Seinem Denkmal

Goethes Briefwechsel mit einem Kinde

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Seinem Denkmal

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Zweiter Teil


An Goethe.

Da ich Dir zum letztenmal schrieb, war's Sommer, ich war am Rhein und reiste später mit einer heiteren Gesellschaft von Freunden und Verwandten zu Wasser bis Köln; als ich zurückgekommen war, verbrachte ich noch die letzten Tage mit Deiner Mutter, wo sie freundlicher, leidseliger war als je. Am Tag vor ihrem Tod war ich bei ihr, küßte ihre Hand und empfing ihr Lebewohl in Deinem Namen. Denn ich hab' Dich in keinem Augenblick vergessen; ich wußte wohl, sie hätte mir gern Deine beste Liebe zum Erbteil hinterlassen.

Sie ist nun tot, vor welcher ich die Schätze meines Lebens ausbreitete; sie wußte wie und warum ich Dich liebe, sie wunderte sich nicht darüber. Wenn andre Menschen klug über mich sein wollten, so ließ sie mich gewähren und gab dem Wesen keinen Namen. Noch enger hätte ich damals Deine Knie umschließen mögen, noch fester, tiefer Dich ins Auge fassen und alle andre Welt vergessen mögen, und doch hielt dies mich ab vom Schreiben. Später warst Du so umringt, daß ich wohl schwerlich hätte durchdringen können.

Jetzt ist ein Jahr vorbei, daß ich Dich gesehen habe, Du sollst schöner geworden sein, Karlsbad soll Dich erfrischt haben. Mir geht's recht hinderlich, ich muß die Zeit so kalt hinstreichen lassen ohne einen Funken zu erhaschen, an dem ich mir eine Flamme anblasen könnte. Doch soll es nicht lange mehr währen, bis ich Dich wiederseht; dann will ich nur einmal Dich immer und ewig in meinen Armen festhalten.

Diese ganze Zeit hab' ich mit Jacobi beinah' alle Abende zugebracht, ich schätze es immer als ein Glück, daß ich ihn sehen und sprechen konnte; aber dazu bin ich nicht gekommen – aufrichtig gegen ihn zu sein, und die Liebe, die man seinem Wohlwollen schuldig ist, ihm zu bezeigen. Seine beiden Schwestern verpallisadieren ihn, es ist empfindlich, durch leere Einwendungen von ihm abgehalten zu werden. Er ist duldend bis zur Schwäche und hat gar keinen Willen gegen ein paar Wesen, die Eigensinn und Herrschsucht haben, wie die Semiramis. Die Herrschaft der Frauen verfolgt ihn bis zur Präsidentenstelle an der Akademie, sie wecken ihn, sie bekleiden ihn, knöpfen ihm die Unterweste zu, sie reichen ihm Medizin, will er ausgehn, so ist's zu rauh, will er zu Hause bleiben, so muß er sich Bewegung machen. Geht er auf die Akademie, so wird der Nimbus geschneutzt, damit er recht hell leuchte: da ziehen sie ihm ein Hemd von Batist an mit frischem Jabot und Manschetten und einen Pelzrock mit prächtigem Zobel gefüttert, der Wärmkorb wird vorangetragen, kommt er aus der Sitzung zurück, so muß er ein bißchen schlafen, nicht ob er will; so geht's bis zum Abend in fortwährendem Widerspruch, wo sie ihm die Nachtmütze über die Ohren ziehen und ihn zu Bette führen.

Der Geist auch unwillkürlich bahnt sich eine Freistätte, in der ihn nichts hindert zu walten nach seinem Recht, was diesem nicht Eintrag tut, wird er gern der Willkür andrer überlassen. Das hat die Mutter oft an Dir gepriesen, daß Deine Würde aus Deinem Geist fließe, und daß Du einer andern nie nachgestrebt habest; die Mutter sagte, Du seist dem Genius treu, der Dich ins Paradies der Weisheit führt, Du genießest alle Früchte, die er Dir anbietet, daher blühen Dir immer wieder neue, schon während Du die ersten verzehrst. Lotte und Lene aber verbieten dem Jacobi das Denken als schädlich, und er hat mehr Zutrauen zu ihnen als zu seinem Genius, wenn der ihm einen Apfel schenkt, so fragt er jene erst, ob der Wurm nicht drin ist.

Es braucht keinen großen Witz, und ich fühle es in mir selber gegründet: im Geist liegt der unauslöschliche Trieb, das Überirdische zu denken, so wie das Ziel einer Reise hat er den höchsten Gedanken als Ziel; er schreitet forschend durch die irdische Welt der himmlischen zu, alles was dieser entspricht, das reißt der Geist an sich und genießt es mit Entzücken, drum glaub' ich auch, daß die Liebe der Flug zum Himmel ist.

Ich wünsch' es Dir, Goethe, und ich glaub' es auch fest, daß all Dein Forschen, Deine Erkenntnis, das, was die Muse Dir lehrt, und endlich auch Deine Liebe vereint Deinem Geist einen verklärten Leib bilden, und daß der dem irdischen Leib nicht mehr unterworfen sein werde, wenn er ihn ablegt, sondern schon in jenen geistigen Leib übergeströmt. Sterben mußt Du nicht, sterben muß nur der, dessen Geist den Ausweg nicht findet. Denken beflügelt den Geist, der beflügelte Geist stirbt nicht, er findet nicht zurück in den Tod. –

Mit der Mutter konnte ich über alles sprechen, sie begriff meine Denkweise, sie sagte: »Erkenne erst alle Sterne und das letzte, dann erst kannst Du zweifeln, bis dahin ist alles möglich.«

Ich habe von der Mutter viel gehört, was ich nicht vergessen werde, die Art, wie sie mir ihren Tod anzeigte, hab' ich aufgeschrieben für Dich. Die Leute sagen, Du wendest Dich von dem Traurigen, was nicht mehr abzuwenden ist, gerne ab, wende Dich in diesem Sinne nicht von der Mutter ihrem Hinscheiden ab, lerne sie kennen, wie weise und liebend sie grade im letzten Augenblick war und wie gewaltig das Poetische in ihr.

Heute sag' ich Dir nichts mehr, denn ich sehne mich, daß dieser Brief bald an Dich gelange; schreib mir ein Wort, meine Zufriedenheit beruht darauf. In diesem Augenblick ist mein Aufenthalt in Landshut; in wenig Tagen gehe ich nach München, um mit dem Kapellmeister Winter Musik zu studieren.

Manches möchte man lieber mit Gebärden und Mienen sagen, ach besonders Dir hab' ich nichts Höheres zu verkünden, als bloß Dich anzulächeln.

Leb' wohl, bleib mir geneigt, schreib mir wieder, daß Du mich lieb hast, was ich mit Dir erlebt habe, ist mir ein Thron seliger Erinnerung. Die Menschen trachten auf verschiedenen Wegen alle nach einem Ziel, nämlich glücklich zu sein, wie schnell bin ich befriedigt, wenn Du mir gut und meiner Liebe ein treuer Bewahrer sein willst.

Ich bitte die Frau zu grüßen, sobald ich nach München komme, werde ich ihrer gedenken.

Landshut, den 18. Dezember 1808.

Dir innigst angelobt
Bettine Brentano,
bei Baron von Savigny.


An Frau von Goethe.

Gerne hätte ich nach dem Beispiel der guten Mutter mein kleines Andenken zum Weihnachten zu rechter Zeit gesendet; allein ich muß gestehen, daß Mißlaune und tausend andre Fehler meines Herzens mich eine ganze Weile von allem freundlichen Verkehr abhielten. Die kleine Kette war Ihnen gleich nach dem Tode der Mutter bestimmt. Ich dachte, Sie sollten diese während der Trauer tragen, und immer verschob ich die Sendung, zum Teil weil es mir wirklich unerträglich war, auch nur mit der Feder den Verlust zu berühren, der für mich ganz Frankfurt zu einer Wüste gemacht hat. – Das kleine Halstuch hab' ich noch bei der Mutter gestickt und hier in den müßigen Stunden vollendet.

Bleiben Sie mir freundlich, erinnern Goethe in den guten Stunden an mich, ein Gedanke von ihm an mich ist mir eine strahlende Zierde, die mich mehr schmückt und ergötzt als die köstlichsten Edelsteine. Sie sehen also, welchen Reichtum Sie mir spenden können, indem Sie ihn bescheidentlich meiner Liebe und Verehrung versichern. Auch für ihn hab' ich etwas, es ist mir aber so lieb, daß ich es ungern einer gefahrvollen Reise aussetze. Ich mache mir Hoffnung, ihn in der ersten Hälfte dieses Jahres noch zu sehen, wo ich es ihm selbst bringen kann. Erhalten Sie sich gesund und recht heiter in diesem kalten Winter. Meine Schwachheit, Ihnen Freude machen zu wollen, behandeln Sie wie immer mit gütiger Nachsicht.

München, 8. Januar 1809.

Bettine.


An Goethe.

Andre Menschen waren glücklicher als ich, die das Jahr nicht beschließen durften, ohne Dich gesehen zu haben. Man hat mir geschrieben, wie liebreich Du die Freunde bewillkommnest. –

Seit mehreren Wochen bin ich in München, treib' Musik und singe viel bei dem Kapellmeister Winter, der ein wunderlicher Kauz ist, aber gerade für mich paßt; denn er sagt: »Sängerinnen müssen Launen haben«, und so darf ich alle an ihm auslassen; viel Zeit bringe ich am Krankenlager von Ludwig Tieck zu, er leidet an Gicht, eine Krankheit, die allen bösen Launen und Melancholie Audienz gibt; ich harre ebenso wohl aus Geschmack wie aus Menschlichkeit bei ihm aus; ein Krankenzimmer ist an und für sich schon durch die große Ruhe ein anziehender Aufenthalt, ein Kranker, der mit gelassenem Mut seine Schmerzen bekämpft, macht es zum Heiligtum. Du bist ein großer Dichter, der Tieck ist ein großer Dulder, und für mich ein Phänomen, da ich vorher nicht gewußt habe, daß es solche Leiden gibt; keine Bewegung kann er machen ohne aufzuseufzen, sein Gesicht trieft von Angstschweiß, und sein Blick irrt über der Schmerzensflut oft umher wie eine müde geängstigte Schwalbe, die vergeblich einen Ort sucht, wo sie ausruhen kann, und ich steh' vor ihm verwundert und beschämt, daß ich so gesund bin; dabei dichtet er noch Frühlingslieder und freut sich über einen Strauß Schneeglöckchen, die ich ihm bringe, sooft ich komme, fordert er zuerst, daß ich dem Strauß frisch Wasser gebe, dann wische ich ihm den Schweiß vom Gesicht ganz gelinde, man kann es kaum, ohne ihm weh zu tun, und so leiste ich ihm allerlei kleine Dienste, die ihm die Zeit vertreiben, Englisch will er mich auch lehren, allen Zorn und Krankheitsunmut läßt er denn an mir aus, daß ich so dumm bin, so absurd frage und nie die Antwort verstehe, auch ich bin verwundert; denn ich hab' mit den Leuten geglaubt, ich sei sehr klug, wo nicht gar ein Genie, und nun stoße ich auf solche Untiefen, wo gar kein Grund zu erfassen ist, nämlich der Lerngrund, und ich muß erstaunt bekennen, daß ich in meinem Leben nichts gelernt habe.

Eh' ich von Dir wußte, wußt' ich auch nichts von mir, nachher waren Sinne und Gefühl auf Dich gerichtet, und nun die Rose blüht, glüht und duftet, so kann sie's doch nicht von sich geben, was sie in geheim erfahren hat. Du bist, der mir's angetan hat, daß ich mit Schimpf und Schand' bestehe vor den Philistern, die eine Reihe von Talenten an einem Frauenzimmer schätzenswert finden. Das Frauenzimmer selbst aber ohne diese nicht.

