Ausverkauf der Zukunft

Wie Tourismus ganze Nationen runiniert, resümiert Tom Borg

Es ist ein Grundübel des Tourismus: Die Menschen, die davon leben, sind auf Gedeih und Verderben darauf angewiesen, dass der Tourismus blüht. Bleiben die Touristen aus, müssen ganze Landstriche den Gürtel enger schnallen.

Griechenland ist pleite? Italien, Spanien und Portugal sind auch am Jammern? Lasst sie doch Pleite gehen! Sie sind selber schuld, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Und damit spiele ich nicht einmal auf die historische Schuld der Spanier und Portugiesen an, die halb Süd- und Mittelamerika ausraubten und jetzt ihre Kredite nicht bezahlen können. Nein, ich denke auch nicht an die antiken Römer, die einmal den halben Mittelmeerraum erobert hatten und von den Steuern und Tributen auch nicht schlecht lebten. Nein, mein Zorn richtet sich auf etwas ganz anderes: Den Tourismus. Länder wie Italien, Griechenland, Spanien und auch Portugal leben primär vom Tourismus; große Teile der Wirtschaft sind auf diese Branche ausgerichtet - und ohne die Einnahmen aus dem Tourismus wären diese Nationen vollkommen pleite.

Leute, versteht mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen die Italiener, Spanier Griechen und Portugiesen, ich liebe italienisches Eis und ein Besuch am Mittelmeer macht auch Spaß. Aber es stinkt mir, die Fehler anderer Leute bezahlen zu müssen, egal ob direkt aus dem Geldbeutel und Steuern oder indirekt durch Subventionen und Hilfsprogramme, die dem eigenen Fortschritt schaden. Und, nein, dabei geht es mir nicht um Eigennutz, sondern um Verantwortung, die Verantwortung, die jeder für sein eigenes Tun zu tragen hat. Als ich ein pubertierender Jungendlicher war, sagte mein Vater zu mir: Junge, wenn du abends bis in die Puppen feiern und dich besaufen willst, dann mach das; aber morgen früh um 6 Uhr sitzt du ausgeschlafen am Frühstückstisch und gehst pünktlich zur Schule, ohne dort einzuschlafen. Genau das meine ich mit Verantwortung für das eigene Tun.

Wir Deutschen haben ja nun wirklich nicht das lässige Leben erfunden, die Siesta oder Fiesta - oder gar die sprichwörtliche "südländische Lebensart". Aber gerade diese sollen wir langweilige Deutsche jetzt bezahlen? Da sage ich: Non, Seniores! Ich glaube, euch geht's zu gut - in des Wortes doppelter Bedeutung...! Jahrelang einen auf galanter Charmeur und mit Urlauberinnen Party machen - und jetzt europäisches Hartz IV beantragen...?

Wer jahrelang auf Pump lebt, der muss irgendwann die aufgelaufenen Schulden bezahlen. Und Tourismus ist Leben auf Pump in dem Sinne, dass die Natur und ihre Schönheit ausgebeutet wird, anstatt Industrien oder hochwertige Dienstleistungen aufzubauen. Ein Handwerker wird immer gebraucht, aber ein Tourismusmanager kann Däumchen drehen, wenn keine Touristen kommen.

Touristen sind keine Besucher

Und genau das ist ein Grundübel des Tourismus: Die Menschen, die davon leben, sind auf Gedeih und Verderben darauf angewiesen, dass der Tourismus blüht. Bleiben die Touristen aus, müssen ganze Landstriche den Gürtel enger schnallen. Davon wissen die Hotels und Pensionen an Nord- und Ostsee ein Lied zu singen: Ist der Sommer nass und kalt, dann folgt Ebbe in den Kassen. Und genau diese ist selbst verschuldet, wenn man sich selbst davon abhängig macht; wenn man sich hinstellt und lächelnd ruft: Leute geht in unserer See baden oder guckt euch unsere schöne Berge an - und lasst dafür einen Haufen Geld hier.

