Ein Bild seines Lebens und Wirkens

Die Bekanntschaften, welche Kleist in Bern machte, waren ganz geeignet, ihn mit der Poesie näher zu verbinden. Es waren zunächst die Söhne zweier hervorragender Dichter, Ludwig Wieland und der junge Geßner, und durch diese machte er die Bekanntschaft mit Heinrich Zschokke, welcher kurz zuvor als Regierungskommissar nach Bern gekommen war. Wichtig für uns sind die Mitteilungen, welche Zschokke über den Eindruck, welchen Kleist damals auf ihn gemacht, in der »Selbstschau« überliefert hat. Er berichtet darin von den beiden jungen Männern, welche damals ihm den Winter verschönt hatten, indem sie fast einzig für die Kunst des Schönen, für Poesie, Literatur und schriftstellerische Größe atmeten. Der eine von ihnen war der junge Wieland, der ihm besonders durch seinen Humor gefiel. »Verwandter fühlte ich mich dem andern wegen seines gemütlichen, zuweilen schwärmerischen, träumerischen Wesens, worin sich immerdar der reinste Seelenadel offenbarte. Es war Heinrich von Kleist. Beide gewahrten in mir einen wahren Hyperboräer, der von der neuesten poetischen Schule Deutschlands kein Wort wußte. Goethe hieß ihr Abgott; nach ihm standen Schlegel und Tieck am höchsten, von denen ich bisher kaum mehr als den Namen kannte ... Wir vereinten uns auch, wie Virgils Hirten, zum poetischen Wettkampfe. In meinem Zimmer hing ein französischer Kupferstich: La cruche cassée. In den Figuren desselben glaubten wir ein trauriges Liebespärchen, eine keifende Mutter mit einem Majolikakruge und einen großnasigen Richter zu erkennen. Für Wieland sollte die Aufgabe zu einer Satire, für Kleist zu einem Lustspiele, für mich zu einer Erzählung werden.« Wenn Zschokke dann hinzufügt, Kleist habe mit dem »zerbrochenen Krug« den Preis davongetragen, so kann sich dies erst auf die spätere Ausführung beziehen. Daß aber das Trauerspiel, »Die Familie Schroffenstein« in Bern schon geschrieben und vollendet war, wird uns durch Zschokkes Mitteilung dadurch bezeugt, daß der junge Dichter in diesem kleinen Kreise das Stück selbst vorgelesen habe. Bei den Extravaganzen in diesem Trauerspiel (welches ursprünglich in Spanien spielen sollte und »Die Familie Ghonorez« hieß) ist der Wortlaut der Zschokkeschen Erwähnung, namentlich mit Bezug auf den absurden letzten Akt, von Interesse. Zschokke sagt: »Als Kleist eines Tages sein Trauerspiel, die Familie Schroffenstein vorlas, ward im letzten Akte das allseitige Gelächter der Zuhörerschaft wie auch des Dichters so stürmisch und endlos, daß bis zu seiner letzten Mordszene zu gelangen, Unmöglichkeit wurde.«

