Eine seiner wichtigen literarischen Arbeiten war die von ihm unternommene Übersetzung Shakspeares. Sie erschien in den Jahren 1762–1768 zu Zürich in acht Oktavbänden. Schon während seines dortigen Aufenthalts hatte Wieland den großen britischen Dichter näher kennen gelernt. Die Bibliothek des Grafen Stadion in Warthausen bot ihm die Hilfsmittel dar, jenen Dichter auch in Deutschland, wo man ihn bisher noch wenig kannte, durch eine Übersetzung einzuführen. Es war ein kühnes Unternehmen, dessen Wichtigkeit er wohl nicht ganz erwogen haben mochte, als er nach seinen Äußerungen in der Vorrede zu seiner Übersetzung „jene Arbeit mitten unter allen Arten von Geschäften und Zerstreuungen fortsetzen zu können glaubte.“ Für Wielands Geist war diese Beschäftigung von dem günstigsten Einfluss. Mit gereifterer Weltanschauung, die ihm durch den großen Britten geworden war, neigte er sich immer mehr zur romantischen Poesie. In Shakspeares Humor glaubte er den Hauptgrund zu finden, weshalb dieser Schriftsteller, ungeachtet Sprache, Sitten und Geschmack seit der Zeit, in der er lebte, sich wesentlich verändert, doch noch immer unter seinen Landsleuten den Reiz der Neuheit behalten habe und für sie noch immer weit anziehender sei, „als alle neuern Schriftsteller, die nach französischen Modellen gearbeitet hätten.“

Die durch Shakspeare zuerst in Wieland geweckte Vorliebe für das Humoristische erhielt neue Nahrung durch einen andern englischen Autor. Es war Sterne oder Yorik, wie er sich auf dem Titel einiger seiner Schriften nannte. Fast noch von keinem Werke war Wieland so ergriffen worden, als von dem unter dem Titel: „Tristram Shandys Leben und Meinungen“ damals erschienenen Roman jenes Schriftstellers. Noch in späteren Jahren war Wieland unerschöpflich im Lobe jenes Werks.

Seine äußern Lebensverhältnisse hatten sich allmählich günstiger gestaltet. 1764 war er zum wirklichen Kanzleidirektor ernannt worden. Mannigfachen Verdrießlichkeiten und lästigen Arbeiten überhoben, schien seine Existenz im Wesentlichen mehr gesichert zu sein, als früher. Wie er sein Verhältnis als Stadtschreiber in Biberach betrachtete, schilderte er in einem Briefe an den Buchhändler Geßner in Zürich, dem er zugleich meldete, dass er nicht abgeneigt sei, sich nächstens zu verheiraten.

„Ich habe nun,“ schrieb Wieland, „auf all' mein Lebelang ein zwar ziemlich mühseliges, aber doch einträgliches und honorables Amt — ein Umstand, der allezeit die Basis von meiner Ruhe ausmacht, und mich über die niederschlagenden Nahrungssorgen hinwegsetzt. Nun geht mir von den Bedürfnissen des menschlichen Lebens nichts ab, als ein Weib, und da ich durch den Tod meines Bruders die Ehre habe, der Einzige von meiner Familie zu sein, so werde ich von meinen lieben alten Eltern über diesen Punkt so sehr in die Enge getrieben, dass ich bald genötigt sein werde, in die ganze Welt um ein Weib auszuschreiben. Hier findet sich keine für mich, denn ich sollte eine hübsche, gescheite, muntere, und wo möglich eine reiche Frau haben, und die drei oder vier Jungfrauen, welche hier, Standes halber, ein Recht an mich haben könnten, sind nicht für mich. Ich wollte, dass sich in den dreizehn hochlöblichen Kantonen ein artiges Mädchen fände, das so viel christliche Liebe hätte, einen ehrlichen Biberachschen Kanzleidirektor, der ganz hübsche Verse macht, von seinem Amt ungefähr tausend Gulden Einkünfte und die zärtlichste Seele von der Welt hat, glücklich zu machen. Wenn Sie ein solches Mädchen wissen, lieber Freund, so rekommandieren Sie mich, ich bitte gar schön.“

