Von dem damaligen Unwesen in der deutschen Literatur fürchtete Wieland, nach einem Briefe vom 15. Februar 1801, einen dreifachen beträchtlichen Schaden. Jener jacobinische Sansculotismus, meinte er, werde erstens den Charakter unserer Nation, einer an Stupidität grenzenden Gleichgültigkeit gegen das Wahre, Schöne und Gute verdächtig machen; zweitens die ganze Klasse der Gelehrten und Schriftsteller, die so ehrwürdig und vielvermögend sein könnten, in der öffentlichen Meinung tief herabsetzen, sie ihres wichtigsten Einflusses berauben, und dadurch ihren Verächtern und Verfolgern unter den Großen und Aristokraten gewonnen Spiel geben. Endlich drittens werde jener Sansculotismus jungen Leuten, teils für eine kleinere Zeit, teils für ihr ganzes Leben, Kopf, Geschmack und Herz verwirren. „Alles aber“, fügte Wieland hinzu, „will seine Zeit haben. Auch diese Periode der schändlichsten Anarchie in der Gelehrtenrepublik wird vorübergehen, und das unfehlbarste Mittel, ihr Ende zu beschleunigen, wäre, es wie ich zu machen, und zu tun, als ob gar keine Schlegel, Tiecks, Bernhardis, Clemens Brentanos, und wie die Gesellen alle heißen, in der Welt wären.“

Auf ähnliche Weise äußerte sich Wieland in einem Briefe an Voß: „Ich fange an, immer gleichgültiger zu werden gegen Bübereien dieser Art, und hülle mich sehr ruhig in das Bewusstsein, dass ich ein Besseres um die Zeit, in der ich lebe, verdient habe. Was seit dem Moment, da ich etwas Gutes habe drucken lassen, d.i. etwa vom Agathon an, mir widerfahren ist und noch täglich widerfährt, wäre hinreichend, jeden Jüngling, der sich mit einiger Fähigkeit dem Dienst der Musen widmen wollte, abzuschrecken. Indes hat die fast unbegreifliche Ungerechtigkeit meiner Zeitgenossen wenig Einfluss auf meine Glückseligkeit, und es war kein Kompliment, sondern wahres herzliches Gefühl, als ich zu meiner Muse sagte:

Du machst das Glück von meinem Leben,

Und hört dir Niemand zu, so singst du mir allein.

Übrigens hab' ich doch immer das Glück gehabt, dessen Horaz sich rühmte, von einer kleinen Zahl solcher Leute geliebt zu werden, deren jeder ein Publikum wert ist; und dies war auch immer für mein Herz genug. Ich habe immer die Kunst der Musen um ihrer selbst willen geliebt, und sie mit Liebe und aus Liebe getrieben. Das lauteste Zujauchzen aller Leser in der Welt würde mich für den kleinsten Fehler, den ich vermeiden konnte, und nicht vermieden hätte, nicht schadlos halten, wenn ihn gleich Niemand gesehen hätte, als ich.“

So tröstete sich Wieland, und überließ sich in dem Gartenhäuschen, das er sich in seinem „Osmantinum“, wie er seinen Wohnsitz gewöhnlich nannte, hatte erbauen lassen, der freundlichen Hoffnung, „noch manche selige Stunde zuzubringen und noch manchen geheimen Besuch von seiner Muse zu erhalten.“ Zu den Plänen, die er in seiner ländlichen Zurückgezogenheit entwarf und zum Teil ausführte, gehörten besonders Übersetzungen aus dem Griechischen, aus Xenophon, Euripides und Aristophanes, die er unter dem Titel eines „Attischen Museums“ herausgeben wollte. Tüchtige Gehilfen hatte er bei diesem Unternehmen an Jacobs und Hottinger. Den Letztern hatte er während seines Aufenthalts in der Schweiz kennen gelernt, und schätzte ihn sehr. „Ich kenne,“ schrieb Wieland, „keinen so ganz rein nach dem sokratischen Modell gebildeten Geist, als Hottinger.“

Unter den Übersetzungen der alten Klassiker, die er für das „Attische Museum“ unternahm, fesselte ihn vorzüglich der „Ion“ des Euripides. Mit der Wahl dieser Tragödie verband Wieland eine Nebenabsicht. Durch eine fließende, dem Original treu nachgebildete Übersetzung wollte er das gebildete Publikum veranlagen, dieselbe mit dem von A. W. Schlegel gedichteten Trauerspiel „Ion“ zu vergleichen, das damals auf die Weimarische Bühne gebracht und vielfach besprochen worden war. So könnte man, meinte Wieland, mit eignen Augen sehen, wie beide denselben Stoff bearbeitende Künstler und ihre Werke sich gegen einander verhielten. Eine solche Vergleichung aber, „mit reinem Sinn für das Wahre, Schöne und Geziemende angestellt,“ könne für Freunde und Jünger der Kunst nicht anders als unterhaltend und belehrend sein.

