Wielands Vaterfreuden wurden erhöht, als er auch seine übrigen erwachsenen Töchter glücklich vermählt sah. Die Prediger Schorcht und Liebeskind, letzterer bekannt als Verfasser der von Herder herausgegebenen „Palmblätter“ und als Mitarbeiter an Wielands „Dschinnistan“, hatten sich mit Caroline und Amalie Wieland verheiratet. Julie war die Gattin des Kammerrats Stichling in Weimar geworden, und Charlotte, die 1794 mit dem Dichter Baggesen und dessen Gattin nach der Schweiz gereist war, knüpfte dort unvermutet ein Ehebündnis. Wieland schrieb darüber den 17. April 1795: „Wenn je eine Ehe im Himmel geschlossen worden, so ist es gewiss diese, die sich auf eine beinahe wunderbare Art, und doch wieder so natürlich durch die entschiedenste Sympathie der Herzen, Gemütsart, Neigungen, Sitten — zwischen dem Sohne Salomo Geßners, meines liebsten und einzigen Jugendfreundes und einer Tochter seines Freundes Wieland geschlossen hat — eine Verbindung, die in jedem Betracht so ganz nach den innersten Wünschen meines Herzens ist, dass ich mich nicht erwehren kann, dem schönen Wahn der vortrefflichen Salomo Geßnerschen Witwe Raum zu geben, und mit ihr zu glauben, dass der Geist meines verewigten Freundes selbst diese Ehe geknüpft habe.“
In seiner eigenen Ehe blieb Wieland immer dem schon früh gefassten Grundsatze treu, in seinem Aufwande nie die durch seine Lage und seine Verhältnisse ihm vorgeschriebenen Grenzen zu überschreiten. Einfach und schlicht, wie seine Lebensweise, war Wielands Wohnung und Kleidung. Nichts erinnerte in seinen Umgebungen an Prunk und Glanz, und Luxusartikel kannte er fast gar nicht. Überall aber zeigte sich in seinem Haushalt die äußerste Sauberkeit und Ordnung. Sein Mittagstisch war einfach, und überhaupt jede Üppigkeit und Verschwendung ihm völlig fremd. Er sah ein, dass der Seinigen Ruhe, wie seine eigene, durch einen seine Kräfte übersteigenden Aufwand leicht gefährdet werden konnte.
Seine Sparsamkeit artete nie in Geiz aus. Es war ein harmloses Spiel, wenn er zuweilen mit Wohlgefallen empfangene Goldstücke betrachtete oder sich dergleichen Münzen gegen Silbergeld einwechselte. Er musste sich sagen, dass er sie doch nicht behalten konnte, und willig gab er sie hin zu nötigen und unentbehrlichen Ausgaben.
Völlig fremd war Wielands Charakter jede Art von Habsucht und Eigennutz. Sein poetischer Sinn machte ihn gleichgültig gegen den Erwerb, so wenig er das Erworbene verschwendete. Schon seinen hausväterlichen Pflichten glaubte er das schuldig zu sein. Doch übte er Gastfreundschaft im schönsten Sinne des Worts. Seine Freunde fanden bei ihm immer die herzliche Aufnahme, die ihm selbst in seinen Jugendjahren in Bodmers Hause zu Teil geworden war. Soweit es seine Kräfte irgend erlaubten, half er jedem, der sich an ihn wandte, gern mit Rat und Tat. Um aufkeimende Talente zu unterstützen, bewilligte er für Beiträge zu seinem „deutschen Merkur“ mitunter ein höheres Honorar, als er selbst erhielt. Aus Gutmütigkeit wies er selbst Manuskripte, die er nie abdrucken ließ, nicht zurück, sondern zeigte sich bereit, sie zu bezahlen — eine Liberalität, durch welche der Gewinn, den ihm sein Journal abwarf, nie bedeutend werden konnte.