Am 7. November 1765 meldete Wieland seine Vermählung. „Ich habe,“ schrieb er, „ein Weib genommen, oder eigentlicher zu reden, ein Weibchen: denn es ist ein kleines, wiewohl in meinen Augen ganz artiges, liebenswürdiges Geschöpf, das ich mir, ich weiß selbst nicht recht wie, von meinen Eltern und guten Freunden habe beilegen lassen.“ Wieland berichtete zugleich: seine Frau stamme aus einem Augsburger Kaufmannshause, das unter dem Namen Jakob Hillebrandts selige Erben der merkantilischen Welt nicht unbekannt sei. „Meine Frau,“ schrieb Wieland, „hat wenig oder nichts von schimmernden Eigenschaften, auf welche ich, vermutlich, weil ich Anlässe gehabt habe, ihrer satt zu werden, bei der Wahl einer Gattin nicht gesehen habe. Sie ist, mit Haller zu reden, gewählt für mein Herz, und meinen Wünschen gleich — ein unschuldiges, von der Welt unangetastetes, sanftes, fröhliches, gefälliges Geschöpf, nicht so gar hübsch, aber doch hübsch genug für einen ehrlichen Mann, der gern eine Frau für sich selbst hat — eine Prätension, welche man bei den großen Schönheiten vergebens macht.“

Mehrere seiner damaligen Briefe schilderten, wie glücklich sich Wieland nach seiner Verheiratung fühlte. Sehr richtig hatte er sich beurteilt, als er meinte: „wenn er sich nur erst in seinem neuen Stande werde zurecht gesetzt haben, so sollten hoffentlich die Musen, falls sie anders jemals einen Antheil an den Geburten seines Gehirns gehabt, nichts dabei verlieren.“ Durch manche lästige Amtsarbeiten ward ihm die Poesie verleidet. Immer jedoch kehrte er mit erneuter Liebe wieder zu ihr zurück. Mehrere seiner damaligen literarischen Erzeugnisse entstanden auf dem Rathause, in der Kanzleistube, mitten unter dem Andrang der lästigsten und trockensten Amtsgeschäfte. Die Fruchtbarkeit seines Geistes war nie größer gewesen, als in dieser Periode seines Lebens. Außer der Vollendung des „Agathon“ schrieb Wieland damals seine „Komischen Erzählungen“ (das Urteil des Paris, Endymion, Juno und Ganymed, Aurora und Cephalus). 1768 erschien sein Gedicht „Musarion“, zwei Jahre später „Idris und Zenide“; hierauf die erste Hälfte des „Neuen Amadis“ und ein Teil des Gedichts: „die Grazien.“ In einem Briefe an Geßner gestand Wieland: „der poetische Taumelgeist habe ihn so mächtig ergriffen, dass er seine Mußestunden nicht besser auszufüllen wisse, als mit Reimen.“

Zu manchen poetischen Entwürfen, mit denen sich Wieland beschäftigte, gehörte die bald wieder aufgegebene Idee, Alexander den Großen zum Helden eines epischen Gedichts zu wählen. Länger verweilte er bei dem Entwurf eines Gedichts, welches unter dem Titel „Psyche“ die reinste Blüte der wahren Philosophie und zugleich eine „kritische Naturgeschichte unsrer Seele“ enthalten sollte. Gegen den ihm gemachten Vorwurf, in mehreren seiner Gedichte einen zu mutwilligen, sarkastischen Ton angestimmt zu haben, suchte sich Wieland zu rechtfertigen. „Ich gestehe“, schrieb er, „die Ironie ist meine Lieblingsfigur, und ich schmeichle mir, einiges Talent dafür zu haben. Freilich ist's ein ziemlich gefährliches Talent; zum Glück aber hat mich die Natur mit einem guten und redlichen Herzen begabt. Mein Menschenhass ist nur gemacht. Ich liebe von Natur die Menschheit und die Menschen, und wenn ich auch über die Gebrechen der Einen, und die Schwachheiten der Andern spotte, so geschieht's in der Regel freundlich und in der Absicht, ihnen scherzend heilsame Wahrheiten zu sagen, die man zuweilen geradezu nicht zu sagen pflegt.“

