Spiel mit dem Feuer

Ein gefährliches Vergnügen mit Trend-Potential meint Tom Borg

Denken wird man ja wohl dürfen - obwohl, ist Denken heutzutage wirklich noch vorbehaltslos erlaubt, falls dabei etwas herauskommt, das nicht dem Mainstream entspricht? Da bin ich mir jetzt nicht so ganz sicher, denn zumindest, wenn man seine Gedanken anderen zugänglich macht, kann es gefährlich werden. Aber was wäre es für ein Frust, dürfte man seine geistigen Ergüssen nicht weitergeben…

Ikarus und sein Vater Dädalus flohen der griechischen Mythologie zufolge mit selbstgefertigten Flügeln aus mit Wachs befestigten Federn von der Insel Kreta. Dädulus schärfte Ikarus ein, nicht zu hoch und nicht zu tief zu fliegen, da sonst die Hitze der Sonne beziehungsweise die Feuchte des Meeres zum Absturz führen würde. Doch das Abenteuer des Flíegens machte Ikarus übermütig. Er stieg so hoch hinauf, dass die Sonne das Wachs seiner Flügel schmolz, die Federn sich lösten und er ins Meer stürzte.

Ich gebe zu, ich habe diese Legende zwar in der Schule gelesen, aber sie hält mich selten davon ab, mit dem Feuer zu spielen. Ja, es ist geradezu eine innere Genugtuung, der Versuchung nachzugeben, wenn auch nur verbal. Denn das Internet bietet reichlich Raum, seinen Gelüsten nachzugehen. Dazu muss man weder geheimnisvolle, - für den Normalo - versteckte Webseiten besuchen, sondern kann sich genüsslich im eigenen Blog austoben. Denn eines ist sicher: Die Geheimdienste lesen mit. Vermutlich ist es das einzige, was wir Menschen mit absoluter Sicherheit für den Rest unserer Existenz als sicher voraussetzen können, denn am Überwinden des Alterns und Sterbens arbeiten ja ganze Heerscharen von Wissenschaftler.

Allerdings kann so ein Spielchen mit Brüderchen Geheimdienst auch ganz schön in die Hose gehen, wie das Beispiel von Daniel Bangert zeigt. Er wollte mit Freunden "nur mal so" den Dagger-Komplex in Griesheim besuchen, wo die NSA vermutet wird. Doch kurz nach seinem Aufruf via Facebook besuchte ihn der Staatsschutz. Das sollte einem jeden Warnung genug sein. Doch gerade darin liegt aber auch der Reiz des Spielen: Man weiß, dass der Staatsschutz mitliest - und setzt absichtlich einige Schlüsselbegriffe in den Text bei denen man getrost sein letztes Hemd darauf verwetten kann, dass die Filter der Automaten anschlagen.

Neulich schrieb ich mal im Scherz: wenn ich ein Dutzend solcher Suchbegriffe in einen Text packe, dann bekomme ich so viele Visits von Geheimdiensten, dass ich gar keine normalen Besucher mehr bräuchte. Doch ist das etwas kurz gedacht. Denn zu denen, die da schnüffeln, gehören ja vor allem amerikanische Dienste und deren ökonomische Handlanger, zu denen sich manche Internetkonzerne degradiert haben. So ist Google beispielsweise ein amerikanischer Konzern, der natürlich lautstark "I am American!" ruft und alles tut, was die NSA gerne hätte - vermutlich sogar im Voraus. Doch als Webseitenbetreiber kann ich mir das eigentlich gar nicht leisten. Denn wie jeder andere auch, brauche ich Google als Suchmaschine. Und spätestens da fängt das Spiel mit dem Feuer an. Was macht Google mit anti-amerikanischen Texten? Werden die indiziert oder brutal aussortiert? Werden sie systematisch sachlich oder anhand meines sicherlich griffbereiten Profils ausgewertet?

Überhaupt: Wie sieht eigentlich mein Profil bei den Geheimdiensten aus? Die mathematisch-statistischen Basisalgorithmen sind ja allgemein bekannt, und die potentiellen psychologischen Parameter lassen sich abschätzen. Aber zu welchem Ergebnis kommt damit ein Nachrichtendienst? Ich schreibe ja gerne mal etwas negatives über die USA, wenn ich mich ärgere, was mich jedoch nicht davon abhält, amerikanische Musik zu hören, WWE-Wrestling zu schauen, NASA-Erfolge und Erkenntnisse fasziniert zu bewundern und Obamas Charisma zur Kenntnis zu nehmen, das bei unserer Angela ja weitestgehend durch Abwesenheit glänzt. Nicht einmal für (praktische) Politik interessiere ich mich. Aber Denken wird man ja wohl dürfen - obwohl, ist Denken heutzutage wirklich noch vorbehaltslos erlaubt, falls dabei etwas herauskommt, das nicht dem Mainstream entspricht? Ei, da bin ich mir jetzt nicht so ganz sicher, denn zumindest, wenn man seine Gedanken anderen zugänglich macht, kann es gefährlich werden. Aber was wäre es für ein Frust, dürfte man seine geistigen Ergüssen nicht weitergeben…