Klavier spielen, Arien singen, fremde Sprachen sprechen, Geschichte und Naturwissenschaft, das macht den liebenswerten Charakter, ach und ich hab' immer hinter allem diesem erst nach dem gesucht, was ich lieben möchte; gestern kam Gesellschaft zu Tieck, ich schlich mich unbemerkt hinter einen Schirm, ich wär' auch gewiß da eingeschlafen, wenn nicht mein Name wär' ausgesprochen worden, da hat man mich gemalt, so daß ich mich vor mir selber fürchten müßte; ich kam auch plötzlich hervor und sagte: »Nein, ich bin zu abscheulich, ich mag nicht mehr allein bei mir sein.« Dies erregte eine kleine Konsternation, und mir machte es viel Spaß. – So ging mir's auch bei Jacobi, wo Lotte und Lene nicht bemerkt hatten, daß ich hinter dem großen runden Tisch saß, ich rief hervor mitten in ihre Epistel hinein: »Ich will mich bessern.« Ich weiß gar nicht warum mein Herz immer jauchzt vor Lust, wenn ich mich verunglimpft höre, und warum ich schon im voraus lachen muß, wenn einer mich tadelt: sie mögen mir aufbürden die allerverkehrtesten Dinge, ich muß alles mit Vergnügen anhören und gelten lassen. Es ist mein Glück; wollt' ich mich dagegen verteidigen, ich käm' in des Teufels Küche; wollte ich mit ihnen streiten, ich würde dummer wie sie. Doch diese letzte Geschichte hat mir Glück gebracht, Sailer war da, dem gefiel's, daß ich Lenen dafür beim Kopf kriegte und ihr auf ihr böses Maul einen herzlichen Schmatz gab, um es zu stopfen. Nachdem Sailer weg war, sagte Jacobi: »Nun, die Bettine hat dem Sailer das Herz gewonnen.« »Wer ist der Mann?« fragte ich. »Wie! Sie kennen Sailer nicht, haben ihn nie nennen hören, den allgemein gefeierten geliebten, den Philosophen Gottes, so gut wie Plato der göttliche Philosoph ist?« – Diese Worte haben mir von Jacobi gefallen, ich freue mich unendlich auf den Sailer, er ist Professor in Landshut. Während dem Karneval ist hier ein Strom von Festen, die einen wahren Strudel bilden, so greifen sie ineinander; es werden wöchentlich neue Opern gegeben, die meinen alten Winter sehr im Atem erhalten, ich hör' manches mit großem Anteil, wollt' ich ihm sagen, was ich dadurch lerne, er würde es nicht begreifen. Am Rhein haben wir über Musik geschrieben, ich weiß nicht mehr was; ich hab' Dir noch mehr zu sagen, Neues, für mich Erstaunungswürdiges, kaum zu fassen für meinen schwachen Geist, und doch erfahre ich's nur durch mich selbst. Soll ich da nicht glauben, daß ich einen Dämon habe, der mich belehrt, ja es kommt alles auf die Frage an, je tiefer Du fragst, je gewaltiger ist die Antwort, der Genius bleibt keine schuldig; aber wir scheuen uns, zu fragen, und noch mehr die Antwort zu vernehmen und zu begreifen, denn das kostet Mühe und Schmerzen; anders können wir nichts lernen, wo sollten wir's herhaben, wer Gott fragt, dem antwortet er das Göttliche.

Auf den Festen, die man hier Akademien nennt – Maskenbälle, in der Mitte ein kleines Theater, worauf pantomimische Vorstellungen gegeben werden von Harlekin Pierrot und Pantalon –, hab' ich den Kronprinzen kennengelernt; ich habe eine Weile mit ihm gesprochen, ohne zu wissen, wer er sei, er hat etwas Zusprechendes, Freundliches und wohl auch originell Geistreiches; sein ganzes Wesen scheint zwar mehr nach Freiheit zu ringen, als mit ihr geboren zu sein; seine Stimme, seine Sprache und Gebärden haben etwas Angestrengtes wie ein Mensch, der sich mit großem Aufwand von Kräften an glatten Felswänden hinaufhalf, eine zitternde Bewegung in den noch nicht geruhten Gliedern hat. Und wer weiß, wie seine Kinderjahre, seine Neigungen bedrängt oder durch Widerspruch gereizt wurden, ich seh' ihm an, daß er schon manches überwinden mußte, und auch, daß sich Großes aus ihm entwickeln kann; ich bin ihm gut, ein so junger Herrscher in der Vorhölle, wo er leiden muß, daß sich jede Zunge über ihn erbarmt; seine guten Münchner, wie er sie nennt, sind ihm nicht grün; ja wartet nur, bis er mündig ist, entweder er beschämt euch alle, oder er wird's euch garstig eintränken.

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Am 31. Januar.

Dem wunderbaren Frühlingswetter konnte ich nicht widerstehen, der warme mailiche Sonnenstrahl, der das harte eisige Neujahr ganz zusammenschmolz, war überraschend, es hat mich hinausgetrieben in den kahlen, englischen Garten, ich bin auf alle Freundschaftstempel, chinesische Türme und Vaterlandsmonumente geklettert, um die Tiroler Bergkette zu erblicken, die tausendfach ihre gespaltnen Häupter gen Himmel ragt; auch in meiner Seele kannst du solche große Bergmassen finden, die tief bis in die Wurzel gespalten sind, kalt und kahl ihre hartnäckige Zacken in die Wolken strecken. Bei der Hand möcht' ich Dich nehmen und weit wegführen, daß Du Dich besinnen solltest über mich, daß ich Dir in Deinen Gedanken aufginge als etwas Merkwürdiges, dem Du nachspürtest, wie zum Beispiel einem Intermaxilarknochen, über den Du Dein Recht in so eifriger Correspondence gegen Soemering behauptest, sag' mir aufrichtig, werde ich Dir nie so wichtig sein als ein solcher toter Knochen? – Daß Gott alles wohlgefügt habe, wer kann das bezweifeln! Ob Du aber Dein Herz wohl mit meinem verschränkt habest, dagegen erheben sich bei mir zu manchen trüben Stunden Zweifel, von schweren Seufzern begleitet. Am Rhein hab' ich Dir viel und liebend geschrieben, ja ich war ganz in Deiner Gewalt, und was ich dachte und fühlte, war, weil ich im Geiste Dich ansah, nun haben wir eine Pause gemacht beinah' vier Monate, Du hast mir noch nicht geantwortet auf zwei Briefe.

Es liegt mir an allem nichts, aber daran liegt mir, daß ich um Dich nicht betrogen werde; daß mir kein Wort, kein Blick von Dir gestohlen werde, ich hab' Dich so lieb, das ist alles, mehr wird nicht in mich gehen, und anders wird man nichts an mir erkennen, und ich denke auch, das ist genug, um mein ganzes Leben den Musen als ein wichtiges Dokument zu hinterlassen; darum vergeht mir manche Zeit so hart und kalt wie dieser harte Winter, darum blüht's wieder und drängt von allen Seiten wieder ins Leben. – Darum hüt' ich oft meine Gedanken vor Dir. Diese ganze Zeit konnte ich kein Buch von Dir anrühren. Nein, ich konnte keine Zeile lesen, es war mir zu traurig, daß ich nicht bei Dir sein kann. Ach, die Mutter fehlt mir, die mich beschwichtigte, die mich hart machte gegen mich selber, ihr klares, feuriges Auge sah mich durch und durch, ich brauchte ihr nichts zu gestehen, sie wußte alles, ihr feines Ohr hörte bei dem leisesten Klang meiner Stimme, wie es um mich stehe; o sie hat mir manche Gegengeschichte zu meiner Empfindung erzählt, ohne daß ich sie ihr wörtlich mitteilte, wie oft ein freudiges Zurufen von ihr alle Wolken in mir zerteilt, welche freundliche Briefe hat sie mir ins Rheingau geschrieben: »Tapfer!« – rief sie mir zu; »sei tapfer, da sie dich doch nicht für ein echtes Mädchen wollen gelten lassen, und sagen, man könne sich nicht in dich verlieben, so bist du die eine Plage los, sie höflich abzuweisen, so sei denn ein tapferer Soldat, wehr' dich dagegen, daß du meinst, du müßtest immer bei ihm sein und ihn bei der Hand halten, wehr' dich gegen deine eigne Melancholie, so ist er immer ganz und innigst dein und kein Mensch kann dir ihn rauben.«

Solche Zeilen machten mich unendlich glücklich, wahrhaftig, ich fand Dich in ihr wieder, wenn ich nach Frankfurt kam, so flog ich zu ihr hin; wenn ich die Tür aufmachte, wir grüßten uns nicht, es war als ob wir schon mitten im Gespräch seien. Wir zwei waren wohl die einzig lebendigen Menschen in ganz Frankfurt und überall, manchmal küßte sie mich und sprach davon, daß ich in meinem Wesen sie an Dich erinnere, sie habe auch Dein Sorgenbrecher sein müssen. Sie baute auf mein Herz. Man konnte ihr nicht weismachen, daß ich falsch gegen sie sei, sie sagte: »Der ist falsch, der mir meine Lust an ihr verderben will«; ich war stolz auf ihre Liebe.

Wenn Du nun nicht mehr auf der Welt wärst! Ach, ich würde keine Hand mehr regen. Ach, es regen sich so viel tausend Hoffnungen und wird nichts draus. Wenn ich nur manchmal bei Dir sitzen könnte eine halbe Stunde lang; – da wird vielleicht auch nichts draus; mein Freund!! –

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Am 3. Februar.

In den wenig Wochen, die ich in Landshut zubrachte, hab' ich trotz Schnee und Eis nah' und ferne Berge bestiegen, da lag mir das ganze Land im blendendsten Gewand vor Augen; alle Farben vom Winter getötet und vom Schnee begraben, nur mir rötete die Kälte die Wangen; – wie ein einsames Feuer in der Wüste, so brennt der einzige Blick, der beleuchtet und erkennt, während die ganze Welt schläft. Ich hatte so kurz vorher den Sommer verlassen, so reich beladen mit Frucht. – Wo war's doch, wo ich den letzten Berg am Rhein bestieg? – In Godesberg; warst Du da auch oft? – Es war bald Abend, da wir oben waren; Du wirst Dich noch erinnern, es steht oben ein einziger hoher Turm, und rund auf der Fläche stehen noch die alten Mauern. Die Sonne in großer Pracht senkte einen glühenden Purpur über die Stadt der Heiligen; der Kölner Dom, an dessen dornigen Zierraten die Nebel wie eine vorüberstreifende Schafherde ihre Flocken hängen ließen, in denen Schein und Widerschein so fein spielten, da sah ich ihn zum letztenmal; alles war zerflossen in dem ungeheuren Brand, und der kühle ruhige Rhein, den man viele Stunden weit sieht, und die Siebenberge hoch über den Ufergegenden.

Im Sommer, in dem leidenschaftlichen Leben und Weben aller Farben, wo die Natur die Sinne als den rührendsten Zauber ihrer Schönheit festhält; wo der Mensch durch das Mitempfinden selbst schön wird; da ist er sich selbst auch oft wie ein Traum, der vor dem Begriff wie Duft verfliegt. – Das Lebensfeuer in ihm verzehrt alles; den Gedanken im Gedanken, und bildet sich wieder in allem. Was das Aug' erreichen kann, gewinnt er nur, um sich wieder ganz dafür hinzugeben; und so fühlt man sich frei und keck in den höchsten Felsspitzen, in dem kühnsten Wassersturz, ja mit dem Vogel in der Luft, mit dem man in die Ferne zieht und höher mit ihm steigt, um früher den Ort der Sehnsucht zu erblicken. Im Winter ist's anders, da ruhen die Sinne mit der Natur, nur die Gedanken graben, wie die Arbeiter im Bergwerk, heimlich in der Seele fort. – Darauf hoffe und baue auch ich, lieber Goethe, jetzt, wo ich empfinde, wie öde und mangelhaft es in mir ist: daß die Zeit kommen werde, wo ich Dir mehr sagen und Dich mehr fragen kann. Einmal wird mir doch einleuchten, was ich zu wissen fordere. Das deucht mir der einzige Umgang mit Gott, nämlich die Frage um das Überirdische; und das scheint mir die einzige Größe des Menschen, diese Antwort zu empfinden, zu genießen. Gewiß ist die Liebe auch eine Frage an Gott, und der Genuß in ihr ist eine Antwort von dem liebenden Gott selbst.

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4. Februar.

Hier im Schloß, welches man die Residenz heißt und siebzehn Höfe hat, ist in einem der Nebengebäude ein kleiner einsamer Hof, in der Mitte desselben steht ein Springbrunnen: Perseus, der die Medusa enthauptet, in Erz von einem Rasenplatz umgeben; ein Gang von Granitsäulen führt dahin; Meerweibchen, von Ton und Muscheln gemacht, halten große Becken, in die sie ehemals spien, Mohrenköpfe schauen aus der Mauer, die Decke und Seiten sind mit Gemälden geziert, die freilich schon zum Teil heruntergefallen sind, unter andern Apoll, der auf seinem Sonnenwagen sich über die Wolken bäumt und seine Schwester Luna im Herunterfahren begrüßt; der Ort ist sehr einsamlich, selten daß ein Hofbedienter quer durchläuft, die Spatzen hört man schreien, und den kleinen Eidechsen und Wassermäuschen seh' ich da oft zu, die im verfallnen Springbrunnen kampieren, es ist dicht hinter der Hofkapelle; manchmal höre ich am Sonntag da auch das hohe Amt oder die Vesper mit großem Orchester; Du mußt doch auch wissen, wo Dein Kind ist, wenn's recht treu und fleißig an Dich denkt. Adieu, leb' recht wohl, ich glaub' gewiß, daß ich dieses Jahr zu Dir komme und vielleicht bald, denk' an mich, wenn Du Zeit hast, so schreib mir, nur daß ich Dich so fort lieben darf, mehrere von meinen Briefen müssen verlorengegangen sein, denn ich hab' vom Rhein aus noch mehrmals an Dich geschrieben.

Die Frau bitte ich herzlich zu grüßen, ich weiß nicht, ob eine kleine Schachtel, die ich ihr unter Deiner Adresse schickte, verlorengegangen ist.

München, 5. Februar.

Bettine.

 

Meine Adresse ist Landshut bei Savigny.

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Verehrte Freundin! Empfangen Sie meinen Dank für die schönen Geschenke, welche ich von Ihnen erhalten habe, es hat mich außerordentlich gefreut, weil ich daraus ersah, daß Sie mir Ihr Wohlwollen fortdauernd erhalten, um das ich noch nicht Gelegenheit hatte, mich verdient zu machen.