Große Sensation erregte die Keckheit, womit Wieland den Platonismus in der Liebe, dem er früher gehuldigt hatte, mit allen Waffen des Witzes bekämpfte. Die Stimme der öffentlichen Kritik warnte vor der Tendenz seiner Schriften, weil sie ein Gift enthielten, das, je süßer, um so gefährlicher sei. Mit Bedauern sprach man von dem Missbrauch seiner großen und seltenen Talente, und ging selbst so weit, ihn als einen Dichter zu bezeichnen, der die Liebe von der Wollust gar nicht mehr zu unterscheiden scheine. Wielands „Agathon“ war in Zürich verboten worden. Für den „Don Sylvio von Rosalva“ hatte er in Ulm einen Verleger suchen müssen. Am härtesten lauteten die ziemlich übereinstimmenden Urteile über Wielands „Komische Erzählungen.“

Fast noch schmerzlicher, als die öffentliche Missbilligung seiner Schriften, war für Wieland der Gedanke, in der guten Meinung seiner Freunde gesunken zu sein. Er, der einst so warm der Tugend und Religion das Wort geredet hatte, schien jetzt ein Epikuräer und Skeptiker. Von dem Dichter schloss man zurück auf den Menschen. Seine wärmsten Freunde, unter andern Zimmermann, schienen den nachteiligen Gerüchten, die sich über Wielands sittlichen Wandel verbreiteten, nicht allen Glauben zu versagen. In einem Briefe an Julie Bondeli rechtfertigte sich Wieland gegen die ihn getroffenen Beschuldigungen. „Ich war“, schrieb er, „ehemals Enthusiast in Ansehung der Religion, der Metaphysik und Moral, und ich war es ganz aufrichtig. So war damals meine Art zu sein, oder das Resultat von hunderttausend physischen und moralischen Ursachen. Hab' ich nun aber auch in Einem Sinne aufgehört, Enthusiast zu sein, so bin ich doch nicht weniger ein Freund der Wahrheit, und finde die Tugend nicht weniger liebenswürdig, wenn ich gleich nicht mehr an die Präexistenz der Seele glaube, und beim Bilde eines rosenfarbenen Seraphs mit Flügeln von Gold und Azur nicht mehr verzückt werde. Solche erkünstelte Spekulationen sind nichts als Stelzen, auf denen die menschliche Eitelkeit gern einherschreitet, angenehme Hirngespinste, woran wollüstige Seelen sich ergötzen. Ich musste entweder meinen Platonismus reformieren, oder eine Einsiedelei in Tirol aufsuchen, um da zu leben. Die Erfahrung hat mir einen Wahn nach dem andern genommen, und endlich kam ich ins Gleichgewicht. Ich hoffe, Sie zu überzeugen, dass ich stets, selbst bei meinen Fehlern, den Charakter eines Biedermannes behauptet habe. Für ein Tugendmuster hab' ich mich nie gehalten. Man wird finden, dass mein Geist zwar zuweilen töricht, mein Herz aber immer gut war. Man hält mich für einen Libertin, und gibt mir eine Menge Maitressen. Die Wahrheit ist, dass ich in freund- und verwandtschaftlichen Verhältnissen mit zwei oder drei Damen stehe, die nicht ihrer Gestalt, sondern ihrer Verdienste wegen, Achtung verdienen, und dass ich einige flüchtige Neigungen für junge Personen gehabt habe, die ich heiraten sollte, ich weiß nicht warum. Alle meine Liebschaften — und ich habe deren seit meinem siebzehnten Jahre wenigstens ein volles Dutzend gehabt, — haben mir große Pein verursacht. Sie waren alle von der Art, die man passions nennt; alle meine Geliebten waren Göttinnen, die ich anbetete, und ich habe wohl einigemal die platonische Liebe bis zu einem Heroismus getrieben, dessen ich mich nicht mehr fähig fühle. Vergesse man doch endlich diese moralischen Donquiroterien meiner Jugend! Wenn sich ernste und strenge Personen verwundern, mich als den Verfasser meiner neuen Werke zu sehen, so bin ich zu beklagen; sie können mich schelten, aber sie sollen nicht so weit gehen, deshalb nachteilig zu denken von meinen Sitten und von meinem Charakter.“