Von zwei eigenen Werken, „Agathodämon“ und „Solon“, die, wie er an Göschen schrieb, „noch als Embryonen in seinem Kopfe lägen,“ gab Wieland den Plan zu dem zuletzt genannten Werke wieder auf. Eine großartige Wirkung versprach er sich von den mannigfachen Schilderungen, die er in den „Briefen Aristipps und seiner Zeitgenossen“ entwerfen wollte. Dies Werk, von welchem er einen ausführlichen Plan entwarf, sollte eine seiner umfassendsten Schriften werden. Während der Ausarbeitung beschäftigten ihn indes noch manche andere literarische Arbeiten. An seinen Freund und Verleger Göschen in Leipzig schrieb er den 19. Dezember 1797: „Es ist hohe Zeit, dass ich Ihnen einmal wieder ein kleines Lebenszeichen gebe. In der That, was das geistige, oder, vielleicht richtiger gesagt, was das literarische Leben betrifft, so lebe ich, seit die unfreundliche Jahreszeit eingetreten ist, vollauf. Ich komme nur selten aus meinem Museum, aus dem Hause gar nicht, arbeite von Morgen bis in die Nacht, finde Tage und Wochen unbegreiflich kurz und schnell, und habe demungeachtet seit dem 23. November eins der schwersten literarischen Abenteuer, eine metrische Übersetzung der Wolken des Aristophanes glücklich, wie ich wenigstens hoffe, zu Stande gebracht.“

Am 18. Februar 1798 meldete Wieland, dass er einige Dialoge politischen Inhalts, unter dem Titel „Gespräche unter vier Augen“ auszuarbeiten angefangen habe, und noch mehrere folgen lassen werde, bis er „alles vom Herzen habe, was er in diesen kunterbunten Zeitläuften für Worte zu rechter Zeit halte.“ Dass er dabei doch einige Rücksichten genommen, zeigte seine eigene Äußerung in einem späteren Briefe vom 7. November 1798. „Obgleich in meinen Gesprächen,“ schrieb Wieland, „die Sache der Menschheit freimütig geführt wird, und Wahrheiten gesagt werden, die man weder zu Paris, noch zu Wien oder Petersburg von den Dächern predigen hört, so hab' ich, meiner Denkart und der Klugheit gemäß, vor allem, was einem auch nur halbwegs vernünftigen Leser anstößig, oder dem Respekt, den man den Machthabern schuldig ist, zuwiderlaufend scheinen könnte, mich sorgfältig gehütet, und hoffe also mit der Leipziger Zensur in keine Kollision zu kommen, wiewohl ich nicht dafür stehe, dass das Buch nicht zu Wien verboten werden wird, wie beinahe alles Gute, was außerhalb Wien ans Licht tritt.“

Für eins seiner besten Werke hielt Wieland den bereits erwähnten „Agathodämon.“ Dies Urteil, meinte er, werde die Nachwelt darüber fällen, so gleichgültig sein Werk auch für den Augenblick aufgenommen werden möchte. „Das siebente Buch des Agathodämon,“ schrieb Wieland, „war mir eine sehr schwere Aufgabe, vielleicht die schwerste von allen, die ich mir aufgeben konnte. Die Ausführung ward mir umso mühsamer, da Jahreszeit und Witterung Geistesarbeiten dieser Art sehr ungünstig waren, um mich selbst zu befriedigen. Ich habe das ganze Buch mehr als sechs Mal von neuem durch — und einige Hauptstellen ganz umgearbeitet, und des Feilens und Polierens wollte kein Ende werden. Nun ist es — wie es ist; ich bin mit mir selbst zufrieden, denn ich weiß, dass ich als Mensch, als schriftstellerischer Volkslehrer und als Dichter mein Bestes, und also meine Schuldigkeit getan habe.“

