Am liebenswürdigsten zeigte sich Wieland in seinem Familienkreise. In einem Briefe an seine Freundin Sophie la Roche gestand er, dass er „das Vergnügen, mit seinen kleinen Kindern zu spielen, allem Vergnügen der Welt vorziehe.“ Das meinte er den Grazien zu verdanken, die überhaupt für ihn „sehr wesentliche Gottheiten“ wären. Bei Übersendung des unter diesem Namen von ihm verfassten Gedichts, das er 1770 vollendet hatte, schrieb Wieland: „Die Grazien tun mir unendlich viel Gutes; sie geben meinen Gedichten Reiz, mir zuweilen Heiterkeit und noch öfter Zufriedenheit mit meinem Zustande; kurz, sie sind meine Schutzgöttinnen, und ich werde ihnen bis zum letzten Lebensaugenblicke dienen.“
Nichts weniger als das Ideal eines Weisen, sollte der „Diogenes von Sinope“ sein, dessen „Dialogen“ Wieland noch während des Sommers 1770 herausgegeben hatte. Auch ohne Lucians Vorliebe für diesen Sonderling, musste schon für Wieland die Untersuchung Interesse haben, wie ein Mann wohl hätte sein können, über den so seltsame und widersprechende Gerüchte herrschten. Seinem Helden gab Wieland weniger Zynismus und mehr ächte Lebensweisheit, als man ihm bisher gewöhnlich zugestanden hatte. Das kleine Werk, in welchem ernste und komische, sentimentale und satirische Schilderungen abwechselten, empfahl sich besonders durch eine Basis von Sokratischer Philosophie.
In einem Briefe an seine Freundin Sophie la Roche gestand Wieland, dass er über manche Dinge, die sich auf den moralischen Teil der menschlichen Natur bezögen, nicht mehr so denke, wie ehemals, und z.B. die Clarissen, die Carl Grandisons und ähnliche Werke nicht liebe, aus dem einzigen Grunde, weil sie ihm zu vollkommen wären. „Vielleicht habe ich Unrecht,“ schrieb er; „sollte ich aber Recht haben, so spotte ich doch nicht über ihre Denkart. Ich halte vielmehr dafür, dass die Verschiedenheit der Ansichten der Dinge von der Natur herrührt, und ihr nicht weniger gemäß ist, als der Unterschied, den sie in den Gesichtern, in den Temperamenten, und in allem macht, was damit in Beziehung steht; und wofern die öffentliche Ruhe und das allgemeine Wohl nicht darunter leidet, behaupte ich, es müsse erlaubt sein, dass der Eine für heilig halte, was dem Andern als sehr profan erscheint; dass der Eine mit dem sein Spiel treibe, was der Andere für sehr ernst und wichtig nimmt usw. “
So suchte sich Wieland als humoristischer Schriftsteller, wofür er gelten wollte, und nach seinen Anlagen auch wohl gelten konnte, von den Fesseln zu befreien, die den Flug seines Geistes hemmten, und sich zugleich über den in seinen Schriften angestimmten Ton zu rechtfertigen, den die öffentliche Meinung mit der Würde eines Professors der Philosophie für nicht verträglich zu halten schien. Er äußerte sich darüber mit den Worten: „Man glaubt hier, die Geistesschwere, gewöhnlich Gravität genannt, sei eine wesentliche Eigenschaft eines akademischen Lehrers, und man kann oder will nicht sehen, dass ein Autor, der für das Publikum und für Menschen von Geist schreibt, nicht wie ein Schulmeister schreiben darf.“
Dieser Äußerungen ungeachtet, glaubte Wieland doch seinen Beruf als Professor auch in literarischer Hinsicht rechtfertigen zu müssen. Der Entwurf, eine „Geschichte des menschlichen Geistes“ zu schreiben, die er dem Kurfürsten von Mainz zueignen wollte, blieb zwar unausgeführt. Aber Bruchstücke einer solchen Geschichte waren gewissermaßen alle Werke Wielands, die in den Jahren 1770–1772 entstanden. Das Studium der Natur des Menschen ward sein angelegentlichstes Geschäft. In den Aufsätzen: „Was ist Wahrheit?“ und „Welchen Zweck hat die Philosophie?“ hatte er sich zwei wichtige Fragen vorgelegt, ohne sich jedoch einzubilden, dass er mit den kurzen Antworten, die er darauf gab, seinen Gegenstand erschöpft habe. Seinen „Betrachtungen über Rousseaus ursprünglichen Zustand des Menschen,“ fügte Wieland, gewissermaßen als Ergänzung, einen Aufsatz bei: „Ueber die Behauptung, dass ungehemmte Ausbildung der menschlichen Gattung nachteilig sei.“ Den Kontrast zwischen den von Rousseau geäußerten Ideen und der Beschaffenheit der menschlichen Natur wollte Wieland durch Beispiele noch anschaulicher machen. Zu diesem Behuf schrieb er außer einem Roman, „Koxkox oder Kikequetzel“ betitelt, die „Reisen und Bekenntnisse des Priesters Abulfauaris.“
