Werbe-Wahrheit

Oder die Kunst des legalen Lügens. Von Tom Borg

Tagtäglich werden wir mit Werbung überflutet, die ganz offensichtlich nicht wahr sein kann. Aber würde ich jetzt dem Werbetreibenden vorwerfen, er wäre ein Lügner, würde ich plötzlich als Verleumder und Rufschädigender vor den Kadi gezerrt, der meinem Gegner vermutlich Recht gäbe.

Neben dem Anfangsbuchstaben habe die Wörter "Werbe" und "Wahrheit" gleich 3 Buchstaben gemeinsam. 60% von "Werbe" sind also 37% von Wahrheit. Wow, selbst das kommt mir manchmal wie eine "Werbe-"Übertreibung vor. Die ist schließlich legal, wenn sie nach dem gesunden Menschenverstand als solche erkennbar ist. Doch wo bleibt die Wahrheit?

Im aktuellen Fall "Gustl Mollath" bleibt die Wahrheit mal wieder voll auf der Strecke. Wenn Sixt mit dem vermeintlichen Mollath-Zitat "Wenn hier jemand verrückt ist, dann der Sixt mit seinen Preisen." und einem Bild von Gustl Mollath Werbung macht, dann kann sich der wahrlich gebeutelte Mollath dagegen kaum wehren. Das haben vor ihm schon Angela Merkel, Oskar Lafontaine und Prinz Ernst August, um nur einige zu nennen, erfahren müssen.

Wenn für den Leser des Zitats erkennbar ist, dass die Worte nicht von Mollath stammen können, dann sind sie ein simpler Ausdruck der Meinungsfreiheit und die ist im Grundgesetz verankert.

Indirekt ist damit auch so manches andere gedeckt. In meinen jüngeren Jahren hätte es mich oft gereizt, einmal alle Waschmittelhersteller zu verklagen, die jedes Jahr aufs Neue damit werben "Jetzt wird es porentief rein". Das würde ich ja noch glauben wollen, hätten nicht die gleichen Hersteller ein Jahr zuvor mit der Vorgängerversion des gleichen Waschmittels das gleiche behauptet. Wenn es schon ein Jahr vorher "porentief rein" war, kann es dann jetzt "porentiefer reiner" sein? Natürlich nicht - es sei denn, es war letztes Jahr gar nicht porentief rein. Aber ich bin dem Schicksal dankbar, dass ich damals nicht genug Geld für einen Anwalt über sämtliche Instanzen hatte. Ich hätte in allen Instanzen verloren. Warum? Weil mir jeder Richter erklärt hätte, dass eine so offensichtliche Übertreibung gar nicht wahr sein kann und ich dies erkennen müsse.

Doch genau damit offenbart sich ein viel größeres Problem. Das Problem der Wahrheit in der Werbung und unserem täglichen Umgang miteinander. Wenn im Fernsehen ein Deo-Hersteller zeigt, wie ein Durchschnittstyp mit dem Duft des Deos haufenweise bildschöne Frauen abschleppt - darf ich dann erwarten, das mir das bei Nutzung des Deos auch gelingt? Wenn ich es deshalb extra kaufe und anschließend den Hersteller verklage, weil es nicht geklappt hat, dann würde ich sicherlich vor Gericht scheitern mit der Begründung, es sei eine werbetechnische Übertreibung. Aber dem Wort "Übertreibung" wohnt eine - zumindest ansatzweise - Portion von Wahrheit inne. Doch auch die dürfte wohl in der Realität nicht aufzuspüren sein.

Tagtäglich werden wir mit Werbung überflutet, die ganz offensichtlich nicht wahr sein kann. Aber würde ich jetzt dem Werbetreibenden vorwerfen, er wäre ein Lügner, würde ich plötzlich als Verleumder und Rufschädigender vor den Kadi gezerrt, der meinem Gegner vermutlich Recht gäbe.

Ist das nicht eine verkehrte Welt? Eine Welt in der jeder lügen und betrügen darf, solange er es so offensichtlich tut, dass jeder ab IQ 100 erkennen müsste, dass es so keine reale Wahrheit sein kann?

Dann müsste ich doch eigentlich auch vor Gericht unter Eid aussagen können, dass ich barfuß über Wasser laufen kann, denn jeder Richter müsste ja wissen, dass das nicht geht, womit es keine Unwahrheit mehr wäre, sondern lediglich eine Übertreibung, denn in einer flachen Pfütze kann ich selbstverständlich "auf" dem Wasser gehen. Würde ich damit vor Gericht durchkommen? Vermutlich nicht, denn wir leben zwar in einer verlogenen Welt in der Dreistigkeit Trumpf ist und Wahrheit eine Last von der man sich möglichst frühzeitig emanzipiert. Doch wenn man den "Großen" - und Richter gehören per Gesetz immer dazu - auf die Füße tritt, dann ist Schluss mit lustig. Schließlich hilft ein Werbespot, in dem ein Jüngling nach dem Biss in einen Schokoriegel locker über einen 5 Meter hohen Zaun springt, Arbeitsplätze zu sichern. Beiße ich in den gleichen Rigel und verletzte mich beim Versuch, über den Zaun zu springen, wird mich jeder Richter für dämlich erklären.

Doch auch das wäre irgendwie noch zu verschmerzen, wenn man sich selbst klarmacht, dass die ganze Welt lügt und man einfach blöde ist, wenn man nicht mitmacht. Doch ich frage mich: welche Wirkung hat solche Werbung auf kleine Kinder? Lernen sie, die Wahrheit aus dem Lügengebälk zu extrahieren - oder lernen sie, wie man legal lügt? Sollte letzteres der Fall sein, werden unsere Kinder uns irgendwann erklären, dass Doppelsprech als höchstes Freiheitsgut in das Grundgesetz gehört. Und dann Gute Nacht…! Denn die Zusage, dass unsere Kinder einmal unsere Renten erwirtschaften werden, ist doch auch sowas von unrealistisch, dass uns dann jeder Richter lautstark lachend des Saales verweist - sofern er uns nicht gleich wegen gemeingefährlichem Realitätsverlust in eine geschlossene Anstalt einweist…

— 16. August 2013
 Top