In eine sehr unmutige Stimmung ward Wieland durch die Nachrichten versetzt, die er von dem geringen Absatz der Gesamtausgabe seiner Werke erhielt. An seinen Verleger, Göschen in Leipzig, schrieb er darüber den 15. Juli 1799. „Ich kann nicht anders, als mit tiefem Gefühl beklagen, dass ich mich selbst bereits überlebt habe. Ich weiß nicht, wie ich zu solchem Verfall meines Kredits und meiner Gunst bei dem lesenden Publikum gekommen bin, und teile daher Ihre Meinung, dass es bei den zwei und dreißig Bänden wenigstens für das achtzehnte Jahrhundert sein Bewenden haben müsse. Vielleicht geht im neunzehnten Jahrhundert ein günstigerer Stern über uns auf, und ich will mich indes, wie jener griechische Flötenspieler, begnügen, den Musen und mir selbst zu spielen.“

Erholung von anstrengenden Geistesarbeiten fand Wieland in seinem ländlichen Asyl. Mannigfache Pläne zu Verbesserungen in seinem Hause und Garten gaben ihm die heitere Stimmung wieder, die er durch den Gedanken, wie tief sein literarischer Ruhm gesunken sei, verloren hatte. Noch öfter würde er dem Missmut anheimgefallen sein, wenn zu jener Verstimmung seines Gemüts sich noch körperliche Leiden gesellt hätten. Doch selbst in höherem Alter war ihm eine fast ununterbrochene Gesundheit geblieben. In einem Briefe an Göschen, vom 24. Dezember 1798 wunderte sich Wieland selbst über sein Wohlbefinden. „Sie gründen darauf,“ schrieb er, „Ihre Hoffnung, dass ich ein ziemlich betagter Patriarch werden dürfte. Vor zwanzig Jahren hatte ich gar keinen Begriff davon, wie ich sechzig sollte alt werden können, und hatte zu diesem Misstrauen in meiner Leibesbeschaffenheit allerdings viele und triftige Ursachen. Nach dem fünf und fünfzigsten Jahre wurde meine Gesundheit unvermerkt immer fester, und ich befinde mich nun im sechs und sechszigsten so, dass ich ohne Absurdität mein zehntes Stufenjahr zu übersehen hoffen kann. Sie aber, lieber Freund, sollen und müssen mich überleben, wäre es auch nur, um meine Confessions oder Nachrichten von mir selbst und meinen Schriften, oder wie Sie meine Selbstrezension betiteln wollen, verlegen zu können, die nicht eher, als nach meinem Hingang aus dieser Welt gedruckt werden soll.“

Der Gedanke, dass dieser Zeitpunkt sich ihm immer mehr nähere, trübte nicht Wielands Heiterkeit. Er fühlte sich in seinem Alter sehr glücklich unter literarischen und ländlichen Beschäftigungen und Genüssen. Immer neues Vergnügen schöpfte er aus der Betrachtung der von ihm selbst geschaffenen Gartenanlagen, auf Spaziergängen durch seine Lindenallee, oder durch ein Birkenwäldchen am Ufer der Ilm, wo er sich ungestört seinen Ideen überließ. In solchen Augenblicken glaubte er zu seiner völligen Zufriedenheit kaum noch etwas zu bedürfen. An seinen Schwiegersohn, den Buchhändler Geßner in Zürich, schrieb Wieland im Januar 1799: „Ich freue mich so lebhaft auf die wiederkehrende schöne Jahreszeit, dass ich sie wirklich im Geist schon genieße, und den dazwischen liegenden Winter um so weniger lang finden werde, da die literarischen Arbeiten, womit ich ihn auszufüllen gedenke, mehr als hinlänglich wären, mich eine doppelt so lange Zeit zu beschäftigen. Ich werde aber fleißig sein; denn es ist nicht mehr als billig, dass ich das Recht, den Sommer bloß mit Genießen zuzubringen, im Winter durch Arbeiten erkaufe.“

In einem nicht lange nachher geschriebenen Briefe an Gleim erkannte Wieland es dankbar, dass ihm, neben der Glückseligkeit, ungestört mit den Geistern der Weisen und Dichter der Vorwelt Umgang pflegen zu können, noch das Vergnügen gegönnt sei, seinen guten Genius, in Gestalt eines Weibes, an seiner Seite, und einen Kreis von Kindern und Enkeln um sich zu haben, unter welchen ihm seine Tage so leicht und schnell entschlüpften, wie den Bewohnern des dichterischen Elysiums. „Das Einzige“, schrieb er, „was allenfalls (wenigstens zur vollständigen Ähnlichkeit mit dem Elysium, das uns Lucian so genial geschildert hat) noch abgeht, sind die Buttersemmeln und Bratwürstchen, die auf den Bäumen wachsen, die gebratenen Rebhühner, die von selbst auf den Tisch geflogen kommen, und die schönen kristallenen Kelchgläser, die man von den Hecken abbricht, um sie aus Quellen und Bächen mit köstlichem Wein zu füllen, die ebenso freiwillig, als unerschöpflich aus allen Felsen hervorsprudeln usw. So bequem und wohlfeil hab' ich's nun freilich nicht. Aber, die reine Wahrheit zu sagen, ich möcht' es nicht einmal so bequem und wohlfeil haben; denn ich halte das Gesetz, dass uns die Götter nichts Gutes ohne Arbeit geben, für ein sehr weises Gesetz, und betrachte eine gewisse Portion Mühe und Sorge quantum satis, als die unentbehrlichste Würze zum wahren Lebensgenuss.“