Zschokke, der damals in seiner dramatischen Jugendsünde »Abällino« auch kein Werk geschaffen hatte, welches man heute mit Ernst anhören könnte, hatte von dem Kleistschen Trauerspiel nur den lächerlichen Eindruck des letzten Aktes im Gedächtnis behalten; denn daß das Stück mit seinen furchtbaren Szenen im übrigen einen starken Eindruck machen mußte, kann kaum zweifelhaft sein, und als eine trotz großer Mängel bedeutsame Erscheinung ist es auch aufgenommen worden, als die »Familie Schroffenstein« zuerst anonym 1803 in Bern in Druck erschienen war. Wenn es wahr ist, was Zschokke berichtet, daß der Dichter bei seiner Vorlesung im letzten Akte herzlich mitgelacht habe, so können wir nur das nicht begreifen, daß diese Heiterkeit schon vor der letzten sich in der Tragik überschlagenden Mordszene eingetreten war, denn die Szene zwischen Ottokar und Agnes, da letztere durch ihren Geliebten umgekleidet wird, tritt uns jetzt, bei aller Gewagtheit der Situation, doch als eine poetische Schönheit entgegen, die den echten Dichter erkennen läßt. Doch ist hierbei wohl zu beachten, daß das Stück damals noch nicht die Gestalt hatte, die er ihm später gab. Außerdem aber müssen die jungen Leute sich damals wohl selbst an den Uebertreibungen in der Romantik ergötzt und sie geflissentlich so gesteigert haben, um hinterher selbst darüber zu lachen. Das dramatische Erstlingswerk von Kleist gehört zu der Mehrzahl seiner dramatischen Dichtungen, welchen bei Lebzeiten des Dichters die Bühne verschlossen geblieben war. Aber die »Familie Schroffenstein« hat auch nach seinem Tode, trotz wiederholter damit gemachter Versuche, sich keinen festen Platz auf dem Theater erringen können. Der Dichter selbst hatte das Stück, nachdem es anonym im Drucke erschienen war und vielfach die Aufmerksamkeit auf dies neu auftauchende Talent gelenkt hatte, in einem Briefe an seine Schwester eine »elende Scharteke« genannt. Aber trotz der wahrhaft grausamen Logik, mit der der junge Dichter hier sein Thema durchführte, zeichnen die Schroffensteiner sich doch durch eine so gewaltige dramatische Kraft aus, daß das im letzten Akte erfolgende Umschlagen der Tragik in völlige Absurdität um so mehr zu bedauern ist. Wenn ein Dichter, der eine so furchtbar konsequent gezeichnete Gestalt wie diesen Rupert von Schroffenstein und Liebesszenen wie die zwischen Ottokar und Agnes schaffen konnte, es über sich vermochte, im letzten Akte mit dem doppelten Totstechen aus Mißverständnis und endlich mit dem auf die Bühne geworfenen Kinderfinger, der noch dazu gekocht ist, die Tragik zum Abschluß zu bringen, so sollte man annehmen, daß dies in einer bizarren Laune geschah, daß er nach den so übermäßig hoch gesteigerten tragischen Konflikten selbst keinen Ausgang mehr wußte und mit einer gewissen Selbstironie dem Stücke jenen Abschluß gab, der ohne die daneben stehenden echt dichterischen Schönheiten als eine bewußte Parodie auf die Tragik angesehen werden müßte. Das ist aber bei Kleist nicht anzunehmen, denn ähnliche, wenn auch nicht so starke Ausschweifungen finden wir auch in den meisten seiner spätern und bedeutenderen Schauspiele, wie in »Penthesilea«, in der »Hermannsschlacht« und in »Käthchen von Heilbronn«, und sie belehren uns, daß in dem so großen dramatischen Talente eine kranke Stelle war, die ihn auf derlei Abwege führte.

Daß Kleist selber von seiner »Familie Schroffenstein« wenig hielt, ist zum Teil daraus zu erklären, daß vielleicht die Heiterkeit der Freunde, denen er es vorgelesen hatte, ihn stutzig gemacht, und daß er bald danach den Stoff zu einem andern Drama in seinem Kopfe trug. Es war dies »Robert Guiskard«, über welche Dichtung er schon im Dezember 1802 an seine Schwester schrieb: der Anfang des Gedichts erregte die Bewunderung aller Menschen, denen er es mitgeteilt. – »O Jesus! wenn ich es doch vollenden könnte! Diesen einzigen Wunsch soll mir der Himmel erfüllen, und dann mag er tun, was er will.« – Diese Dichtung sollte für einige Zeit die Hoffnung und Freude, aber auch der Schmerz seines Lebens sein. Eben weil ihm etwas Großes, Gewaltiges dabei vorschwebte, konnte ihn die Ausführung nie befriedigen; im folgenden Jahre hatte er in einer bittren Stimmung das Manuskript verbrannt, und es ist uns nur das in der Zeitschrift »Phöbus« 1808 abgedruckte Fragment erhalten geblieben.

Befremdend ist, daß auch das in der Erfindung so einfache Lustspiel »Der zerbrochene Krug«, zu welchem er doch schon in Bern die Idee gefaßt hatte, so lange Zeit brauchte, bis es zur Ausführung kam. Ueberhaupt trat nach den ersten Anfängen seines dichterischen Schaffens eine auffallend lange Pause ein, die uns Zeit läßt, hier wieder auf seinen äußern Lebenslauf zurückzukommen.