Ich war nun acht Wochen in Frankfurt, die Ihrigen alle haben mir viel Gutes erzeugt, ich weiß wohl, daß ich dies alles der großen Liebe und Achtung, die man hier für die verstorbene Mutter hegte, zu danken habe; doch hab' ich Ihre Gegenwart sehr vermißt, Sie haben die Mutter sehr geliebt, und ich hatte auch verschiedene Aufträge vom Geheimen Rat an Sie, von denen er glaubte, daß Sie dieselben gerne übernehmen würden; ich habe nun alles so gut wie möglich selbst besorgt in diesen traurigen Tagen. Alles, was ich von Ihrer Hand unter den Papieren der Mutter fand, hab' ich gewissenhaft an die Ihrigen abgegeben; ich fand es sehr wohlgeordnet mit gelben Band zugebunden und von der Mutter an Sie überschrieben.

Sie machen uns Hoffnung auf einen baldigen Besuch, der Geheime Rat und ich sehen diesen schönen Tagen mit Freuden entgegen, nur wünschen wir, daß es bald geschehe, da der Geheime Rat wahrscheinlich in der Mitte des Monat Mai wieder nach Karlsbad gehen wird.

Er befindet sich diesen Winter außerordentlich wohl, welches er doch den heilsamen Quellen zu danken hat. Bei meiner Zurückkunft kam er mir ordentlich jünger vor, und gestern, weil große Cour an unserm Hof war, sah ich ihn zum erstenmal mit seinen Orden und Bändern geschmückt, er sah ganz herrlich und stattlich aus, ich konnte ihn gar nicht genug bewundern, mein erster Wunsch war, wenn ihn doch die gute Mutter noch so gesehen hätte; er lachte über meine große Freude, wir sprachen viel von Ihnen, er trug mir auf, auch in seinem Namen zu danken für alles Gütige und Freundliche, was Sie mir erzeugen, er hat sich vorgenommen selbst zu schreiben und meine schlechte Feder zu entschuldigen, mit der ich nicht nach Wunsch ausdrücken kann, wie wert mir Ihr Andenken ist, dem ich mich herzlich empfehle.

Weimar, am 1. Februar 1809.

C. v. Goethe.


An Bettine.

Du bist sehr liebenswürdig, gute Bettine, daß Du dem schweigenden Freunde immer einmal wieder ein lebendiges Wort zusprichst, ihm von Deinen Zuständen und von den Lokalitäten, in denen Du umherwandelst, einige Nachricht gibst; ich vernehme sehr gern, wie Dir zumute ist, und meine Einbildungskraft folgt Dir mit Vergnügen sowohl auf die Bergeshöhen als in die engen Schloß- und Klosterhöfe. Gedenke meiner auch bei den Eidechsen und Salamandern.

Eine Danksagung meiner Frau wird bei Dir schon eingelaufen sein, Deine unerwartete Sendung hat unglaubliche Freude gemacht, alles ist einzeln bewundert und hochgeschätzt worden. Nun muß ich Dir auch schnell für die mehreren Briefe danken, die Du mir geschrieben hast, und die mich in meiner Karlsbader Einsamkeit angenehm überraschten, unterhielten und teilweise wiederholt beschäftigten, so waren mir besonders Deine Explosionen über Musik interessant, so nenne ich diese gesteigerten Anschauungen Deines Köpfchens, die zugleich den Vorzug haben, auch den Reiz dafür zu steigern.

Damals schickte ich ein Blättchen an Dich meiner Mutter, ich weiß nicht, ob Du es erhalten hast. Diese Gute ist nun von uns gegangen, und ich begreife wohl, wie Frankfurt Dir dadurch verödet ist. – Alles, was Du mitteilen willst über Herz und Sinn der Mutter und über die Liebe, mit der Du es aufzunehmen verstehst, ist mir erfreulich. Es ist das Seltenste und daher wohl auch das Köstlichste zu nennen, wenn eine so gegenseitige Auffassung und Hingebung immer die rechte Wirkung tut; immer etwas bildet, was dem nächsten Schritt im Leben zugut kommt, wie denn durch eine glückliche Übereinstimmung des Augenblicks gewiß am lebendigsten auf die Zukunft gewirkt ist, und so glaub' ich Dir gern, wenn Du mir sagst, welche reiche Lebensquelle Dir in diesem Deinen Eigenheiten sich so willig hingebenden Leben versiegt ist; auch mir war sie dies, in ihrem Überleben aller anderen Zeugen meiner Jugendjahre bewies sie, daß ihre Natur keiner andern Richtung bedurfte als zu pflegen und zu lieben, was Geschick und Neigung ihr anvertraut hatten; ich habe in der Zeit nach ihrem Tode viele ihrer Briefe durchlesen und bewundert, wie ihr Geist bis zur spätesten Epoche sein Gepräge nicht verloren. Ihr letzter Brief war ganz erfüllt von dem Guten, was sich zwischen Euch gefunden, und daß ihre späten Jahre, wie sie selbst schreibt, von Deiner Jugend so grün umwachsen seien; auch in diesem Sinn also wie in allem andern, was Dein lebendiges Herz mir schon gewährt hat, bin ich Dir Dank schuldig.

Wilhelm Humboldt hat uns viel von Dir erzählt. Viel, das heißt oft. Er fing immer wieder von Deiner kleinen Person zu reden an, ohne daß er so was recht Eigentliches zu sagen gehabt, woraus wir denn auf ein eignes Interesse schließen konnten. Neulich war ein schlanker Architekt von Kassel hier, auf den Du auch magst Eindruck gemacht haben.

Dergleichen Sünden magst Du denn mancherlei auf Dir haben, deswegen Du verurteilt bist, Gichtbrüchige und Lahme zu warten und zu pflegen.

Ich hoffe jedoch, das soll nur eine vorübergehende Büßung werden, damit Du Dich des Lebens desto besser und lebhafter mit den Gesunden freuen mögest.

Bring' nun mit Deiner reichen Liebe alles wieder ins Geleis einer mir so lieb gewordenen Gewohnheit, lasse die Zeit nicht wieder in solchen Lücken verstreichen, lasse von Dir vernehmen, es tut immer seine gute und freundliche Wirkung, wenn auch der Gegenhall nicht bis zu Dir hinüberdringt; so verzichte ich doch nicht darauf, Dir Beweise ihres Eindruckes zu liefern, an denen Du selbst ermessen magst, ob die Wirkung auf meine Einbildungskraft den Zaubermitteln der Deinigen entspricht. Meine Frau, hör' ich, hat Dich eingeladen, das tue ich nicht, und wir haben wohl beide recht. Lebe wohl, grüße freundlich die Freundlichen und bleib mir Bettine.

Weimar, den 22. Februar 1809.

G.


An Goethe.

Wenn Deine Einbildungskraft geschmeidig genug ist, mich in alle Schlupfwinkel von verfallenem Gemäuer, über Berg und Klüfte zu begleiten, so will ich's auch noch wagen, Dich bei mir einzuführen; ich bitte also: komm, – nur immer höher, – drei Steigen hoch – hier in mein Zimmer, setz' Dich auf den blauen Sessel am grünen Tisch, mir gegenüber; – ich will Dich nur ansehen, und – Goethe! – folgt mir Deine Einbildungskraft immer noch? – Dann mußt Du die unwandelbarste Liebe in meinen Augen erkennen, mußt jetzt liebreich mich in Deine Arme ziehen; sagen: »So ein treues Kind ist mir beschert, zum Lohn, zum Ersatz für manches. Es ist mir wert dies Kind, ein Schatz ist mir's, ein Kleinod, das ich nicht verlieren will.« – Siehst Du? – Und mußt' mich küssen; denn das ist, was meine Einbildungskraft der Deinigen beschert.

Ich führ' Dich noch weiter; – tritt sachte auf in meines Herzens Kammer; – hier sind wir in der Vorhalle; – große Stille! – Kein Humboldt, – kein Architekt, – kein Hund, der bellt. – Du bist nicht fremd; geh hin, poch' an – es wird allein sein und »herein!« – Dir rufen. Du wirst's auf kühlem, stillem Lager finden, ein freundlich Licht wird Dir entgegenleuchten, alles wird in Ruh' und Ordnung sein, und Du willkommen. – Was ist das? – Himmel! – Die Flammen über ihm zusammenschlagend! – Woher die Feuersbrunst? – Wer rettet hier? – Armes Herz! – Armes, notgedrungenes Herz. – Was kann der Verstand hier? – Der weiß alles besser und kann doch nichts helfen, der läßt die Arme sinken.

Kalt und unbedeutend geht das Leben entweder so fort, das nennt man einen gesunden Zustand; oder wenn es wagt auch nur den einzigen Schritt tiefer ins Gefühl, dann greifen Leidenschaften brennend mit Gewalt es an, so verzehrt sich's in sich selber. – Die Augen muß ich zumachen und darf nichts ansehen, was mir lieb ist. Ach! Die kleinste Erinnerung macht mich ergrimmen in sehnendem Zorn, und drum darf ich auch nicht immer in Gedanken Dir nachgehen, weil ich zornig werde und wild. – Wenn ich die Hände ausstrecke, so ist's doch nur nach den leeren Wänden, wenn ich spreche, so ist's doch nur in den Wind, und wenn ich endlich Dir schreibe, so empört sich mein eigen Herz, daß ich nicht die leichte Brücke von dreimal Tag und Nacht überfliege und mich in süßester, der Liebe ewig ersehnter Ruhe zu Deinen Füßen lege.

Sag', wie bist Du so mild, so reichlich gütig in Deinem lieben Brief; mitten in dem hartgefrornen Winter sonnige Tage, die mir das Blut warm machen; – was will ich mehr? – Ach, so lang ich nicht bei Dir bin, kein Segen.

Ach, ich möchte, sooft ich Dir wieder schreibe, auch wieder Dir sagen: wie und warum und alles; ich möchte Dich hier auf den einzigen Weg leiten, den ich einzig will, damit es einzig sei und ich nur einzig sei, die so Dich liebt und so von Dir erkannt wird.

Ob Liebe die größte Leidenschaft sei und ob zu überwinden, versteh' ich nicht, bei mir ist sie Willen, mächtiger, unüberwindlicher.

Der Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Willen ist nur, daß jener nicht nachgibt und ewig dasselbe will; unser Wille über jeden Augenblick fragt: »Darf oder soll ich?« – Der Unterschied ist, daß der göttliche Wille alles verewigt und der menschliche am irdischen scheitert; das ist aber das große Geheimnis, daß die Liebe himmlischer Wille ist, Allmacht, der nichts versagt ist.

Ach, Menschenwitz hat keinen Klang, aber himmlischer Witz, der ist Musik, lustige Energie, dem ist das Irdische zum Spott; er ist das glänzende Gefieder, mit dem die Seele sich aufschwingt, hoch über die Ansiedelungen irdischer Vorurteile, von da oben herab ist ihr alles Geschick gleich. Wir sagen, das Schicksal walte über uns? Wir sind unser eigen Schicksal, wir zerreißen die Fäden, die uns dem Glück verbinden, und knüpfen jene an, die uns unselige Last aufs Herz legen; eine innere geistige Gestalt will sich durch die äußere weltliche bilden, dieser innere Geist regiert selbst sein eigen Schicksal, wie es zu seiner höheren Organisation erforderlich ist.

Du mußt mir's nicht verargen, wenn ich's nicht deutlicher machen kann, Du weißt alles und verstehst mich und weißt, daß ich recht habe, und freust Dich drüber.

Gute Nacht! – Bis morgen gute Nacht, – alles ist still, schläft ein jeder im Haus, hängt träumend dem nach, was er wachend begehrt, ich aber bin allein wach mit Dir. Draußen auf der Straße kein Laut mehr ich möchte wohl versichert sein, daß in diesem Augenblick keine Seele mehr an Dich denkt, kein Herz einen Schlag mehr für Dich tut und ich allein auf der weiten Welt sitze zu Deinen Füßen, das Herz in vollen Schlägen geht auf und ab; und während alles schläft, bin ich wach, Dein Knie an meine Brust zu drücken, – und Du? – Die Welt braucht's nicht zu wissen, daß Du mir gut bist.

Bettine.


An Goethe.

München, 3. März 1809.

Heut' bricht der volle Tag mit seinen Neuigkeiten in meine Einsamkeit herein, wie ein schwer beladener Frachtwagen auf einer leichten Brücke einbricht, die nur für harmlose Spaziergänger gebaut war. Da hilft nichts, man muß Hand anlegen und helfen, alles in Gang bringen; auf allen Gassen schreit man Krieg, die Bibliothekardiener rennen umher, um ausgeliehene Manuskripte und Bücher wieder einzufordern, denn alles wird eingepackt. Hamberger, ein zweiter Herkules – denn wie jener die Stallungen der zwanzigtausend Rinder, so mistet er die Bibliothek von achtzigtausend Bänden aus und jammert, daß alle geschehene Arbeit umsonst ist. Auch die Galerie soll eingepackt werden; kurz, die schönen Künste sind in der ärgsten Konsternation. Opern und Musik ist Valet gesagt, der erlauchte Liebhaber der Prima Donna zieht zu Felde; die Akademie steckt Trauerampeln aus und bedeckt ihr Antlitz, bis der Sturm vorbei, und so wär' alles in stiller müder Erwartung des Feindes, der vielleicht gar nicht kommt. Ich bin auch in Gärung, und auch in revolutionärer. – Die Tiroler, mit denen halt' ich's, das kannst Du denken. Ach, ich bin's müde, des Nachbars Flöte oben in der Dachkammer bis in die späte Nacht ihr Stückchen blasen zu hören, die Trommel und die Trompete, die machen das Herz frisch.

Ach, hätt' ich ein Wämslein, Hosen und Hut, ich lief hinüber zu den gradnasigen, gradherzigen Tirolern und ließ ihre schöne grüne Standarte im Winde klatschen.

