Stolz

Der Einzelne, seine Leistung und die Gemeinschaft. Von Christa Schyboll

Überlegen Sie kurz mit: Was empfinden Sie, wenn Ihnen stolze Menschen begegnen? Typus: Aufrechter, selbstbewusster Gang, kühler Blick, sparsame Gesten, vielleicht gesegnet mit einem angenehmen Äußeren oder Attributen, die zumindest auf Geld, Macht und Reichtum unmissverständlich hinweisen.

Fasziniert es Sie mehr oder fühlen Sie sich eventuell davon sogar ein wenig nieder gedrückt? So, als sei eigentlich gar kein Raum für Sie selbst mehr da, weil der oder die Stolze jenen ganz für sich zu absorbieren scheint. Natürlich ruhen alle Augen auf jener Person und Sie selbst sind „out“ – falls Sie vorher überhaupt schon „in“ waren. Der Stolz der Person erobert den Ort des atmosphärischen Geschehens, der so manchem kurzzeitig den Atem nimmt.

Was ist das nur für ein Gefühl? Nicht wenige Menschen, die mit dem Stolz auch eine Form von Arroganz empfinden, die letztlich nur unangenehm ist. Es gibt jedoch auch jene Form, die uns das Prächtige und Stattliche zeigt. Ein Mensch, der mit sich im Reinen zu sein scheint und Hochachtung vor sich selbst zu bezeugen bereit ist in der Gewissheit, selbst etwas sehr Besonderes und Anerkennenswertes zu sein oder an so etwas mitgewirkt zu haben. Das wiederum kann dann sogar still und bescheiden geschehen, aber mit jener Würde, die zugleich unübersehbar ist. Aber auch „barock“ auf eine fast zwingende Art, der man sich nicht mehr entziehen kann.

Das alles natürlich immer nur im Intergrund eines eigenen Wertehorizontes, den andere durchaus nicht teilen müssen. Die Kraft jedoch, die von dieser Selbstwahrnehmung ausgeht, hat oftmals eine mächtige Wirkung auf andere, die zwar nicht durchgängig positiv empfunden werden muss, in der Regel jedoch sehr stark und intensiv. Man begegnet einer elementaren Emotion, die interessanterweise in allen menschlichen Kulturen gleichartige Gesten und Gebärden zeigt in der aufrechten Körperhaltung, dem zurückgelegten Kopf und vom Körper gestreckte Arme. Hier muss sich keiner durch Verschränkungen schützen, sondern zeigt sich offen im Bewusstsein der eigenen Stärke. Ein universelles Wiedererkennen durch alle Kulturen ist dabei gewiss. Und das Signal ist klar: Der soziale Status wird zelebriert

Gleitet das Gefühl des Stolzes in eine neurotische Form, ist das Gefühl der Peinlichkeit sehr nahe. Neurotisch kann es dann werden, wenn man auf etwas stolz ist, das man selbst nicht geschaffen oder geleistet hat. Oder umgekehrt ist es ebenso ungesund, auf eine Leistung stolz zu sein, die anderen Menschen schadet. Zum Beispiel stolz zu sein, erfolgreich beständig zu betrügen ohne erwischt zu werden.

Stolz auf die eigene Leistung ist ein gutes und gesundes Gefühl, das der Mensch nutzen und sich auch daran erfreuen sollte. Wie laut oder leise er es tut, ob es bescheiden oder angeberisch daher kommt, liegt wieder in Charakter und Temperament des Einzelnen. Die Anerkennung für eine Leistung von einem anderen Menschen oder einer Gemeinschaft jedenfalls hat er zu Recht verdient und sollte auch immer dort geschenkt werden, wo sie errungen wurde. Begreift man die feinen Unterschiede zwischen den Nuancen, ist man auch vor Hochmut gefeit, der als stiller Begleiter dem Stolzen so gern die nächste Falle stellt.

— 02. September 2010
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