Ein Bild seines Lebens und Wirkens

Kleist gehörte zu jenen Menschen, denen nicht Muße und Einsamkeit gelassen werden durfte, um sich in sich selbst versenken zu können; er mußte vielmehr zuweilen den Drang des alltäglichen äußerlichen Lebens in seinen wechselnden Ereignissen und in jenem Kampfe kennen lernen, der auch den gewöhnlichsten Naturen nicht erspart wird. Solch ein Schicksal, wie er es jetzt erfahren, konnte daher nur günstig auf seinen Gemütszustand wirken, denn es stieß ihn in die rauhe Wirklichkeit und machte ihn zum Mitleidenden neben vielen andern. Sein Geist scheint auch hiernach für einige Zeit frei von der alten Schwermut und selbstpeinigenden Grübelei gewesen zu sein, und seine Erwartungen von seiner nächsten dichterischen Tätigkeit waren wieder gewachsen. Eine Sorge hatte ihn jetzt um seine Schwester erfüllt, welche ihm zu wiederholten Malen in freigebigster Weise aus ihren eigenen Geldmitteln geholfen hatte und auch in dieser letzten Zeit vieles für ihn opfern mußte. Schon in seiner Gefangenschaft hatte er darüber nachgedacht und hatte ihr aus Chalons über diese Angelegenheit geschrieben und ihr seine Ideen mitgeteilt. Er fühlte, daß sie schon genug und für ihre Kräfte schon zu viel für ihn getan hatte und empfand darüber Beschämung. Mit der Entfernung der königlichen Familie von der Hauptstadt mußte natürlich auch das von der Königin Luise ihm zugesicherte Jahreseinkommen aufhören. Aber durch seine Verwandte, Frau von Kleist, war ihm die Hoffnung gemacht, daß nach dem Friedensabschluß die Pension wieder ihren Fortgang nehmen und zu größerer Sicherheit für ihn in eine Präbende umgewandelt werden würde. Darauf baute er nun den Plan für seine Schwester. Er schreibt ihr mit Schmerz über ihre durch ihn verschuldete Lage und fährt dann fort: »Ich kann in keiner Lage glücklich sein, so lange ich es Dich nichts in der Deinigen weiß. Ohne mich würdest Du unabhängig sein, und so mußt Du es auch wieder durch mich werden. Wenn ich mit Aeußerungen dieser Art immer sparsam gewesen bin, so hatte das einen doppelten Grund: einmal, weil es mir zukam, zu glauben, daß Du solche Gefühle bei mir voraussetzest, und dann, weil ich dem Nebel nicht abhelfen konnte. Doch jetzt, dünkt mich, zeigt sich ein Mittel, ihm abzuhelfen, und wenn du nicht willst, daß ich mich schämen soll, unaufhörlich von Dir angenommen zu haben, so mußt Du auch jetzt etwas von mir annehmen. Ich will Dir die Pension und das, was in der Folge an ihre Stelle treten könnte, es sei nun eine Präbende oder etwas anderes, abtreten. Es muß mit dem Rest Deines Vermögens für ein Mädchen, wie Du bist, hinreichen, einen kleinen Haushalt zu bestreiten. Laß Dich damit, unabhängig von mir, nieder; wo? gleichviel; ich weiß doch, daß wir uns über den Ort vereinigen weiden. Ich will mich mit dem, was ich durch meine Kunst erwerbe, bei Dir in Kost geben. Ich kann Dir darüber keine Berechnung anstellen; ich versichere Dich aber, und Du wirst die Erfahrung machen, daß es mich, wenn nur erst der Frieden hergestellt ist, völlig ernährt.«