Entschieden richtete sich Wielands Aufmerksamkeit damals auf einen Monarchen, dar mit mächtiger Hand die Fesseln zerbrechen zu wollen schien, welche bisher die Geistesfreiheit gelähmt hatten. Durch den Kaiser Joseph II. waren zugleich mit dem Jesuitenorden, die meisten Klöster in den österreichischen Staaten aufgehoben und dadurch die Gewalt des Mönchtums in mehrfacher Weise beschränkt worden. Damals (1773) schrieb Wieland seinen Roman: „der goldene Spiegel“, den er dem als dramatischen Dichter nicht unbekannten Kaiserl. Staatsrath v. Gebler in Wien zueignete. In einem seiner damaligen Briefe an seine Freundin Sophie la Roche äußerte Wieland, dass er in seinem Roman mit einer nicht gewöhnlichen Unerschrockenheit den Großen der Erde einen Spiegel vorgehalten habe, der ihnen wahrlich nicht schmeichle. „Sein Sie aber deshalb ohne Furcht“, schrieb er. „Ich fürchte weder Bastille, noch Löwengrube, noch feurigen Ofen. Hab' ich auch nicht die Überzeugung, dass die Fürsten und Minister mich um meines Buchs willen mehr lieben werden, so bin ich doch gewiss, dass sie sich wohl hüten möchten, mir eine böse Miene darüber zu machen.“
Ohne seine fast gänzliche Zurückgezogenheit und den anhaltendsten Fleiß hätte Wieland während seines dreijährigen Aufenthalts in Erfurt so viel als Schriftsteller nicht leisten können, wie er wirklich leistete. Überdies ward er oft unterbrochen in seinen literarischen Beschäftigungen teils durch Arbeiten, die ihm die kurmainzische Regierung übertrug, teils durch Aufforderungen zu zweckmäßigen Vorschlägen, wie der Flor der Universität zu befördern sein möchte. Unter diesen mannigfachen Geschäften war er nicht der Sorge überhoben, mit seiner Familie anständig leben zu können. Sein Gehalt war mäßig, und von seinen Vorlesungen, so zahlreich sie auch besucht wurden, hatte er wenig Gewinn. Auch ohne inneren Trieb hätte er zur Feder greifen müssen. Nur von seinem anhaltenden Fleiß, nicht von der Gnade seines Fürsten, hoffte Wieland, nach seinen eigenen Äußerungen, eine Verbesserung seiner Lage.
Einzelne Ausflüge nach Weimar mussten ihm Ersatz bieten für eine größere Reise, die weder seine beschränkte Zeit, noch seine pekuniären Verhältnisse erlaubten. Als ihm einst in Weimar Lessings „Emilie Galotti“ in die Hände fiel, begeisterte ihn dies Trauerspiel zu einem von Lob überströmenden Briefe an Lessing. „Es war,“ äußerte Wieland, „das erste Schreiben, das ich an diesen großen Mann richtete.“ Literarische Bekanntschaften und Verbindungen anzuknüpfen, und zu Verfolgung schriftstellerischer Zwecke einen Briefwechsel zu unterhalten, fühlte Wieland kein Bedürfnis. Er hatte schon so viele literarische Pläne wieder aufgeben müssen, weil es ihm an Zeit fehlte, sie auszuführen. Der Kreis von auswärtigen Freunden, mit denen er in Briefwechsel stand, war daher sehr beschränkt. Er schrieb an wenige, meistens nur an solche, die sich zuerst an ihn gewendet hatten. In ein engeres Freundschaftsverhältnis war er mit Gleim und Jacobi getreten. „Beide,“ schrieb Wieland an Sophie la Roche, „gehören zu der kleinen Zahl der schönen Geister, die eine zu schöne Seele haben, um des Neides und der Eifersucht fähig zu sein, und Sie wissen, dass solche zu den weißen Raben gehören.“ Zu dem Dichter Jacobi fühlte sich Wieland durch eine Art von Geistesverwandtschaft hingezogen. Er pflegte ihn seinen eigenen Dichter zu nennen, und freute sich herzlich über seines Freundes Streben, in der Poesie das Ideal von Vollkommenheit zu erreichen, das vor seiner Seele schwebte.