Touristen sind dann keine Besucher mehr, die sich als Gäste in das Leben, das sie vorfinden, vorübergehend integrieren, sondern das Leben vor Ort passt sich an die erwarteten Gäste, versucht, genau das zu bieten, was die Touristen vorfinden möchten. Doch dabei verliert man langsam und zunächst unmerklich seine eigene Identität und immer mehr auch die Grundlage des Tourismus selbst: die Natur mit ihrer Schönheit. Kilometerweit werden einst schöne Strände mit Betonburgen zugepflastert, und die Alpen schaut man sich inzwischen auch besser auf Postkarten an, denn die Realität hat an vielen Orten kaum noch etwas mit den Postkartenidyllen gemein. Seit' an Seit' reihen sich die Seilbahnen in den Alpen. Eine jede hat eine tiefe, weithin sichtbare Schneise in die Abhänge geschlagen.

Den Alpen kommen bereits die Tränen, die in Form von mehr Lawinen und Erdrutsche die Hänge hinab kullern. Den Menschen, die von den Alpen leben, werden auch eines Tages die Tränen in den Augen stehen, wenn sie alleine vor ihrer zerstörten Landschaft stehen. Denn von Seilbahnen durchfurchte Gebirgszüge möchte nicht jeder Tourist sehen. Und das ist die Kehrseite des Tourismus: Während sich die Tourismusregionen auf Gedeih und Verderben den Erwartungen der Touristenströme anbiedern, interessiert es letztere nicht die Bohne, was aus den Urlaubsregionen wird. Entsprechen diese nicht mehr den Vorstellungen, dann ziehen sie einfach weiter ins nächste Paradies. So erging es schon manchem gefallenen Naturparadies: Zuerst ein bejubelter Geheimtipp, dann kommen erste Besucher die verzweifelt Unterkünftige suchen, und sind diese erst mal gebaut, verlassen viele Touristen enttäuscht die ehemaligen Naturparadiese, denn Betonburgen gehören nun einmal nicht in ein Paradies. Aber die Touristen haben einst die Unterkünfte haben wollen, und die Einheimischen mehr Touristen. Das Perverse an dieser Logik: Am Ende bekommen beide nicht was sie wollten...

Verlassene Tourismus-Hochburgen

Doch was wird aus einer verlassenen Tourismushochburg? Wenn eine ganze Region sich auf den Tourismus konzentriert, dann werden andere Entwicklungsmöglichkeiten vernachlässigt, Industrien stören die Befindlichkeiten der Besucher, Dienstleistungen, die auf überregionale Abnehmer zielen, hat Jahrzehnte lang keiner gebraucht. Wenn nun die Touristen ausbleiben, fällt es plötzlich auf, dass die Tourismusregionen ihr ganzes Sein inklusive Zukunft dem Fremdenverkehr gewidmet haben, aber kein eigenständiges Leben mehr führen. Natur, Traditionen und Lebensrhythmus wurden perfekt auf das Bedienen der Bedürfnisse Anderer abgestellt was beinhaltet, das alles so zu sein und zu bleiben hat, wie die Fremden es im Katalog gesehen und gebucht haben. Damit wird der Tourismus zu einer Entwicklungsbremse vor allem in der Dritten Welt. Denn niemand macht die weite Reise nach Afrika, um dort einem Einheimischen bei der Arbeit am Fließband oder dem Bedienen eines Computers zuzusehen. Der typische Afrika-Tourist erwartet Natur, Wildnis, Tiere und halb bekleidete Menschen, die wild zum Rhythmus der Trommeln tanzen.

Doch wie die moderne Frau in Deutschland schon lange nicht mehr von einem Ring vom Chef träumt, sondern dessen Büro anvisiert, so haben auch die Menschen in Afrika und anderswo in der sogenannten Dritten Welt Träume. Träume von einer Welt, die ganz anders aussieht, als Touristen sie bei ihrer Ankunft vorfinden möchten. Doch die wirtschaftlichen Zwänge lassen den Menschen kaum eine Wahl. Sie müssen ihr Leben auf das reduzieren, was wirtschaftlich verwertbar ist - auch wenn dies eine ökonomische Sackgasse ist.