Noch ehe Kleist sich zu der ihm angeratenen Umarbeitung der »Schroffensteiner« entschloß, hatte er Bern verlassen und sich nach Thun begeben, wo er sich auf einer Insel der Aar ein kleines Häuschen mietete. Hier konnte er eine Zeitlang das von ihm ersehnte idyllische Leben führen, wenn auch nicht als Ackerbauer so doch als Dichter. Nachdem er die Umarbeitung mit seinem Trauerspiel gemacht und die spanische Familie Ghonorez in die schwäbische Schroffenstein umgewandelt hatte, ging er mit Leidenschaft an den »Robert Guiskard« und beschäftigte sich nebenbei mit dem Entwurf zum »zerbrochenen Krug«. Dabei war es ihm aber schon Bedürfnis, mit seinen Berner Freunden, Geßner und Zschokke, in brieflichem Verkehr zu bleiben. Daß Geßner seine »Schroffensteiner« zu drucken sich entschloß und ihm dafür dreißig Louisdor zahlte, erfüllte ihn schon mit der Zuversicht, daß, wenn sein kleines, schon zusammengeschmolzenes Vermögen verbraucht sei, er von der Schriftstellerei leben könne.

Aber gerade in jener ungestörten Idylle scheint sein inneres Leben ihn um so heftiger gerüttelt zu haben, denn er erkrankte hier, und als er sich wieder nach Bern begeben hatte, lag er dort im Hause eines Arztes schwer danieder. Seine treue Schwester Ulrike, sobald sie von seiner Krankheit unterrichtet worden war, eilte sofort zu ihm und reiste dann, Ende des Jahres 1802, mit dem langsam Genesenden nach Deutschland zurück. Nachdem er kurze Zeit in Jena verweilt, ging er anfangs des Jahres 1803 nach Weimar und begab sich von hier nach Osmannstädt zu Wieland, dessen Sohn, wie wir wissen, er in der Schweiz kennen gelernt hatte, und der ihn mit herzlicher, wahrhaft väterlicher Teilnahme bei sich aufnahm. Dem mehr als zweimonatlichen Aufenthalte Kleists in Osmannstädt verdanken wir einen wichtigen Brief von Wieland, der zwar erst ein Jahr später in Weimar geschrieben ist, aber über den seltsamen seelischen Zustände des jungen Dichters interessante Ausschlüsse gibt. Wieland schrieb über ihn u. a.: »Er schien mich wie ein Sohn zu lieben und zu ehren, aber zu einem offenen und vertraulichen Benehmen war er nicht zu bringen. Unter mehreren Sonderlichkeiten, die an ihm auffallen mußten, war eine seltsame Art der Zerstreuung, wenn man mit ihm sprach, so daß z. B. ein einziges Wort eine ganze Reihe von Ideen in seinem Gehirn wie ein Glockenspiel anzuziehen schien, und verursachte, daß er nichts weiter von dem, was man ihm sagte, hörte und also auch mit der Antwort zurückblieb. Eine andere Eigenheit und eine noch fatalere, weil sie zuweilen an Verrücktheit zu grenzen schien, war diese, daß er bei Tische sehr häufig etwas zwischen den Zähnen mit sich selbst murmelte, und dabei das Flair eines Menschen hatte, der sich allein glaubt, oder mit seinen Gedanken an einem andern Orte und mit ganz anderm Gegenstande beschäftigt ist. Er mußte mir endlich gestehen, daß er in solchen Augenblicken von Abwesenheit an einem Trauerspiel arbeite, aber ein so hohes und vollkommenes Ideal davon seinem Geiste vorschweben habe, daß es ihm noch immer unmöglich gewesen sei, es zu Papier zu bringen. Er habe zwar schon viele Szenen nach und nach aufgeschrieben, vernichte sie aber immer wieder, weil er sich selbst nichts zu Dank machen könne.« Dies Trauerspiel war der schon erwähnte, ihn unaufhörlich quälende »Robert Guiskard.« Wieland hatte, wie er weiter berichtet, ihn endlich dazu bewogen, ihm einzelne Szenen aus dieser Dichtung vorzutragen (wie Wieland bemerkt »aus dem Gedächtnis«). Wieland urteilte darüber in einer ganz begeisterten Weise und versicherte: Wenn das Ganze jenen einzelnen Szenen entspräche, so wäre Kleist dazu geboren, »die große Lücke in unserer dramatischen Literatur auszufüllen, die, nach meiner Meinung wenigstens, selbst von Schiller und Goethe noch nicht ausgefüllt worden ist.« – Das war nun sicher auch Kleists eigener Wunsch, aber die Vorstellungen, die er von seinen Gebilden im Kopfe trug, waren so mächtig, daß sie ihn erdrückten, sobald er sie zu Papier bringen wollte, und das Ausgeführte blieb dann hinter den Vorstellungen seiner erregten Phantasie zurück. Wenn Wieland bei der »Lücke in unserer dramatischen Literatur«, welche Kleist auszufüllen bestimmt gewesen, an einen deutschen Shakespeare dachte, so können wir allerdings zugeben, daß in einzelnen Gestalten und ganzen Szenen oder Akten Kleist in seinen Dramen das Höchste schuf, was wir im deutschen Drama besitzen. Wäre dem unglücklichen Dichter dabei auch Gesundheit des Geistes und das für vollendete ganze Schöpfungen nötige Gefühl für künstlerisches Maß verliehen gewesen, so hätte die großartige Erwartung Wielands in der Tat sich erfüllen können.