Im Grunde war Wieland in Bezug auf sich selbst sparsamer, als gegen Andere. Darin lag auch vielleicht der Grund, weshalb er während seines Aufenthalts in Weimar nur wenige Reisen unternahm, obgleich er sie zur Erholung von angestrengten Geistesarbeiten wohl bedurft hätte. Seine eigene Äußerung, dass er „ein Mensch sei, der selten aus seinem Schneckenhäuschen heraus krieche“, schien sich an ihm bewähren zu wollen. In einem Briefe an Gleim setzte er die Gründe auseinander, weshalb er einer Einladung, nach Halberstadt zu kommen, nicht folgen könne. „Tausend seidene Bänder“, schrieb er, „fesseln mich an Weimar. Ich bin in den Boden eingewurzelt und um nur Eins zu sagen, wie kann ich, oder wie könnte meine Frau mit mir, sich von den Kindern trennen? Unser Haus ist eine kleine Welt für uns geworden. Aber Sie, liebster Gleim, Sie haben keine solchen Hindernisse. Kommen Sie zu uns, und versuchen Sie einmal, wie sich's in meinem Hause lebt, wo alle Augenblicke aus irgend einem Winkel ein anderes Bübchen oder Mädchen, auf das man nicht gerechnet hatte, hervorgekrochen kommt.“
Eine Reihe von Jahren verstrich, ehe Wieland, den nicht bloß die Liebe zur Gemächlichkeit, sondern auch die mannigfachen mit der Herausgabe des „deutschen Merkur“ verbundenen Geschäfte an sein Haus fesselten, sich mit Reiseplänen beschäftigte. Zur Stärkung seiner Gesundheit entschloss er sich 1794 zu einem Ausflug nach Leipzig und Dresden. Nach der letztgenannten Stadt zog ihn die dortige Gemäldegallerie. Er wünschte in Dresden das strengste Inkognito zu beobachten. An seinen Freund und Verleger Göschen schrieb er darüber: „Ich weiß nicht, warum Frau Fama so grillenhaft ist, sich schon im Voraus mit einer so unbedeutenden Sache, als meine Exkursion nach Dresden ist, so viel zu tun zu machen. Es ist meine Meinung gar nicht, mich in Dresden Allen, die mich in Beschlag nehmen sollten, preiszugeben. Weder meine Gesundheit, noch meine Diät, die ich in meinen Jahren bei einer äußerst zarten und reizbaren Konstitution zu beobachten habe, noch meine Absicht, meine Zeit in Dresden zur Betrachtung der dortigen herrlichen Gemäldesammlung zu benutzen, könnte sich mit vielen Aufwartungen, Besuchen, Diners und Soupees vertragen, und ich wollte die Reise dorthin lieber ganz aufgeben, als die Freiheit, auch in Dresden (wo freilich keine Freiheitsbäume so leicht Wurzel fassen können) nach meinem eigenen Sinn und Willen zu leben.“
Dieser Wunsch ging nicht ganz in Erfüllung. So gern auch Wieland jeder Gelegenheit, sich gefeiert zu sehen, auswich, hatte er es doch nicht vermeiden können, in Pillnitz dem Kurfürsten vorgestellt zu werden. Manche interessante Bekanntschaften, die er in Dresden machte, ließen ihn jedoch seine Reise nicht bereuen. Mit größeren Hindernissen hatte er zu kämpfen, ehe er die Idee, das Land wieder zu sehen in dem er seine Jugend verlebt, realisierte. Nicht nur für den „deutschen Merkur“, sondern auch für die ununterbrochene Fortsetzung des Drucks seiner sämtlichen Werke hatte er Sorge tragen müssen, ehe er an einen sechsmonatlichen Aufenthalt in der Schweiz denken konnte, von welchem er sich, nach seiner eigenen Äußerung, „für seinen inneren und äußeren Menschen viel Gutes versprach.“ Nicht bloß die Sehnsucht, seine an den Buchhändler Geßner in Zürich verheiratete Tochter Charlotte wiederzusehen, bewog ihn zu jener Reise. Auch sein leidender Gesundheitszustand musste ihm sagen, dass ihm Erholung höchst nötig sei. „Ich bedarf“, schrieb Wieland, „einer solchen Aufziehung meines inneren Uhrwerks, und die Freuden des Herzens, die mich in der Geßnerschen Familie erwarten, werden ein Trunk aus der Fontaine de Juvence für mich sein.“
