Sardine in der U-Bahn

Zwischen schwitzenden, drängelnden, nackten und duftenden Menschenleibern eingekeilt ist Christa Schyboll

Die Sonne lacht. Ich lache zurück. Der Morgen beginnt warm und schön. Ich freue mich auf die Arbeit, den Tag und das Leben überhaupt. 8.15 Uhr. Rushhour. Mir geht’s gut. Ich bin flink. Schnell noch in die U-Bahn. Mit einem Sprung bin ich drin. Türen zu. Puhh, das war knapp!

Es ist sehr eng. Vor allem jetzt, wo die Tür geschlossen wird. Ich klebe an der Tür. Ach, was soll’s. Ein paar lächerliche Stationen. Geht doch schnell. Nein. Geht es nicht. Ich fühle mich langsam zerquetscht. Ein lautloser Mixer, der seine Umdrehungen steigert. Im Zermantsch-Modus. Nicht im Häckselwerk. Noch bedrückt es mich nicht. Der Tag ist schön. Die Sonne lacht. Auch in der U-Bahn, wenn man nur richtig mit ihr in Kontakt steht. Ich stehe gut. Mit der Sonne. Nicht in der Bahn. Da bin ich mehr von allen Seiten weich gehalten. Keine Chance auf fallende Ohnmacht, sollte es noch schlimmer kommen.

Ich bin eher klein. Manchmal ist das ein Vorteil. Für den Laufsteg natürlich nicht. Aber zum Durchwuseln in U-Bahnen. Ich will von dieser Tür weg. Wenn sie gleich wieder aufgeht, falle ich raus. Oder sie schneidet mich in zwei Hälften, wenn sie wieder schließt. Oder die Ein- und Aussteigenden wälzen mich gleich von zwei Seiten nieder. Plattflunder. Zwei Meter weiter reichen doch schon. Aber diese zwei Meter sind besetzt. Mit Menschlingen. Solchen, wie ich es bin. Große, Kleine, Dicke, Dünne, Duftende und Stinkende. Knoblauch. Ich esse selbst gern welchen. Aber ich achte drauf, wann und wo ich damit zwischenmenschliche Katastrophen erzeuge. Andere nicht. Die stinken vor sich hin. Es gibt doch schon genug Krieg auf der Welt.

Daneben der Geruch von Veilchen. Wie hält sich diese alte Dame nur auf den Füßen? Mein Blick geht hoch. Ah! Sie hat eine der wenigen Handschlaufen erwischt. Heute steht man für alte Damen zudem nicht mehr auf. Würde sie einen jungen Menschen um einen Sitzplatz bitten, erntete sie verständnislose Blicke. Am Ende eine Jugend-Rassistin, die den Jungen den Platz streitig machen will? Es gibt ja alles unter diesen egoistischen Alten! Aber sie hätte eh keine Chance dazu. Auch sie ist gefangen im Vorraum. Wände aus Menschenleibern verstellen den Blick in den vermuteten Sitzraum.

Die Tür entfernt sich langsam von mir. Dazu muss ich sanft drängen. Weiter, weiter. Vorsichtig, wie ein fein geführtes Skalpell, dass sich behutsam durch Hautschichten schneidet. Im Sekundentakt komme ich weiter. Doch, manchmal ist es ein Vorteil, klein und beweglich zu sein. Gefühlte 73 Zentimeter bin ich nun von der Tür entfernt. Die Bahn hält. Die Tür geht auf. Es ist schlimmer, als ich befürchtete. Zwei steigen aus. Zehn steigen ein. Es ist erdrückend. Wo bleibt die Bahnpolizei! Das geht doch nicht. Doch! Geht! Aber wie! Stehen solche Zustände in der Menschenrechtscharta?

Nun kleben wir fest aneinander. Fleisch an Fleisch. Ich bin der Belag. Vier andere das Brötchen. Alle größer als ich. Damit im Vorteil um Frischluft. Nackte Haut an nackter Haut. Oh Gott, eine Brötchenhälfte hat ihr Hemd aufgeknöpft. Zum Protest fehlt mir die Atemkraft. Ich will das hier nur überleben! Es ist Sommer. Hoffentlich befindet sich gerade kein Perverser in meiner Nähe. Man glaubt nicht, was es in U-Bahnen alles gibt. Gerade im Sommer. Da, wo die Tage so freundlich sind. Die Wärme so warm. Und die Enge so unerträglich.

Nächste Station. Drei steigen aus. Drei steigen ein. Ich sehe es durch kleine Ritzen. Schaue zwischen Bäuchen und Taschen hindurch. Unveränderte Zahlenarithmetik. Und wenn ich mich weiter nach hinten dränge? Das vierfache Brötchen lässt es nicht zu. Da geht nichts mehr. Das haben die von der vorherigen Station versaut. Zehn plus minus drei. Merkwürdige Gleichung. Sie hilft beim Transpirieren. Das Veilchen verströmt sich im ganzen Waggon. Den Knoblauch überdeckt es nicht. Mehrere Handys klingeln. Ein paar sprechen. Die anderen haben keine Chance, in ihre Hosentasche zu greifen. Die ist von außen besetzt. Mit dem Körperfleisch anderer Bahnnutzer. Gefährlich, da mit den Händen in der Hosentasche und so... Es klingelt es hier, es summt dort. Bei jedem ein wenig anders. Alles gleich nervend. Die Anrufer haben Geduld. Wir zwangsverpflichtete Zuhörer nicht. Wir sind alle Gefangene des öffentlichen Transportwesens, ohne das wir unsere Existenz nicht sichern können.

Nächste Station. Fünf steigen aus. Keiner steigt ein. Ich fasse es nicht. Uns allen werden einige Zentimeter geschenkt. Aber man spürt sie kaum. Dennoch! Allein schon das Wissen darum lässt schwindende Überlebenskräfte Hoffnung schöpfen.

Das Veilchen stöhnt. Recht hat sie. Mir ist auch danach. Lautlos stöhne ich mit. Und fluche innerlich. Jetzt kommen die Handybesitzer an ihre Hosentaschen. Und reden drauf los. Vier auf einmal. Zwei von meinen Brötchenseiten. Und zwei dahinter. Sie tuten mir ins Ohr. Ich ertrage das Geschwafel nicht. Was es mittags zu essen gibt? Ob es bei halb acht heute Abend bleibt! Ja, man sei gerade auf dem Weg zur Arbeit! Der banale Inhalt der Informationen ist der pure Schrecken. Für so etwas rufen Menschen sich an! Belanglosigkeiten, die nicht mehr zu unterbieten sind. Morgens gegen kurz nach acht.

Ich steige aus.

Es fing alles so schön an. Die Sonne lachte. Ich lachte zurück. Ich freute mich auf den Tag. Doch ich vergaß, dass ich eine U-Bahnfahrt vorher zu überleben hatte. Und fast vergas ich, mittlerweile so ganz misanthrop gestimmt, dass ich doch eigentlich lieber ein Menschenfreund bin.

— 11. August 2013
 Top