Hirnwäsche vor Kampfeinsätzen

Steigern Belanglosigkeiten die Aggression? Von Christa Schyboll

Dr. Franz F. hat einen neuen Forschungs-Auftrag. Er soll die Bedeutung der Belanglosigkeit im Internet untersuchen. Hintergrund dieser Forschungsarbeit ist die Frage, inwieweit das Posten von Belanglosigkeiten das Aggressionspotential im durchschnittlich begabten und gebildeten Menschen verschärft wird.

Sollte sich ein Zusammenhang zwischen den gesteigerten Aggressionen und den Inhalten der medialen Dauerberieselung als wissenschaftlich fundiert nachweisen lassen, ist unverzüglich sowohl dem Bundesinnenminister wie auch dem Bundesverteidigungsminister persönlich Bericht zu erstatten. Es wird dann in einer Experimentalreihe untersucht werden, in welchem Ausmaß Bundeswehrsoldaten vor ihrem Einsatz in Kriegsgebieten mit dem Lesen von Twitter-Meldungen auf jenes Maß von Kampfbereitschaft „trainiert“ werden, die den Gegner das finale Grauen lehrt.

Dr. Franz F. weiß um die Bedeutung dieser Forschungsarbeit für die Weltkriegsgebiete. Um nicht selbst während der Studien in einen inneren kriegsähnlichen Zustand zu gelangen, lässt er im Hintergrund Mozart laufen. Das jedoch wird den späteren Probanden nicht gestattet. Stattdessen werden sie Bushido hören. Er schaltet seinen Twitter-Accound ein und liest in loser Reihenfolge: Haben Sie immer noch keine Anleitung zum Umgang mit sozialen Medien? Wir auch nicht. Dass wir trotz technischem Fortschritt noch über 40 Stunde die Woche arbeiten müssen, spricht nicht nur allein gegen den Fortschritt. Was habe ich diese Woche alles verpasst? Ich zeige Ihnen mit Video wie sie Stress vermeiden und Umsatz machen. Haben wir mittlerweile eine neue Regierung? Die Akteure der großen Transformation sind nach vorn gewandt. Ich habe mit der aktuellen Besetzung nichts zu tun. Eure Heiligkeit, das Internet. Über das Vergessen alter Götter und Bräuche. Du musst endlich mal eine Currywurst essen. Du musst einmal das Hotelzimmer verlassen. Mein erstes mal mit Claudia. Schlussverkauf ist jeden Tag. Wo ist eine Blume? Im Zweifelsfall: Kucza. Sprechen sie die Sprache des Lebens und des Todes? Mein erster Satz führt nach Wien. Mecki oder Lichtenberg? Oder doch Nietzsche? Auf geht’s, Bayern! Is' Fußball gezz. Phantomtor überschattet Bundestag. Hier ist Dortmund. Dax wartet auf Dollarregen. Jungfräulich weiße Spitzen und Stickereien an Tops. Social Media Kampagne verkürzt lebenswichtige Operation. Britisches Ale schmeckt wie Hustensaft. Lange Holzleitern stützen abgeerntete Apfelbäume. Mörder entkam als Clown.

Clown! Dr. Franz F. reibt sich die Augen. Er zieht Mozart aus seinen Ohren, stöpselt sich ab und fühlt: Mozart hat versagt! Er hat ihn nicht mit kindlicher Leichte über das Schwergewicht jener Texte gehoben, die er sich in diesem ersten experimentellen Stadium nun doch erhofft hatte. Dr. Franz F. ist sauer, wütend, aggressiv. Was musste er sich diese dämliche Studie antun! Er schaut noch einmal auf den abgespeicherten Text und haut mit der geballten Faust in seinen Bildschirm. Nicht einmal Todeskandidaten darf man dies zumuten. Er hebt sein rechtes Bein, in dem sich das gesammelte Adrenalin den ganzen Körpers entlädt und tritt gegen seinen PC. Der fliegt gegen die Wand und flackert mit wenigen Lämpchen nun bedenklich um sein Leben.

Dr. Franz F. setzt sich hin. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn und wählt eine Nummer. Herr Schäuble? Persönlich? Ja, grünes Licht! Es funktioniert. Aktenzeichen CH 887 B. Umstrukturierung der Kampfeinheit. Der Bundesverteidigungsminister war leider nicht erreichbar. Ich bin ganz fix und fertig. Es wirkt. Ich kann Vollzugsmeldung geben!

— 10. September 2013
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