Durch Verschiedenheit der Meinung sah sich Wieland oft den heftigsten Angriffen bloßgestellt. Das Bewußtsein, einen guten Zweck verfolgt zu haben, musste ihn trösten. Dass er oft schärfer gesehen, als Andere, und manches in prophetischem Geiste gesprochen hatte, bewies er in seinen „Gesprächen unter vier Augen“ durch den Vorschlag: das demokratische Frankreich möchte zu seiner eignen Rettung — Bonaparte zum Diktator ernennen. In jenen politischen Dialogen sah Wielands Blick weit in die ferne Zukunft hinaus, und in mehreren Schilderungen entwarf er ein anschauliches Bild von der Zeit, die jenseits der Grenzen seines Lebens lag.

Von solchen Beschäftigungen ward Wieland wieder zu den Musen zurückgeführt in den geistreichen Zirkeln, welche die Herzogin Amalia in Ettersburg und Tiefurth zu versammeln pflegte. Was irgend im Gebiet der Poesie und Musik von Bedeutung schien, ward in jenen Zirkeln, an denen Goethe, Herder, Einsiedel, Knebel, Bertuch u. a. Teil nahmen, zu einem Gegenstande der Unterhaltung. Ländliche Feste und Schauspiele, in denen die eben genannten Männer, nebst einer Corona Schröter, Amalie v. Göchhausen u. a. geistreichen Damen sich in die Rollen teilten, wechselten mit Ergötzlichkeiten anderer Art ab. Einen Beitrag zu den dramatischen Vorstellungen jener Dilettantengesellschaft, die bald das Schloss zu Ettersburg, bald die nahgelegene Waldung zum Schauplatz wählte, lieferte Wieland in seiner „Pandora.“ Mehrere Gedichte und Aufsätze legte er auch in dem noch handschriftlich erhaltenen „Tiefurther Journal“ nieder.

In solchen Kreisen fühlte sich Wieland sehr behaglich, so wenig er sonst auch dem Hofleben und der damit verbundenen Etiquette Geschmack abgewinnen konnte. Noch in späterer Zeit pries er oft das Glück, so geistreichen Zirkeln angehört zu haben, die durch den lebhaften Austausch der mannigfachsten Ideen für ihn immer das Interesse der Neuheit behielten. Die in einem Briefe vom Jahr 1782 enthaltene Schilderung der völligen Zufriedenheit mit seiner Lage passte auch für seine späteren Lebensjahre. Jenes Schreiben enthielt das Geständnis: „In einer erwünschten Befreiung von öffentlichen Geschäften lebe ich den Musen und mir selbst, ein unscheinbares, aber glückliches Leben, begünstigt durch die Gnade meines Fürsten und durch die Liebe vieler Rechtschaffenen.“

Der erwähnte Brief schilderte ihn zugleich „umgeben von einer zahlreichen, um ihn her teils aufblühenden, teils noch aufkeimenden Familie, die seine Existenz auf die interessanteste Weise vervielfältige und durch die süßen Sorgen und angenehmen Pachten des Hausvaters sein sonst sehr einförmiges Leben vor Stockung bewahre.“ Fühlbar musste ihm jedoch werden, dass er, bei aller Sparsamkeit, seinen literarischen Fleiß verdoppeln musste, wenn er für den anständigen Unterhalt seiner nicht kleinen Familie gehörig sorgen wollte. Von vierzehn Kindern, die ihm seine Gattin geboren, lebten damals noch elf. Der Vorteil, den er bisher von seinen schriftstellerischen Arbeiten gezogen, war gering. Den meisten Gewinn hatte er noch der Herausgabe des „deutschen Merkurs“ zu danken gehabt. Bei den meisten seiner früheren poetischen Werke hatte er sich mit einem Dukaten für den Druckbogen begnügen müssen. In Bezug auf das Honorar für seine „Komischen Erzählungen“ gestand Wieland einem Freunde: „Jedermann, welcher weiß, dass in Frankreich dem mittelmäßigsten Reimer und Romanschreiber wenigstens zwei Louisd'or für den Bogen bezahlt werden, lacht mich aus, dass die Komischen Erzählungen mir nicht mehr noch weniger eingetragen haben, als fünf Gulden für den Bogen.“

Einigermaßen verbessert hatten sich Wielands literarische Einkünfte durch seine Bekanntschaft mit dem Buchhändler Reich in Leipzig, der ihm für das Gedicht „Musarion“ ein Honorar von dreißig Dukaten und für den „Diogenes von Sinope“ fünfzig gesendet hatte. Der Gelehrtenbuchhandlung in Dessau hatte Wieland eine nicht unbedeutende Summe auf Aktien geliehen und sie größtenteils eingebüßt. Zurückgeschreckt durch so bittere Erfahrungen, schwankte er, ein Capital von 1000 Thalern daran zu wagen, als die Unternehmer der Jenaischen Literaturzeitung, Schütz und Bertuch, ihn im Jahr 1784 zum Beitritt aufgefordert hatten. Dagegen trat Wieland, nach Reichs Tode, in nähere Verbindung mit dem damals noch sehr jungen Buchhändler Göschen in Leipzig, der zuerst den „Peregrinus Proteus“ und die „Göttergespräche“ druckte, und nachher der Verleger von Wielands sämtlichen Werken ward.

