert werden, sprich: Facebook zahlt den Netzbetreibern eine Pauschale, damit die Facebook-App vorab installiert wird und vom Anwender ohne Netzgebühren benutzt werden kann.

Nun sind die Philippiner, die für ihren neuerwachten Nationalstolz bekannt und leider auch berüchtigt sind, schnell dabei, alles zu loben, wo sie gerade top sind. So ist man beispielsweise stolz auf den Status "Selfie City", weil es auf den Philippinen Städte gibt, die im weltweiten Vergleich zu denen gehören aus denen die Bürger die meisten Selfies online stellen. Der Titel ist den Regierenden so wichtig, dass auch einige regierungsnahe Webseiten und Organisationen dazu aufriefen, noch mehr Selfies online zu stellen. Und das, obwohl die Datenleitungen sowieso permanent verstopft sind und die Philippinen das drittlangsamste Internet Asiens haben.

"Pinoy Pride" nennt man diese selbst auf den Philippinen teilweise kritisierte Einstellung, wo der philippinische Stolz alles andere dem Nationalstolz unterordnet. Vier Wochen kein Wasser vom staatlichen Versorgungsunternehmen ist kein Grund, auf den Staat zu schimpfen. Nein, man ist vielmehr stolz darauf, dass man als starker Philippiner das überstanden hat. Und anstatt nachzuforschen was die Ursache der Versorgungsunterbrechung war, versuchen andere lieber 5 Wochen ohne Wasserversorgung auszukommen.

Das Verhaltensmuster ist immer das gleiche: Beurteilt werden nicht reale Fakten, sondern der aktuelle Status Quo ist philippinisch, also per definitionem gut, und somit werden die Beurteilungskriterien solange geändert, bis sie zur Realität passen. Vier Wochen nichts zu essen zu haben ist nicht Hungern, sondern die Gelegenheit, die eigene Stärke beweisen zu können.

Rekordjäger

Möglichkeiten, die eigene Stärke zu beweisen, gibt es viele in einem Entwicklungsland wie den Philippinen. So wird man denn auch nicht müde, immer wieder neue Kuriositäten auf die Spitze zu treiben. Das ist grundsätzlich natürlich nicht schlecht, aber an der Realität der weitverbreiteten Armut vorbei. Würde man die Energie und das Engagement der Menschen zielgerichtet zur Beseitigung von Armut und Engpässen einsetzen, wäre das Land sicherlich bald in vielen Disziplinen Weltmeister.

Rekorde interessieren die Philippiner aber nur dann, wenn sie Spaß machen. Und im Spaßhaben sind sie zweifelsohne weltmeisterlich, keine Frage. Als Deutscher mit eingebauter "Schaffe, schaffe Häusle baue" Mentalität muss ich das offen und ehrlich eingestehen. "It's more fun in the Philippines", dieser offizielle Werbeslogan des Tourismusministeriums, ist korrekt - solange, ja, solange man die Philippinen als Tourist besucht und dann wieder verlässt oder aber den Abenteuerurlaub als Lebensaufgabe begreift.

Als Dauerzustand ist diese Art von Spaß jedoch kontraproduktiv, denn sie zielt darauf ab, den Status Quo als gottgegebenes Paradies zu betrachten und alle Beurteilungsmaßstäbe entsprechend anzupassen. Dieses Verhaltensmuster ist hilfreich, wenn es gilt, Armut und Mangel zu ertragen. Aber beseitigt wird auf diese Art nichts. Man richtet sich mit den Missständen ein. Das ist zweifelsohne eine Grundlage, um ein- nach unserem europäischen Verständnis - ärmliches Leben überhaupt ertragen zu können, aber es wird gleichzeitig auch der Wunsch nach jeglicher Veränderung unterdrückt.

