Der Einfluss junger talentvoller Köpfe wirkte aufregend für Wielands geistige Kraft, zu einer Zeit, wo er in seinen „Unterredungen mit einem Pfarrer“ eine Apologie seiner früheren Schriften niedergelegt hatte. Manche Pläne entwarf er damals, seinen „deutschen Merkur“ gemeinnütziger zu machen. Nichts, meinte er, würde dieser Zeitschrift mehr aufhelfen, als wenn man „mehr Urteile über Bücher und andere Dinge“ hinein brächte. „Den Leuten,“ schrieb Wieland, „liegt an nichts so viel, als zu wissen, was sie über alles Vorkommende denken und sagen sollen.“ Seltener waren allmählich die Beiträge geworden, durch welche Goethe, Herder, Jacobi u. a. vor dem Jahre 1776 sein Journal, dessen Aufnahme ihm sehr am Herzen lag, unterstützt hatten. Es enthielt mehr Aufsätze von seiner eignen Feder, und fast alle seine Werke teilte er bruchstückweise zuerst in dem „deutschen Merkur“ mit.

Seine fast ununterbrochene Beschäftigung mit der Literatur der Griechen und Römer entzog ihn nicht philosophischen und historischen Studien im weitesten Umfange des Worts. Zugleich blieb ihm ein lebendiges Interesse für alle Ereignisse der Gegenwart. Die Fortschritte des Menschen in seiner Geisteskultur beobachtete Wieland mit scharfem Auge. Er machte sich mit den neuern Reisebeschreibungen und mit jeder wichtigen Entdeckung bekannt. Sein reger Geist durchwanderte das große Gebiet der Wissenschaften und Künste nach allen Richtungen hin. Dadurch erhielt er reichhaltige Materialien zu größeren und kleinen Aufsätzen für den „deutschen Merkur.“ Die meisten jener Aufsätze charakterisierte das Streben, Aufklärung zu verbreiten zu einer Zeit, wo schwärmerische Köpfe, wie der Pater Gaßner in Wien, der berüchtigte Graf Cagliostro, Meßmer, Schröpfer u. a. dem Zeitgeiste eine so wunderbare Richtung gaben, dass man sich des Unglaubens auf der einen Seite, und des Aberglaubens auf der andern beschuldigte. Behutsam aber glaubte Wieland zu Werke gehen zu müssen, und nicht zu verkennen war seine Gewissenhaftigkeit in Allem, was er über religiöse Gegenstände schrieb.

Unter seinen mannigfachen Studien und Beschäftigungen ward er der Dichtkunst nicht untreu. In diese Zeit seines Lebens fallen die poetischen Erzählungen: „Gandelin“ oder „Liebe um Liebe“; das „Winter- und Sommermärchen“; „Pervonte“; der „Vogelfang“ oder „die drei Lehren“, „Hann und Gulpenheh“ u. a.m. Seine Natur neigte sich entschieden zur romantischen Poesie. Nach seinen eignen Äußerungen war er überzeugt, dass sich „dem Märchen ein höherer Zweck unterlegen lasse, als bloße Unterhaltung kleiner und großer Kinder.“ Bei den meisten der vorhin erwähnten Gedichte hatte Wieland französische Quellen benutzt, die Fabliaux von Chretien de Troyes, die Lays de l'Oiselet u. a.m. Aus einer altfranzösischen Sage, Huon de Bordeaux betitelt, schöpfte Wieland auch den Stoff zu seinem „Oberon“, durch den er seinen Dichterruhm für immer begründete.

Für eine eigentümliche Schönheit des Plans und der Komposition seines Epos hielt Wieland, nach seinem eignen Geständnis, „die Art und Weise, wie die Geschichte von Oberons Zwist mit seiner Gemahlin Titania in der Geschichte Hüons und Rezias eingewebt worden sei.“ Er schrieb darüber einem Freunde: „Oberon ist nicht nur aus zwei, sondern, wenn man es genau nehmen will, aus drei Haupthandlungen zusammengesetzt, nämlich aus dem Abenteuer, welches Hüon auf Befehl des Kaisers zu bestehen übernommen, der Geschichte seines Liebesverhältnisses mit Rezia, und der Wiederaussöhnung der Titania mit Oberon. Aber diese drei Handlungen oder Fabeln sind dergestalt in Einen Hauptknoten verschlungen, dass keiner ohne die andern bestehen, oder einen glücklichen Ausgang gewinnen könnte. Ohne Oberons Beistand würde Hüon Kaiser Carls Auftrag unmöglich haben ausführen können; ohne seine Liebe zu Rezia, und ohne die Hoffnung, welche Oberon auf die Treue und Standhaftigkeit der beiden Liebenden, als Werkzeuge seiner eignen Wiedervereinigung mit Titania gründete, würde dieser Geisterfürst keine Ursache gehabt haben, einen so innigen Antheil an ihrem Schicksal zu nehmen. Aus dieser, auf wechselseitige Unentbehrlichkeit gegründeten Verwebung ihres verschiedenen Interesses entsteht eine Art von Einheit, die meines Erachtens das Verdienst der Neuheit hat, und deren gute Wirkung der Leser durch sein eigene Teilnahme an den sämtlichen handelnden Personen zu stark fühlt, als dass sie ihm irgend ein Kunstrichter wegdisputieren könnte.“