Erhöht ward dieser Genuss für Wieland noch durch Besuche seiner Weimarischen Freunde. Selbst sein Fürst, seine Fürstin, die Herzogin Mutter verschmähten nicht, ihn unter dem Schatten seiner Bäume zu begrüßen. Der lebhafte Ideenaustausch in mannigfachen Gesprächen, die ihn in die Vergangenheit zurückführten, hatte für Wieland viel Anziehendes. Von großem Interesse war ihm auch die damals angeknüpfte Bekanntschaft mit Jean Paul, von dem er sich vielseitig angeregt, doch, nach seinem eignen Geständnisse, auch ebenso oft abgestoßen, als angezogen fühlte.

Unstreitig einer der schönsten Momente in Wielands späterem Leben war das Wiedersehn seiner Jugendfreundin Sophie la Roche, die ihn 1799 in Osmannstädt besuchte, begleitet von einer ihrer Enkelinnen, Sophie Brentano, einer Schwester des bekannten Dichters Clemens Brentano. Die Erinnerung an die genussreichen Tage, die Wieland damals verlebte, blieb ihm unvergesslich. Wieder angefrischt ward sie, als Sophie Brentano im Mai 1800 ihn abermals in seinem ländlichen Asyl begrüßte. Erheiternd wirkte auf ihn die Gegenwart des durch Geist und Herz ausgezeichneten Mädchens, das damals in der vollen Blüte jugendlicher Schönheit stand. Einen eigentümlichen Reiz erhielt ihr Wesen durch einen Zug stiller Melancholie. Wieland beklagte oft, dass Sophie, so ganz geschaffen, Andrer Leben zu verschönern, sich von den Menschen hinweg wende und die Einsamkeit suche. Früher jedoch, als er selbst oder irgend Jemand ahnen mochte, zerstörten die Eindrücke eines längst zerrütteten Gemüts ihren von Natur zarten Körper. Das friedliche Osmantinum, nach dem sie sich so oft gesehnt hatte, war bestimmt, ihre irdischen Überreste zu empfangen.

„Ich und meine Familie“, schrieb Wieland den 29. September 1800 an Göschen, „haben in diesem Monat einen harten Stand gehabt. Sophie Brentano, das liebenswürdigste und interessanteste Mädchen von 24 Jahren, das vielleicht der Erdboden trug, ward am 24. September von einer der sonderbarsten und verwickelten Nervenkrankheiten befallen, die sich in wenig Tagen als gefährlich ankündigte, mit jedem Tage trostlosere Symptome zeigte, und unerachtet aller ersinnlichen angewandten Hülfe, mit dem Tode endigte. Was wir in diesen trübseligen sechzehn Tagen erfahren und gelitten, möge Ihnen Ihre eigene Einbildungskraft und Ihr eigenes Herz sagen. — Die Hülle, die der entflohene Engel zurück ließ, ruht nun in einem stillen Plätzchen meines durch sie geheiligten Gartens.“

Wielands stille Trauer um das zu früh verblühte holde Mädchen erklang noch oft in den Briefen an seine Freundin Sophie la Roche. Den 24. April 1801 schrieb er: „Die Wiederkehr der schönen Jahreszeit gibt der geistigen Gemeinschaft, die bisher zwischen unsrer Sophie Brentano und mir ziemlich ununterbrochen fortgedauert, ein neues Leben. Alle meine Spaziergänge führen zu ihrem Grabe; meine liebsten Ruheplätze sind nur wenige Schritte davon entfernt, und der Gedanke, dass uns nur noch ein kleiner Zeitraum trennt, wird unvermerkt zu einem still fortdauernden Gefühl, das meinem Aufenthalt im Garten ein ganz eignes melancholisch süßes Interesse gibt. Weil es indessen gut ist, dass ich noch, so lange als möglich, für meine Kinder lebe, so helfen Sie mir, teure Freundin, Gott für die Erhaltung meiner bessern Hälfte bitten, deren zeither abnehmende und noch immer schwankende Gesundheit mich nur zu oft beim Blick auf Sophiens Ruhestätte mit Trübsinn und herzzerdrückenden Ahnungen erfüllt. Noch hoffen wir, was wir sehnlich wünschen, dass die immer näher kommende schöne und milde Jahreszeit das Beste bei ihr tun, und uns eine Gattin und Mutter, die so wenige ihres Gleichen hat, und uns so unentbehrlich ist, auf lange Zeit wieder schenken werde.“

