Sprach-Jongleure

Das richtige ist nicht immer die Wahrheit. Von Tom Borg

Wir sind von Scheinwahrheiten umgeben und merken es schon gar nicht mehr, weil sie so wie sie formuliert werden, juristisch betrachtet korrekt sind, aber mit der Sache herzlich wenig zu tun haben. Halbe Wahrheiten sind aber auch halbe Lügen.

Sprache als elementares Kommunikationsmittel dient mehr als nur sozialen Zwecken. Sie kann auch Machtmittel und Mittel zur Macht sein. Die Propaganda der Nationalsozialisten setzte Sprache gezielt zur Diffamierung und Provokation ein – und sie waren nicht die ersten. Eigentlich sollte man meinen, dass der aufgeklärte und gebildete Mensch des 21. Jahrhunderts daraus gelernt und innere Barrieren gegen Politsprech aufgebaut hat. Doch eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

Schaut man sich die Schlagzeilen der Printmedien oder auch die diversen Online-Portale der Nachrichtenmagazine an, so wimmelt es da nur so von Sprachblasen und Zielgruppen optimierte Keywords. Dabei sind dies meist noch die harmlosen Vertreter ihrer Zunft. Ein ganz anderes Kaliber ist hingegen das, was mir vor einigen Jahren im privaten Bereich begegnete und mich eigentlich erst richtig für das Thema sensibilisierte.

Damals begleitete ich meine Frau nichtsahnend auf eine Tupperparty – und fand mich statt auf einer Party in einer Verkaufsveranstaltung wieder. Was da so an Tuppersprech durch den Kreis wirbelte, ließ mich anfangs nur wundern. Doch dann fiel ein Wort, das ich bis heute nicht vergessen habe – zum einen weil ich es so schwachsinning fand und zum anderen als Warnung an mich selbst, wohin Sprache die Menschen unbewusst bringen kann. Das an sich harmlose Wörtchen "tuppern" ließ mich damals innerlich lachen. "Wir tuppern"... aha, wir überlegen zusammen, was wir bei der Firma Tupperware kaufen können, würde es besser treffen. Aber beim Wort "eintuppern" verschlug es mir doch die Sprache. Da hatte eine Frau aus unserem Bekanntenkreis Zuvielgekochtes "eingetuppert". Wow! Ich hatte ja schon manchen Unsinn im Leben zu hören bekommen, aber "eintuppern"? Nee, das war neu – und mein erster Gedanke war: Der PR-Chef wird sich freuen. Eintuppern...

Also, ich bin im Laufe meines Lebens schon so manche Automarke gefahren, aber weder in den Urlaub ge"opel"t noch zum Einkaufen in die City ge"ford"et. Wer immer den Werbesprech erfunden hat, den sollte man zum PR-Profi des Jahrhunderts küren, denn es ist ihm gelungen, den Namen seiner Firma in eine alltägliche Handlungsweise einzubauen.

Dabei hatten unsere Frauen diesen Werbeslang vollkommen freiwillig übernommen. Aber die reale Schleichwerbung für Plastikdosen einer Firma ist schon lebensnah greifbar, wenn man Essenreste nicht einfriert sondern eintuppert. Denn es sagt nicht weniger aus, als dass man selbstverständliche eine Tupperdose braucht, um etwas einzufrieren oder generell aufzubewahren.

Sprach-Imperialismus

Etwas vollkommen anderes und doch irgendwie das gleiche begegnete mir wenig später auf den Philippinen. Dort hat man erst seit wenigen Jahrzehnten eine einheitliche Landessprache und wegen der alles erdrückenden amerikanischen Lebenskultur so manchen Begriff aus der englischen Sprache übernommen. Aber einige Begriffe aus der Welt der Technologie gab es auf den Philippinen noch gar nicht, da auch die technischen Produkte selbst neu war. Folglich verknüpfte man die Firma, die das Produkt ins Land brachte, auch gleich mit dem Produkt als solches. Kopieren wird bis heute landesweit als "Xerox" bezeichnet und Fotografie ist, na klar, Kodak. Zwei Marken besetzen mal eben das gesamte Bedeutungsfeld. Etwas ähnliches gelang auch einem philippinischen Busunternehmen, das in einer großen Region so präsent und marktbeherrschend ist, dass man dort den Firmennamen "Ceres" als Synonym für Bus verwendet und Kinder gar nicht mehr wissen, was ein Bus ist – sie kennen nur Ceres.

Das sind zweifelsohne nur herausragende Spitzen eines Eisberges. Denn unterbewusst übernehmen wir noch viel mehr ideologisch eingefärbte Begriffe. Das gilt für das sprichwörtliche Jägerlatein genauso wie für andere harmlos klingende Fachbegriffe. So befährt der Fahrlehrer keine Straßen mit einem Auto, sondern bewegt sein Fahrzeug über eine Fahrbahn. Diese kleinen Nuancen prägen, wenn sie gehäuft auftreten, eine Art Gruppenzugehörigkeit. Keine in der Art von "ich nix verstehen, ich andere Insel", sondern mehr im Sinne von "ich andere Insel, ich anderen Stil".