Zur List hab' ich große Anlage, wenn ich nur erst drüben wär', ich könnte ihnen gewiß Dienste leisten. Mein Geld ist all fort, ein guter Kerl, ein Mediziner, hat eine List erfunden, es den gefangnen Tirolern, die sehr hart gehalten sind, zuzustecken. Das Gitter vom Gefängnis geht auf einen öden Platz am Wasser, den ganzen Tag waren böse Buben da versammelt, die mit Kot nach ihnen warfen, am Abend gingen wir hin, unterdessen einer neben der Schildwache ausrief: »Ach, was ist das für ein Rauch in der Ferne«, und indem diese sich nach dem Rauch umsah, zeigte der andere den Gefangenen das blinkende Goldstück, wie er es in Papier einwickelte und dann mit Kot eine Kugel draus machte. »Jetzt pass' Achtung«, rief er, und warf's dem Tiroler zu, so gelang es mehrmals; die Schildwache freute sich, daß die bösen Jungen so gut treffen konnten.

Du kennst vielleicht oder erinnerst Dich doch gesehen zu haben einen Grafen Stadion, Domherr und kaiserlicher Gesandter, von seinen Freunden der schwarze Fritz genannt, er ist mein einziger Freund hier, die Abende, die er frei hat, bringt er gern bei mir zu, da liest er die Zeitung, schreibt Depeschen, hört mir zu, wenn ich was erzähle, wir sprechen auch oft von Dir; ein Mann von kluger freier Einsicht, von edlem Wesen. Er teilt mir aus seiner Herzens- und Lebensgeschichte merkwürdige Dinge mit, er hat viel aufgeopfert, aber nichts dabei verloren, im Gegenteil ist sein Charakter hierdurch frei geworden von der Steifheit, die doch immer mehr oder weniger den Platz freiwilliger Grazie einnimmt, sobald man mit der Welt in einer nicht unwichtigen Verbindung ist, wo man sich zum Teil auch künstlich verwenden muß; er ist so ganz einfach wie ein Kind und gibt meinen Launen in meiner Einsamkeit manche Wendung. Sonntags holt er mich ab in seinem Wagen und liest mir in der königlichen Kapelle die Messe; die Kirche ist meistens ganz leer, außer ein paar alten Leuten. Die stille einsame Kirche ist mir sehr erfreulich, und daß der liebe Freund, von dem ich so manches weiß, was in seinem Herzen bewahrt ist, mir die Hostie erhebt und den Kelch – das freut mich. Ach, ich wollt', ich wüßte ihm auf irgendeine Art ersetzt, was ihm genommen ist.

Ach, daß das Entsagen dem Begehren die Wage hält! – Endlich wird doch der Geist, der durch Schmerzen geläutert ist, über das Alltagsleben hinaus zum Himmel tanzen.

Und was wär' Weisheit, wenn sie nicht Gewalt brauchte, um sich allein geltend zu machen? – jedes Entsagen will sie ja lindernd ersetzen, und sie schmeichelt Dir alle Vorteile ihres Besitzes auf, während Du weinst um das, was sie Dir versagt.

Und wie kann uns das Ewige gelingen, als nur wenn wir das Zeitliche dran setzen?

Alles seh' ich ein und möchte alle Weisheit dem ersten besten Ablaßkrämer verhandeln um Absolution für alle Liebesintrigen, die ich mit Dir noch zu haben gedenke.

*

11. März.

Ach, wenn mich die Liebe nicht hellsehend machte, so wär' ich elend, ich seh' die gefrornen Blumen an den Fensterscheiben, den Sonnenstrahl, der sie allmählich schmilzt, und denke mir alles in Deiner Stube, wie Du auf- und niederwandelst, diese gefrornen Landschaften mit Tannenwäldchen und diese Blumenstöcke sinnend betrachtest. – Da erkenne ich so deutlich Deine Züge, und es wird so wahr, daß ich Dich sehen kann; unterdessen geht die Trommel hier unter dem Fenster von allen Straßen her und ruft die Truppen zusammen.

*

15. März.

Staatsangelegenheiten vertraut man mir nicht, aber Herzensangelegenheiten, – gestern abend kam noch der liebe katholische Priester, das Gespräch war ein träumerisch Gelispel früherer Zeiten; ein feines Geweb', das ein sanfter Hauch wiegt in stiller Luft. »Das Herz erlebt auch einen Sommer«, sagte er, »wir können es dieser heißen Jahreszeit nicht vorenthalten und Gott weiß, daß der Geist reifen muß wie der goldne Weizen, ehe die Sichel ihn schneidet.«

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20. März.

Ich bin begierig, über Liebe sprechen zu hören, die ganze Welt spricht zwar drüber, und in Romanen ist genug ausgebrütet, aber nichts, was ich gern hören will. Als Beweis meiner Aufrichtigkeit bekenne ich Dir: auch im »Wilhelm Meister« geht mir's so, die meisten Menschen ängstigen mich drin, wie wenn ich ein bös' Gewissen hätte, da ist es einem nicht geheuer innerlich und äußerlich, ich möchte zum Wilhelm Meister sagen: »Komm, flüchte Dich mit mir jenseits der Alpen zu den Tirolern, dort wollen wir unser Schwert wetzen und das Lumpenpack von Komödianten vergessen, und alle Deine Liebsten müssen denn mit ihren Prätensionen und höheren Gefühlen eine Weile darben; wenn wir wiederkommen, so wird die Schminke auf ihren Wangen erbleicht sein, und die flornen Gewande und die feinen Empfindungen werden vor Deinem sonneverbrannten Marsantlitz erschaudern. Ja, wenn etwas noch aus Dir werden soll, so mußt Du Deinen Enthusiasmus an den Krieg setzen, glaub' mir, die Mignon wär' nicht aus dieser schönen Welt geflüchtet, in der sie ja doch ihr Liebstes zurücklassen mußte, sie hätte gewiß alle Mühseligkeiten des Kriegs mit ausgehalten und auf den rauhen Alpen in den Winterhöhlen übernachtet bei karger Kost, das Freiheitsfeuer hätte auch in ihrem Busen gezündet und frisches, gesünderes Blut durch ihre Adern geleitet. – Ach, willst Du diesem Kind zulieb' nicht alle diese Menschen zuhauf verlassen? – Die Melancholie erfaßt Dich, weil keine Welt da ist, in der du handeln kannst. – Wenn Du Dich nicht fürchtest vor Menschenblut: – hier unter den Tirolern kannst du handeln für ein Recht, das ebensogut aus reiner Natur entsprungen ist, wie die Liebe im Herzen der Mignon. – Du bist's, Meister, der den Keim dieses zarten Lebens erstickt unter all dem Unkraut, was Dich überwächst. Sag', was sind sie alle gegen den Ernst der Zeit, wo die Wahrheit in ihrer reinen Urgestalt emporsteigt und dem Verderben, was die Lüge angerichtet hat, Trotz bietet? –

O, es ist eine himmlische Wohltat Gottes, an der wir alle gesunden könnten, eine solche Revolution: er läßt abermals und abermals die Seele der Freiheit wieder neugeboren werden.

Siehst Du, Meister, wenn Du heute in der sternhellen kalten Nacht Deine Mignon aus ihrem Bettchen holst, in dem sie gestern mit Tränen um Dich eingeschlafen war; Du sagst ihr: »Sei hurtig und gehe mit, ich will allein mit Dir in die Fremde ziehen«; o, sie wird's verstehen, es wird ihr nicht unglaublich vorkommen, Du tust, was sie längst von Dir verlangte, und was Du unbegreiflich unterlassen hast. Du wirst ihr ein Glück schenken, daß sie Deine harten Mühen teilen darf; bei Nacht auf gefahrvollen Wegen, wo jeder Schritt täuscht, da wird ihr Scharfblick, ihre kühne Zuversicht Dich sicher leiten hinüber zum kriegbedrängten Volk; und wenn sie sieht, daß Du Deine Brust den Pfeilen bietest, wird sie nicht zagen, es wird sie nicht kränken wie die Pfeile des schmeichelnden Sirenenvolks; sie wird rasch heranreifen zu dem kühnen Vertrauen, mit einzuklingen in die Harmonie der Freiheitsbegeisterung. Und wenn Du auch im Vordertreffen stürzen mußt, was hat sie verloren? – Was könnte ihr diesen schönen Tod ersetzen, an Deiner Seite vielleicht? – Beide Arm in Arm verschränkt, lägt Ihr unter der kühlen gesunden Erde, und mächtige Eichen beschatteten Euer Grab; sag', wär's nicht besser, als daß Du bald ihr feines Gebild den anatomischen Händen des Abbé überlassen mußt, daß er ein künstliches Wachs hineinspritze?

Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen früherer Zeiten, die Du mir angetan, ich fühl' mich jetzt so hilflos, so unverstanden wie damals die Mignon. – Da draußen ist heute ein Lärm, und doch geschieht nichts, sie haben arme Tiroler gefangen eingebracht, armes Taglöhnervolk, was sich in den Wäldern versteckt hatte; ich hör' hier oben das wahnsinnige Toben, ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's nicht mit ansehen, der Tag ist auch schon im Scheiden, ich bin allein, kein Mensch, der wie ich menschlich fühlte. Die festen sicheren, in sich einheimischen Naturen, die den Geist der Treue und Freiheit mit der reineren Luft ihrer Berge einatmen, die müssen sich durch die kotigen Straßen schleifen lassen von einem biertrunkenen Volk, und keiner tut diesem Einhalt, keiner wehrt seinen Mißhandlungen; man läßt sie sich versündigen an den höheren Gefühlen der Menschheit. – Teufel! – Wenn ich Herrscher wär', hier wollt' ich ihnen zeigen, daß sie Sklaven sind, es sollte mir keiner wagen, sich am Ebenbild Gottes zu vergreifen.

Ich meine immer, der Kronprinz müsse anders empfinden, menschlicher, die Leute wollen ihn nicht loben, sie sagen: er sei eigensinnig und launig, ich habe Zutrauen zu ihm, er pflegt den Garten, den er als Kind hatte, noch jetzt mit Sorgfalt, begießt die Blumen, die in seinen Zimmern blühen, selbst, macht Gedichte, holperig, aber voll Begeisterung, das alles sagt mir gut für ihn.

Was wohl ein solcher für Gedanken hat, der jeden Gedanken realisieren könnte? – Ein Fürst, dessen Geist das ganze Land erhellen soll? – Er müßte verharren im Gebet sein Leben lang, der angewiesen ist, in tausend andern zu leben zu handeln.

Ja, ob ein Königssohn wohl den heiligen Geist in sich erweckt, daß der regiere statt seiner? – Der Stadion seufzt und sagt: »Das Beste ist, daß, wie die Würfel auch fallen, der Weg zum Himmel immer unversperrt bleibt für König und Untertan.«

*

25. März.

Ich habe keinen Mut und keinen Witz, ach, hätt' ich doch einen Freund, der nächtlich mit mir über die Berge ging.

Die Tiroler liegen in dieser Kälte mit Weib und Kind zwischen den Felsen, und ihr begeisterter Atem durchwärmt die ganze Atmosphäre. Wenn ich den Stadion frage, ob der Herzog Karl sie auch gewiß nicht verlassen werde, dann faltet er die Hände und sagt: »Ich will's nicht erleben.«

*

26. März.

Das Papier muß herhalten, einziger Vertrauter! – Was doch Amor für tückische Launen hat, daß ich in dieser Reihe von Liebesbriefen auf einmal mich für Mars entzünde, mein Teil Liebesschmerzen hab' ich schon, ich müßte mich schämen, in diesem Augenblick sie geltend machen zu wollen; und könnt' ich nur etwas tun und wollten die Schicksalsmächte mich nicht verschmähen! Das ist das Bitterste, wenn man ihnen nichts gilt, wenn sie einem zu nichts verwenden.

Denk' nur, daß ich in dem verdammten München allein bin. Kein Gesicht, dem zu trauen wär'; Savigny ist in Landshut, dem Stadion schlagen die Wellen in diesem politischen Meeressturm überm Kopf zusammen, ich seh' ihn nur auf Augenblicke, man ist ganz mißtrauisch gegen mich wegen ihm, das ist mir grade lieb, wenn man auch hochmütig ist auf den eignen Wahnsinn, so soll man doch ahnen, daß nicht jeder von ihm ergriffen ist.

Heute morgen war ich draußen im beschneiten Park und erstieg den Schneckenturm, um mit dem Fernrohr nach den Tiroler Bergen zu sehen, wüßte ich Dein Dach dort, ich könnte nicht sehnsüchtiger danach spähen.

Heute ließ Winter Probe halten von einem Marsch, den er für den Feldzug gegen Tirol komponierte, ich sagte, der Marsch sei schlecht, die Bayern würden alle ausreißen und der Schimpf auf ihn fallen. Winter zerriß die Komposition und war so zornig, daß sein langes Silberhaar wie ein vom Hagel getroffenes Ährenfeld hin- und herwogte. Ach, könnte ich doch andere Anstalten auch so hintertreiben wie den Marsch.

Jacobi habe ich in drei Wochen nicht gesehen, obschon ich ihm über seinen »Woldemar«, den er mir hier zu lesen gab, einen langen Brief geschrieben habe; ich wollte mich üben, die Wahrheit sagen zu können, ohne daß sie beleidigt, er war mit dem Brief zufrieden und hat mir mancherlei darauf erwidert, wär' ich nicht in das heftige Herzklopfen geraten wegen den Tirolern, so wär' ich vielleicht in eine philosophische Korrespondenz geraten und gewiß drin stecken geblieben; dort auf den Bergen aber nicht, da hätt' ich meine Sache durchgefochten.