Man kann wohl nach allem Vorausgegangenen denken, daß solche Erwartungen Kleists mit Bezug auf seine Schwester sich nicht erfüllen konnten. Die Arme hatte mit ihm schon zu schmerzliche Erfahrungen gemacht, als daß sie hätte hoffen können, er werde in einem solchen Verhältnis, im Beisammenleben unter ihrer Fürsorge, lange ausdauern. Als er sie in der Lausitz bei ihren Verwandten glücklich wieder angetroffen hatte, konnte er sie wohl bewegen, mit ihm zusammen die Reise nach Dresden zu machen, – denn dorthin zog es ihn zunächst. Aber bei all ihrer zärtlichen Liebe zu ihm und bei ihrem aufopfernden Sinne konnte sie sich doch nicht bewegen lassen, auf seinen früher ihr schriftlich mitgeteilten und jetzt wiederholten Vorschlag einzugehen. So also trennten sie sich von neuem, und Kleist blieb in Dresden. Hier fand er sich vor allem wieder mit seinen beiden besten Freunden, Pfuel und Rühle, zusammen, und hier meinte er nun auch, den Boden gefunden zu haben, wo sein Geist sich wieder sammeln und zu fruchtbarer dichterischer Tätigkeit kommen werde.

Seitdem die Schweizer Freunde sein größeres Erstlingswerk »Die Familie Schroffenstein« anonym herausgegeben hatten s1803), war nach länger als vier Zähren Dresden die erste deutsche Stadt, in welcher eines seiner dramatischen Werke durch den Druck veröffentlicht worden. Es war dies »Amphitryon«, den er schon von Königsberg aus an Adam Müller nach Dresden geschickt hatte, wo das Lustspiel 1807 im Druck erschienen war. Seine nächste Tätigkeit in Dresden galt der Vollendung der in Königsberg nur zum Teil ausgeführten Dichtungen, namentlich der Erzählung »Kohlhaas« und der Tragödie »Penthesilea«, an der er auch in seiner Gefangenschaft gearbeitet hatte. Ehe auch diese Dichtung« vollständig im Druck erschienen war, hatte er ein bedeutendes Fragment davon in der seit Anfang des Jahres 1808 erscheinenden Monatsschrift »Phöbus« sein ersten Stück veröffentlicht. Er hatte zur Herausgabe dieser literarischen Zeitschrift sich mit dem Publizisten Adam Müller vereinigt, der darin für seine politische, philosophisch-religiöse und Kunstrichtung ein Organ schaffen wollte, und für die geniale Kraft des romantischen Dichters Kleist wahre Begeisterung hatte. Kleist hatte das Heft des »Phöbus« mit dem Penthesilea. Fragment an Goethe gesendet, erhielt aber von diesem eine wenig ermunternde Antwort. Er könne sich, schrieb Goethe, mit der Penthesilea noch nicht befreunden. »Sie ist aus einem so wunderbaren Geschlecht und bewegt sich in einer so fremden Region, daß ich mir Zeit nehmen muß, mich in beide zu finden.« Daß Goethes harmonische Natur von der Kleistschen Poesie sich geradezu abgestoßen fühlte, ist bekannt. Aber auch als Mann des praktischen Theaters gibt er in jenem Briefe Kleist seine Meinung kund: daß es ihn immer betrübe und bekümmere, wenn er junge Männer von Geist sehe, »die auf ein Theater warten, das da kommen soll.«

Während aber »Penthesilea« nun auch vollendet als Buch im Druck erschien, hatte der Dichter auch schon ein paar neue Erzählungen verfaßt: »Das Erdbeben in Chili« und »Die Verlobung auf St. Domingo«, von denen besonders die erstere seine außerordentliche Befähigung für schmucklosen und dabei höchst ergreifenden Vortrag bekundet, während in der andern Erzählung die kühne Erfindung und das Tragische des Vorganges in der Wirkung beeinträchtigt wird durch eine gewisse Flüchtigkeit im Vortrag und die in Folge dessen eintretende Unklarheit im Zusammenhang der Begebenheiten. Auch an seinen »Robert Guiskard« machte er sich jetzt aufs neue, um endlich das darin versuchte dramatische Ideal, das ihn schon so lange gequält, zu erreichen.