In seinem „Oberon“, der sich dadurch von Wielands bisherigen Gedichten unterschied, dass durchaus keine Spur von satirischer Tendenz darin zu entdecken war, hatte er alle Elemente des Romantischen zu vereinigen gesucht, Schwärmerei im Heroismus, in der Liebe und der Religion. „Es scheint“, schrieb er, „einer der feinsten Kunstgriffe in Gedichten romantischer Gattung, dass man die Genien und Feen als Wesen einer höheren Ordnung und Bürger einer andern Welt einführt, deren Natur, Wirkungskreis und Geschichte für uns immer etwas Rätselhaftes, Geheimes und Unerklärliches hat, auch alsdann, wenn unsre Begebenheiten durch eine noch höhere und geheimere Ordnung der Dinge, die man wohl Schicksal nennt, in die übrigen eingeflochten, und wir, ohne zu wissen, wie und warum, Werkzeuge abgeben, wodurch das Schicksal ihnen Gutes erweist.“

Wieland war noch beschäftigt mit seinem „Oberon“, als das Studium der Alten, an dem er noch immer mit Liebe hing, in ihm die Idee weckte, seinen Lieblingsdichter Horaz zu übersetzen. Ausgeführt ward diese Idee erst, als er den „Oberon“ vollendet hatte. Wieland beschränkte sich in seiner Übersetzung des Horaz nur auf die Briefe und Satiren des römischen Dichters. Es war ihm mehr darum zu tun, den Geist seines Originals wiederzugeben, als sich streng an die Form zu halten und die Treue seiner Übersetzung bis auf das Buchstäbliche auszudehnen. Um die Manier und den Ton seines Autors besser zu treffen, wählte er, statt des Hexameters, den jambischen Vers, den er für geeigneter hielt, die Leichtigkeit und Gewandtheit der Konversationssprache wiederzugeben. Auch bei seiner Übersetzung des Lucian, die er einige Jahre später unternahm, ging er mit gleicher Freiheit zu Werke, wodurch der Ausdruck bald kürzer, bald weitläufiger ward als der des Originals. Einen bleibenden Wert verlieh er seinen Übersetzungen, durch die denselben beigefügten Einleitungen und Erläuterungen, die von der gründlichsten Sachkenntnis zeugten. An die Übersetzung des Lucian erinnerte sich Wieland noch in späteren Jahren oft mit Vergnügen. Zwischen ihm und jenem Autor fand eine Art von Geistesverwandtschaft statt, und Wieland äußerte scherzend, dass er während jener literarischen Arbeit sich oft dem Glauben an eine Seelenwanderung überlassen habe.

Einen sehr ernsten Zweck suchte Wieland zu verfolgen in seinen großenteils durch die politischen Ereignisse veranlassten „Gesprächen in Elysium“ und in seinen „Göttergesprächen.“ Früher, als diese Schrift, entstand ein Werk, das durch seinen Inhalt große Sensation erregte. Die erste Idee zu seiner „Geschichte der Abderiten“ gaben ihm vermutlich Erinnerungen an die republikanische Verfassung seiner Vaterstadt Biberach und eine Vergleichung jener Konstitution mit der monarchischen Regierung in Weimar. Er ward jedoch immer vorsichtiger und behutsamer in seinen Schriften und Aufsätzen über politische Gegenstände. Schon sein Verhältnis zum Weimarischen Hofe bestimmte ihn, in dieser Hinsicht Rücksichten zu nehmen. Sein Freund Jacobi musste sich's gefallen lassen, dass Wieland in den für den „deutschen Merkur“ bestimmten Bruchstücken des Romans „Alwill“ mehrere Stellen strich, besonders eine über den Fürstendienst. Er schrieb darüber an Jacobi: „Gott weiß, wie Du, mit dem Bewusstsein deiner und meiner Verhältnisse, so etwas hinschreiben konntest, dass ich's drucken lassen sollte.“ Bescheidenheit hielt Wieland für eine unerlässliche Bedingung, unter der ein Privatmann öffentlich über Staatsangelegenheiten sprechen, und über Maßregeln, von denen das Wohl oder Wehe ganzer Nationen abhängig sei, ein Urteil fällen sollte. Er war der Ansicht: die Wünsche des Volks und die Meinung verständiger und unparteiischer Männer zu vernehmen, müsse den Fürsten immer willkommen sein, solange sie noch keine entschiedene Partei ergriffen hätten. Sei aber einmal der unglückliche Wurf geschehen, so könne das Einmischen von Privatleuten und ihr Urteil über die ergriffenen Maßregeln nichts mehr helfen, wohl aber schaden. Wiederholt warnte Wieland vor dem Missbrauch der Presse. Aber eine Reform in den politischen Verhältnissen wünschte und hoffte er sehnlich. Eine kühnere Sprache als manche seiner Äußerungen erwarten ließen, führte Wieland in einem 1784 gedruckten Aufsatze.

