Chefs

Vorgesetzte in voller Verantwortung oder Bin ich der „letzte A…rsch“? – fragt Christa Schyboll

Eigentlich sollten sie der „Kopf“ ihrer Einheit sein. Sei es als Vorstandsvorsitzender oder in kleineren Einheiten als Abteilungsleiter oder Teamchef. In der kleinsten Einheit jedoch ist man sich selbst Vorgesetzter oder Chef.

Bleiben wir kurz in der Metapher des „Kopfes“ oder „Leiters“ (was Chef aus dem Französischen und Lateinischen kommend bedeutet). Jeder „Kopf“ hat einen „A...rsch“. Als solcher fühlt sich oftmals ein Untergebener, so der Chef seinen Kopf in Anbetracht seiner Position und Macht nicht vernünftig benutzt, und dabei er kommt sich nicht selten wie der „letzte A…“ vor.

Nun gibt es betriebliche Situationen, wo dieses beständig negative Empfinden dem Chef durchaus materiellen Gewinn bringt. Er muss nur seine Vormachtstellung so auszunutzen, dass das System der Angst in der Abhängigkeit voll greift. Dann „funktioniert“ die Mannschaft. Wer sich nicht fehlerfrei und automatisiert im Rädchen der Maschinerie der Firma mit dreht, fliegt. Ist der Chef in der komfortablen Situation, dass all die, die früher oder später an diesem unmenschlichen System zugrunde gehen, leicht durch neue Abhängige ersetzt werden können, so wird er keinen oder wenig Grund finden, dies auch ändern zu wollen. Es funktioniert ja und der Gewinn maximiert sich zu seiner großen Freude. Der Chef sagt, wo es lang geht, und die Kaninchen ducken sich vor der Schlange, um nicht gefressen zu werden. Denn sie wollen leben und wenigstens ihre Existenz sichern.

Dann gibt es Chefs, die sich mit der rein materiellen Seite des Gewinns nicht mehr zufrieden geben, weil sie mittlerweile eine weitere Ressource entdeckt haben, die zusätzlich Freude macht und dazu echte Befriedigung bringt: Die menschliche Qualität in der Führung. Hier ist ein doppelter Gewinn möglich, wenn man es entsprechend anpackt. Es braucht in jedem Falle eine authentische Autorität, die geachtetes fachliches und menschliches Vorbild zugleich ist. Hier werden Kopf und Herz gemeinsam eingesetzt und gehen eine intelligente Symbiose miteinander ein. Die Gedanken werden dabei nicht nur glasklar gedacht, sondern auch durchfühlt. Die Gefühle, die hochkommen, werden einer nüchternen Revision unterzogen, damit es keine gefühlsduseligen Aspekte in wichtigen Entscheidungen gibt, sondern ein kluges Abwägen für das Ganze im Falle anstehender Veränderungen.

Die Gabe, sich in die Situation des anderen sensibel und nüchtern zugleich hineinversetzen zu können, ohne die eigenen über überbetrieblichen Anliegen dabei außer Acht zu lassen, ist unverzichtbar, um zu sinnvollen Lösungen zu kommen, die sich menschlich wie auch finanziell positiv auswirken.

Dort, wo Chefs ihre Macht missbrauchen, sind solche Menschen völlig falsch eingesetzt. Denn sie haben letztlich bestimmte Ressourcen noch nicht erkannt und verhindern damit auch ihre Nutzung. Zum Beispiel die Ressource der Motivation und Freiwilligkeit, die zugleich auch die Gesundheit, Verantwortungsübernahme und die Potentialität der Mitarbeiter wiederum steigert. Anstrengungen, die zu neuem Gewinn führen, ohne dass sie Menschen dabei zerstören oder schädigen, sondern im Gegenteil zu einer freudigen Erweiterung dessen führen, was alles noch ungenutzt ist.

Alle Menschen verfügen über noch ungenutztes Potential. Es sanft und beharrlich zu heben, wäre die Aufgabe eines guten Chefs. Dazu müsste er jedoch ein genaues Augenmerk auf Schwächen und Fähigkeiten haben, nicht nur am sachlichen Ergebnis der Arbeit allein, sondern auch am Menschen selbst interessiert sein. Das erfordert Menschenkenntnis und die Bereitschaft, dafür Zeit aufzubringen. Vor allem dürfte nicht das egoistische Moment einer geschickten Nutzung aus persönlicher Bereicherung im Vordergrund stehen, sondern es braucht eine allgemeine Menschenliebe, die stark und fest das Wohl aller im Auge hat. Gepaart mit dem Wissen, dass er eine Arbeitnehmer nicht so kann wie der andere und dass das Individuelle dabei neu angeschaut werden muss.

Ob Chefs dies nun wiederum wegen ganz anderer Verpflichtungen an ihre unteren Frontmänner delegieren (müssen), ist nicht entscheidend, sondern dass sie überhaupt diese Gedanken als intelligente Form von Machtgebrauch kennen und positiv nutzen. Weg von jedem materialistisch ausbeuterischen Ansinnen und hin zu einer humanen, gut funktionierenden Gemeinschaft auch in Betrieben, die auf die volle Verantwortung des Mitarbeiters setzt – aber ihm auch Anreize bietet, es mit zu tragen und das Seine dazu zu tun. Es kann nur ein gemeinsames Geben und Nehmen werden, weil sonst eine andere Schieflage droht.

In modernen Produktionsbetrieben sind solche Gedanken oft noch ein Luxus und keineswegs immer umsetzbar. Doch nähert man sich diesen Prinzipien offen, so werden in den meisten Fällen durchaus Verbesserungen durch Umschichtungen in vielen Bereichen möglich sein. Diese Umschichtungen können manchmal nur bestimmte Arbeitsplätze betreffen – aber das Modell im Ganzen kann letztlich allen durch verschiedene Formen von Mitarbeiterbeteiligung und Motivationsanreize Brücke werden, den Betriebsgewinn zu stabilisieren durch Zuverlässigkeit und persönliches Engagement.

Doch auch Mitarbeiter-Motivation steht in der Gefahr, missbraucht oder instrumentalisiert werden zu können. Hier ist der Chef mit seiner Machtstellung ebenfalls gefordert ehrlich in sich selbst zu schauen. Geht es letztlich um einen raffinierten psychologischen Trick – oder geht es um tatsächliche Verbesserungen zum Wohle aller?

Chefs, die ihre Machtstellung im wahrsten Sinne des Wortes ver- und er-dient haben, werden die Qualitäten zu schätzen wissen, nicht nur für Schwarze Zahlen und gute Börsennotierungen die Sektkorken knallen zu lassen, sondern auch für zuverlässige, zufriedene und hoch motivierte Fachkräfte, die täglich neu gern zur Arbeit kommen und in all dem nicht nur Existenzsicherung, sondern auch Sinn finden.

— 16. Oktober 2010
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