Franz Kafka über Das Schöne

  • Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.

Franz Kafka

österreichischer Schriftsteller

* 03.07.1883 Prag
† 03.06.1924 Kierling bei Klosterneuburg

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Wer kennt ihn nicht: Den Griesgram, den Miesepeter, den ewigen Nörgeler. Alt mag er geworden sein – doch wie steht es um seine Weisheit. Oft tritt er uns mit unschönen Gesichtszügen vors Auge, nicht selten auch mit einem gewissen Zug der Bedrohung im Gesicht. Schlechte Laune und ein mürrisches Gesicht sind das, was er vor sich her trägt. Manche Menschen sind auch im Alter zu regelrechten Menschenhassern oder zu Misanthropen geworden. Sicher, sie werden entsprechende Lebenserfahrungen gemacht haben, die mit dieser Haltung im Alter in Verbindung stehen. Vielleicht war es aber auch so, dass ihre spezielle Lebensgrundhaltung es vor allem war, die sie dann auch die entsprechenden Erfahrungen machen ließe, welche sich vom Kafka-Zitat über die Fähigkeit, das Schöne zu erkennen, elementar unterscheiden.

Wir sprechen hier also nicht von einem Menschen, der nur kurzzeitig eine schlechte Laune verbreitet und vielleicht auch handfeste Gründe dafür hat, sondern von einer menschlichen Charaktereigenschaft, die sich offenbar im Laufe des Lebens entwickelt hat. Franz Kafka spricht in seinem Zitat von einem ganz anderen Typus – egal ob er alt oder jung ist. Er ist das Gegenteil eines Schwarzmalers oder Grantlers. Und wenn wir ihn vom Typus her vors eigene Auge stellen, dann strahlt er. Ob alt oder jung: seine Augen leuchten, sein Gesicht ist voller Milde oder Freude. Er tritt seinen Mitmenschen ruhig und freundlich entgegen und fesselt uns allein schon durch die Art seines Auftretens – selbst wenn er schweigt. Von ihm geht ein Geheimnis aus, das erforscht werden will.

Lernt man solche Menschen kennen, so erkennen wir in ihnen gegenläufige Charakterzüge des anfangs beschriebenen Typus. Menschen, die uns alterslos erscheinen – wie alt sie auch immer sein mögen – haben sich eine Frische und eine Zeitlosigkeit bewahrt, weil sie immer wieder neu das Schöne in der Welt und den Mitmenschen entdecken.

Wer nun glaubt, dass solche Menschen das real Hässliche der Welt wegblenden, irrt. Sie lenken ihren Blick absichtlich nicht auf die dunkle Seite des Seins, sondern auf die helle. Sie tun dies nicht, weil sie das Böse verdrängen oder nicht anschauen wollen, sondern weil sie wissen oder fühlen, dass die Ausrichtung auf das Schöne und Gute mehr Kräfte gibt – statt Kräfte an falscher Stelle zu verschleudern.

Die verborgene Schönheit im Hässlichen

Menschen, die das Schöne suchen, haben begriffen, dass Alterungsprozesse nicht nur alleine Fragen biologischer Gesetzmäßigkeiten sind, sondern auch eine Frage feiner Seelenregungen. Und an diesen feinen Gefühlen arbeiten sie lebenslang. Uralte Menschen können uns frisch und jung vorkommen – im Verhältnis zu einem 20jährigen ohne Hoffnung oder einem Dreißigjährigen ohne Ideen und Plan. Entscheidend ist für das innere Altern ist, wie bewusst und klar man das Erkennen des Schönen im immer neuen Blickwechsel erlebt und pflegt. Auch diesen Strahlenden ist ihr Sosein in der Regel nicht mit in die Wiege gelegt, sondern es ist eine Folge eines lebenslangen Prozesses.

Kafka spricht von einer Fähigkeit in diesem Zusammenhang. Fähigkeiten müssen in aller Regel erlernt werden. Nur wenige haben sie als Talente schon bei der Geburt mitgebracht. Sie brauchen zumeist Training und Erlebnisse am und im Leben selbst. Wer sich offen und mutig auf das Leben mit seinen Chancen und Risiken einlässt, bekommt diese zuhauf Ereignisse geschenkt. Doch es liegt an ihm selbst, sie auch so zu nutzen, dass sich die Fähigkeit des Erkennens des Schönen daran tatsächlich auch stärkt. Das ist leider nicht die Regel, wie uns die Masse der Mitmenschen zeigt.

Wer es hier zur Meisterschaft bringt, wird aber selbst im sogenannten Hässlichen noch das Schöne entdecken. Denn beide Seiten der Medaille sind untrennbar verbunden. Man muss dann diese Dinge nur "anders" anschauen, muss nur die Vorurteile weglassen oder seine Sympathie oder Antipathie selbstkritisch untersuchen. Oder man sieht das Zukünftige, das Werdende im Noch-nicht-Schönen, die Verpuppung des Schmetterlings, der uns derzeit noch als Raupe erscheint.

All dies haben die Ewigjungen, die schon Erkennende des Schönen sind, bewusst oder unbewusst mit in ihrem Repertoire und legen uns Zeugnis davon ab, wie relativ doch das Altsein oder Altwerden in den verschiedenen Lebensstufen des Menschseins ist.

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