Herzkraft eines Geschenkes

Kritische Fragen zum Schenken von Christa Schyboll

Einst galt Advent als eine stille Zeit des Jahres. Man war voller Vorfreude auf Weihnachten und bereitete sich auch geistig, seelisch und emotional auf die letzte Zeit des Jahres vor. Das war einmal. Zumindest für den größten Teil der Welt, die das Weihnachtsfest in seiner Tradition kennt.

Seitdem die Menschheit mehr als Faktor Konsument statt als Individuum werbewirtschaftlich gemanagt wird, hat eine schleichende Anpassung begonnen. Der individuelle Mensch verhält sich oftmals so, wie es die Wirtschaft vorgibt. Er kauft! Weihnachten steht ja an. Er kauft meist mehr als er braucht. Mehr auch als diejenigen brauchen, die er beschenkt. Er will aber beschenken, weil Schenken ja Freude macht. Ihm selbst vor allem und natürlich auch dem Beschenkten. So meint man. Stellen wir uns doch einmal ein paar kritische Fragen, die uns fast alle angehen:

Was macht denn die Freude des Schenkens genau aus? Sind es die leuchtenden Augen des Beschenkten? Sind sie echt? Oder leuchten sie oftmals auch nur aus Höflichkeit, weil doch der Schenker weder Zeit und Mühe scheute und man dankbar zu sein hat? Hat man tatsächlich einmal einen sehnlichen Wunsch erfüllt? Oder hatte der Beschenkte eigentlich gar keinen, weil er eh schon zu viel von allem besitzt?

Oder ist es nicht so, dass wir oftmals gar nicht aus Freude schenken, sondern allein aus Pflicht? Aus Tradition? Aus der Erwartungshaltung heraus? Weil wir nicht enttäuschen wollen? Weil wir selbst nicht enttäuscht werden wollen? Wollen wir beschenkt werden, damit wir spüren, dass wir dem Schenker auch wirklich etwas wert sind? Aber wie viel sind wir denn wert? Bemisst sich der gefühlte Eigenwert des Geschenkes letztlich am materiellen Wert? Oder bemisst er sich daran, wie viel Mühe und Zeit das Geschenk den Schenker kostete? Beides oder alles kann der Fall sein oder auch nicht.

Die Sache des Schenkens wird umso schwieriger, je satter der Mensch in Sachen Konsum wird. Je mehr er hat, je weniger braucht er. Dennoch sind viele Zeitgenossen von der Gier übermannt, mehr und mehr anzuhäufen, ihr eigen zu nennen und den Wert vor allem in Zahlen zu bemessen.

Zeitgeschenke sind keine neue Erfindung. Aber sie sind wertvoller denn je, wenn sie sowohl abgerufen, wie auch dann von Herzen geschenkt werden. Oft ist es aber auch hier so, dass ein Zeitgutschein – zum Beispiel fürs fünfmalige Rasenmähen im Sommer – dann letztlich nicht abgefordert wird, weil der Beschenkte fühlt: Es stimmt nicht mehr. Der Zeit-Schenker ist im Stress, die Erfüllung nur eine lästige Pflicht. Sie hat nichts mehr wirklich mit dem zunächst guten Ansinnen zu tun, für die es gedacht war. Das Schenk-Gefühl ist weg. Klar, einfordern kann und darf man trotzdem. Aber macht es auch noch Freude, wenn man sieht, wie sich nun der Schenker quält? Hat man nicht als der Beschenkte dann sogar noch ein schlechtes Gewissen, wenn man diesem lustlosen Treiben zusieht? So muss es nicht immer sein – aber so kann es sein.

Dennoch ist das Schenken von Zeit, sofern es von Herzen kommt und auch so ausstrahlt, eines der schönsten Geschenke, die man vielen Menschen im heutigen Konsumzirkus machen kann. Aber die Herzkraft und die Qualität der Empfindung dabei ist und bleibt entscheidend für den wahren Wert dieses Geschenkes.

— 17. Dezember 2015
 Top