Todesgefahr

Zwischen Angst und Hoffnung. Von Christa Schyboll

Es gibt Menschen, die stehen nur einmal im Leben vor ihrem eigenen Tod. Und der tritt dann auch ein. Dann gibt es Menschen, die begegnen ihm öfter im Leben. Aber der Tod zog sich wieder zurück. Es war nicht seine Zeit.

Solche Erlebnisse nennt man Todesgefahren. Einige Menschen bekommen solch prägende Momente häufiger im Leben. Inwieweit sie selbst schuld daran waren, ist individuell verschieden und auch nicht immer ganz klar herauszufinden. Zu viele Einzelheiten spielen dort in einem komplexen Ereignissystem zusammen und verdichten sich bis zu jenem Augenblick, wo man denn den eigenen Tod vor Augen hat.

So geschah es auch mir. Beispielsweise bei einer Wildwasserfahrt. Es war ein nicht sonderlich schwieriger Wasserfall zu meistern. Keine große Sache. Dennoch eine, die volle Konzentration und Wachsamkeit erforderte. Mein Respekt vor dem Leben und seinen Gefahren war schon immer gut ausgebildet, da mir Angst, Vorsicht und vorausschauende Planung keine fremden Gefühle und Gedanken sind. Mut hält sich bei mir in normalen Grenzen und handfestes Abenteuer verlege ich lieber in die geistigen, statt die physischen Bereiche. So fuhr ich bedachtsam den nächsten Wasserfall hinab und freute mich, ihn ohne Kentern gemeistert zu haben.

Dann passierte es. Ich kenterte im Nachhinein. Vor lauter Freude, dass mir alles so elegant gelungen war, machte ich einen sehr dummen und sehr entscheidenden Anfängerfehler. Ich landete im Kehrwasser und paddelte nicht schnell genug heraus. Binnen Sekunden erfasste mich die Macht des Wassers und schmiss mich um. Weder Reaktions- noch Denkvermögen reichten aus, dieses überraschende Ereignis nach meiner Freude blitzschnell zu realisieren. Stattdessen kam unter Wasser die Panik hoch. Denn ich war eingeklemmt und konnte mein enges Wildwasserkajak nicht verlassen.

Hier begann der zweite Teil meines Fehlers nach der allzu frühen Freude über den gemeisterten Wasserfall. Ich hatte meine Beine so sehr mit Transportgepäck im engen Kajak eingeklemmt, dass ein Heraustauchen unmöglich war. Als mein Verstand diese Situation realisierte, blieb er keineswegs ruhig und bedacht, sondern verhielt sich panisch. Erst schluckte ich zuviel Wasser, dann strampelte ich in meiner Verzweiflung wild herum, ohne auch nur eine Sekunde meine eigene Situation zu verbessern. Ich verbrauchte weitere unnötige Kraft und den letzten wertvollen Sauerstoff in meinen Lungen. Ich verhielt mich dumm, dilettantisch und wurde panisch. Ich schluckte noch mehr Wasser, was meine schlimme Situation noch mehr verschärfte. Dann mit einem Ruck, hatte ich es geschafft. Neben mir noch jemand, der benommen im Wasser stand. Es war also nicht nur mir alleine passiert. Aber die andere Person konnte das Boot drehen, während mein Restverstand endlich das überflüssige Gepäck herauszerrte. Meine Rettung!

Und damit dieses persönliche Drama noch mit einer wundersamen Verschärfung dekoriert werden konnte, zog ein heftiges Gewitter mit Schnee und Blitz auf. So, als brüllte die ganze Natur mir zu: Du Verrückte! Wie kannst du nur so dumm sein!

Hustend, erschöpft und mit den Nerven am Ende schaffte ich es dann irgendwie zum Ufer. Nass, kalt, abgekämpft, überanstrengt und mich dem Tod so unendlich nahe fühlend, obschon das Leben mich wieder hatte. Die Läuterung kam später. Erst musste Ruhe in mir neu Platz greifen. Dann kamen die Überlegungen und die Einsicht meiner verschiedenen Fehler. Und danach kam die unendliche Dankbarkeit über meine Rettung. Den (vermeintlichen?) Tod so nahe vor dem Auge: das prägt! Viele Jahre ist diese Situation bereits vorbei - aber die Dankbarkeit über die Rettung ließen mein Gefühl für Achtsamkeit und Vor-Sicht auf neues Niveau steigen und wirken bis heute unvermindert fort.

— 05. April 2012
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