Ein Anflug von Hypochondrie, wie er selbst gestand, machte allerlei Bedenklichkeiten in Wieland rege, ehe er sich entschloss, die Reise nach der Schweiz anzutreten. „Man spricht und schreibt“, äußerte er in einem seiner damaligen Briefe, „gar so viel von der Unsicherheit der Landstraßen in Franken und Schwaben, wo zahlreiche Räuberbanden sich eingenistet haben sollen, dass ich in der Tat nicht weiß, ob ich Recht tue, eine so gefährliche Reise mit Weib und Kindern zu wagen. Überhaupt kommt mir ganz Deutschland jetzt nicht viel besser vor, als es in den Zeiten des dreißigjährigen Krieges war, und ich gestehe, dass ich alles Zutrauen zu den Menschen verloren habe, und in jedem Unbekannten einen Dieb und Mörder zu sehen glaube.“ An seinen Schwiegersohn, den Buchhändler Geßner, schrieb Wieland bald nachher: „Ich sollte freilich, wenn ich auch nur so viel Glauben hätte, als der zehnte Teil eines Senfkorns, mehr Vertrauen setzen in die lieben Engelein, die uns geleiten werden. Aber das ist eben das Elend, dass ich weniger Glauben habe, als der heilige Sanct Thomas, und auch nicht viel mehr Herz als Glauben. Da lob' ich mir meine ehrliche Hausfrau, eure Mutter! Die ist so zart, als ob sie aus Postpapierschnitzeln gemacht wäre, und hat Herz und Unerschrockenheit und Heldenmuth, trotz der tapfersten aller Marfisen und Bradamanten.“
Am 24. Mai 1795 war Wieland mit seiner Frau und drei Kindern, Caroline, Wilhelm und Luise, in einen bequemen Wagen, den er der Herzogin Amalia verdankte, von Weimar abgereist. Die freundliche Aufnahme, die er unterwegs an mehreren Orten, besonders in Nürnberg gefunden, ward noch übertroffen durch die zahlreichen Beweise von Liebe und Wohlwollen, die er von älteren und jüngeren Freunden bei seinem Eintritt in die Schweiz empfing. An Göschen schrieb Wieland den 8. August 1795. „Sie erhalten dies Blättchen nicht — wie Sie billig vermuten könnten — von den Ufern des Lethe, dessen Anwohner ein süßes Vergessen aller Dinge über der Erde eingesogen haben, sondern von dem rechten Ufer des Zürchersees, in dessen Nachbarschaft ich ein artiges kleines Häuschen schon seit ungefähr acht Wochen bewohne, und mich so wohl befinde, als ob ich in meinem nun bald zurückgelegten 63sten Jahre auf neue Rechnung zu leben anfangen sollte. Sie kennen das Land und den Ort und die liebenswürdigen Menschen, mit denen ich lebe. Sie haben sich selbst, wenn ich nicht irre, mehrere Tage in dem Geßnerschen Hause aufgehalten, und wenn Sie sich nun das Vergnügen denken, in welches ich durch eins meiner liebsten Kinder mit demselben gekommen bin, so werden Sie sich leicht vorstellen können, dass Tage und Wochen mit einer mir selbst kaum begreiflichen Geschwindigkeit, über meinem Haupt wegfliegen, und wie lange mein hiesiger Aufenthalt auch währen könnte, er mir am überraschenden Tage des Scheidens doch immer nur ein kurzer Morgentraum scheinen wird.“
Durch manche Besorgnisse, die der Gang der politischen Ereignisse in ihm weckte, fühlte sich Wieland bewogen, seine Abreise zu beschleunigen. „Der Krieg“, schrieb er, „hat sich nun von den Ufern des Rheins und Neckars bis ins Herz von Deutschland gezogen. Alles weicht dem unaufhaltsamen Strom, und es fehlt hier nicht an Gerüchten, die uns auch für die Reiche von Thüringen und Sachsen bekümmert machen könnten, wo fern es den Westfranken vielleicht Ernst sein sollte, allen freiwilligen sowohl als gezwungenen Teilnehmern an dem Göttern und Menschen verhassten Kriege ihre schwere Hand fühlen zu lassen. Haben nun auch die Zeitumstände mich die Wonnetage, die ich mir von meinem hiesigen Aufenthalt versprach, nicht so rein genießen lassen, als ich wohl gewünscht hätte, so ist doch einer von den Hauptzwecken meiner Reise erreicht. Ich befinde mich ungemein wohl, und wenn der gute Genius, der meine Reise von Weimar nach Zürich begünstigte, mich auch von Zürich nach Weimar zurückgeleitet, so darf ich hoffen, die guten Folgen derselben für meine Gesundheit und die Munterkeit meines Geistes noch mehrere Jahren zu verspüren.“