Aber so ist das nun einmal im Leben, wenn man keine Alternativen hat: Wer die Musik bezahlt, der bestimmt, was gespielt wird; und die Dirigenten bei UNO und Weltbank haben ihre ganz eigenen Vorstellungen über Dur und Moll in der Entwicklungsmusik der Dritten Welt, die damit die Fehler der ersten und zweiten Welt wiederholt, anstatt mit neuester Technologie einen Sprung in die Zukunft zu tun. Vielerorts ist Tourismus ein Ausverkauf der Zukunft.

Tödliche Abhängigkeit

Wie tödlich das enden kann, erleben aktuell europäische Nationen wie Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, aber auch Island. Allen gemein ist, dass sie keine nennenswerten technologischen Innovationen geschaffen haben, die auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Auch wenn man über dessen Regularien durchaus geteilter Meinung sein kann, ist es nun einmal eine Tatsache, dass exportierte Rohstoffe und Naturalien relativ betrachtet immer weniger erbringen, als importierte Technologien und wissenschaftliches Knowhow kosten. Mögen die von Kolonialherren gebeutelten Länder der Dritten Welt keine andere Wahl haben als ihre - für Sex-Touristen im wahrsten Sinne des Wortes - nackte Haut zu verkaufen, so hatten die ehemals stolzen Kolonialherren durchaus die Mittel und die Zeit, sich diesem Wettbewerb zu stellen. Taten sie es nicht, weil das Geld aufgrund des Kulturerbes und der Naturschönheiten auch von alleine in Form von Touristen eintraf und sie uns depperte Deutschen belächelten, weil wir nicht zu leben verstehen, so sind sie selbst schuld, wenn ihnen jetzt die Felle in Form der wirtschaftlichen Entwicklung davon schwimmen. Und ich sehe nicht ein, warum wir Depperten jetzt die Rechnung ein zweites Mal bezahlen sollen: Wir haben schon einmal bezahlt - als Touristen für den Urlaub zur Finanzierung des Lebensstils der Gastgeber. Jetzt sollten wir spröden Deutschen auch mal leben dürfen von dem was wir uns erarbeitet haben, sei es durch eigene Arbeit oder der unserer Eltern.

In diesem Sinne NEIN für EU-Hilfen jeglicher Art. Lasst die Mittelmeerstaaten doch Pleite gehen! Wer schickt mir eine Finanzhilfe wenn ich meine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann? Meine Gläubiger schicken mir dann allenfalls den Gerichtsvollzieher, aber ganz sicher keine Euro-Care-Pakete. Warum also den Pleite-Staaten aus der Patsche helfen? Weil es christliche Nächstenliebe wäre? Weil wir deren Kaufkraft brauchen - Zuschüsse und Kredite, damit die bei uns einkaufen können, weil unsere Wirtschaft vom Export lebt? Das wäre bescheuert, weil wir de facto unsere eigenen Produkte mit eigenem Geld kaufen, denn zurückzahlen werden die Pleite-Staaten die Gelder garantiert in diesem Jahrhundert nicht mehr. Oder weil unsere Banken zusammenbrechen, wenn die Pleite-Staaten ihre Kredite nicht bedienen? Dann lasst sie Pleite gehen! Die Anteilseigner und Manager der Banken haben in den guten Zeiten fette Beute gemacht! Und wenn die jetzt nicht mehr greifbar sind oder belangt werden können, dann sind wir selbst schuld, wenn wir unsere Zukunft kurzsichtigen, raffgierigen Politikern und Wirtschaftsbossen anvertraut haben. Dann käme ein "klein wenig Crash" gerade recht als Wachrütteln, um zu erkennen, dass wir vielleicht auch gerade dabei sind, unsere Zukunft auszuverkaufen - an Weltmärkte und deren Dirigenten, denen unsere Zukunft dann genauso egal ist wie jetzt die der Dritten Welt.

— 03. Mai 2012
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