In einem Briefe Jacobis, welchem Wieland im März 1771 in Ehrenbreitenstein, wo er sich damals aufhielt, einen Besuch machte, hat sich eine Schilderung von Wielands Äußeren und seiner Persönlichkeit in jener Periode seines Lebens erhalten. „Beim ersten Anblick,“ schrieb Jacobi, „schien mir seine Physiognomie nicht sehr bedeutend. Seine Augen sind klein und etwas trüb, und die Menge von Blatternarben, womit seine Haut überdeckt ist, machen, dass seine Züge nicht genug hervorstechen, um sich gehörig auszeichnen zu können. Nichts desto weniger drückt sich in seiner ganzen Gebärde das Feuer seines Geistes und der Charakter seiner Empfindungsart auf eine außerordentliche und eigentümliche Weise aus. Wenn er stark gerührt ist, gerät sein ganzer Körper, doch auf eine fast unmerkliche Weise, in Bewegung; seine Muskeln dehnen sich aus; seine Augen werden heller und glänzender; sein Mund öffnet sich etwas; und so bleibt er in einer Art von Erstarrung, bis er einige Worte ausgesprochen, oder seinem Freunde die Hand gedrückt hat. Dieser Ausdruck in Wielands Person ist so fein, dass er den Meisten unbemerkt bleiben muss; ich aber bin davon mehr als einmal bis auf das Mark erschüttert worden. Wieland geht schnell von einem Vorwurf zum andern über, weil er in einem Nu eine Reihe von Gedanken oder eine Situation durchschaut und empfunden hat. Bei ihm würde es Zeitverderbnis sein, wenn er länger dabei verweilte.“ Zu den Eigenschaften, die nach Jacobis Ausdruck, „Wielands Charakter ebenso liebens- und verehrungswürdig machten, als sein Genie,“ rechnete Jacobi „die natürliche, schöne und männliche Empfindsamkeit seiner Seele; die unzerstörtere Güte seines Herzens; seine warme, uneigennützige, zu Neid und Eifersucht ihn ganz unfähig machende Liebe des Wahren und Schönen; seine ungeheuchelte Bescheidenheit und unglaubliche Aufrichtigkeit.“
So innig, wie sein Freundschaftsbund mit Jacobi, ward keine von den Bekanntschaften, welche Wieland während eines damaligen Aufenthalts in Leipzig anknüpfte, wohin er auf kurze Zeit gereist war. Zu den Wenigen, an die er sich näher anschloss, gehörten Weiße und Garve, beide Gellerts Freunde, den er nicht mehr unter den Lebenden fand, aber zu nicht geringem Verdruss hören musste, wie Jung und Alt sich bemühte, den gefeierten Dichter durch matte Lobgesänge zu verherrlichen. „Es war,“ schrieb Wieland, „ein entsetzliches Gesinge, Geplärre, Geseufze und Geheul.“ Weißes liebenswürdiger Charakter zog ihn an. Er gehörte zu denen, meinte Wieland, mit denen er sein Leben zubringen möchte. In Garve verehrte er den Philosophen und scharfsinnigen Denker. Nur in geringe Berührung kam er mit Clodius, der ihn durch sein Talent für den gefälligen Umgang mehr interessierte, als durch seine Geistesvorzüge. Eine gewisse Seelenverwandtschaft kettete ihn an Oeser, den er in der Winklerschen Gemäldegallerie kennen gelernt hatte. In einem seiner damaligen Briefe gestand Wieland: „Unter allen Männern, deren Bekanntschaft ich in Leipzig gemacht, ist Oeser der, den ich am meisten nach meinem Herzen gefunden habe, eine schöne Seele, ein vortreffliches Herz, bei aller Einfachheit von außen, die sich an dem wahren Genie findet.“