Mit dem inneren Bewusstsein der moralischen Reinheit seiner Gefühle musste sich Wieland trösten, als ihn der grundlose Verdacht traf, der Unmäßigkeit und Wollust ergeben zu sein. War ihm auch der Platonismus in der Liebe verdächtig geworden, so konnte er doch für keinen Epikuräer im schlimmsten Sinne des Worts gelten. Dass er in seinen neuen poetischen Werken der Sinnlichkeit das Wort zu reden schien, war ein bloßes Spiel seiner Phantasie. Er dachte sich nichts Arges bei den ihm zur Last gelegten Schilderungen, die ihm unter beschwerlichen Amtsgeschäften Trost und Erheiterung gewährten. Keinen unwesentlichen Antheil an der Tendenz seiner damaligen Produkte hatte auch die Wahl seiner Lektüre. Lucian, Horaz, Cervantes, Ariost und besonders Sterne, waren seine Lieblingsschriftsteller.

An der Seite seiner Gattin Dorothea Hillenbrandt fühlte Wieland sich sehr glücklich, obgleich sie, seinem eignen Geständnis nach, keine „Musarion“ war. In einem Raum von fünfzehn Jahren hatte er so manche Erfahrungen in der Liebe gemacht, dass er sie wohl im Stillen einer Musterung für wert hielt. Schon in früherer Zeit hatte Wieland den Plan entworfen, eine „philosophische Geschichte der Liebe“ zu schreiben. Dieser Plan blieb unausgeführt; aber er bot ihm den Stoff zu seinem Gedicht „Idris und Zenide,“ in welchem er beabsichtigte, die verschiedenen Arten der Liebe gegen einander in Kontrast zu stellen, und zu diesem Behuf verschiedene Charaktere in eigentümlichen Situationen sich entwickeln zu lassen. Im Wesentlichen unverändert kehrte die Idee, die dem erwähnten Gedicht Wielands zu Grunde lag, in seinem „Neuen Amadis“ wieder, mit dem er sich gleichzeitig beschäftigte. Ariosts rasender Roland war sein Vorbild. Den Sieg der Natur über die Schwärmerei, der Wahrheit über die Heuchelei zu verherrlichen, war nach Wielands eignen Worten die Aufgabe, die er sich bei seinem „Neuen Amadis“ stellte. Von dem Muster, das ihm bei diesem Gedicht vorgeschwebt hatte, entfernte er sich in seinen „Grazien.“ Nach seinen eignen Äußerungen wollte er in diesem Gedicht „den Übergang des Menschen aus dem Naturstande zur Stufe einer verfeinerten Bildung“ schildern.

Von dem Eindruck, den seine Schriften auf das Publikum machten, erfuhr Niemand weniger, als Wieland selbst. Aus den öffentlichen Kritiken, die oft parteiisch und befangen waren, konnte er jenen Eindruck nicht kennen lernen. Es lag aber auch in seinen Verhältnissen, dass er überhaupt mit dem Gange der Literatur unbekannt blieb. Die meiste Zeit brachte er in der Kanzlei, in den Ratssessionen und an seinem Aktentisch zu, ohne am Abend eine andere Gesellschaft zu finden, als an einem Kartentisch oder in häuslichen Zirkeln, wo er seine Literaturkenntnis eben nicht sonderlich erweitern konnte. Durch Gewohnheit fühlte er sich nicht unbehaglich in diesem einförmigen Lebenskreise, und aus seiner scheinbaren Verstimmung blickte oft ein unverwüstlicher Humor hervor. „Wenn ich,“ schrieb er, „auch zuweilen schwermütig werde, und mit dem Strumpfband in der Hand mich nach einem tauglichen Nagel umzusehen anfange, so besinne ich mich doch allemal so lange, bis wieder nichts daraus wird — ein überzeugender Beweis, dass ich noch etwas in meinem Zustande finde, das der Versuchung, mich aufzuhängen, wenigstens das Gleichgewicht hält.“