Nachdem Kleist das Wielandsche Haus verlassen hatte, hielt er sich wieder kurze Zeit in Leipzig und Dresden auf. Hier hatte er seinen ihm später so vertraut gewordenen Freund Pfuel kennen gelernt, und machte mit diesem ausgezeichneten Manne gemeinschaftlich eine nochmalige Reise nach der Schweiz. Auch dieser Entschluß war ihm ganz plötzlich gekommen, denn noch wenige Tage vorher hatte er die Absicht gehabt, zu seinen Schwestern aufs Land zu ziehen. Auch die neue Schweizer Reise wurde zum großen Teil zu Fuß gemacht. In Thun arbeitete Kleist wieder an seinem unglücklichen Robert Guiskard, dann kamen die Freunde nach Mailand und reisten von hier durch das Waadtland über Genf nach Lyon und nach Paris. Ob die zweite Reise nach Paris auf besonderen Wunsch Pfuels ausgeführt wurde, weiß man nicht, aber des Dichters krankhafte Gemütsstimmung soll schon auf dem Wege dorthin noch stärker und bedenklicher als bisher hervorgetreten sein, und bis Paris sich dermaßen gesteigert haben, daß sich dort die Freunde entzweiten. Nach einem Streit, wie es scheint über eine metaphysische Frage, war Kleist in unsinniger Erregtheit hinweggerannt; und als er nach langem Ausbleiben wieder nach Hause kam, war Pfuel unterdessen ausgezogen und hatte dies in einem hinterlassenen Billett dem Freund mitgeteilt. Hierdurch scheint Kleist wieder in eine Stimmung wahrer Verzweiflung an allem verfallen zu sein, und in dieser Stimmung hatte er alle seine noch unvollendeten dichterischen Produktionen, darunter auch das Vorhandene vom Robert Guiskard, verbrannt.

Aus dieser Zeit erzählte Ed. von Bülow in seiner erwähnten kurzen Lebensgeschichte des Dichters, derselbe habe Paris ohne Paß verlassen und sich zu Fuße auf den Weg nach Boulogne sur mer begeben. Dort sei er einem Haufen Konskribierter begegnet und habe sich vergebene Mühe gegeben, für einen derselben als gemeiner Soldat einzutreten. An der Richtigkeit dieser Mitteilung dürfte wohl zu zweifeln sein, wenn man nicht annehmen will, daß der Unglückliche geistig gestört war. Zu seinem Glück traf er noch kurz vor Boulogne mit einem ihm bekannten Chirurgen-Major zusammen, auf dessen verwunderte Frage, was er da zu tun habe, er ihm erzählte, daß er ohne Paß herumlaufe. Mit Schrecken machte der Franzose ihn darauf aufmerksam, welcher Gefahr er sich aussetze, da noch unlängst in Boulogne unter ähnlichen Verhältnissen ein preußischer Edelmann als vermeinter russischer Spion erschossen worden sei. Kleist ließ sich von dem Franzosen als dessen Bedienten mit nach der Stadt nehmen, und dort angelangt, bat er den Gesandten Luchesini um einen Paß, den er nach vier Tagen erhielt und welcher direkt nach Potsdam ausgestellt war. Der Paß nötigte ihn also, für jetzt nach Deutschland zurückzukehren. Aber auf dem Heimwege wurde er in Mainz aufs neue von Krankheit befallen, welche diesmal sein Leben in Gefahr brachte, und von der er erst nach sechs Monaten wiederhergestellt wurde.