Durch eine genaue Revision und Feile wünschte Wieland seinen Schriften den höchsten Grad von Vollendung zu geben. In der Ankündigung der Gesamtausgabe seiner Werke im zwölften Stück des „deutschen Merkur“ vom Jahr 1793 äußerte Wieland, dass ihn jene Arbeit schon seit einigen Jahren beschäftige. „Ich widme ihr,“ schrieb er, „die heitersten Tage und Stunden meines Lebens, und spare weder Zeit noch Mühe, um den kleinsten Flecken wegzubringen, den ich an einem bereits vollendet scheinenden Werke gewahr werde. Es ist ein süßer Gedanke, zumal in den letzten Herbsttagen des Lebens, auch nach seinem Tode noch unter den Menschen, die man geliebt hat, fortzuleben, ihnen noch wert und nützlich zu sein, und von den Besten unter ihnen noch geliebt zu werden. Wenn auch die Hoffnung, dass die Zukunft diesen Gedanken realisieren werde, nur Täuschung wäre: welche Aufforderung, welche Nachtwachen könnten zu viel sein, um sich noch in seinem Leben eine so süße Täuschung zu verschaffen? Niemand kann es stärker fühlen und einsehen, als ich selbst, dass, meiner angestrengtesten Bemühungen ungeachtet, auch die besten Produkte meines Geistes noch immer weit unter meiner eignen Idee, geschweige denn unter den Ideal des Schönen und Guten in ihrer Art bleiben. Dieser Gedanke wird meine Aufmerksamkeit schärfen, und meinen Fleiß verdoppeln; und so werde ich, was auch der Erfolg sein mag, die Welt dereinst desto ruhiger verlassen können, wenn ich mir bewusst sein werde, alles, was in meinen Kräften stand, getan zu haben, um ihr meinen geistigen Nachlass so wohl beschaffen und in so guter Ordnung, als mir möglich war, zu hinterlassen.“

Bei der Durchsicht seiner Schriften überzeugte sich Wieland, wie sehr sein Stil und Geschmack sich allmählich geläutert hatten. Seinen Jugendarbeiten beurteilte er mit nachsichtsloser Strenge. Nur wenige nahm er in die Sammlung seiner Werke auf. Den meisten Wert legte er noch auf seine „moralischen Erzählungen.“ Nach einem seiner damaligen Briefe hielt er diese Erzählungen „für das Beste von allem, was er vor seinem fünf und zwanzigsten Jahre geschrieben habe.“ Über den Platz, den er seinen ersten schriftstellerischen Versuchen in der Gesamtausgabe seiner Werke anweisen sollte, schwankte er lange. In Bezug auf seine Erzählung: „Araspes und Panthea“ äußerte er in einem Briefe an seinen Verleger Göschen: „Ich finde, dass es die höchste Unschicklichkeit wäre, dies noch sehr jugendliche und meinen früheren Jugendwerken noch viel zu ähnliche Produkt an die Spitze meiner sämtlichen Schriften zu stellen, und zwar nicht hinsichtlich des Inhalts oder der darin geäußerten Geisteskräfte (in welcher Rücksicht es nicht zu verachten ist), sondern weil mein Geschmack und Stil damals noch zu unreif, und von dem, was er im Agathon und im goldenen Spiegel ist, noch zu weit entfernt war.“ Oft verwarf Wieland wieder die bereits getroffenen Anordnungen. Endlich entschloss er sich, seine Jugendarbeiten der Ausgabe seiner Werke beizufügen, weil sie doch, wie er äußerte, „gewissermaßen zur Geschichte unserer Literatur gehörten und zeigten, von welchem Punkte er ausgegangen sei.“