Am 15. September 1795 meldete Wieland, dass er letztverwichenen Sonntag um zwei Uhr nachmittags mit seiner lieben Reisegesellschaft gesund und wohlbehalten in Weimar angekommen sei. „Sein guter Genius“, schrieb er, „habe es so geleitet, dass er auf der ganzen Route über Stuttgart, Heilbronn, Schwäbisch-Hall, Ansbach, Nürnberg, Bamberg, Coburg und Saalfeld keinen Franzosen zu Gesicht bekommen, auch nirgends kaiserliche Truppen angetroffen, auf keiner Post länger als eine Stunde aufgehalten worden sei, dass er seine aus Vorsicht mitgenommenen deutschen und französischen Pässe auch nicht ein einziges Mal nötig gehabt, und mit Einem Worte so ruhig und bequem gereist sei, als ob überall Friede wäre.“
Sein Aufenthalt in der Schweiz hatte ihm das Landleben von einer so anmutigen Seite gezeigt, dass ihm, der, nach seinem eignen Geständnis, „gern wie Horaz, durchs Leben weggeschlichen wäre, und der nichts mehr hasste als Stadt-, Hof- und Weltgetümmel“, sich oft der sehnsuchtsvolle Wunsch aufdrang, in ländlicher Zurückgezogenheit, der Natur, sich selbst und den Seinigen leben zu können. Die Achtung und Neigung fürstlicher Gönner, die Freundschaft mancher vorzüglichen Männer, die Weimar damals in sich versammelte, hätten ihn in jenem Entschluss wankend machen können. Oft aber ergoss sich Wieland in bittere Klagen, dass er bei aller Muße doch ein sehr zerstückeltes Leben führe, mit Unterbrechungen durch Besuche von Einheimischen und Fremden. Sein Zartgefühl für das Schickliche versetzte ihn in eine sehr unmutige Stimmung, wenn er von Fremden im Schlafrock und in der Nachtmütze überrascht ward. Trostlos machte ihn besonders die Vorstellung, dass seine arglos hingeworfenen Äußerungen von solchen Besuchenden aufgefangen und öffentlich bekannt gemacht werden könnten. All' diesem Ungemach glaubte er in einer ländlichen Zurückgezogenheit zu entgehen, die ihm überdieß manchen Lieblingsplan, der seinen Geist beschäftigte, auszuführen vergönnte. Ernstlich dachte er längere Zeit daran, seinen bisherigen Aufenthalt in Weimar mit einem freundlichen Landhause bei Hohenstädt, unweit Grimma, zu vertauschen. Viel Lockendes hatte für ihn die Idee, dort seines Freundes Göschen Nachbar zu werden. Seine Verhältnisse zum Weimarischen Hofe nötigten ihn indes, diesen Plan wieder aufzugeben.
Den Aufenthalt in dem unweit Weimar gelegenen Rittergute Tannrode malte sich Wielands Poesie mit den glänzendsten Farben aus. Ueber den Ankauf dieses Gutes, das der Familie von Egloffstein gehörte, pflog er Unterhandlungen. Er nannte es in einem seiner Briefe ein echtes Horazisches Sabinum. „Ich schmeichle mir“, schrieb er, „wenn ich erst in meinem alten Schlösschen Tannrode etabliert sein werde, in der herrlichen Luft und der schönen Natur, die mich dort umgeben wird, neue Munterkeit und Kraft zu meinen Geistesarbeiten zu erhalten.“ Diese Idee gab Wieland jedoch wieder auf. Er entschloss sich zu dem Kauf des unweit Weimar gelegenen Gutes Osmanstädt für die Summe von 22,000 Thalern. Diese Summe glaubte er teils durch den Verkauf seines Hauses in Weimar, teils durch ein etliche Jahre verzinsliches und nach und nach abzutragendes Capital decken zu können, das er durch Vermittlung seines Freundes Göschen zu erhalten hoffte.
