Der Tod, so fern, so nah, so immer da

Gedanken zum Thema Tod von Christa Schyboll

Denken wir kurz mal in drei groben Kategorien. Da gibt es die Menschen, die lebenslang quasi fast nie an ihren eigenen Tod denken. Und da gibt es die, die ständig an ihn denken. Und natürlich welche, die nur hin und wieder anlassbezogen sich mit der eigenen Sterblichkeit beschäftigen. Sei es eine Beerdigung oder ein Massenunfall, in den jeder Menschen potenziell hineingeraten könnte.

Da wir alle ja wissen, dass wir irgendwann sterben werden, ist es sowohl natürlich, sich damit näher, oft oder ständig zu beschäftigen, wie aber auch ebenso, es einfach sein zu lassen, weil es eh ist wie es ist und wir es auch nicht ändern können.

Warum aber, so frage ich mich, gibt es diese drei grob unterteilten Gruppen? Wieso denken die einen seit ihrer Kindheit an ihren eigenen Tod – und wieso interessiert dies die andere Gruppe überhaupt nicht? Natürlich sind da schnelle Antworten zu finden, die mich aber nicht wirklich befriedigen. Denn schon allein die Rückfrage: Warum soll ich dann daran denken, das Leben ist doch schön – oder auch: Es ist schon so schwer genug - zielt an meiner Grundfrage völlig vorbei.

Und die, die in ständiger Angst vor dem Ableben sind und quasi wie das Kaninchen auf die Schlange starren sind ebenfalls nicht gemeint. Also weder die Hypochonder, die sich am liebsten schon bei jedem Schnupfen die Sterbesakramente geben lassen, noch die begabten Verdränger, die auf keinem Fall mit einem unschönen Gedanken belästigt werden wollen, sind im Fokus meiner Fragestellung.

Lasst uns von den Menschen sprechen, die sich gerade trotz und wegen ihrer Hochlebendigkeit dem Tod so nahe fühlen.

Ich gehöre auch zu ihnen. Und ich bin noch immer erstaunt, dass sich der tiefe Gedanke an die eigene Sterblichkeit, der seit der frühen Kindheit bereits in meinem Herzen einen Platz erobert hat, niemals mehr in mir verabschiedete. Er wandelte sich, intensivierte sich. Das Gefühl dabei: Unklar. Mir fehlt der treffende Begriff. Vielleicht gibt es ihn auch tatsächlich nicht. Es ist ambivalent. Schwankend zwischen Neugierde und Angst. Schwankend zwischen Hoffen und Bangen. Schwankend zwischen den körperlichen und geistigen Zuständen, die mir doch auf jeweils eigenartige und zugleich so unvergleichliche Weise so viel Leben schenken, das ständig Saltos in mir schlägt.

Der Kopf weiß längst alles. Alles? Nein, aber doch einiges, an das Herz und Bauch sogar fest glauben, wenn der Kopf hin und wieder zweifelt. Auch also da wieder diese freundlichen Ambivalenzen, die mir jede letzte Sicherheit verwehren. Der Kopf weiß, dass alles Geschehen um Leben und Tod nur natürlich ist und damit auch gut. Es ist alles in seiner Ordnung. Ob uns diese Ordnung immer passt oder nicht, steht nicht zur Debatte. Wohl aber, ob wir sie durchschauen, akzeptieren und verinnerlichen. Denn tun wir das nicht, gibt es Probleme psychischer Art, die sich hin und wieder auch einen Ausgang in körperliche Leiden suchen. Der Kopf weiß: Alles ist Wandlung. Leben und Sterben wechselt sich ständig ab. Und diese Wandelprozesse sind eingebettet in noch größeres Leben, das so groß ist, dass es vom Sterben nicht mehr erreicht werden kann. Dennoch ist Leben und Sterben eine Symbiose, die sich bedingt, braucht, sich nacheinander sehnt, um zu sein.

Was aber ist es, dass ich an solche Dinge ständig denken muss – und andere Menschen nie oder selten? Was ist es, das mich anzieht und abstößt, hinschauen lässt und den Blick wieder wendet?

Ist es diese gefühlte Nähe von Leben und Tod, die mir so stark ins Bewusstsein geschrieben ist, dass ich weiß… jede Minute kann deine letzte sein!?

Und dann? – In der nächsten Minute beginnt der Prozess der Auferstehung. Ein Zustand, den ich kenne, der so uralt ist, und den ich dennoch nicht erinnere.

Was ich erinnere ist ein Gefühl einer kreativen Unruhe, weil ich weiß: Das jetzt schon so intensive Leben lebt dich, lebst du dann wieder in gesteigerter Form.

Und dennoch bleiben Fragen offen…

— 15. Januar 2022
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