Längere Zeit beschäftigte sich Wieland mit dem Gedanken, auch seine Übersetzungen in die Sammlung seiner Werke aufzunehmen. Über diese Idee, die er wieder verwarf, äußerte er sich in einem Briefe vom 1. November 1793 mit den Worten: „Alle Welt stimmt mit Recht darin überein, dass meine Übersetzungen des Horaz und des Lucian so viel von meinem Eignen haben, und sich so weit von der gewöhnlichen Übersetzer-Manier entfernen, dass sie so gut, als irgend eins meiner Originalwerke in eine Sammlung aller meiner Schriften gehören, zumal da der Kommentar einen ebenso beträchtlichen Teil ausmacht. Ich glaube es dem Publikum schuldig zu sein, dass die allgemeine Ausgabe aller meiner Werke, auch die Satiren und Briefe des Horaz, und wenigstens die auserlesenen Werke Lucians nebst meinem Kommentar enthalte.“

Im Allgemeinen erklärte sich Wieland über die Gesamtausgabe seiner Schriften in einem Briefe vom 30. Juni 1795 mit den Worten: „Unter meinen sämtlichen Werken will ich eigentlich nichts verstanden haben, als was ich nach meiner besten Überzeugung für wert halte, unter die besten und reifsten Produkte meines Geistes aufgenommen zu werden.“ Mehrere seiner Werke wurden von ihm umgearbeitet, um sie dem ihm vorschwebenden Ideal von Vollkommenheit möglichst zu nähern. Er scheute weder Zeit noch Mühe, siebzehn Gesänge seines „Neuen Amadis,“ dessen „licensiöse Versart“ ihm nicht behagte, in zehnzeilige Stanzen umzuschmelzen. Nach seinem eignen Geständnis ging Wielands Bemühen hauptsächlich darauf hinaus, sowohl dem eben erwähnten Gedicht, als seinen übrigen poetischen Arbeiten, „ohne Nachtheil der ungezwungenen Leichtigkeit, Korrektheit des Stils und der Sprache zu geben.“ Zu Anfange des Februar hatte er die „wirklich mühsame Revision der dreißig Bände seiner sämtlichen Werke“ vollendet. Er sah sich dadurch mancher Sorgen überhoben. Einer reinen Freude überließ er sich indes erst, als die empfangenen Nachrichten von zahlreichen Subskriptionen einigermaßen seine Besorgnisse milderten, dass das Unternehmen für seinen Verleger einen bedeutenden Verlust herbeiführen möchte.

Die politischen Ereignisse vermehrten in dieser Hinsicht Wielands Besorgnis. Nicht für sonderlich günstig hielt er den Moment, in welchem die Gesamtausgabe seiner Werke ans Licht trat. „Wir sind leider,“ schrieb er, „in eine unglückliche Zeit gefallen, und selbst die Hoffnung, das Einzige, was uns zum Trost noch übrig blieb, scheint bereit, mit jedem Augenblicke die Flügel aufzuspannen, und uns durch die Flucht einem Zustande zu überlassen, der durch seine Ungewissheit beinahe noch schlimmer ist, als das Ärgste, was uns wirklich treffen kann.“ Manches Unerfreuliche brachte ihm aber auch schon die Gegenwart. Wielands Unmut kannte keine Grenzen, als ein Wiener Nachdruck seiner Werke, ihren rechtmäßigen Verleger, der bei dem Unternehmen kein Opfer gescheut, mit einem bedeutenden Verlust bedrohte.

In seinem Familienkreise musste Wieland Trost und Erheiterung suchen, und er suchte dort beides nicht vergebens. Kaum hätte er eine Gattin finden können, die die Pflichten einer tätigen Hausfrau und sorgsamen Mutter pünktlicher erfüllt hätte, als seine liebe Dorothea. Ungestört konnte er den größten Teil des Tages an seinem Arbeitstisch zubringen, und dadurch nach allen Kräften für das Wohl seiner Familie sorgen. Ohne durch ihr Äußeres, noch durch Talente sich auszuzeichnen, war Wielands Gattin sein höchstes Lebensglück. In einem seiner Briefe nannte er sie ein Muster jeder weiblichen und häuslichen Tugend. „Sie ist“, schrieb er, „frei von jedem Fehler ihres Geschlechts, mit einem Kopf ohne Vorurteil, und mit einem moralischen Charakter, der einer Heiligen Ehre machen würde. Die Jahre, die ich mit ihr lebe, sind herangekommen, ohne dass ich nur ein einziges Mal gewünscht hätte, nicht verheiratet zu sein. Im Gegenteil ist sie und ihre Existenz so mit der meinigen verwebt, dass ich nicht acht Tage von ihr entfernt sein kann, ohne etwas dem Schweizer-Heimweh Ähnliches zu empfinden.“ Die innige Liebe zu seiner Gattin gab ihm auch in einem Briefe an Gleim die Worte ein: „Gott hat mich aus einer Gefahr erlöst, an die ich ohne Schaudern nicht denken kann. Ich war nahe daran, oder wenigstens machte mich Liebe und Angst denken, das beste, für mich allein geschaffene Weibchen zu verlieren. Alle lieben Engel Gottes haben Mitleid mit mir und meinen armen Kindern gehabt; wir haben unser bestes Mütterchen wieder, und sie befindet sich außer Gefahr.“