Aber darum geht es den Geheimdiensten ja nicht. Die rechnen nach den Regeln der Spieltheorie hoch, auf welche Schnapsidee ich als nächstes kommen könnte und wen damit zu welcher Nachahmung animieren könnte. Wenn die wüssten… Ha ha, ich lebe derzeit ja nicht einmal in Deutschland, sondern in einem Land weit weg, wo die Menschen all die Rechte, die wir Deutschen angegriffen sehen, gar nicht kennen, geschweige denn auf die Idee kämen, diese einzufordern.

Aber ein Element der Spieltheorie ist ja eben auch die Prognose darüber, ob ich etwas schreibe, damit die Firma Schnüffel & Co. denkt, dass ich denke, was ich nicht denke. Oder wie es Julianne Werding in der Prä-Internetzeit formulierte: Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur du denkst… (Danke lieber Gunter Gabriel für diesen schönen Satz!)

Doch wie viel verbale Zündelei ist heute noch erlaubt? Jeder einzelne Funke birgt ja eine Gefahr - aber auch eine Chance. In meinen Texten geht es mir bei überspitzten Formulierungen oder Provokationen ja darum, andere zum Denken zu bewegen, und sei es auch nur, dass dabei ein Widerspruch resultiert. Doch vermutlich ist genau dies mein größtes Verbrechen: Denken gehört verboten in der Welt der Machtspiele. Aber wir Deutsche denken ja leidenschaftliche gerne über alles nach, analysieren dieses und jenes und grübeln über Gott und die Welt. Genau dies unterscheidet uns unter anderem auch von unseren EU- und Euro-Partnern. Die denken weniger über Sinn und Unsinn des Lebens nach, sondern leben das Leben einfach so wie es ist, denn ein anderes haben sie ja nicht. Und genau dies müsste, so denke ich es mir, auch im Sinne der Mächtigen auf diesem Planeten sein: Menschen, die brav zur Arbeit gehen und konsumieren auf dass die Wirtschaft boomt - und das alles ohne über irgendwas zu murren. Und zumindest in dem Punkt kann der Club of Rome warnen so viel er will: Menschenmaterial gibt es genug. Wenn eine Generation ausgebrannt ist, steht die nächste schon Gewehr bei Fuß. Und auch daran verdienen sich alle internationale Großkonzerne dumm und dusselig - selbst der Papst ruft fröhlich: Lasset die Kindlein zu mir kommen, was einige Priester gelegentlich etwas zu wörtlich nehmen. Oh, verflixt, das hätte ich jetzt wieder nicht schreiben dürfen. Obwohl, hat der Vatikan eigentlich seinen eigenen Geheimdienst, der alle anderen inklusive NSA ausspioniert? Denn eigentlich müsste die Kirche ja alle anderen unterwandern, weil unabhängig von Nationalität und politischer Gesinnung die Religion immer eine treibende Kraft ist. Es wäre eine interessante Frage, ob die NSA den Vatikan ausspioniert oder ob der Vatikan katholische Top-Spione in der NSA platziert hat. Ich würde wetten, es trifft beides gleichzeitig zu…

Und was lernen wir aus alledem? Mit der Technik von heute sind wir sozial wieder im Mittelalter: Eine kleine Elite steuert die Geschicke der Menschen - und der ganze Rest hat die A…-Karte gezogen… Allerdings unterscheiden wir uns von den Menschen des Mittelalters in dem Punkt, dass wir heute wissen, was wir alles nicht haben, denn Fernsehen, Kino und Internet zeigen uns auch kleine Schnipsel der "realen" Welt, zeigen Reichtum, Luxus, Glück und Lebensoptionen, die Begehrlichkeiten wecken; gefährliche Wünsche, Träume und Hoffnungen, für deren Zähmung und Kontrolle der Staat alle verfügbaren technischen Möglichkeiten aufbieten muss. Denn unerfüllte Wünsche des Volkes sind auch für die Mächtigen ein Spiel mit dem Feuer bei dem gelegentlich Großfeuer entstehen, denen alle Feuerwehren der Welt machtlos gegenüberstehen…

— 16. Juli 2013
 Top