Endlich konnte der Wiedergenesene, über dessen Verbleiben alle seine Freunde im unklaren waren, seine Reise bis Potsdam fortsetzen und erschien dort eines Abends unvermutet an dem Bette Pfuels, der Paris voll schwerer Sorgen um ihn längst verlassen hatte.

Jene schwere Krankheit war bei Kleist insofern eine Krisis für sein Seelenleben geworden, als er sich danach als ein von seinen hochfliegenden Plänen Herabgestürzter fühlte; ein zweiter Ikarus lag der Arme mit gelähmten Schwingen am Boden. Sobald seine Anwesenheit in der Heimat bekannt wurde, eilte seine treue Schwester Ulrike herbei, um tröstend und sorgend ihm beizustehen, denn durch seine Briefe, die oft genug von seinen furchtbaren Seelenleiden Zeugnis gaben, war sie in gerechter Besorgnis um ihn, und da sie über seine verzweiflungsvollen dichterischen Bestrebungen stets unterrichtet war, so suchte sie jetzt bei ihm dahin zu wirken, daß er zunächst von seinen poetischen Arbeiten lassen möge; denn sie fühlte, und mit Recht, daß diese es waren, welche ihn körperlich und geistig zu zerstören drohten.

Es ist überaus schmerzlich, zu sehen, wie der Arme, gebrochenen Mutes, sich jetzt willfährig zeigte, nach den Wünschen seiner Schwester zu handeln, und zunächst sich wieder um ein Amt, um eine Anstellung im Staate zu bemühen. Die Sache hatte aber ihre Schwierigkeiten, da man erstens einem Manne, der als »Dichter« schon einigermaßen bekannt geworden war, wenig Vertrauen für den Staatsdienst schenken mochte, noch mehr aber dadurch, daß Kleist den Militärdienst aufgegeben hatte, und zwar ohne einen anderen bestimmten Beruf dafür zu erwählen. Bei der Audienz, die er wegen seines Wunsches einer Anstellung beim Generaladjutanten von Köckeritz in Charlottenburg erhielt, hatte dieser ihm sowohl anzuhören gegeben, daß er »Versche« gemacht habe, wie er ihm auch sein Verlassen der militärischen Karriere und gleichfalls auch des Zivildienstes in ziemlich schroffer Weise vorhielt. Der arme Kleist stand wie ein armer Sünder da, er schrieb Ulriken, daß ihm dabei die Tränen in die Augen getreten seien, aber um ihretwillen zwang er sich zu weiteren Schritten: »Ich weiß, daß Du mir gut bist, und daß Du mein Glück willst, Du weißt nur nicht, was mein Glück wäre.« Der alte Köckeritz hatte trotz seiner anfänglichen Rauheit Teilnahme für den Unglücklichen empfunden; wer überhaupt ihn persönlich kannte, der gewann ihn wegen seines zwar träumerischen, aber so höchst gutherzigen Wesens auch lieb. Endlich, nach mancherlei ferneren Bemühungen wurde sein oder richtiger seiner liebevollen Schwester Wunsch erfüllt: er erhielt eine Anstellung im Staatsdienst, und zwar als Diätar bei der Domänenkammer in Königsberg in Preußen, in der Vaterstadt des großen Kant, dessen Philosophie so sehr im Geiste des jungen Kleist revoltiert hatte. Kant war vor kaum einem Jahre gestorben, aber Kleist traf in Königsberg, wo er anfangs des Jahres 1805 eintraf, durch seltsame Fügung mit zwei ihm nahegestandenen Personen wieder zusammen, von denen die eine Begegnung – es war die seines Freundes Pfuel – ihn sehr erfreute, während die andere ihm nur peinlich sein konnte. Als er nach Königsberg durch seinen Heimatsort Frankfurt kam, hatte er eine Begegnung mit seiner ehemaligen Braut Wilhelmine begreiflicherweise vermieden. Dieselbe hatte sich verlobt und war bald darauf mit ihrem Gatten, dem Professor W. Krug, und ihrer Schwester, gleichfalls nach Königsberg übergesiedelt. Noch vor dieser Begegnung, welche erst in die letzte Zeit seines Königsberger Aufenthaltes fiel, hatte Kleist trotz seines Amtes sich doch wieder nach längerer Pause der Poesie in die Arme geworfen. Auf den Stoff zu seiner Erzählung »Michael Kohlhaas« hatte ihn Pfuel hingeleitet, welcher dabei jedoch ein Drama im Auge hatte. Die Erzählung von Kleist ist eines seiner am meisten bewunderten Meisterwerke geworden und aus der wahrhaft klassischen Ruhe und Einfachheit seines Vortrags muß man den Eindruck erhalten, daß er in dieser Zeit eine größere Ruhe des Gemütes wiedergefunden hatte. Daß er bei seiner Erzählung von den geschichtlichen Vorgängen mehrfach abgewichen ist, tut dem bedeutenden Eindruck keinen Abbruch. Bedenklicher sind die Einmischungen seiner hyperromantischen Schrullen und namentlich die Zeichnung des edeln Kurfürsten von Sachsen als eines phantastischen, ja an der Grenze der Narrheit stehenden Schwärmers. Aber bei alledem ist es bewundernswürdig, wie Kleist die seine Hauptgestalt betreffenden Vorgänge mit der strengen Objektivität eines Geschichtsschreibers zu erzählen wußte, deren Eindruck gerade dadurch ein um so tieferer wird, da der Dichter dabei von eigener Sentimentalität sich gänzlich frei zu halten wußte. Noch eine andere Erzählung schrieb er in Königsberg, und zwar die neben Kohlhaas bedeutendste »Die Marquise von O.« Die Kühnheit, mit welcher er einen so subtilen Stoff ergriff, läßt uns hier den ganzen Kleist erkennen. Aber mehr Bewunderung als diese Kühnheit verdient die unvergleichliche Zartheit der Empfindung, mit der er die mehr als heiklen Situationen zu behandeln verstand, so daß wir das Anstößige bald nicht mehr fühlen und mit gesteigerter Spannung und Bewunderung jedem Schritt des seinen Psychologen folgen, dessen Kunstwerk uns um so mächtiger fesselt, je weniger er es als solches vor uns zu enthüllen scheint. Nächst diesen seinen beiden bedeutendsten Erzählungen verdanken wir dem Königsberger Aufenthalte des Dichters auch noch mehrere dramatische Arbeiten: nächst der Vollendung des »Zerbrochenen Krug« sind es das nach Molière bearbeitete Lustspiel »Amphitryon«, und das wildeste, aber von großartiger Genialität zeugende Trauerspiel »»Penthesilea«.