Entscheidend für Wielands späteres Leben ward ein Ausflug nach Weimar. Durch die dort angeknüpfte Bekanntschaft mit dem Grafen v. Görz hatte er das Glück, der verwitweten Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar vorgestellt zu werden. Seine Persönlichkeit und geistreiche Unterhaltung, verbunden mit dem literarischen Ruf, der ihm voranging, machten den günstigsten Eindruck auf jene, den Musen befreundete Fürstin. Die Herzogin Amalia übertrug ihm die Erziehung des damaligen Erbprinzen und nachherigen Herzogs Carl August. Nicht lange zuvor hatte Wieland Aussichten gehabt, nach Wien gerufen zu werden. Seine Hoffnung gründete sich auf das ziemlich allgemein verbreitete Gerücht: Joseph II. beabsichtige, die vorzüglichsten Geister der deutschen Nation in der Hauptstadt des deutschen Reichs zu vereinigen. Die Hoffnung, nach Wien zu kommen, gab Wieland auch da noch nicht ganz auf, als er bereits die Stelle eines Instruktors des Erbprinzen von Sachsen-Weimar angenommen hatte. „Ich stehe nun,“ schrieb er, „in meinem vierzigsten Jahre, und wenn die Göttin Fortuna etwas für mich tun will, so ist's hohe Zeit; en attendant, und weil ich dieser Humoristin nicht sonderlich traue, bemühe ich mich, ne ipse desim mihi.“
Die neuen Verhältnisse, in die er zu treten im Begriffe stand, überhoben ihn nicht gänzlich der Sorge für die Zukunft, oder eigentlicher gesagt, für seine Familie. Ihre Lage war unsicher; denn mit Wielands Tode erlosch die lebenslängliche Pension von 600 Thalern., die ihm zugesichert worden war, wenn er nicht mehr Instruktor des Erbprinzen sein würde. Bis zu diesem Zeitpunkt, der mit dem 3. September 1775 herannahte, bezog er einen Jahrgehalt von 1000 Thalern. Seine Einkünfte hatten sich nur für wenige Jahre verbessert. Durch seine Anstellung als Prinzenerzieher sah er jedoch einen früh gehegten Lieblingswunsch erfüllt, mit dem er sich schon während seines Aufenthalts in der Schweiz oft lebhaft beschäftigt hatte.
Dem Hofleben konnte Wieland, wenigstens anfangs, keinen Geschmack abgewinnen, obgleich die Fesseln, die es ihm anlegte, seinem eignen Geständnis nach, nichts weniger als drückend waren. Etwas Erfreuliches hatte für ihn aber doch die Nähe einer durch Geist und Herz ausgezeichneten Fürstin, deren vielseitig gebildeter Geschmack sie für alles Große und Schöne, für Wissenschaft und Kunst im weitesten Sinne des Worts, empfänglich machte. Darum versammelte sie gern einen Kreis feingebildeter Männer und Frauen um sich, und jedes Talent konnte sich in ihrer Nähe umso freier entwickeln, da Humanität und Herablassung zu den Hauptzügen ihres Charakters gehörten, wodurch sie sich allgemeine Liebe und Verehrung erwarb. An seinen fürstlichen Zögling, den Erbprinzen Carl August, der durch treffliche Anlagen und liebenswürdige Eigenschaften zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, sah sich Wieland bald durch ein Band wechselseitiger Zuneigung immer inniger geknüpft. Das Interesse für das Wahre, Gute und Schöne in seinem fürstlichen Zögling zu wecken und zu nähren, war die Hauptaufgabe, die sich Wieland bei seinem Unterricht stellte. Ein Zeugnis davon gab er, als er den Geburtstag des Erbprinzen durch eine allegorische Dichtung in dramatischer Form, „die Wahl des Herkules“ betitelt, feierte.
Wielands Interesse an der dramatischen Poesie ward genährt durch die Seylersche Schauspielergesellschaft, deren Mitglieder, zu denen der berühmte Eckhof gehörte, damals Vorstellungen in Weimar gaben, wo sich noch keine stehende Bühne befand. Weder den Dramen, noch den komischen Operetten, meistens französischen Mustern nachgebildet, konnte Wieland eigentlichen Geschmack abgewinnen, wenn er jenen Produkten auch nicht geradezu allen Werth absprach. Eine größere Wirkung hoffte er von der bisher gänzlich vernachlässigten ernsten Oper. Schon in Erfurt hatte ihn dieser Gegenstand beschäftigt und ihm manche Erklärungen abgenötigt, seit er seines Freundes Jacobi Cantaten und besonders dessen „Elysium“ gelesen hatte.