In einer globalisierten Welt, in der auch die Philippinen mit anderen Staaten Handel treiben müssen, bedeutet Stillstand automatisch Rückschritt. Bereits heute begreifen sich die Philippinen als eine Service-Nation. Man ist stolz auf die anerkannt guten Krankenschwestern und Betreuer, die im Ausland ob ihrer Menschenfreundlichkeit gern gesehene Arbeitskräfte sind. Ein signifikanter Anteil des Nationalbudgets besteht aus Überweisungen, die im Ausland beschäftigte Arbeiter, "Oversea Foreign Worker" genannt, tätigen. Wichtigste Wirtschaftsperspektiven: Tourismus und Übernahme von Outsourcing Aufträgen. Beides Bereiche die davon leben, dass Andere das Geld bringen, das wiederum benötigt wird, um Industrieprodukte einzukaufen, da der eigene Industriesektor stiefmütterlich behandelt und entwickelt wird.

Soziale Aktivitäten

In dieses Bild passt das "we are social" wie die vielbemühte Faust aufs Auge. Doch ist man wirklich sozial, eine soziale Nation, nur weil man in einer Computeranwendung namens Facebook Milliarden von Selfies hochlädt und den Bildschirm mit bunten Symbolen füllt?

Es passt zumindest in das Geschäftsmodell von Facebook, das darauf setzt, dass die Anwender die Plattform nicht als Werkzeug für einen individuellen Zweck nutzen, sondern Facebook als Zweck und Hauptinteresse betrachten. Es soll nicht mehr darum gehen, was man in diesem "sozialen Netzwerk" tut, sondern einzig darauf, dass man sich dort aufhält. Doch was hat das mit "sozial" zu tun?

Soziales Verhalten ist - vereinfacht formuliert - das Eingehen auf Andere, das Pflegen der Gesellschaft und das sich als Gemeinschaft begreifen. Letzteres erfüllt eine soziale Plattform ganz sicher: Es ist eine große Gesellschaft und Gemeinschaft, die sich dort tummelt. Und sie haben meist alle die gleichen Interessen: Irgendwie die Langeweile zu bekämpfen und den Tag möglichst spaßig hinter sich zu bringen. Was morgen ist, das interessiert genauso wenig wie die Meinung der anderen Nutzer. Denn auf die Posts der Freunde geht man nur ein, wenn man diese gut findet und auf den "Gefällt mir" Button drückt oder eine kurze kryptische Antwort, i.d.R. Bestätigung der Botschaft, schickt.

Das kritische Auseinandersetzen erfolgt hingegen kaum. Denn auch ein veritabler Shitstorm ist letztlich nichts anderes als eine gigantische Welle gleichlautender Meinungen, die einen Adressaten erreichen. Doch damit geht man nicht wirklich auf den Anderen ein. Man befasst sich nicht mit seinen Gedanken, Meinungen oder Sorgen, sondern fühlt sich besser, wenn man seinen eigenen Senf dazugegeben hat.

Die Sorge um den Anderen, das Mitgefühl für Andere, das kommt dabei jedoch unter die Räder. Ein Klick ist schnell erledigt - und dann kommen schon die nächsten Neuigkeiten. Ein intensiveres Beschäftigen mit den Anderen ist so nicht möglich. Die menschliche Wärme für die die Philippiner so bekannt und geliebt sind, sie geht auf sozialen Netzwerken wie Facebook verloren. Sozial ist daran letztlich nur noch der weitgefasste Gedanke der Interaktion in einem gesellschaftlichen Umfeld bei dem es auf die Qualität der Interaktion nicht mehr ankommt. Sie ist nicht mehr wirklich zielgerichtet, sondern zu einem reinen Zeitvertreib verkommen.

Das Wort "sozial", das wir so gerne wertend verwenden, meint jedoch sehr viel mehr, mehr als ein "soziales Netzwerk" leisten kann. Wir sind nicht sozial, nur weil wir uns täglich mehrere Stunden auf Facebook & Co. aufhalten.

"We are social" macht den Wunsch zum Maßstab - und tötet damit das wahre soziale Verhalten indem wir akzeptieren, dass Selfies posten und auf bunte Symbole klicken Ausdruck des sozialen Miteinanders ist. Eine ganze Generation lernt es gar nicht mehr anders kennen. Wir übernehmen das philippinische Modell, dass gut ist, was wir haben. Die Philippinen treibt der "Pinoy Pride" immer weiter ins Abseits ohne dass sie es selbst wahrhaben wollen. Wohin treiben uns Facebook & Co?

— 06. Januar 2016
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