Was zunächst den »Zerbrochenen Krug« betrifft, so wissen wir, daß er dies merkwürdige dramatische Charakterbild, welches in der Gattung der Lustspiele oder Komödien völlig einzig in seiner Art dasteht, mehrere Jahre mit sich herumgetragen hatte, ehe es zur Vollendung kam. In der Schweiz 1802 hatte er, wie wir wissen, durch Zschokke die Anregung dazu erhalten. Als er nach seiner ersten Krankheit wieder in Dresden (1803) sich aufhielt, hatte er einige im Kopfe ausgearbeitete Szenen des Lustspiels seinem Freunde Pfuel in die Feder diktiert, weil dieser Zweifel an Kleists Talent fürs Lustspiel geäußert hatte; und wieder erst nahezu drei Jahre später hatte er es vollendet. Diese Art, zu arbeiten, konnte nur bei einem Stücke von dieser ganz eigenartigen Form ein Gelingen denkbar machen. Ein Lustspiel im gebräuchlichen Sinne ist es denn auch ganz und gar nicht geworden; es ist ein humoristisches Charakterbild, das in nur einer einzigen Szene entwickelt wird, welche Szene aber von der gewöhnlichen Länge eines dreiaktigen Stückes ist. Eine vor unsern Augen fortschreitende Handlung hat das Lustspiel gar nicht; denn, was geschehen ist, liegt schon in der Vergangenheit. Aber um so erstaunlicher ist die Kunst des Dichters, wie er das Geschehene ganz allmählich zur Klarheit bringt, und dabei die Charaktere der Personen aus der Art, wie der Prozeß geführt wird und endlich verläuft, vollkommen lebenswahr entwickelt. Was die Hauptfigur, den Dorfrichter Adam, betrifft, so kann man sagen, daß der Dichter diesen Schurken, der bei aller seiner Nichtswürdigkeit so ergötzlich wirkt, bei lebendigem Leibe seziert hat. Wie alle dramatischen Werke Kleists, so hatte auch dies Lustspiel sein besonderes Schicksal. Goethe, dem es durch die Freunde Kleists dringend empfohlen war, ließ es ein paar Jahre später in Weimar aufführen. Weil ihm aber das Stück für einen Akt viel zu lang erschien, so ließ er sich den unerhörten Mißgriff zu schulden kommen, es in drei Akte zu teilen, wodurch natürlich erst der Mangel einer eigentlichen Handlung aufs allerempfindlichste hervortrat. In solcher grausamen Verstümmelung fiel denn auch das Stück vollständig durch, und in den schöngeistigen Weimarischen Kreisen war alles empört über dies greuliche und unerträglich langweilige Machwerk.