Diese Zeilen hatte Wieland noch vor seiner Verheiratung geschrieben. Seine sehr glückliche Ehe zeigte ihm auch seine Amtsverhältnisse, so bitter er sich auch oft darüber beklagt hatte, in einem minder ungünstigen Lichte. In einem seiner damaligen Briefe bat er einen Freund, „sich die Sache nicht so gar grässlich vorzustellen.“ Über die Nachmittage, äußerte Wieland, könne er frei disponieren, und seine Geschäfte gingen ihm leicht von der Hand. „Dafür bin ich aber auch,“ fügte er hinzu, „einer der expeditivsten Leute im ganzen Schwabenlande. Nur ein kleines Tusculanum geht mir noch ab, und bis ich erben werde (wozu in den nächsten zwanzig Jahren wenig Hoffnung ist) sehe ich auch keine Möglichkeit, eins zu bekommen. In Ermangelung dessen habe ich ganz nahe an der Stadt, aber doch in einem etwas einsamen Orte, ein artiges Gartenhaus gemiethet, wo ich die angenehmste Landaussicht von der Welt habe, und, so nahe es meinem Hause in der Stadt ist, doch völlig auf dem Lande bin. Hier bringe ich im Sommer meine meisten müßigen Stunden zu, solus cum sola, oder ganz allein mit den Musen, Faunen und Grasnymphen, deren ich von Zeit zu Zeit einige im Gesicht habe, welche auch den enthaltsamsten Einsiedler unversucht lassen würden. Ich rieche den lieblich erfrischenden Geruch des Heus, ich sehe schneiden und Flachs bereiten. Auf der einen Seite erinnert mich aus der Ferne der Kirchhof, wo die Gebeine meiner Voreltern liegen, dass ich leben soll, so lange und gut ich kann; auf der andern Seite lockt mir ein durch Gebüsche halb verdeckter Galgen fernher den Wunsch ab, dass ein halb Dutzend Schurken, die ich ganz trotzig tète levée herumgehen sehe, daran hängen möchten. Ich sehe Mühlen, Dörfer, einzelne Höfe, ein langes angenehmes Thal, das sich mit einem zwischen Bäumen hervorragenden Dorfe mit einem schönen schneeweißen Kirchturm endet, und über demselben eine Reihe ferner blauer Berge. Das zusammen macht eine Aussicht, über der ich alles, was mir unangenehm sein kann, vergesse, und, mit diesem Prospekt vor mir, sitze ich an einem kleinen Tisch, und — reime.“

Wegen seiner Zukunft, wenn sich sein Blick dahin verirrte, konnte Wieland unbesorgt sein. Durch Pünktlichkeit und unermüdliche Berufstreue hatte er sich die Achtung und das Vertrauen seiner Obern erworben. Seine ökonomischen Verhältnisse überhoben ihn der Sorgen. Noch nie hatte sich der Wunsch in ihm geregt, seine Lage mit einer andern zu vertauschen. Er wusste es daher anfangs seinen Freunden wenig Dank, als sie ihm eine andere Stellung zu verschaffen suchten, die, wie sie glaubten, mit seinen Fähigkeiten und Neigungen mehr harmonierte.

Eine flüchtig hingeworfene Äußerung Wielands, dass er nicht abgeneigt wäre, ein akademisches Lehramt zu bekleiden, hatte in dem Kurmainzischen Minister v. Großschlag, der ihn in Warthausen kennen gelernt, die Idee geweckt, ihn nach Erfurt zu ziehen. Wieland schwankte eine Zeit lang, ob er dem an ihn ergangenen Rufe folgen sollte. Zufrieden mit seinen bisherigen Verhältnissen, fesselten ihn Familienverhältnisse, Eltern und Schwiegereltern an seine Vaterstadt Biberach. Er fürchtete außerdem von seiner neuen Lage manche Unannehmlichkeiten. Die Promotion war das Erste, was er zu umgehen wünschte. Magister zu werden, meinte Wieland, werde sich für ihn um so weniger schicken, da er „die Ehre habe, Comes Palatii Caesarei zu sein, und vermöge seines Diploms selbst fähig sei, Meister der freien Künste zu kreieren.“ Manche dieser Hindernisse räumte Wielands Freund, der Professor Riedel in Erfurt, hinweg. Was ihn hauptsächlich bestimmte, den Ruf nach Erfurt anzunehmen, war die Vorstellung, dass er dort die ersehnte Muße zu literarischen Arbeiten zu erlangen hoffte. Das Schreiben, in welchem ihm eine Professur der Philosophie mit dem Charakter eines Kurfürstl. Mainzischen Regierungsrats und einem Gehalt von 600 Talern zugesichert worden war, enthielt zugleich die schmeichelhafte Äußerung, dass sein Name das Hauptmotiv gewesen wäre, ihn nach Erfurt zu ziehen. Man sei, hieß es ausdrücklich in jenem Schreiben, „schon zufrieden, wenn er nur komme, sollte er auch gleich nichts anderes thun, als da sein und machen, was ihm selbst gefalle.“ Diese Aussicht einer unbeschränkten literarischen Thätigkeit hatte so viel Lockendes für Wieland, dass er sich entschloss, den Ruf nach Erfurt anzunehmen, und der Magisterpromotion sich zu unterwerfen, so manches er auch, wie vorhin erwähnt, dagegen einzuwenden gehabt hatte.