Die Jugend aller Generationen machte sich seit ewigen Zeiten einen Spaß daraus, eine Sprache zu verwenden, die den Eltern unverständlich war. Doch moderner Polit- und Werbesprech bewirkt genau das Gegenteil: jeder meint, das richtige zustehen – und versteht letztlich doch nur das, was er verstehen soll. Es ist eine schleichende Beeinflussung, der wir uns nur schwer entziehen können. Teilweise drängt die Sprache uns sogar, einen Teil des damit verbundenen Way of Life zu verwenden, was beispielsweise bei englischsprachigen Begriffen oft auffällt.

Wer benutzt heutzutage noch ein Telefon? Wir leben in der Wert der iPhones, Handies, Smartphones, Notebooks und Tablets mit denen wir SMSen, posten, twittern oder skypen. Die Hälfte davon sind Markennamen, wobei die angesagtesten Dienste sogar noch fehlen. Dabei sind das sicherlich noch harmlose Beispiele, da wir die Bedeutung im wesentlichen kennen.

Nicht mehr ganz so klar ist für viele der Unterschied zwischen Master und Bachelor im Vergleich zum guten alten Diplom, oder auch Colleges, von denen immer mehr entstehen.

Sprach-Akrobatik

Spezielle Begriffe, die mehr dem Neuen geschuldet sind und weniger manipulativ eingesetzt werden, lassen sich nicht vermeiden, sie sind Teild es Wandels dem wir tagtäglich begegnen. Hingegen sind Markenbegriffe, die in den täglichen Sprachgebrauch als Synonyme für eine Tätigkeit einfließen, bares Geld wert. Wir Menschen gewöhnen uns an diese Begriffe und setzen sie mit den Besitzern der Marken gleich wobei wir immer weniger an Alternativen denken. Eine Tätigkeit wird mit einer Marke gleichgesetzt.

Darunter leidet insbesondere die Dritte Welt, die täglich aufs neue von neuen ausländischen Produkten überrollt wird. Nomen est omen – ein iPhone ist kein Handy, sondern ein iPhone, denn Handy war vorgestern. Alles wird überall gleich fest eingepflanzt und im Lebensgefühl der Menschen verwurzelt.

Da entgeht es uns fast vollständig, mit welcher Kaltschnäutzigkeit und manchmal fast schon Perversion Politiker Wortgebilde konstruieren, die alles mögliche aussagen, nur nicht das, was wirklich gemeint ist. Aber dabei geht es oft ums Eingemachte, um unsere Zukunft. Sie wird uns von der NSA erklärt, man haben "mit diesem Verfahren" keine Daten gesammelt, wohlwissend offen lassend, dass andere Programme das vermutlich sehr wohl getan haben. Und dass derzeit keine konkreten Planungen für Steuererhöhungen bestehen besagt weder, dass man nicht darüber rein hypothetisch nachdenkt noch Steuererhöhungen für die absehbare Zukunft ausschließt.

Wir sind von Scheinwahrheiten umgeben und merken es schon gar nicht mehr, weil sie so wie sie formuliert werden, juristisch betrachtet korrekt sind, aber mit der Sache herzlich wenig zu tun haben. Helmut Kohl sagte dazu einmal: "Das ist eine klassische journalistische Behauptung. Sie ist zwar richtig, aber sie ist nicht die Wahrheit."

Das alles könnte man ja noch irgendwie ertragen, wäre damit nicht auch eine schleichende Propaganda verbunden. Eine Stimmungsmache, die als solche oftmals gar nicht mehr erkannt wird. Wir sind Menschen, die sich gerne beeinflussen lassen, die Gefühle leben und genießen wollen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Experten, die genau diese Gefühle ansprechen, um ihre Message zu transportieren ohne dass wir diese als solche wahrnehmen. Werbung war gestern, Empfehlungen von Freunde sind heute. Dabei kommen sie in den seltensten Fällen von Freunden, sondern werden von Sozialen Netzwerken profitabel als Statusmeldungen und Postings eingebaut.

Ein Ende dieser Sprach- und Beeinflussungsplagen ist nicht abzusehen. Im Gegenteil, es dürfte in Zukunft noch raffinierter verpackt auf uns herniedergehen. Da hilft nur eines: mit wachem Geist durch die Welt gehen. Wir müssen es uns wieder angewöhnen, mehr zu hinterfragen und weniger von dem zu glauben, das uns oftmals wie nebenbei untergeschoben wird.

— 19. November 2013
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