Schelling seh' ich auch selten, er hat etwas an sich, das will mir nicht behagen, und dies Etwas ist seine Frau, die mich eifersüchtig machen will auf Dich, sie ist in Briefwechsel mit einer Pauline G. aus Jena, von dieser erzählt sie mir immer, wie lieb Du sie hast, wie liebenswürdige Briefe Du ihr schreibst usw., ich höre zu und werde krank davon, und dann ärgert mich die Frau. – Ach, es ist auch einerlei, ich kann nicht wollen, daß Du mich am liebsten hast, aber es soll sich niemand unterstehen, seine Rechte mit mir zu messen in der Liebe zu Dir.

Bettine.


An Goethe.

10. April.

Die Sonne geht mir launig auf, beleuchtet mir manches Verborgne, blendet mich wieder. Mit schweren Wolken abwechselnd zieht sie über mir hin, bald stürmisch Wetter, dann wieder Ruh'.

Es ebnet sich nach und nach, und auf dem glatten Spiegel, hell und glühend, steht immer wieder des liebsten Mannes Bildnis, wankt nicht, warum vor andern nur Du? – Warum nach allen immer wieder Du? Und doch bin ich Dir werter mit all der Liebe in der Brust? – – frag' ich Dich? – Nein, ich weiß recht gut, daß Du doch nichts antwortest, – und wenn ich auch sage: »Lieber, geliebter einziger Mann.«

Was hab' ich alles erlebt in diesen Tagen, was mir das Herz gebrochen, ich möchte meinen Kopf an Deinen Hals verstecken, ich möchte meine Arme um Dich schlingen und die böse Zeit verschlafen.

Was hat mich alles gekränkt, – nichts hab' ich gehabt in Kopf und Herzen, als nur immer das mächtige Schicksal, das dort in den Gebirgen rast.

Warum soll ich aber weinen um die, die ihr Leben mit so freudiger Begeisterung ausgehaucht haben? – Was erbarmt mich denn so? – Hier ist kein Mitleid zu haben als nur mit mir, daß ich mich so anstrengen muß, es auszuhalten.

Will ich Dir alles schreiben, so verträume ich die Zeit – die Zeit, die auf glühenden Sohlen durchs Tirol wandert; so bittere Betrübnis hat mich durchdrungen, daß ich's nicht wage, die Papiere, die in jenen Stunden geschrieben sind, an Dich abzuschicken.

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19. April.

Ich bin hellsehend, Goethe, – ich seh' das vergoßne Blut der Tiroler triumphierend in den Busen der Gottheit zurückströmen. Die hohen gewaltigen Eichen, die Wohnungen der Menschen, die grünen Matten, die glücklichen Herden, der geliebte gepflegte Reichtum des Heldenvolks, die den Opfertod in den Flammen fanden, das alles seh' ich verklärt mit ihnen gen Himmel fahren, bis auf den treuen Hund, der, seinen Herrn beschützend, den Tod verachtet wie er.

Der Hund, der keinen Witz hat, nur Instinkt, und heiter in jedem Geschick das Rechte tut. – Ach, hätte der Mensch nur so viel Witz, den eignen Instinkt nicht zu verleugnen.

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20. April.

In all diesen Tagen der Unruh', glaub's Goethe, vergeht keiner, den ich nicht mit dem Gedanken an Dich beschließe, ich bin so gewohnt, Deinen Namen zu nennen, nachts, eh' ich einschlafe, Dir alle Hoffnung ans Herz zu legen, und alle Bitten und Fragen in die Zukunft.

Da liegen sie um mich her, die Papiere mit der Geschichte des Tags und den Träumen der Nacht, lauter Verwirrung, Unmut, Sehnsucht und Seufzer der Ohnmacht; ich mag Dir in dieser Zeit, die sich so geltend macht, nichts von meinem bedürftigen Herzen mitteilen, nur ein paar kleine Zufälle, die mich beschäftigen, schrieb ich Dir auf, damit ich nicht verleugne vor Dir, daß ein höheres Geschick auch mir Winke gab, obschon ich zu unmündig mich fühle, ihm zu folgen.

Im März war's, da leitete mir der Graf M..., bei dessen Familie ich hier wohne, eine wunderliche Geschichte ein, die artig ausging. Der Hofmeister seines Sohnes gibt ihn bei der Polizei an, er sei österreichisch gesinnt und man habe an seinem Tisch die Gesundheit des Kaisers getrunken, er schiebt alles auf mich, und nun bittet er mich, daß ich auf diese Lüge eingehe, da es ihm sehr nachteilig sein könne, mir aber höchstens einen kleinen Verweis zuziehen werde, sehr willkommen war mir's, ihm einen Dienst leisten zu können, ich willige mit Vergnügen ein; in einer Gesellschaft wird mir der Polizeipräsident vorgestellt, unter dem Vorwand meine Bekanntschaft machen zu wollen, ich komme ihm zuvor und schütte ihm mein ganzes Herz aus, meine Begeisterung für die Tiroler und daß ich aus Sehnsucht alle Tage auf den Schneckenturm steige mit dem Fernrohr, daß man heute aber eine Schildwache hingepflanzt habe, die mich nicht hinaufgelassen; gerührt über mein Zutrauen, küßt er mir die Hand und verspricht mir, die Schildwache wegzubeordern, – es war keine List von mir, denn ich hätte wirklich nicht gewußt, mich anders zu benehmen, indessen ist durch dieses Verfahren der Freund weiß gebrannt und ich nicht schwarz.

Ein paar Tage später, in der Karwoche, indem ich abends in der Dämmerung in meinem Zimmer allein war, treten zwei Tiroler bei mir ein, ich bin verwundert, aber nicht erschrocken. – Der eine nimmt mich bei der Hand und sagt: »Wir wissen, daß du den Tirolern gut bist und wollen dich um eine Gefälligkeit bitten«; es waren Papiere an Stadion und mündliche Aufträge, sie sagten mir noch, es würde gewiß ein Augenblick kommen, da ich ihnen Dienste leisten könne, es war mir so wunderlich, ich glaubte, es könne eine List sein, mich auszuforschen, doch war ich kurz gefaßt und sagte: »Ihr mögt mich nun betrügen oder nicht, so werd' ich tun, was ihr von mir verlangt«; der Tiroler sieht mich an und sagt: »Ich bin Leibhusar des Königs, kein Mensch hat Arges gegen mich, und doch hab' ich nichts im Sinn als nur, wie ich meinen Leuten helfen will, nun hast du mich in Händen und wirst nicht fürchten, daß ein Tiroler auch ein Verräter sein könne.«

Wie die Tiroler weg waren, war ich wie betäubt, mein Herz schlug hoch vor Entzücken, daß sie mir dies Zutrauen geschenkt haben; am andern Tag war Karfreitag, da holte mich der Stadion ab, um mir eine stille Messe zu lesen. Ich gab ihm meine Depeschen und erzählte ihm alles, äußerte ihm voll Beschämung die große Sehnsucht, daß ich fort möchte zu den Tirolern; Stadion sagt, ich soll mich auf ihn verlassen, er wolle einen Stutzen auf den Rücken nehmen und ins Tirol gehen, und alles, was ich möchte, das wolle er für mich ausrichten, es sei die letzte Messe, die er mir lesen werde, denn in wenig Tagen sei seine Abreise bestimmt. Ach Gott, es fiel mir schwer aufs Herz, daß ich so bald den lieben Freund verlieren sollte.

Nach der Messe ging ich aufs Chor, Winter ließ die Lamentation singen, ich warf ein Chorhemd über und sang mit, unterdessen kam der Kronprinz mit seinem Bruder, das Kruzifix lag an der Erde, das beide Brüder küßten, nachher umarmten sie sich; sie waren bis an den Tag entzweit gewesen über einen Hofmeister, den der Kronprinz, weil er ihn für untauglich hielt, von seinem Bruder entfernt hatte; sie versöhnten sich also hier in der Kirche miteinander, und mir machte es große Freude, zuzusehen. Bopp, ein alter Klaviermeister des Kronprinzen, der auch mir Unterricht gibt, begleitete mich nach Hause, er zeigte mir ein Sonett, was der Kronprinz an diesem Morgen gedichtet hatte; schon daß er diesen Herzensdrang empfindet, bei Ereignissen, die ihn näher angehen, zu dichten, spricht für eine tiefere Seele; in ihm waltet gewiß das Naturrecht vor, dann wird er auch die Tiroler nicht mißhandeln lassen; ja, ich hab' eine gute Zuversicht zu ihm; der alte Bopp erzählt mir alles, was meinen Enthusiasmus noch steigern kann. Am dritten Feiertag holte er mich ab in den englischen Garten, um die Anrede des Kronprinzen an seine versammelten Truppen, mit denen er seinen ersten Feldzug machen wird, anzuhören; ich konnte nichts Zusammenhängendes verstehen, aber was ich hörte, war mir nicht recht, er spricht von ihrer Tapferkeit, ihrer Ausdauer und Treue, von den abtrünnigen verräterischen Tirolern, daß er sie, vereint mit ihnen, zum Gehorsam zurückführen werde, und daß er seine eigne Ehre mit der ihrigen verflechte und verpfände usw. Wie ich nach Hause komme, wühlt das alles in mir, ich sehe schon im Geist, wie der Kronprinz, seinen Generalen überlassen, alles tut, wogegen sein Herz spricht, und dann ist's um ihn geschehen. So ein bayrischer General ist ein wahrer Rumpelbaß, aus ihm hervor brummt nichts als Bayerns Ehrgeiz; das ist die grobe, rauhe Stimme, mit der er alle besseren Gefühle übertönt.

Das alles wogte in meinem Herzen, da ich von dieser öffentlichen Rede zurückkam, und daß kein Mensch in der Welt einem Herrscher die Wahrheit sagt, im Gegenteil nur Schmeichler ihnen immerdar recht geben, und je tiefer sich ein solcher irrt, je gewaltiger ist in jenen die Furcht, er möge an ihrer Übereinstimmung zweifeln; sie haben nie das Wohl der Menschheit, sie haben nur immer die Gunst des Herrn im Auge. Ich mußte also einen verzweifelten Schritt tun, um den Tumult der eignen Lebensgeister zu beschwichtigen, und ich bitte Dich im voraus um Verzeihung, wenn Du es nicht gutheißen solltest.

Erst nachdem ich dem Kronprinzen meine Liebe zu ihm, meine Begeisterung für seinen Genius, Gott weiß in welchen Schwingungen, ans Herz getrieben habe, vertraue ich ihm meine Anschauung von dem Tirolervolk, das sich die Heldenkrone erwirbt, meine Zuversicht, er werde Milde und Schonung da verbreiten, wo seine Leute jetzt nur rohe Wut und Rachgierde walten lassen, ich frage ihn, ob der Name »Herzog von Tirol« nicht herrlicher klinge, als die Namen der vier Könige, die ihre Macht vereint haben, um diese Helden zu würgen? Und es möge nun ausgehen wie es wolle, so hoffe ich, daß er sich von jenen den Beinamen der Menschliche erwerben werde; dies ungefähr ist der Inhalt eines vier Seiten langen Briefs, den ich, nachdem ich ihn in heftigster Wallung geschrieben (da ich denn auch nicht davor stehen kann, was alles noch mir untergelaufen), mit der größten Kaltblütigkeit siegelte und ganz getrost in des Klaviermeisters Hände gab, mit der Bedeutung: es seien wichtige Sachen über die Tiroler, die dem Kronprinz von großem Nutzen sein würden. –

Wie gern macht man sich wichtig, mein Bopp purzelte fast die Stiegen herab, vor übergroßer Eile dem Kronprinzen den interessanten Brief zu überbringen, und wie leichtsinnig bin ich, ich vergaß alles. Ich ging zu Winter, Psalmen singen, zu Tieck, zu Jacobi, nirgends stimmt man mit mir ein, ja alles fürchtet sich, und wenn sie wüßten, was ich angerichtet habe, sie würden mir aus Furcht das Haus verbieten, da seh' ich denn ganz ironisch drein und denke: seid ihr nur bayrisch und französisch, ich und der Kronprinz wir sind deutsch und tirolisch, oder er läßt mich ins Gefängnis setzen, dann bin ich mit einem Male frei und selbständig, dann wird mein Mut schon wachsen, und wenn man mich wieder losläßt, dann geh' ich über zu den Tirolern und begegne dem Kronprinzen im Feld, und trotze ihm ab, was er so mir nicht zugesteht.

O Goethe, wenn ich sollte ins Tirol wandern und zur rechten Zeit kommen, daß ich den Heldentod sterbe! Es muß doch ein ander Wesen sein, es muß doch eine Belohnung sein für solche lorbeergekrönten Häupter; der glänzende Triumph im Augenblick des Übergangs ist ja Zeugnis genug, daß die Begeisterung, die der Heldentod uns einflößt, nur Widerschein himmlischer Glorie ist. Wenn ich sterbe, ich freue mich schon darauf, so gaukle ich als Schmetterling aus dem Sarg meines Leibes hervor, und dann treffe ich Dich in dieser herrlichen Sommerzeit unter Blumen, wenn ein Schmetterling Dich unter Blumen vorzieht und lieber auf Deiner Stirn sich niederläßt und auf Deinen Lippen als auf den blühenden Rosen umher, dann glaube sicher, es ist mein Geist, der auf dem Tiroler Schlachtfeld freigemacht ist von irdischen Banden, daß er hin kann, wo die Liebe ihn ruft.