Den Beifall, den ein damals von Wieland gedichtetes Singspiel „Aurora“ fand, als es, von Schweizer komponiert, aufgeführt ward, ermutigte ihn zu einem größeren musikalisch-dramatischen Versuche. So entstand Wielands Oper „Alceste,“ die im Mai 1773 zum ersten Mal aufgeführt ward. Gleichzeitig schrieb er seinen „Versuch über das Singspiel.“ Wielands Freude über die günstige Aufnahme seiner „Alceste“ ward vermehrt, als der berühmte Gluck ihn aufforderte, für ihn eine ähnliche Oper zu schreiben.
Abgelenkt ward Wieland von der dramatischen Poesie durch ein literarisches Unternehmen, das seine Zeit und Kräfte fast übermäßig in Anspruch zu nehmen drohte. Der sehr beliebte Mercure de France gab ihm die Idee zur Herausgabe einer ähnlichen Zeitschrift, die unter dem Titel: „Der deutsche Merkur“ erscheinen sollte. Wieland hoffte von diesem Journal eine weitverbreitete Wirkung auf seine Zeitgenossen, und versprach sich selbst davon für die Zukunft eine in ökonomischer Hinsicht gesicherte Lage. Nach seinem Plane sollten in jener Zeitschrift Gedichte und Aufsätze in Prosa von allgemeinem Interesse mit kritischen Übersichten der neuesten Erscheinungen im Gebiet der Philosophie, Geschichte, Politik und schönen Literatur abwechseln. Die aufzunehmenden Rezensionen sollten besonders auch dazu dienen, parteiische und unbillige Urteile über die vorzüglichsten Schriften zu berichtigen. Wieland begann die Herausgabe des „deutschen Merkur,“ stieß jedoch bald auf nicht vorhergesehene Hindernisse. „Ohne die Beihilfe unserer besten Schriftsteller vermag ich nichts,“ gestand er in einem seiner Briefe. Unter den Mitarbeitern, die er für sein Journal zu gewinnen wünschte, waren Lessing, Herder, Garve, Möser u. a. zu beschäftigt mit eignen literarischen Arbeiten, um ihm eine ununterbrochene Teilnahme am „deutschen Merkur“ zusichern zu können. Andere Schriftsteller, die ihm nützlich werden konnten, kannte er zu wenig; von mehreren wusste er kaum, wo sie lebten, oder welche Stellung sie behaupteten. Unter seinen nähern Freunden und Bekannten musste er sich die Mitarbeiter für sein Journal wählen, welches ihm übrigens, da er nicht bloß die Herausgabe, sondern auch den Verlag übernommen hatte, bald durch eine ausgebreitete Korrespondenz und durch mannigfache Irrungen mit Papierhändlern, Druckern und Korrektoren unsäglichen Verdruß bereitete. Seinem Freunde Jacobi gestand Wieland: „er sei des Merkurs schon satt, noch ehe er begonnen.“ Von den Sorgen der Geschäftsführung, für die es ihm durchaus an Talent fehlte, befreite ihn Bertuch, der nachherige Legationsrath und Besitzer des Industrie-Comptoirs in Weimar, welche damals sich der Erlernung des Buchhandels widmete, und ihm mit Rat und Tat hilfreich zur Seite stand.
Wielands kühnste Erwartungen übertraf die Zahl der Abonnenten bald nach der Ankündigung des „deutschen Merkur.“ Eine Auflage von 2000 Exemplaren war in kurzer Zeit vergriffen, ungeachtet die innere Ausstattung des ersten Hefts sehr dürftig ausgefallen war. Außer Wieland und Jacobi hatte kein Schriftsteller von anerkanntem Werth einen Beitrag geliefert. Gotter, Bürger, Möser u. a. hatten sich anonym unterzeichnet. Es war aber weniger der Mangel an berühmten Namen, als die im „deutschen Merkur“ enthaltene Kritik, was bald ein nachteiliges Licht auf jene Zeitschrift warf, die so vielversprechend angekündigt worden war. Auf eine leidenschaftliche Gegenwirkung musste Wieland gefasst sein, als er sich zu einem strengen Kunstrichter aufwarf. Schwerlich aber ahnte er das Schicksal, dass er durch seine Urteile es mit allen Parteien auf einmal verderben und selbst mit denen zerfallen würde, die er für seine treusten Freunde hielt.