Die Geburt eines Kindes hielt Wieland immer für einen Zuwachs seiner häuslichen Glückseligkeit. Mit reiner Vaterfreude betrachtete er die Entwicklung der „kleinen krabbligen Mitteldinger von Äffchen und Engelchen“, wie er seine lieben Sprösslinge scherzweise nannte. Es war ein herzerfreuender Anblick für ihn, und oft bat er einen auswärtigen Freund, doch zu ihm zu kommen und seine Freude darüber zu teilen, dass die Herzogin Mutter, der Herzog, Prinz Constantin, Goethe, Gleim u. a. bei der Taufe seiner Kinder Patenstellen übernommen. Seine Gattin hatte ihm vierzehn Kinder geboren, von denen ihm sechs Töchter und drei Söhne am Leben blieben. Zwei liebe Kinder, Philipp und Wilhelm, entriss ihm der Tod. „Die Zeit“, schrieb Wieland „heilt wohl Wunden dieser Art, aber die Narbe, die sie zurücklassen, bleibt so lange wir leben.“

Noch ehe ihn jener zwiefach harte Schicksalsschlag getroffen, hatte Wieland seiner Jugendfreundin Sophie la Roche geschrieben: „Ich habe eine ganz artige Nachkommenschaft um mich her, alle so gesund und munter, gutartig und hoffnungsvoll, jedes in seiner Art, dass ich meine Lust und Freude daran habe, und mich gerade wegen dessen, was die Meisten für eine große Last halten würden, für einen der glücklichen Sterblichen auf Gottes Erdboden halte. Das Alter überschleicht mich ganz unmerklich mitten unter dieser um mich aufsprossenden und aufblühenden jungen Welt. Ich erfahre je länger je mehr, dass alle wahre menschliche Seligkeit innerhalb der Räume des ehelichen Lebens liegt. Ich werde immer mehr Mensch, und in eben der Proportion immer glücklicher und besser. Arbeiten wird meine Lust, weil ich für meine Kinder arbeite, und auch davon bin ich im Innersten überzeugt, dass mein ruhiges Vertrauen auf die Hand, die das Gewebe unserer Schickungen webt, weder mich, noch die Meinigen betrügen werde.“

Wielands Familienkreis war noch durch einen talentvollen jungen Mann erweitert worden, den er bereits 1785 als Haus- und Tischgenossen bei sich aufgenommen hatte. Dieser junge Mann, der, anfangs Hauslehrer von Wielands Kindern, späterhin durch Familienbande noch näher an ihn geknüpft ward, war Reinhold. „Es ist eine wunderbare Geschichte“, schrieb Wieland den 15. Mai 1785 an Gleim, „wie und auf was für Art dieser junge Mann aus den Wolken, oder vielmehr aus den Armen irgend eines Gottes in meinen Schoß gefallen, und mir und meiner Frau so lieb geworden ist, dass wir ihn mit einstimmigem Beifall unseres Kopfes und Herzens zu unserem Sohne angenommen haben.“

Aus Wien gebürtig und in einem Jesuitenkollegium erzogen, hatte Reinhold dem Mönchsleben in dem Barnabiter-Orden so wenig Geschmack abgewinnen können, dass er heimlich nach Leipzig entfloh und von da nach Weimar ging, wohin ihn seine Freunde v. Gemmingen und Blumauer an Wieland empfohlen hatten. Die wohlwollende Aufnahme, die er dort fand, verbunden mit dem Genuss der Denkfreiheit in einem protestantischen Lande, versetzte ihn in die froheste Stimmung. Selbst über seine noch ungewisse Zukunft konnte er sich beruhigen, da Wieland ihn seines Charakters und seiner Kenntnisse wegen schätzte, ihm einen Antheil an der Redaktion des „deutschen Merkurs“ gönnte, und später durch seinen Einfluss ihm eine Professur der Philosophie auf der Universität Jena verschaffte. Noch fester ward Reinholds Verhältnis zur Wielandschen Familie durch seine Neigung zu des Dichters ältester Tochter, der damals sechzehnjährigen Sophie. Reinhold erhielt am Altar ihre Hand, und fortwährend, auch später, als er einem Ruf nach Kiel gefolgt war, bestand zwischen ihm und Wieland ein ungetrübtes Freundschaftsverhältnis.

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