Ja, wenn alles wahr würde, was ich schon in der Phantasie erlebt habe, wenn alle glanzvollen Ereignisse meines innern Lebens auch im äußern sich spiegelten, dann hättest Du schon große und gewaltige Dinge von Deinem Kind erfahren, ich kann Dir nicht sagen, was ich träumend schon getan habe, wie das Blut in mir tobt, daß ich wohl sagen kann, ich hab' eine Sehnsucht, es zu verspritzen.

Mein alter Klaviermeister kam zurück, zitternd und bleich; »Was hat in den Papieren gestanden, die Sie mir für den Kronprinzen anvertrauten«, sagte er, »wenn es mich nur nicht auf ewig unglücklich macht, der Kronprinz schien aufgeregt, ja erzürnt während dem Lesen, und wie er mich gewahr wurde, hieß er mich gehen, ohne wie sonst mir auch nur ein gnädiges Wort zu sagen.« – Ich mußte lachen, der Klaviermeister wurde immer ängstlicher, ich immer lustiger, ich freute mich schon auf meine Gefangenschaft, und wie ich da in der Einsamkeit meinen philosophischen Gedanken nachhängen würde, ich dachte: dann fängt mein Geschick doch einmal an, Leben zu gewinnen, es muß doch einmal was draus entstehen; aber so kam es wieder nicht, ein einzigmal sah ich den Kronprinz im Theater, er winkte mir freundlich; nun gut: acht Tage hatte ich meinen Stadion nicht gesehen, am 10. April, wo ich die gewisse Nachricht erhielt, er sei in der Nacht abgereist, da war ich doch sehr betrübt, daß ich ihn sollte zum letztenmal gesehen haben, es war mir eine wunderliche Bedeutung, daß er am Karfreitag seine letzte Messe gelesen hatte; – die vielen zurückgehaltenen und verleugneten Gefühle brachen endlich in Tränen aus. In der Einsamkeit, da lernt man kennen, was man will, und was einem versagt wird. Ich fand keine Lage für mein ringendes Herz, müde geworden vom Weinen, schlief ich ein, bist Du schon eingeschlafen, müde vom Weinen? – Männer weinen wohl so nicht? – Du hast wohl nie geweint, daß die Seufzer noch selbst im Schlaf die Brust beschweren. So schluchzend im Traum hör' ich meinen Namen rufen; es war dunkel, bei dem schwachen Dämmerschein der Laternen von der Straße erkenne ich einen Mann neben mir in fremder Soldatenkleidung, Säbel, Patrontasche, schwarzes Haar, sonst würde ich glauben, den schwarzen Fritz zu erkennen. – »Nein, du irrst nicht, es ist der schwarze Fritz, der Abschied von dir nimmt, mein Wagen steht an der Tür, ich gehe eben als Soldat zur österreichischen Armee, und was deine Freunde, die Tiroler, anbelangt, so sollst du mir keine Vorwürfe machen oder du siehst mich nie wieder, denn ich gebe dir mein Ehrenwort, ich werde nicht erleben, daß man sie verrate, es geht gewiß alles gut, eben war ich beim Kronprinzen, der hat mit mir die Gesundheit der Tiroler getrunken und dem Napoleon ein Pereat gebracht, er hat mich bei der Hand gefaßt und gesagt: ›Erinnern Sie sich dran, daß im Jahr Neune im April, während der Tiroler Revolution, der Kronprinz von Bayern dem Napoleon widersagt hat‹, und so hat er sein Glas mit mir angestoßen, daß der Fuß zerschellte«; ich sagte zu Stadion: »Nun bin ich allein und hab' keinen Freund mehr«, er lächelte und sagte: »Du schreibst an Goethe, schreib ihm auch von mir, daß der katholische Priester auf dem Tiroler Schlachtfeld sich Lorbeern holen will«, ich sagte: »Nun werde ich keine Messe so bald mehr hören«; – »und ich werde so bald auch keine mehr lesen«, sagte er. Da stieß er sein Gewehr auf und reichte mir die Hand zum Abschied. Den werd' ich gewiß nicht wiedersehen. Kaum war er fort, klopfte es schon wieder, der alte Bopp kommt herein, es war finster im Zimmer, an seiner Stimme erkenne ich, daß er freudig ist, er reicht mir feierlich ein zerbrochnes Glas und sagt: »Das schickt Ihnen der Kronprinz und läßt Ihnen sagen, daß er die Gesundheit derjenigen daraus getrunken hat, die Sie protegieren, und hier schickt er Ihnen seine Kokarde als Ehrenpfand, daß er Ihnen sein Wort lösen werde, jeder Ungerechtigkeit, jeder Grausamkeit zu steuern.« – Ich war froh, herzlich froh, daß ich nicht kleinlich und zaghaft gewesen war, dem Zutrauen zu folgen, was der Kronprinz und alles, ja auch selbst das Widersprechendste, was ich von ihm erfahren habe, mir einflößte; es war sehr freundlich von ihm, daß er mich so grüßen ließ, und daß er nicht meine Voreiligkeit von sich wies; ich werd' es ihm nicht vergessen, mag ich auch noch manches Verkehrte von ihm hören; denn unter allen, die ihn beurteilen, hat gewiß keiner ein so gutes Herz als er, der es sich ganz ruhig gefallen läßt. Ich weiß auch, daß er eine feierliche Hochachtung vor Dir hat und nicht wie andere Prinzen, die nur im Vorüberstreifen einen solchen Geist berühren wie Du, nein, es geht ihm von Herzen, wenn er Dich einmal sieht und Dir sagt, daß er sich's zum größten Glück schätze.

Ich habe noch viel auf dem Herzen, denn ich habe Dich allein, dem ich's mitteilen kann. Jeder Augenblick erregt mich aufs neue, es ist als ob das Schicksal dicht vor meiner Türe seinen Markt aufgeschlagen hätte; so wie ich den Kopf hinausstecke, bietet es Plunder, Verrat und Falschheit feil, außer die Tiroler, deren Siegesjubel durch alle Verleumdung und Erbitterung der Feinde durchklingt, aus deren frisch vergoßnem Blut schon neue Frühlingsblumen sprießen und die Jünglinge frisch jeden Morgen von den nebelverhüllten Felszacken dem gewissen Sieg entgegentanzen.

Adieu, Adieu, auf meine Liebe weise ich Dich an, die hier in diesen Blättern nur im Vorüberstreifen den Staub ihrer üppigen Blüte aus den vollen Kelchen schüttelt.

Bettine.

 

Friedrich Tieck macht jetzt Schellings Büste, sie wird nicht schöner als er, mithin ganz garstig, und doch ist es ein schönes Werk. –

Da ich in Tiecks Werkstätte kam und sah, wie der große, breite, prächtige, viereckige Schellingskopf unter seinen fixen Fingern zum Vorschein kam, dacht' ich, er habe unserm Herrgott abgelernt, wie er die Menschen machte, und er werde ihm gleich den Atem einblasen, und der Kopf werde lernen, A – B – sagen, womit ein Philosoph so vieles sagen kann.


An Bettine.

Man möchte mit Worten so gerne wie mit Gedanken Dir entgegenkommen, liebste Bettine; aber die Kriegszeiten, die so großen Einfluß auf das Lesen haben, erstrecken ihn nicht minder streng auf das Schreiben, und so muß ich's versagen, Deinen romantisch-charakteristischen Erzählungen gleichlautende Gesinnungen deutlich auszusprechen. Ich muß daher erwarten, was Du durch eine Reihe von Briefen mich hoffen läßt, nämlich Dich selbst, um Dir alles mit Dank für Deine nie versiegende Liebe zu beantworten.

Erst in voriger Woche erhielt ich Dein Paket, was der Kurier in meiner Abwesenheit dem Herzog übergab, der es mir selbst brachte. Seine Neugierde war nicht wenig gespannt, ich mußte, um nur durchzukommen, Deine wohlgelungenen politischen Verhandlungen ihm mitteilen, die denn auch so allerliebst sind, daß es einem schwer wird, sie für sich allein zu bewahren. Der Herzog bedauert sehr, daß Du im Interesse anderer Mächte bist. –

Ich habe mich nun hier in Jena in einen Roman eingesponnen, um weniger von allem Übel der Zeit ergriffen zu werden, ich hoffe, der Schmetterling, der da herausfliegt, wird Dich noch als Bewohner dieses Erdenrunds begrüßen und Dir beweisen, wie die Psychen auch auf scheinbar verschiednen Bahnen einander begegnen.

Auch Deine lyrischen Aufforderungen an eine frühere Epoche des Autors haben mir in manchem Sinne zugesagt, und wüchse der Mensch nicht aus der Zeit mehr noch wie aus Seelenepochen heraus, so würd' ich nicht noch einmal erleben, wie schmerzlich es ist, solchen Bitten kein Gehör zu geben.

Deine interessanten Ereignisse mit dem hohen Protektor eigner feindlicher Widersacher macht mich begierig, noch mehr und auch von andrer Seite von ihm zu wissen, zum Beispiel könntest Du mir die Versuche und Bruchstücke seiner Gedichte, in deren Besitz Du bist, mitteilen, mit Vergnügen würde ich ihn in dem unbefangnen Spiel mit seiner jungen Muse beobachten.

Die Gelegenheiten, mir sicher Deine Briefe zu schicken, versäume ja nicht, sie sind mir in dieser armen Zeit äußerst willkommen. Auch was der Tag sonst noch mit sich bringt, berichte, von Freunden und merkwürdigen Leuten, Künsten und philosophischen Erscheinungen; da Du in einem Kreis vielfach aufgeregter Geister bist, so kann Dir der Stoff hier nicht ausgehen.

Möchten doch auch die versprochnen Mitteilungen über die letzten Tage meiner Mutter in diesen verschlingenden Ereignissen nicht untergehen, mir ist zwar mancherlei von Freunden über sie berichtet, wie sie mit großer Besonnenheit alle irdischen Anordnungen getroffen; von Dir aber erwarte ich noch etwas anders, daß Dein liebender Sinn ihr ein Denkmal setze, in der Erinnerung ihrer letzten Augenblicke.

Ich bin sehr in Deiner Schuld, liebes Kind, mit diesen wenigen Zeilen, ich kann Dir nur mit Dank bezahlen für alles, was Du mir gibst, geben möchte ich Dir das Beste wenn Du es nicht schon unwiderstehlich an Dich gerissen hättest.

Der schwarze Fritz ist mir auch unter diesem Namen ein guter Bekannter, und die schönen Züge, die Du von ihm berichtest, bilden ein vollkommnes Ganze mit dem, was eine befreundete Erinnerung hinzubringt. Du hast wohl recht zu sagen, daß, wo der Boden mit Heldenblut getränkt wird, es in jeder Blume neu hervorsprieße, Deinem Helden gönne ich, daß Mars und Minerva ihm alles Glück zuwenden mögen, da er so schönem an Deiner Seite entrissen zu sein scheint

17. März 1809.

G.


An Goethe.

18. Mai.

Der Kronprinz von Bayern ist die angenehmste unbefangenste Jugend, ist so edler Natur, daß ihn Betrug nie verletzt, so wie den gehörnten Siegfried nie die Lanzenstiche verletzten. Er ist eine Blüte, auf welcher der Morgentau noch ruht, er schwimmt noch in seiner eignen Atmosphäre, das heißt: seine besten Kräfte sind noch in ihm. Wenn es so fort ginge und daß keine bösen Mächte seine Meister würden? – Wie gut hatten's doch jene Ritter, die von geneigten Feen mit kräftigen Talismanen versehen wurden, wenn sie zwischen feurigen Drachen und ungeschlachten Riesen nach dem tanzenden Wasser des Lebens oder nach goldnen Liebesäpfeln ausgesandt waren und eine in Marmor verwünschte Prinzessin, so rot wie Blut, so weiß wie Schnee, schön wie das ausgespannte Himmelszelt über dem Frühlingsgarten, als ihrer Erlösung Lohn ihnen zuteil wurde. – Jetzt ist die Aufgabe anders: die unbewachten Apfelbäume hängen ihre fruchtbeladenen Zweige über den Weg, und Liebchen lauscht hinter der Hecke, um den Ritter selbst zu fangen, und diesem allem soll er entgehen und sein Herz der Tugend weihen, die keine Jugend hat, sondern eine gräuliche Larve, so daß man vor ihr Reißaus nehmen möchte; la belle et la bête, la bête ist die Tugend und la belle ist die Jugend, die sich von ihr soll fressen lassen; da ist's denn kein Wunder, wenn die Jugend vor der Tugend Reißaus nimmt, und man kann ohne geheime parteiliche Wünsche nicht Zeuge von diesem Wettrennen sein. – Armer Kronprinz! Ich bin ihm gut, weil er mit so schönem Willen hinübergeht zu meinen Tirolern, und wenn er auch nichts tut, als der Grausamkeit wehrt, ich verlasse mich auf ihn.