Mit manchen Hindernissen hatte Wieland, da Göschens Antwort ablehnend ausfiel, noch zu kämpfen, ehe er seinen Lieblingswunsch realisieren konnte. Seinen Kredit in Weimar wollte er nicht benutzen. „Davon bin ich ziemlich überzeugt“, schrieb er, „wenn alle andern Stricke reißen sollten, der Herzog würde mich nicht in der Not stecken lassen. Aber ich habe mehr als Eine Ursache, zu diesem heroischen Mittel, nur im äußersten Notfall zu konkurrieren. In einem Briefe an Göschen äußerte Wieland: „Hören Sie, lieber Freund, wie ich glaube, dass meine Angelegenheit, ohne dass Ihnen oder mir zu wehe dabei geschieht, arrangiert werden könnte; denn ganz kann ich Sie freilich nicht aus dem Spiel lassen, so sehr ich's auch tun zu können wünschte. Sie sind nun einmal, weil Sie es selbst so gewollt haben, mein Verleger, und müssen es sein und bleiben, dafür ist kein Rath.“ — Nachdem Wieland nun das Honorar für die neue Ausgabe seiner Werke auf 7000 Thaler festgesetzt hatte, schloss er seinen Brief an Göschen mit den Worten. „Warum ich Sie bitte, ist, dass ich auf künftigen Michaelistag 4000 Thaler von Ihnen zu empfangen sicher rechnen könnte.“
Wie wohl sich Wieland fühlte in seinem „Osmantinum“ oder seiner „Oberinstädtischen Retraite“, wie er sein ländliches Asyl mitunter nannte, schilderten mehrere seiner damaligen Briefe. Am 25. April 1797 hatte er dort, nach abgeschlossenem Kauf, seinen Einzug gehalten. Ein Vierteljahr später, den 25. Juli, schrieb er: „Mir ist, als ob gar keine andere Art zu existieren für mich möglich sei, und die Weimarischen Propheten, die als ganz unfehlbar voraussahen, dass ich mich gar jämmerlich auf dem Lande und vis à vis de moi même langweilen würde, bestehen mit Schande. Auch sperren sie die Augen mächtig darüber auf, dass ich so heiter und vergnügt aussehe, und können sich das Phänomen gar nicht erklären. Ich hingegen begreife das Wunder sehr gut, und in der Tat ungleich besser, als wie ich die vier und zwanzig Jahre, die ich in Weimar gelebt, noch so leidlich habe aushalten können. Landluft, unverkünstelte Natur, viel Gras und schöne Bäume, äußere Ruhe und freie Disposition über mich selbst und meine Zeit — das Alles zusammengenommen ist, so zu sagen, mein Element, so gut, wie die Luft des Vogels und das Wasser des Fisches Element ist; und es geht also ganz natürlich zu, dass ich darin gedeihe.“
Wieland war damals unerschöpflich im Lobe des Landlebens, das, wie er glaubte, sehr wohltätig auf seinen Gesundheitszustand einwirke. Er schrieb darüber den 19. Dezember 1797 einem Freunde: „Das Angenehmste ist, dass ich in diesem veränderlichen, dumpfen und schlackrigen Winter eine über alle Menschenerwartung hinausgehende Probe über meine Leibeskonstitution mache. In der Stadt würde ich mich in diesen verwichenen acht Wochen wahrscheinlich ziemlich schlecht befunden haben; hier in meinem Hause zu Osmanstädt befinde ich mich ununterbrochen wohl und munter, arbeite an meinem Schreibtisch mit Succeß, habe, ungeachtet ich wenig an die Tür komme, guten Appetit, und schlafe weit besser, als ehemals. Alles dies entscheidet, wenigstens was mich betrifft, den Vorzug des Landlebens vor dem Stadtleben, nichts von den negativen und passiven Vorzügen zu gedenken, welche die Landmaus beim Horaz gegen ihre Freundin, die Stadtmaus, geltend macht. Nebenher tut mir auch das Bewusstsein wohl, dass ich meinen Garten bereits in einen merklich bessern Zustand versetzt habe. Über dreihundert Bäume habe ich gepflanzt, von deren größerem Teil, wenn sie gut durch diesen Winter kommen, ich wenigstens die ersten Früchte zu erleben hoffen kann; und das, was ich auf Kultur und Verbesserung verschiedener, nach und nach durch Verwahrlosung in Abnahme gekommener Parthien bereits gewandt habe und noch verwenden werde, wird schon im künftigen Jahre so auffallend sein, dass, wer mich wieder besucht, sich in ein kleines Paradies versetzt zu sehen glauben wird.“