„Wenn man“, äußerte er darin, „mit der Religion und der Priesterschaft fertig ist, so wird wahrscheinlich auch die Reihe an Untersuchungen kommen, die unsern weltlichen Gewalthabern nicht behagen dürften, so gleichgültig auch das Gefühl ihrer Stärke sie jetzt dagegen machen mag. Denn auch sie wird man endlich fragen: Aus welcher Macht tut ihr dies und das? Von wem habt ihr diese Macht empfangen, und wem habt ihr Rechenschaft davon zu geben? Worauf gründen sich eure Vorrechte, Besitztümer und Ansprüche? Wenn sich alle eure Vorrechte — wie uns unsre Philosophen von allen Dächern herabpredigen — auf einen bloßen Vertrag zwischen uns und euch gründen; wenn alles, was ihr besitzt, bloß anvertrautes Gut ist, und euer Ansehen keinen andern rechtschaffenen Grund hat, noch haben kann, als eine von uns empfangene bedingte Vollmacht, die wir alle Tage zurücknehmen können, sobald wir uns auf eine vorteilhaftere Art einzurichten wissen: wie könnt ihr erwarten, dass so aufgeklärte Leute, wie wir, in der wichtigen Angelegenheit unsres zeitlichen Lebens euch eine willkürliche und unbeschränkte Gewalt über unsere Personen, unser Eigenthum und unser Leben einräumen werden? Ehe wir euern Verordnungen gehorchen, wollen wir untersuchen, ob sie uns glücklich machen werden. Ehe wir euch Subsidien bewilligen, wollen wir erst wissen, wie ihr sie zu unserm Nutzen anzuwenden gedenkt. Und ehe wir uns an die Schlachtbank führen, oder uns der Gefahr aussetzen lassen, unser Feld verwüstet, unsre Wohnungen angezündet und unsere Söhne in die Kriegsknechtschaft geführt zu sehen, wollen wir vorher untersuchen, was uns daran gelegen ist, ob ihr etliche Quadratmeilen mehr oder weniger zu besteuern habt, oder nicht.“

Diese Äußerungen waren prophetische Worte, die bald nach Friedrichs II. Tode (1786) und noch mehr durch die späteren politischen Ereignisse sich bewährten. Die Stellung, welche Wieland damals als Schriftsteller und Journalist zu behaupten suchte, bezeichnete er selbst in den Worten:

„Es ist eben so wenig meine Absicht, unserm Jahrhundert Hohn zu sprechen, als ihm zu schmeicheln. Ich halte es für eins der wirksamsten Mittel, seine Zeitgenossen zu bessern, wenn man ihnen, wie Swift, immer beleidigende Dinge sagt. Sie immer zu streicheln und liebzukosen und einzuwiegen und in Schlaf zu singen, taugt nichts.“

Die Rechte der Menschheit gegen den Druck des Despotismus in Schutz zu nehmen, war Wielands unablässiges Bestreben. Bei der sich immer mehr ausbreitenden Aufklärung, bei den immer rascheren Fortschritten der Kultur, hielt er den Zeitpunkt nicht für entfernt, wo, nach seinem eignen Ausdruck „die schafsmäßigsten Menschen zu Tigern werden könnten.“ Nur einer einzigen Kommotion, meinte er, bedürfe es, „um zehn oder zwanzig Millionen, die nichts mehr als das nackte Leben zu verlieren hätten, dahin zu bringen, auch dies gegen Alles aufs Spiel zu setzen.“

