Windows 10

Wie war das mit dem geschenkten Gaul…?, fragt Tom Borg

Bei all dem Gezetere über die Privatsphäre in Windows 10, das wahre Übel ist der großen Masse noch gar nicht bewusst. Es geht um nicht weniger als die weiterhin freie und unkontrollierte Nutzung einer elementaren Technik. Wir unterwerfen uns einer neuen wirtschaftlichen Abhängigkeit aus der wir so leicht nicht wieder herauskommen.

Eigentlich hätte es ja jedem klar sein müssen: Microsoft verschenkt nicht einfach so Software, wenngleich ich fairerweise zugeben muss, dass ich einst als Student in eben diesen Genuss kam. Als BWL-Student mit damals noch knapper Kasse schrieb ich einen Brief an Microsoft in München und fragte an, ob ich als Student vielleicht die - so war es damals noch üblich - alten Versionen, die für ein Update zurückgeschickt wurden, verbilligt kaufen könnte, damit ich den Umgang mit der Software erlernen kann, weil ich das als fertiger BWLer schließlich können müsste.

Zu meiner Überraschung kann 3 Wochen später ein Paket aus München mit aktuellster (!) Version von Word, Multiplan und Windows 1, das damals gerade auf den Markt kam. Ich bedankte mich artig und versprach, dass ich Windows ausprobieren würde, aber erst noch eine Maus kaufen müsse. Das glaubt mir jetzt vermutlich keiner, aber es kam postwendend ein zweites Paket aus München mit einer Microsoft Maus - und es lag sogar noch ein MS-Flugsimulator dabei.

In der Folge war ich Microsoft Beta-Tester - ok, das war damals vermutlich jeder MS-Anwender - und ich schrieb mit Word Artikel für Zeitschriften und entwarf Kalkulationsmodelle für statistische Verfahren mit Multiplan, die ich in den Vorlesungen lernte. Es war mein Einstieg ins professionelle Schreiben.

Das alles hielt mich natürlich nicht davon ab, fleißig auf Microsoft zu schimpfen, schließlich bestand ein Großteil der Konvertierung von Pizza und Kaffee nach Software darin, dem System in langen Nächten zu erklären, dass die undokumentierten Funktionen schon wüssten, wie der Code zu handhaben sei.

Heute, nach über 30 Jahre als Profi-Autor und Software-Entwickler, breche ich mir sicherlich keinen Zacken aus der Krone, wenn ich gestehe, dass ich damals Microsoft dankbar war; Word und Multiplan hätte ich mir am Anfang des Studiums tatsächlich nicht leisten können. Und dass Windows 1.x in der Praxis nicht wirklich zu gebrauchen war ... ja, mein Gott, einem geschenkten Gaul...

Verschenkt ist halb verkauft

Wenn Microsoft damals Software verschenkte - wie viele andere bekamen solche Pakete auch? - dann tun sie dies natürlich nicht aus reiner Nächstenliebe, sondern mit Blick auf die Verbreitung ihrer Software, auf Akzeptanz in der Wirtschaft. Studenten, die erfolgreich ihre Diplomarbeit mit Word geschrieben haben, nutzen Word wohl auch im Berufsleben und führen es als Entscheider dort ein, wo es noch nicht genutzt wird. Das war damals so und ist es auch heute. Wenn Microsoft Windows 10 per Upgrade "verschenkt", dann tun sie dies, um die Welt auf Windows 10 umzupolen, um - so hoffen sie - nur noch ein System warten zu müssen, und vor allem um noch größere Verbreitung zu erlangen.

Man könnte meinen, Windows sei ausreichend verbreitet. Ist es auf PC-System wohl auch - aber in unterschiedlichsten Versionen. Auf einem Rechner habe ich noch immer XP installiert und von Windows 7 werde ich mich auch nicht sofort verabschieden. Zumal jetzt immer deutlicher wird, warum es Microsoft mit der Installation von Windows 10 so eilig hatte: Das System sollte weltweit installiert sein, bevor all die bösen Meldungen über Schnüffeleien auf dem PC publik werden. Denn der Durchschnittsanwender ist froh, wenn sein System stabil läuft und geht nicht wieder auf ein altes System zurück, wenn er nicht zwangsweise muss.

Auf diesen Phlegmatismus ist Microsoft offenbar angewiesen, denn das System schnüffelt über Gebühr auf den Festplatten herum und meldet so ziemlich alles nach Redmond. Auch wenn die Klausel mit der sich Microsoft das Recht einräumt, "automatisch Ihre Software-Version einzusehen und Downloads von Software-Updates oder Konfigurationsänderungen vorzunehmen, darunter solche, die Ihren Zugriff auf Dienste stören, die Spielen von Raubkopien und die Nutzung nicht autorisierter Hardware-Peripherie ermöglichen." wohl von der Xbox stammt, so ist der Tenor doch bedrohlich klar: Microsoft hat uns eine Technologie untergeschoben, die sehr genau protokollieren kann, was auf dem Rechner installiert und was angeschlossen ist. Mit dem Recht und der offenbar nun vorhandenen technischen Möglichkeit solche Software einfach zu blockieren oder gar zu löschen sind wir in einem neuen Zeitalter angekommen: Der "Personal Computer" (PC) ist kein frei nutzbares Werkzeug mehr, sondern Prototyp für Lizenzmodelle aller Art.