Unter den erwähnten ländlichen Beschäftigungen war Wieland seinen literarischen Arbeiten nicht untreu geworden, obgleich manche darunter ihm so viel Beschwerden und Verdruss bereiteten, dass er sehnlich wünschte, sich ihrer entledigen zu können. Den „deutschen Merkur“ würde er, wenn er den mäßigen Gewinn, den ihm diese Zeitschrift abwarf, hätte entbehren können, zuerst aufgegeben haben. Sehr unwillig ward er mitunter über die reichlichen Zusendungen schlechter Verse und anderer mittelmäßiger Produkte. Besonders ward Wielands Zeit zerstückelt durch die Beantwortung zahlreicher Briefe, die aus allen Gegenden Deutschlands an ihn gelangten. In dieser Beantwortung war er freilich mitunter so saumselig, dass er die deshalb ihm gemachten Vorwürfe wohl verdient zu haben glaubte, und sich selbst bisweilen noch schärfer tadelte. Wielands Humor, der ihn nie ganz verließ, gab ihm einst eine öffentliche Erklärung ein, durch die er den zu häufigen und werthlosen Manuskriptsendungen vorbeugen wollte.
„Verschiedene, welche mich,“ schrieb er, „mit allerlei teils versifizierten, teils prosaisch-poetischen Aufsätzen, Idyllen u. dgl. für den Merkur zu beschenken die Gewogenheit hatten, setzen mich in eine Art von Verlegenheit, deren ich gern auf immer überhoben zu sein wünsche. Ihr geneigter Wille verdient Dank; aber es entsteht hier eine leidige Kollision von Pflichten, deren Effekte weder ihnen noch mir angenehm sein können. Einige scheinen von der Güte ihrer Produkte so überzeugt zu sein, dass man ihnen, ohne Beleidigung, weder sagen, noch zu verstehen geben kann, man sei anderer Meinung. Andere sind zwar bescheidener, geben sich bloß für Anfänger aus, bitten um Nachsicht, oder dass man ihnen ihre Lektion korrigieren, oder ihnen wenigstens sagen möchte, ob sie zur Dichterei berufen seien oder nicht. Aber sie bringen das mit einer so sichtbaren Erwartung eines höflichen, d.i. ihrer Eigenliebe schmeichelnden Bescheides vor, dass man's kaum übers Herz bringen kann, ihnen durch eine ehrliche Antwort wehe zu tun. Hierzu kommt noch, dass unser einer — der von einem solchen jungen Kandidaten des Musenpriestertums gefragt wird: Meister, was soll ich tun? und ihm nach seinem Gewissen die Antwort werden lässt: Alles, lieber Freund, nur keine Verse machen! — sich darauf verlassen kann, dass der junge Aspirant diese Antwort geradezu für einen Beruf annehmen wird, sich nun erst recht aufs Versemachen zu legen. Denn — sagt er zu sich selbst — meine Verse müssen doch wohl gut sein, weil Wieland sich fürchtet, dass ich ihn ausstechen werde, und mich also gleich an der Schwelle des Musentempels gern zurückschrecken möchte. — Wie könnte der arme Verfasser des Winter- und Sommermärchens sich unterstehen, einem solchen Rivalen etwas Unangenehmes zu sagen? Der junge Mann würde natürlicher Weise denken müssen, es verdrieße Wieland nur, sich in Leichtigkeit der Verse und guter Art zu erzählen, übertroffen zu sehen. Das will ich denn auch dem jungen Dichter hiermit ohne Widerrede zugestanden haben. Nur der Merkur ist kein würdiger Schauplatz für solche Originalwerke. Mein unmaßgeblicher Rath ist, sie besonders, und um des Effekts willen, auf prächtigem holländischen Papier, mit Kupfern von Chodowiecky, abdrucken zu lassen. Der Verfasser wird an der Wirkung sein Wunder sehen! Jetzt ist gerade der rechte Zeitpunkt, wo die Nation für solche Werke Sinn hat, denn man sieht ja, wie gut sie den Oberon aufgenommen, der doch nur auf schlechtem Papier, und ohne Kupfer von irgend Jemand, sein Fortkommen in der Welt suchen musste.“