Wielands Welt- und Menschenkenntnis hatte ihn nicht getäuscht. Noch vor dem Schluss des achtzehnten Jahrhunderts gingen seine Worte durch den Ausbruch der französischen Revolution fast buchstäblich in Erfüllung. Wie mächtig dies politische Ereignis auf ihn eingewirkt, zeigten mehrere Schriften und Aufsätze, in denen er seine politische Meinung niederlegte. Kosmopolit im eigentlichsten Sinne des Worts, durfte er sich wohl das Zeugnis geben, dass „in Allem, was er seit dem 14. Juni 1789 über die öffentlichen Begebenheiten in Frankreich geschrieben habe, ein gewisser Geist von Unparteilichkeit, Billigkeit und Mäßigung atme.“

Die Hauptmaxime, die ihn „in seinem Urteil über die menschlichen Dinge“ leitete, zeigte Wielands eignes Geständnis. „Nie vergesse ich,“ schrieb er, „dass Menschen in allen Umständen und Zeiten weder mehr noch weniger, als Menschen sind. Daher kommt es, dass nicht leicht etwas so gut oder schlimm, so vernünftig oder so albern, so edel oder so schlecht ist, dass ich es ihnen nicht unter gewissen Umständen zutrauen sollte. Daher kommt es, dass ich nichts Vollkommenes von ihnen erwarte, und mich nie darüber formalisiere, wenn sie, zumal in außerordentlichen Lagen und im Gedränge großer Schwierigkeiten, nicht wie Götter, reine Geister oder stoische Weise, sondern nur wie arme Erdenklöse, weder weiser, noch konsequenter, noch uneigennütziger handeln, als man es seit so vielen Jahrtausenden von den Adamskindern gewohnt ist, oder doch billig gewohnt sein sollte.“

Von den Greueln der französischen Revolution wandte sich Wieland mit Abscheu hinweg. Die Vaterlandsliebe regte sich wieder mächtiger in ihm. Rühmend hob er das Gute hervor in der wegen ihrer Mängel oft von ihm getadelten Konstitution der deutschen Staaten. In der Liebe zu der bestehenden Verfassung zeigte sich ihm die wahre Vaterlandsliebe. „Was kann,“ schrieb er, „deutscher Patriotismus anders sein, als das aufrichtige Bestreben, zur Erhaltung und Vervollkommnung der gegenwärtigen Verfassung des gemeinen Wesens alles beizutragen, was jeder, nach seinem Stande, Vermögen und Verhältnis zum Ganzen dazu beizutragen fähig ist? Mit wie vielem Rechte kann man von uns Deutschen sagen, was der römische Dichter von den Landleuten sagt: Felices sua si bona norint! Glücklich, wenn der Schlummer der Gewohnheit uns nicht gleichgültig, blind und undankbar gegen die größten Wohltaten unserer Verfassung gemacht hätte; wenn wir ihrer nicht genössen, wie der Gesundheit, deren hohen Wert man erst fühlt, wenn man sie verloren.“

Als politischer Schriftsteller entging Wieland nicht dem Schicksal, wegen seiner Grundsätze von allen Parteien, sowohl der monarchischen, als aristokratischen und demokratischen, verkannt, und oft hart angefochten zu werden. Seine heftigsten Gegner waren die Aristokraten, die ihm seine Abneigung gegen das Kastenwesen und Privilegien aller Art sehr verübelten. Gegen den Vorwurf, „die Schuster- und Schneider-Aufklärung befördert zu haben,“ verteidigte sich Wieland mit den Worten: „Meiner geringen Meinung nach, ist das Beste für den Schuster — Schuhe zu machen. Sollte aber — was denn am Ende doch auch keine Unmöglichkeit ist — ein Schuster glauben, dass er auch ultra crepidam etwas Gemeinnütziges oder ein Wort zu seiner Zeit zu sagen habe, warum sollte das nicht erlaubt sein? Einer von Sokrates bravsten Jüngern war zwar kein Schuster, aber doch einer, der für die Schuster arbeitet, ein Gerber; und die Athenienser konnten es wohl leiden, in mehr als dreißig Sokratischen Dialogen, die er schrieb, die Wahrheit zu hören. Und sagte nicht der wackere Schuster Hans Sachs seinen Nürnbergern und der ganzen Welt, in seinem naiven Reimen manche heilsame, mitunter auch manche derbe Wahrheit, ohne dass ein Mensch etwas dagegen einzuwenden hatte? — Aber freilich hatte man auch vor 200 Jahren in Deutschland noch etwas mehr Respekt vor einem Menschen und vor einem Bürger, als heut zu Tage!“

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