Durchaus originell war Kleist auch da, wo er nach einem Vorbild arbeitete, wie dies in dem andern seiner beiden Lustspiele, in »Amphitryon«, der Fall war. Hier hatte er den Geist Molières in sich aufgenommen, aber dabei den Stoff, der ja ohnedies nicht Molières Erfindung war, durch seine eigene dichterische Auffassung bedeutend vertieft. Wie Kleists »Amphitryon« in seinem innersten Wesen sich zu der Molièreschen Komödie verhält, dies hat einer der geistvollsten kritischen Köpfe jener Zeit, Fr. von Gentz, in so bestimmter Weise ausgedrückt, daß seine ausgesprochene Meinung hier Platz finden mag. Er hatte das Lustspiel von dem für Kleists Genie schwärmerisch eingenommenen Adam Müller zugeschickt erhalten, und antwortete demselben, daß ihm das Lustspiel die einzigen rein angenehmen Stunden verschafft habe, die er seit mehreren Jahren irgend einem Produkte der deutschen Literatur verdankte: »Mit uneingeschränkter Befriedigung, mit unbedingter Bewunderung habe ich es gelesen, wieder gelesen, mit Molière verglichen, und dann aufs neue in seiner ganzen herrlichen Originalität genossen. Selbst da, wo die Stück nur Nachbildung ist, steigt es zu einer Vollkommenheit, die, nach meinem Gefühl, weder Bürger noch Schiller noch Goethe noch Schlegel in ihren Uebersetzungen französischer und englischer Theaterwerke jemals erreichten. Denn zugleich so Molière und so deutsch zu sein, ist wirklich etwas Wundervolles. Was soll ich aber nun von den Teilen des Gedichtes sagen, wo Kleist hoch über Molière thront! ... In Molière ist das Stück bei allen seinen einzelnen Schönheiten und dem großen Interesse der Fabel am Ende doch nichts als eine Posse. Hier aber verklärt er sich in ein wirkliches Shakespearesches Lustspiel und wird komisch und erhaben zugleich. Es war gewiß keine gemeine Aufgabe, den Gott der Götter in einer so mißlichen und zweideutigen Lage, wie er hier erscheint, immer noch groß und majestätisch zu halten; nur ein außerordentliches Genie konnte diese Aufgabe mit solchem Erfolg lösen.«

Es muß hier ausdrücklich daran erinnert werden, daß, ebenso wie die in Weimar mißglückte Aufführung des »zerbrochenen Krug« auch die enthusiastischen literarischen Urteile über Kleists Genie erst in späterer Zeit, nach seinem Königsberger Aufenthalt, fallen, aber die Urteile waren auch damals sehr verschieden, so wie es die sich entgegenstehenden literarischen Richtungen waren. Nicht nur Goethe verwarf Kleists Auffassung des Amphitryon, sondern auch Tieck, der eifrige Anwalt des Kleistschen Talents, betrachtete das Stück als einen Mißgriff und stellte Molières Lustspiel entschieden höher. Es lag in der Art der Kleistschen entschiedenen Originalität, daß er gleichzeitig bei den einen maßlose Bewunderung und bei den andern entschiedene Mißbilligung, ja Entrüstung hervorrief.

 Top