In der letzten Zeit seines Aufenthalts in Biberach beschäftigten ihn mancherlei schriftstellerische Pläne, die er in Erfurt zu realisieren hoffte. Er wollte unter andern „Briefe über die Literatur“ schreiben, und sie „in kleinen Bändchen in die Welt fliegen lassen.“ Die Muße, welche ihm seine Kanzleigeschäfte irgend gönnten, benutzte er zu einer Revision seiner poetischen Schriften, die damals neu gedruckt werden sollten. Längst zerfallen mit seinem früheren Freunde Bodmer, der sogar Spottgedichte gegen ihn gerichtet hatte, folgte Wieland, der schönen Vergangenheit sich dankbar erinnernd, nur den Eingebungen seines Herzens, als er jene Sammlung „seinen alten und ehrwürdigen Freunden, dem Herrn Kanonikus Breitinger und dem Herrn Professor Bodmer“ mit einer für beide sehr schmeichelhaften Dedikation widmete.

Am 1. Juni 1769 kam Wieland in Erfurt an, durch Hitze, Staub und andere Unannehmlichkeiten der Reise so gänzlich erschöpft, dass er, seinen eignen Äußerungen nach, „einem Ritter von der traurigen Gestalt um einen großen Teil ähnlicher sah, als einem der sieben Weisen.“ Das Schicksal hatte ihn wieder in die Stadt zurückgeführt, wo er seine philosophischen Studien begonnen, doch damals durchaus keine Neigung zu einem akademischen Lehramt in sich verspürt hatte. Außer seinem Freunde Riedel fand er in Erfurt Meusel, Chr. H. Schmid, den Verfasser einer vielgelesenen Theorie der Dichtkunst, den ebenso berühmten als berüchtigten Dr. Bahrdt u. a. Keiner von diesen talentvollen Köpfen hatte damals schon einen so festbegründeten literarischen Ruf, als Wieland, der von mehreren seiner Kollegen schon deshalb beneidet werden mochte. Vorzüglich fühlten sie sich verletzt durch seine Ernennung zum ersten Professor der Philosophie. Neue Nahrung erhielt ihre Missgunst, als Wieland nach einem halben Jahre auch zum außerordentlichen Beisitzer des Collegii academici ernannt ward.

Auf seinen Freund, den Professor Riedel, beschränkte Wieland seinen Umgang. Mit den übrigen Lehrern der Erfurter Hochschule kam er in wenige Berührung. Den Freuden des geselligen Lebens, die nie besonderen Reiz für ihn gehabt, sich in Erfurt fast gänzlich zu entziehen, ward ihm nicht schwer. Ersatz dafür bot ihm seine freundliche Gartenwohnung im Gasthofe zum Schwan, hinter dem Schottenkloster. Dies Asyl befriedigte in jeder Hinsicht seine mäßigen Wünsche. Er fühlte sich glücklich, seiner Familie, sich selbst und den Musen ungestörter leben zu können, als es seine Verhältnisse in Biberach gestattet hatten. Sein Lehramt eröffnete er mit Vorträgen über die Geschichte der Menschheit, nach einem bekannten Werke von Iselin über diesen Gegenstand. Späterhin hielt er Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, las über die allgemeine Theorie der schönen Künste, und erklärte einige Lustspiele des Aristophanes und die Briefe des Horaz. Auch gab er eine historisch-kritische Übersicht der besten griechischen, lateinischen, italienischen, französischen und englischen Schriftsteller.

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