Elbert Hubbard über Verstehen
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Wer Dein Schweigen nicht versteht, versteht auch Deine Worte nicht.
Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat
Der amerikanische Schriftsteller, Philosoph und Verleger Elbert Green Hubbard weist uns auf die tiefe Verbindung von Wort und Schweigen hin. Er verknüpft beides mit der verbindenden Fähigkeit des Verstehens, die nicht automatisch jedem Menschen gegeben ist.
Was aber hat es damit auf sich, wenn man das Schweigen und das Reden gleichermaßen aneinander bindet, obschon es sich doch zugleich um gegensätzliche Tätigkeiten handelt. Wer schweigt, redet nicht, würde so manch einer sagen. Aber stimmt das wirklich?
Uns allen ist das sogenannte beredte Schweigen durchaus bekannt. Oft sind es die unangenehmen Situationen, die uns dieses Schweigen in besonderer Weise im Gedächtnis behalten. Man denke beispielsweise an das betretene Schweigen, das unter Menschen eintritt, wenn jemandem eine Peinlichkeit unterläuft. Derjenige, der sie verursacht hat, ist meist schon gestraft genug, dass es unter Zeugen passierte. Die Zeugen wiederum fühlen sich auch dann, wenn sie nicht direkt ein Opfer der Peinlichkeit waren, so unangenehm in ihrer Haut, dass sie lieber nichts kommentieren möchten, zumindest die feinfühligen und mitfühlenden unter ihnen. Und schon entsteht im Raum in solchen Situationen genau jenes Schweigen, das einen besonders starken Eindruck durch die plötzlich entstandene Stille hinterlässt. Es kann zu einem lauten, ja dröhnenden Schweigen werden, das durch eine emotionale Last gekennzeichnet ist.
Darüber hinaus gibt es aber auch ganz andere Momente, wo Schweigen statt Reden über die Verbindung der Beteiligten eine Aussage machen kann. Nämlich einem inneren Verstehen, das auch Elbert Hubbard in seinem Zitat anspricht. Wer kennt nicht jene verzweifelten Augenblicke im Leben, in denen wir uns bei unseren liebsten Angehörigen oder nächsten Freunden gerne offenbaren würden und dann erleben: „Was immer ich sage, es kommt nicht wirklich an!“ Man spricht die richtigen Worte, die aber offenbar auf keinen aufnahmebereiten Seelenboden fallen. Ob es am Ende doch an der Wahl der Worte lag oder der nicht vorhandenen inneren Seelentiefe, bleibt meist eine offene Frage. Nicht offen bleibt aber der Schmerz, der einem zeigt: Trotz Nähe, Freundschaft oder Liebe geht die Verbindung nicht so tief, dass man sich auch schon wortlos versteht.
Jenseits der seelischen Gleichschaltung
Solange es immer noch einer Erklärung, einer Argumentation, eines Nachweises oder einer wortreichen Schilderung braucht, kann man trotz der gemeinsamen inneren Zugewandtheit oder gegenseitigen Sympathie feststellen: Eine gemeinsame Herzkraft, die ein unmittelbares Verstehen zwischen den Beteiligten möglich macht, ist noch zu schwach entwickelt, um auch gemeinsam im rechten Augenblick empfunden zu werden. Sie ist noch zu klein, um auch schon vor, zwischen oder hinter den Worten das Wesentliche des Augenblicks herauslesen und richtig deuten zu können, um das es tatsächlich geht.
Oft verstecken sich hinter wortreichen Schilderungen oder Argumenten tiefere Dinge, die sich nicht immer so leicht aussprechen lassen. Derjenige, der sich mitteilt, ringt ja häufig noch mit den eigenen Gedanken und Gefühlen um eine Klarheit, die er zwar fühlt, aber noch nicht immer auch gleich in die rechten Worte fassen kann. Hier braucht es ein Herzhören, das nicht allein über den Verstand zu ergründen ist. Manchmal sind es auch gewisse Sehnsüchte, manchmal Hilferufe, manchmal auch nur ein starkes Bedürfnis nach der Teilhabe des anderen an einem gemeinsamen vergangenen Erlebnis oder auch einem besonderen Augenblick. Was für den einen ein magischer Moment gewesen sein kann, kann aber zugleich für den anderen völlig ohne Bedeutung sein.
Liegt in solchen Momenten keine innere seelische Gleichschaltung vor, dann bleibt der wahre Grund oder das tiefere Motiv des Schweigens unerkannt. Beide werden, sofern feinfühlig genug, erkennen, dass es sich gleichzeitig um eine Trennung handelt, die man nicht wünscht, aber die eine Realität ist.
Es kommt auch zu intimen Momenten zwischen Menschen, wo Schweigen das einzig adäquate Mittel der Wahl erscheint, weil Worte auch zerstören können. Wer allerdings noch vom Wort abhängig ist und ständig Erklärungen braucht, weil das Feingefühl in der gegebenen Situation noch zu schwach ist, wird dieses Schweigen falsch deuten, falls er es überhaupt schon deuten kann.
Schweigen kann ein wissendes Verstehen ebenso sein wie auch eine ungewollte Demonstration der Hilflosigkeit. Auch diesen entscheidenden Unterschied erkennen zu lernen, sind wir alle aufgerufen, wenn wir dem Zwischenmenschlichen einen größeren und vor allem sensibleren Raum im Leben schenken möchten.