Ein ungewöhnlich rauer Sommer, über den er sich bitter beklagte, vereitelte Wielands Hoffnungen. „Der Juni“, schrieb er, „war so kalt, windig und unfreundlich, dass wir oft vierzehn Tage lang täglich zweimal die Wohnzimmer heizen lassen mussten. Aber noch viel schlimmer spielte uns der Juli mit. Stürmische Westwinde bei Tag und Nacht, ein immer dichtbewölkter Himmel, kaum zwei bis drei Tage, an denen die Sonne zuweilen durchzubrechen vermochte, und zwei Regentage gegen einen, sind diesen ganzen Monat über unser Loos. Seit mehr als vier Wochen steht der Barometer meist anderthalb, zwei, drei, höchstens vier Linien über sieben und zwanzig Zoll, und so oft er ein wenig über vier Grad stieg, konnten wir auf einen vollständigen Landregen rechnen. Wie eine solche Witterung nicht nur den Menschen, sondern auch den Feld- und Gartenfrüchten aller Art bekommt, können Sie sich vorstellen. Die dadurch bisher aufgehaltene Ernte ist vor der Tür, und noch ist kein Anschein zu einer schon so lange und so sehnlich erwarteten Veränderung. Doch der Mensch ist nun einmal in der Gewalt der großen elementarischen Massen, und Geduld! Geduld! Geduld! ist die unwillkommene Lektion, die sie uns einbläuen, und an der wir unser Lebelang zu lernen haben, weil uns nichts schwerer eingeht.“

Mehrfache Veranlassung, sich in der Geduld zu üben, so schwer ihm dies auch werden mochte, fand Wieland, als der in einem früheren Briefe erwähnte Gesundheitszustand seiner Gattin im Herbst 1801 sich täglich verschlimmerte. Wielands Empfindungen schilderte ein Brief an Göschen vom 19. Oktober 1801. „Zwar bin ich“, schrieb er, „noch nicht in der traurigen Notwendigkeit, das Ärgste erwarten zu müssen; aber ich kann doch nur selten über mich gewinnen, es nicht zu fürchten. So wenig beneidenswert auch meine übrige Lage ist, würde ich mich doch für den glücklichsten aller Menschen halten, wenn mir der Himmel nur sie, die nun sechs und dreißig Jahre lang das ganze stille Glück meines Lebens machte, nur noch einige Zeit erhalten wollte. Sie allein ist mein Ersatz für alles Andere; ohne sie — Gott allein weiß, ob und wie ich ohne sie leben könnte.“

Am 8. November 1801 sah sich Wieland für immer getrennt von seiner Gefährtin, im Kreise derer, denen sie das Leben gegeben, und für deren Wohl sie kein Opfer gescheut hatte. Den tiefen Eindruck jenes Verlustes zeigte ein Brief Wielands an Göschen vom 31. Dezember. Er äußerte darin unter andern: „Mit mir geht es — wie es kann; leidlich wenigstens. Ich arbeite viel, aber es ist, als ob mir die Schwungfedern gestutzt wären. Sonst arbeitete ich mit Freude, mit Munterkeit; jetzt mühsam, entgeistert, schwerfällig. Möglich, dass auch die trübselige, immer veränderliche und gar nicht wintermäßige Witterung etwas dazu beiträgt. Gewiss aber ist, dass ein Herkules, der mir meine Alceste, nur mit so viel Gesundheit, als sie noch vor drei Jahren besaß, aus dem Elysium zurückbringen könnte, auf einmal einen ganz andern Menschen aus mir machen würde.“

In einem späteren Briefe vom 15. Februar 1802 wunderte sich Wieland selbst über seinen leidlichen Gesundheitszustand in einem Alter von beinahe siebzig Jahren. Er schrieb einem Freunde: „Dass die Engelsseele, die nun meinen körperlichen Augen unsichtbar geworden, mir geistiger Weise immer gegenwärtig ist, und dass ich mich nach und nach an diese rein geistige Art Liebe und Freundschaft gewöhne, trägt ohne Zweifel das Meiste dazu bei, dass ich mich so wohl, d.h. nicht viel schlimmer befinde.“

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