Gestern bin ich zum erstenmal wieder eine Strecke weit ins Freie gelaufen, mit einem kapriziösen Liebhaber der Wissenschaft und Künste, mit einem sehr guten gehorsamen Kinde seiner eignen Launen, eine warme lebendige Natur, breit und schmal, wie Du ihn willst, dreht sich schwindellos über einem Abgrund herum, steigt mit Vergnügen auf die kahlen Spitzen der Alpen, um nach Belieben in den Ozean oder ins Mittelländische Meer zu speien, macht übrigens wenig Lärm. Wenn du ihn je siehst und nach dieser Beschreibung erkennst, so ruf ihn nur Rumohr, ich vermute, er wird sich nach Dir umsehen. – Mit diesem also hat meine unbefangne Jugend gewagt, sich das Ziel einer anderthalb Stunden weiten Reise zu setzen, der Ort unserer Wallfahrt heißt Harlachingen, auf französisch Arlequin. Ein heißer Nachmittag, recht um melancholische Blicke in Brand zu stecken.

Wir verlassen den grünen Teppich, schreiten über einen schmalen Balken auf die andere Seite des Ufers, wandern zwischen Weiden, Mühlen, Bächen weiter; – wie nimmt sich da ein Bauer in roter Jacke aus, gelehnt an den hohen Stamm des edlen populus alba, dessen feine Äste mit kaum entsproßnen Blättern einen sanften grünen Schleier, gleichsam ein Frühlingsnetz niederspinnen, in welchem sich die tausend Käfer und sonstige Bestien fangen, scherzen und ganz lieblich haushalten. Jetzt! Warum nicht? – Da unter dem Baum ist genugsam Platz, seinen Gedanken Audienz zu geben, der launige Naturliebhaber läßt sich da nieder das Dolce farniente summt ihm ein Wiegenliedchen in die Ohren, die Augenlider sinken, Rumohr schläft. Natur hält Wache, lispelt, flüstert, lallt, zwitschert. – Das tut ihm so gut; träumend senkt er sein Haupt auf die Brust; jetzt möcht' ich dich fragen, Rumohr, was ich nie fragen mag, wenn du wach bist. Wie kommt's, daß du ein so großes Erbarmen hast und freundlich bist mit allen Tieren und dich nicht kümmerst um das gewaltige Geschick jenes Bergvolks? Vor wenig Wochen, wie das Eis brach und der Fluß überschwoll, da setztest Du alles dran, eine Katze aus der Wassersnot zu retten. Vorgestern hast du einen totgeschlagnen Hund, der am Wege lag, mit eignen Händen eine Grube gemacht und mit Erde bedeckt, obschon du in seidnen Strümpfen warst und einen Klaque in Händen hattest. Heute morgen hast du mit Tränen geklagt, daß die Nachbarn ein Schwalbennest zerstörten trotz deinen Bitten und Einreden. Warum gefällt dir's nicht, deine Langeweile, deine melancholische Laune zu verkaufen um einen Stutzen, du bist so leicht und schlank wie eine Birke, du könntest Sätze tun über die Abgründe, von einem Fels zum andern, aber faul bist du und furchtbar krank an Neutralität. – Da steh' ich allein auf der Wiese, Rumohr schnarcht, daß die Blumen erzittern, und ich denk' an die Sturmglocke, deren Geläut so fürchterlich in den Ohren der Feinde erklingt, und auf deren Ruf alle mit Trommeln und Pfeifen ausziehen, ob auch die Stürme brausen, ob Nacht oder Tag, – und Rumohr, im Schatten eines jungbelaubten Baumes, eingewiegt von scherzenden Lüftchen und singenden Mückchen, schläft fest; was geht den Edelmann das Schicksal derer an, denen keine Strapaze zu hart, kein Marsch zu weit ist, die nur fragen: »Wo ist der Feind? – Dran, dran, für Gott, unsern lieben Kaiser und Vaterland!!« – Das muß ich Dir sagen, wenn ich je einen Kaiser, einen Landesherrn lieben könnte, so wär's im Augenblick, wo ein solches Volk im Enthusiasmus sein Blut für ihn verspritzt; ja, dann wollt' ich auch rufen: »Wer mir meinen Kaiser nehmen will, der muß mich erst totschlagen«, aber so sag' ich mit dem Apostel: »Ein jeder ist geboren, König zu sein und Priester der eignen göttlichen Natur, wie Rumohr.«

Die Isar ist ein wunderlicher Fluß. Pfeilschnell stürzen die jungen Quellen von den Bergklippen herab, sammeln sich unten im felsigen Bett in einen reißenden Strom. Wie ein schäumender Drache mit aufgesperrtem Rachen braust er hüben und drüben, über hervorragende Felsstücke verschlingend her, seine grünen dunklen Wellen brechen sich tausendfach am Gestein, und schäumend jagen sie hinab, sie seufzen, sie lallen, sie stöhnen, sie brausen gewaltig. Die Möven fliegen zu Tausenden über den Wassersturz und netzen die Spitzen ihrer scharfen Flügel; – und in so karger Gegend, schauderhaft anzusehen, ein schmaler Steg von zwei Brettern, eine Viertelstunde lang, schräg in die Länge des Flusses. – Nun, wir gingen, keine Gefahr ahnend, drüber hin, die Wellen brachen sich in schwindelnder Eile auf dem Wehr unter dem zitternden Steg. Außer daß die Bretter mit meiner Leichtigkeit hin- und herschwankten und Rumohrs Fuß zweimal durchbrach, waren wir schon ziemlich weit gekommen, ein dicker Bürger mit der Verdienstmedaille auf der Brust kam von der andern Seite, keiner hatte den andern bemerkt, aneinander vorbeizukommen war nicht, einer mußte umdrehen, Rumohr sagt: »Wir müssen erst erfahren, für was er die Medaille hat, darauf soll's ankommen, wer umkehrt.« Wahrhaftig, ich fürchtete mich, mir war schon schwindlig, hätten wir umkehren müssen, so war ich voran, während die losen Bretter unter meinen Füßen schwankten. Wir erkundigten uns ehrerbietigst nach der Ursache seines Verdienstes: er hatte einen Dieb gefangen. Rumohr sagte: »Dies Verdienst weiß ich nicht zu schätzen, denn ich bin kein Dieb, also bitt' ich umzukehren«, der verwunderte dicke Mann ließ sich mit Rumohrs Beihilfe umkehren und machte den Weg zurück.

Unter einem Kastanienbaum ließ ich mich nieder, träumend grub ich mit einem Reis in die Erde. Rumohr jagt mit Stock und Hut die Maikäfer auseinander, die wie viele Flintenkugeln uns umschwirrten beim Nachhausegehen in der Dämmerung. – Nah an der Stadt auf einem grünen Platz am Ufer steht die Statue des heiligen Johann von Nepomuk, der Wassergott; vier Laternen werfen einen frommen Glanz auf ihn, die Leute knien da nacheinander hin, verrichten ihr Gebet, stört keiner den andern, gehen ab und zu. Die Mondsichel stand oben; – in der Ferne hörten wir Pauken und Trompeten, Signal der Freude über die Rückkunft des Königs; er war geflohen vor einer Handvoll waghalsiger Tiroler, die wollten ihn gefangen haben, warum ließ er sich nicht fangen, da war er mitten unter Helden, keine bessere Gesellschaft für einen König; umsonst wär's nicht gewesen, der Jubel würde nicht gering gewesen sein, von Angesicht zu Angesicht hätte er vielleicht bessere Geschäfte gemacht, er ist gut, der König, der muß sich auch fügen ins eiserne Geschick der falschen Politik. – Die Stadt war illuminiert, als wir hineinkamen, und mein Herz war bei dem allen schwer, sehr schwer, wollte gern mit jenen Felssteinen in die Tiefe hinabrollen, denn weil ich alles geschehen lassen muß. Heut' haben wir den 18. Mai, die Bäume blühen, was wird noch alles vorgehen, bis die Früchte reifen. Vorgestern glühte der Himmel über jenen Alpen, nicht vom Feuer der untertauchenden Sonne, nein, vom Mordbrand; da kamen sie in den Flammen um, die Mütter mit den Säuglingen, hier lag alles im schweigenden Frieden der Nacht, und der Tau tränkte die Kräuter, und dort verkohlte die Flamme den mit Heldenblut getränkten Boden.

Ich stand die halbe Nacht auf dem Turm im Hofgarten und betrachtete den roten Schein und wußte nicht, was ich davon denken sollte, und konnte nicht beten, weil es doch nichts hilft, und weil ein göttlich Geschick größer ist als alle Not, und allen Jammer aufwiegt. –

Ach, wenn sehnsüchtiger Jammer beten ist, warum hat dann Gott mein heißes Gebet nicht erhört? – Warum hat er mir nicht einen Führer geschickt, der mich die Wege hinübergeleitet hätte? – Ich zittere zwar vor Furcht und Schrecken über allen Gräuel, den man nimmer ahnen könnte, wenn er nicht geschehen wär', aber die Stimme aus meinem Herzen hinüber zu ihnen übertäubt alles. Das Schloß der blinden Tannenberge haben sie verräterisch abgebrannt; Schwatz, Greise, Kinder, Heiligtümer; ach, was soll ich Dir schreiben, was ich nimmermehr selbst wissen möchte, und doch haben die Bayern selbst jubelnd sich dessen gerühmt, so was muß man tragen lernen mit kaltem Blut und muß denken, daß Unsterblichkeit ein ewiger Lohn ist, der alles Geschick überbietet. –

Der König fuhr, da wir eben in die Stadt kamen, durch die erleuchteten Straßen, das Volk jauchzte, und Freudentränen rollten über die Wangen der harten Nation; ich warf ihm auch Kußhände zu, und ich gönn' ihm, daß er geliebt ist. – Adieu, hab' Dein treues Kind lieb, sag' ihm bald ein paar Worte.

Bettine.


An Goethe.

Am 22. Mai.

Heute morgen zu meiner Überraschung erhielt ich Deinen Brief. Ich war gar nicht mehr gefaßt darauf, schon die ganze Zeit schreibe ich meine Blätter als ein verzweifelter Liebhaber, der sie dem Sturmwind preisgibt, ob der sie etwa hintrage zu dem Freund, in den mein krankes Herz Vertrauen hat. So hat mich denn mein guter Genius nicht verlassen! Ei durchsauset die Lüfte auf einem schlechten Postklepper, und am Morgen einer Nacht voll weinender Träume erblick' ich erwachend das blaue Kuvert auf meiner grünen Decke,

So tretet denn, ihr steilen Berge, ihr schroffen Felswände, ihr kecken, racheglühenden Schützen, ihr verwüsteten Tale und rauchenden Wohnungen bescheiden zurück in den Hintergrund und überlaßt mich einer ungemessenen Freude, die elektrische Kette, die den Funken von ihm bis zu mir leitet, zu berühren, und unzähligemal nehm' ich ihn in mich auf, Schlag auf Schlag, diesen Funken der Lust. – Ein großes Herz, hoch über den Schrecken der Zeit, neigt sich herab zu meinem Herzen. Wie der silberne Faden sich niederschlängelt ins Tal zwischen hinabgrünenden Matten und blühenden Büschen (denn wir haben ja Mai), sich unten sammelt und im Spiegel mir mein Bild zeigt, so leiten Deine freundlichen Worte hinab zu mir das schöne Bewußtsein, aufbewahrt zu sein im Heiligtum Deiner Erinnerungen, Deiner Gefühle; so wag' ich's zu glauben, da dieser Glaube mir den Frieden gibt. –

O, lieber Freund, während Du Dich abwendest vor dem Unheil trüber Zeit, in einsamer Höhe Geschicke bildest und mit scharfen Sinnen sie lenkest, daß sie ihrem Glück nicht entgehen, denn sicher ist dies schöne Buch, welches Du dir zum Trost über alles Traurige erfindest, ein Schatz köstlicher Genüsse, wo Du in feinen Organisationen und großen Anlagen der Charaktere Stimmungen einleitest und Gefühle, die beseligen, wo Du mit freundlichem Hauch die Blume des Glücks erweckst und in geheimnisvoll glühenden Farben erblühen machst, was unser Geist entbehrt. Ja, Goethe, während diesem hat es sich ganz anders in mir gestaltet. – Du erinnerst dich wohl noch, daß die Gegend, das Klima meiner Gedanken und Empfindungen, heiter waren, ein freundlicher Spielplatz, wo sich bunte Schmetterlinge zu Herden über Blumen schaukelten, und wie Dein Kind spielte unter ihnen, so leichtsinnig wie sie selber, und Dich, den einzigen Priester dieser schönen Natur, mutwillig umjauchzte, manchmal auch tiefbewegt allen Reiz beglückter Liebe in sich sammelnd zu Deinen Füßen in Begeisterung überströmte. Jetzt ist es anders in mir, düstere Hallen, die prophetische Monumente gewaltiger Todeshelden umschließen, sind der Mittelpunkt meiner schweren Ahnungen; der weiche Mondesstrahl, der goldnen Birke Duft dringen da nicht ein, aber wohl Träume, die mir das Herz zerreißen, die mir im Kopf glühen, daß alle Adern pochen. Ich liege an der Erde am verödeten Ort und muß die Namen ausrufen dieser Helden, deren schauerliches Geschick mich verwundet; ich seh' ihre Häupter mit Siegeslorbeern geschmückt, stolz und mächtig unter dem Beil niederrollen auf das Schafott. Ach Gott, ach Gott, welch lauter Schrei der Verzweiflung durchfährt mich bei diesen einbilderischen Träumen. Warum muß ich verzagen, da noch nichts verloren ist? – Ich hab' ein Fieber, so glüht mir der Kopf. Auf dem tonnenförmigen Gipfel des Kofels, Speckbachers Horst, der schlaflos, keiner Speise bedürfend, mit besserer Hoffnung beflügelt, leicht wie ein Vogel schwebt über dem Augenblick, da es Zeit ist. Auf dem Brenner, wo Hofers unwandelbarer Gleichmut die Geschicke lenkt, die Totenopfer der Treue anordnet. Am Berge Ischel, wo der Kapuziner den weißen Stecken in der Hand, alles erratend und vorbeugend, sich allen voranwagend, an der Spitze des Landvolks, siegbewußt über die Saaten niederjagt ins Tal. Da seh' ich auch mich unter diesen, die kurze grün und weiße Standarte schwingend, weit voran auf steilstem Gipfel, und der Sieg brennt mir in den Gliedern, und da kommt der böse Traum und haut mit geschwungener Axt mir die feste Hand ab, die niederstürzt mitsamt der Fahne in den Abgrund, dann ist alles so öde und stumm, die Finsternis bricht ein und alles verschwunden, nur ich allein auf der Felswand ohne Fahne, ohne Hand, verzeih's, daß ich so rase, aber so ist's.