Mieten statt kaufen

Vor einigen Jahren geisterte die Idee durch die Lande, zukünftig Software, Betriebssysteme und ganze Rechner nicht mehr zu kaufen, sondern zu mieten - mit entsprechenden regelmäßigen Zahlungen. Adobe hat seine Software längst auf dieses Lizenzmodell umgestellt, andere versuchen es inzwischen auch: Software dauerhaft mieten anstatt einmalig zu kaufen.

Was sich auf den ersten Blick recht fair anhört - zahle nur was du auch nutzt - ist auf Dauer gesehen ganz schön teuer: man wird zum Dauerzahler. Man stelle sich vor, dass man einen Hammer im Handwerkermarkt nicht mehr kaufen sondern nur noch mieten kann - und dann für jeden Nagel, den man damit in die Wand schlägt, eine Gebühr an den Hammer-Hersteller zahlen müsste. Lächerlich? Vorsicht! Microsoft hat offenbar gerade die Voraussetzungen dafür geschaffen, genau dies auf jedem Gerät, das mit Windows 10 läuft, umzusetzen.

Doch, was ist eine rechtmäßige Lizenz? Alleine der Begriff klingt bereits teuer, denn die Rechtmäßigkeit kann man nur anhand spezieller Flags, Zertifikate, Seriennummern oder Registrierungen erkennen. Doch wer verwaltet diese? Unabhängig von der betroffenen Privatsphäre heißt es dann doch im Umkehrschluss, dass jede Software zwangsweise eine solche Kennung haben müsste, weil ansonsten die Lizenz nicht überprüft werden kann. Das wiederum hätte zur Folge, dass eigentlich kostenlose Software plötzlich etwas kostet - zumindest den Hersteller, denn der muss für eine entsprechende Kennung sorgen, die es auf Dauer garantiert nicht kostenlos gibt. Und was ist mit der Software, die ich mir selbst erstelle? Muss ich die bei mir selbst lizenzieren, damit mir das System die Software nicht einfach wieder löscht…?

Das klingt alles noch recht utopisch und albern. Doch es eröffnet Möglichkeiten, die einer gesellschaftlichen Revolution gleichkämen: Plötzlich wäre jede Aktion auf dem Gerät mess- und erfassbar - und damit auch abrechenbar, beispielsweise würde man MS-Office nicht mehr einmalig lizenzieren, sondern nach Anzahl der erstellten Dokumente bezahlen. Unsinn? Nein, denn das gibt es schon lange, wenn auch auf individueller Basis. Der Software-Produzent ABBYY, der die einzige wirklich funktionierende Lösung für die automatische Erkennung von Fraktur-Schrift vertreibt, verlangt seit jeher für seinen Recognition Server volumenabhängige Lizenzen. Man kann die Software nicht einmalig lizenzieren und dann beliebig oft nutzen, sondern muss für jede einzelne gescannte Seite zahlen. Das realisiert die Software bisher selbst. Möglicherweise geht Microsofts langfristige Vision genau dahin. Die grundlegenden Schritte dafür sind offenbar in Windows 10 integriert und deshalb möchte Microsoft das System wohl so schnell wie möglich etablieren und möglichst oft installieren... egal ob verkauft oder verschenkt - Hauptsache installiert...

Würden wir uns auf diese Form der Produktnutzung einlassen, würden wir einen großen Teil unserer eigentlich selbstverständlichen Freiheit aufgeben. Was ich auf meinem PC mache, das geht den Rest der Welt nichts an! Wenn das System - so wie auch Facebook - jede Mail, die ich zwar geschrieben, aber nie abgeschickt habe, außerhalb meines Rechners speichert und vorhält, dann ist das ein massiver Eingriff in die Grundrechte jedes Anwenders. Es wäre eine andere Republik, um mit Helmut Kohl zu sprechen.

Bei all dem Gezetere über die Privatsphäre in Windows 10 - ich glaube, das wahre Übel daran ist der großen Masse noch gar nicht bewusst. Es geht um nicht weniger als die weiterhin freie und unkontrollierte Nutzung einer elementaren Technik. Personal Computer, Tablet oder Smartphone haben es gefälligst zu unterlassen, ohne meine explizite Einwilligung irgendwohin zu vermelden, was ich mit meinem Gerät tue, oder gar die Software meines Gerätes ungefragt bis zur Unbrauchbarkeit zu modifizieren.

Global betrachtet ist es ein weiterer Schritt in die Kommerzialisierung unseres Lebens und steht auf einer Ebene mit der Patentierung von Natur, Gene und Saatgut sowie dem Ausverkauf der Wasserrechte: Wir unterwerfen grundlegende Lebensbedürfnisse regelmäßigen Kosten, die über die reinen Kosten der Herstellung oder Bereitstellung weit hinausgehen und eine globale neue wirtschaftliche Abhängigkeit schaffen aus der wir so leicht nicht wieder herauskommen.

— 26. August 2015
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