Heute morgen noch mein letzter Traum, da trat einer zu mir auf dem Schlachtfeld, sanft von Gesicht, von gemessenem Wesen, als wär' es Hofer; der sagte mitten unter Leichen stehend zu mir: Die starben alle mit großer Freudigkeit. In demselben Augenblick erwachte ich unter Tränen, da lag Dein Brief auf dem Bett.

Ach, vereine Dich doch mit mir, Ihrer zu gedenken, die da hinstürzen ohne Namen, kindliche Herzen ohne Fehl, lustig geschmückt wie zur Hochzeit mit goldnen Sträußern, die Mützen geziert mit Schwungfedern der Auerhähne und mit Gemsbärten, das Zeichen tollkühner Schützen. Ja! Gedenke ihrer; es ist des Dichters Ruhm, daß er den Helden die Unsterblichkeit sichere!

*

6. Juni.

Gestern, da ich Dir geschrieben hatte, da war die Sonne schon im Untergehen, da ging ich noch hinaus, wo man die Alpen sieht, was soll ich anders tun? Es ist mein täglicher Weg, da begegne ich oft einem, der auch nach den Tiroler Alpen späht. An jenem späten Abend, ich glaub' es war in der Mitte Mai, wo Schwatz abbrannte, da war er mit auf dem Turm, da konnte er sich gar nicht fassen, er rang die Hände und jammerte leise: »O Schwatz! O liebes Vaterland!« – Gestern war er wieder da und ergoß mit Freudebrausen den ganzen Schatz seiner Neuigkeiten vor mir. Wenn's demnach wahr ist, so haben die Tiroler am Herz-Jesu-Fest (den Datum wußte er nicht) den Feind überwältigt und ganz Tirol zum zweitenmal befreit. Ich kann nicht erzählen, was er alles vorbrachte, Du würdest es so wenig verstehen wie ich; Speckbachers Witz hat durch eine Batterie von Baumstämmen, als ob es Kanonen wären und durch zusammengebundne Flintenläufe den Knall nachahmend, den Feind betrogen, gleich drauf die Brücke bei Hall dreimal gestürmt und den Feind mitsamt den Kanonen zurückgetrieben, die Kinder dicht hintendrein; wo der Staub aufwirbelte, schnitten sie mit ihren Messern die Kugeln aus und brachten sie den Schützen. Der Hauptsieg war am Berg Isel, dem Kapuziner ist der Bart weggebrannt. Die namhaften Helden sind alle noch vollzählig. Handbillett haben sie vom Kaiser mit großen Verheißungen aus der Fülle seines Herzens. Wenn's auch nicht alles wahr wird, meinte mein Tiroler, so war's doch wieder ein Freudentag fürs Vaterland, der alle Aufopferung wert ist.

Vom Kronprinz hab' ich kein Gedicht; ein einziges, was er am Tag vor seinem Auszug in den Krieg machte, an Heimat und die Geliebte, zeigte mir der alte getreue Pantalon, er will's unter keiner Bedingung abschreiben. Eine junge Muse der Schauspielkunst besitzt deren mehrere, der alte Bopp hat ihr auf meine Bitte drum angelegen, sie suchte danach unter den Theaterlumpen und fand sie nicht, sonst hätten sie zu Diensten gestanden, meinte sie, der Kronprinz würde ihr andere machen.

Gold und Perlen hab' ich nicht, der einzige Schatz, nach dem ich gewiß allein greifen würde bei einer Feuersbrunst, sind Deine Briefe, Deine schönen Lieder, die Du mit eigner Hand geschrieben, sie sind verwahrt in der roten Sammettasche, die liegt nachts unter meinem Kopfkissen, darin ist auch noch der Veilchenstrauß, den Du mir in der Gesellschaft bei Wieland so verborgen zustecktest, wo Dein Blick wie ein Sperber über allen Blicken kreiste, daß keiner wagte aufzusehen. – Die junge Muse gibt es auf, die Opfer, die der Kronprinz ihr in Dichterperlen gereiht zu Füßen legte, unter dem Wust von falschem Schmuck und Flitterstaat wiederzufinden, und doch waren sie im Zauberhauch der Mondnächte bei dem Lied der Nachtigall erfunden, Silb' um Silbe; Klang um Klang aufgereiht. Wer Silb' um Silbe die nicht liebt, nicht diesen Schlingen sich gefangen gibt, der mag von Himmelskräften auch nicht wissen, wie zärtlich die von Reim zu Reim sich küssen.

Deine Mutter werde ich nicht vergessen, und sollt' ich auch mitten im Kriegsgetümmel untergehen, so würde ich gewiß noch im letzten Moment die Erde küssen zu ihrem Andenken. Was ich Dir noch Merkwürdiges zu berichten habe, ist schon aufgeschrieben, im nächsten Brief wirst Du es finden, dieser wird schon zu dick, und ich schäme mich, daß ich Dir nichts Wichtiges zu schreiben habe und doch nicht abbrechen kann. Geschwätz! – ich weiß ja, wie's ging in Weimar, da sagt' ich auch nichts Gescheutes, und doch hörtest Du gern zu.

Vom Stadion weiß ich gar nichts, da muß ich kurzen Prozeß machen und ihn verschmerzen, wer weiß, ob ich ihn je wieder seh'.

Jacobi ist zart wie eine Psyche, zu früh geweckt, rührend; wär' es möglich, so könnte man von ihm lernen, aber die Unmöglichkeit ist ein eigner Dämon, der listig alles zu vereiteln weiß, zu was man sich berechtigt fühlt; so mein' ich immer, wenn ich Jacobi von Gelehrten und Philosophen umgeben seh', ihm wär' besser, er sei allein mit mir. Ich bin überzeugt, meine unbefangnen Fragen, um von ihm zu lernen, würden ihm mehr Lebenswärme erregen, als jene alle, die vor ihm etwas zu sein als notwendig erachten. Mitteilung ist sein höchster Genuß; er appelliert in allem an seine Frühlingszeit, jede frisch aufgeblühte Rose erinnert ihn lebhaft an jene, die ihm zum Genuß einst blühten, und indem er sanft durch die Haine wandelt, erzählt er, wie einst Freunde Arm in Arm sich mit ihm umschlungen in köstlichen Gesprächen, die spät in die laue Sommernacht währten, und da weiß er noch von jedem Baum in Pempelfort, von der Laube am Wasser, auf dem die Schwäne kreisten, von welcher Seite der Mond hereinstrahlte, auf reinlichem Kies, wo die Bachstelzchen stolzierten; das alles spricht sich aus ihm hervor, wie der Ton einer einsamen Flöte, sie deutet an: der Geist weilt noch hier; in ihren friedlichen Melodien aber spricht sich die Sehnsucht zum Unendlichen aus. Seine höchst edle Gestalt ist gebrechlich, es ist, als ob die Hülle leicht zusammensinken könne, um den Geist in die Freiheit zu entlassen. Neulich fuhr ich mit ihm, den beiden Schwestern und dem Grafen Westerhold nach dem Staremberger See. Wir aßen zu Mittag in einem angenehmen Garten, alles war mit Blumen und blühenden Sträuchern übersät, und da ich zur Unterhaltung der gelehrten Gesellschaft nichts beitragen konnte, so sammelte ich deren so viel, als mein Strohhut faßte. Im Schiff, auf dem wir bei herannahendem Abend wohl anderthalb Stunden fahren mußten, um das jenseitige Ufer wieder zu erreichen, machte ich einen Kranz. Die untergehende Sonne rötete die weißen Spitzen der Alpenkette, und Jacobi hatte seine Freude dran, er deployierte alle Grazie seiner Jugend, Du selbst hast mir einmal erzählt, daß er als Student nicht wenig eitel auf sein schönes Bein gewesen, und daß er in Leipzig mit Dir in einen Tuchladen gegangen, das Bein auf den Ladentisch gelegt, und dort die neuen Beinkleidermuster drauf probiert, bloß um das Bein der sehr artigen Frau im Laden zu zeigen; – in dieser Laune schien er mir zu sein; nachlässig hatte er sein Bein ausgestreckt, betrachtete es wohlgefällig, strich mit der Hand drüber, dann wenige Worte über den herrlichen Abend flüsternd, beugte er sich zu mir herab, da ich am Boden saß und den Schoß voll Blumen hatte, wo ich die besten auslas zum Kranz, und so besprachen wir uns einsilbig, aber zierlich und mit Genuß in Gebärden und Worten, und ich wußte es ihm begreiflich zu machen, daß ich ihn liebenswürdig finde, als auf einmal Tante Lenens vorsorgende Bosheitspflege der feinen Gefühlskoketterie einen bösen Streich spielte; ich schäme mich noch, wenn ich dran denke; sie holte eine weiße langgestrickte wollne Zipfelmütze aus ihrer Schürzentasche, schob sie ineinander und zog sie dem Jacobi weit über die Ohren, weil die Abendluft beginne rauh zu werden, grade in dem Augenblick als ich ihm sagte: »Heute versteh' ich's recht, daß Sie schön sind«, und er mir zum Dank die Rose in die Brust steckte, die ich ihm gegeben hatte. Jacobi wehrte sich gegen die Nachtmütze, Tante Lene behauptete den Sieg, ich mochte nicht wieder aufwärts sehen, so beschämt war ich. – »Sie sind recht kokett«, sagte der Graf Westerhold, ich flocht still an meinem Kranz, da aber Tante Lene und Lotte einstimmend mir gute Lehren gaben, sprang ich plötzlich auf und trappelte so, daß der Kahn heftig schwankte, »um Gotteswillen wir fallen!« schrie alles, »ja, ja!« rief ich, »wenn Sie noch ein Wort weiter sagen über Dinge, die Sie nicht verstehen.« Ich schwankte weiter, »haben Sie Ruh', es wird mir schwindlig.« – Westerhold wollte mich anrühren, aber da schwankte ich so, daß er sich nicht vom Platz getraute, der Schiffer lachte und half schwanken, ich hatte mich vor Jacobi gestellt, um ihn nicht in der fatalen Mütze zu sehen, jetzt, wo ich sie alle in der Gewalt hatte, wendete ich mich nach ihm, nahm die Mütze beim Zipfel und schwenkte sie weit hinaus in die Wellen; »da hat der Wind die Mütze weggeweht«, sagte ich, ich drückte ihm meinen Kranz auf den Kopf, der ihm wirklich schön stand, Lene wollt' es nicht leiden, die frischen Blätter könnten ihm schaden. Lasse ihn mir doch, sagte Jacobi sanft, ich legte die Hand über den Kranz. »Jacobi«, sagte ich: »Ihre feinen Züge leuchten im gebrochnen Licht dieser schönen Blätter wie die des verklärten Plato. Sie sind schön, und es bedarf nur eines Kranzes, den Sie so wohl verdienen, um Sie würdig der Unsterblichkeit darzustellen«; ich war vor Zorn begeistert, und Jacobi freute sich; ich setzte mich neben ihn an die Erde und hielt seine Hand, die er mir auch ließ, keiner sagte etwas, sie wendeten sich alle ab, um die Aussicht zu betrachten, und sprachen unter sich, da lachte ich ihn heimlich an. Da wir ans Ufer kamen, nahm ich ihm den Kranz ab und reichte ihm den Hut. – Das war meine kleine Liebesgeschichte jenes schönen Tages, ohne welche der Tag nicht schön gewesen sein würde; nun hängt der Kranz verwelkt an meinem Spiegel, ich bin seitdem nicht wieder hingegangen, denn ich fürchte mich vor Helenen, die aus beleidigter Würde ganz stumm war und mir nicht Adieu sagte; so mag denn Jacobi freundlich meiner gedenken, wenn ich ihn nicht wieder sehen sollte, dieser Abschied kann ihm keinen unangenehmen Eindruck in der Erinnerung lassen, und mir ist es grade recht, denn ich möchte doch nicht Kunst genug besitzen, den vielen Fallstricken und bösen Auslegungen zu entgehen, die jetzt wahrscheinlich im Gang sein mögen. Adieu, nun hab' ich Dir auf alle Artikel Deines lieben Briefes geantwortet und dir mein ganzes Herz ausgeschüttet. Versicherungen meiner Liebe gebe ich Dir nicht mehr, die sind in jedem Gedanken, im Bedürfnis, Dir alles ans Herz zu legen, hinlänglich beurkundet.

7. Juni.Bettine.
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