E. von Bülow erzählt uns aus dieser Zeit des Dresdener Aufenthaltes auch von einer neuen Herzensangelegenheit, die ihn beschäftigt haben soll. Es war in dem Körnerschen Hause, wo Kleist ein liebenswürdiges und dabei reiches Mädchen kennen lernte, mit welchem ihn eine gegenseitige Neigung verband. Einer Verbindung schien nichts im Wege zu stehen, aber durch eine Laune Kleists soll sich das Verhältnis wieder gelöst haben. Kleist verlangte von dem Mädchen, daß sie ohne Vorwissen Gottfried Körners, der entweder ihr Oheim oder ihr Vormund war, ihm schreiben solle. Da sie dies abschlug, wiederholte er nach drei Tagen, in denen er sie nicht besuchte, sein Verlangen; da sie aber auch jetzt noch bei ihrer Weigerung verharrte, sei er schließlich gänzlich ausgeblieben. Es möge dahingestellt bleiben, ob es richtig ist, was Bülow ferner erzählt, daß Kleist nach jenem Bruche sich des Stoffes zum »Käthchen von Heilbronn« vor allem deshalb bemächtigt habe, um darin seiner zurückhaltenden Geliebten ein Beispiel zu zeigen, mit welcher Hingebung und Treue ein Weib lieben müsse.

Kleist hatte hiernach wieder einen Anfall von Schwermut und soll im Lebensüberdruß einen Selbstmordversuch gemacht haben. Sein Freund Rühle, der ihn besuchte, habe ihn, so heißt es, auf dem Bette liegend gefunden und, infolge des Genusses von Opium, der Besinnung beraubt. Wir können an die Wahrheit dieses Berichtes umso eher glauben, als Kleists Lebensmut in dieser Zeit auch wieder durch den schlechten Fortgang der Zeitschrift »Phöbus« tief gesunken gewesen sein muß. Hatte er doch auf dieses Unternehmen so sehr gerechnet, daß er für die Gründung desselben auch wieder seine Schwester zu interessieren versuchte, damit sie sich mit einer Summe Geldes daran beteilige. Der geringe Erfolg des »Phöbus«, der nur ein Jahr lang, Ende 1808, erschien, zerstörte auch diese Hoffnung wieder. Kurz, das Jahr, das so hoffnungsvoll begonnen hatte, brachte ihm Enttäuschungen genug, um auf seinen Gemütszustand wieder verderblich zu wirken. Schon frühzeitig, im März, war die üble Kunde aus Weimar gekommen von der total mißglückten Aufführung des »Zerbrochenen Krug«. Man denke! bei einem so gewaltig hochstrebenden Dichter wie Kleist nach langem Hoffen und Mühen die erste Aufführung eines seiner Stücke, und ein so schmähliches Fiasko! Die Ursachen davon sind schon früher angedeutet worden, und es ist zweifellos, daß Goethe die Hauptschuld trug. Aber in den weimarischen Kreisen wurde alle Mißbilligung und aller Hohn gegen den armen Kleist gerichtet, und die Exzentrizitäten in der schon durch den Druck bekannt gewordenen »Penthesilea« konnten gerade in Weimar, wo die Verletzungen der ästhetischen Gesetze am allerschlimmsten empfunden wurden, die schöngeistige Gesellschaft in dem Gesamturteil über Kleist nur bestärken. In Weimar war der unglückliche Dichter verurteilt, und daß er jetzt seinen Unmut gegen Goethe ausließ, kann nicht befremden, wenn man bedenkt, daß der widersinnigen Behandlung des »Zerbrochenen Krug« schon Goethes unzweideutige Verurteilung der »Penthesilea«, in seinem Schreiben an den Dichter, vorausgegangen war. Ob Kleist ihm wirklich, wie berichtet wurde, eine Herausforderung zugeschickt habe, mag dahingestellt bleiben, aber bei seiner Natur ist es wenigstens nicht unwahrscheinlich. Daß er ganz außerordentlich erbittert war, geht schon daraus hervor, daß er sich hinreißen ließ, jetzt im »Phöbus« Epigramme zu veröffentlichen, von denen einige gegen Goethe direkt gerichtet waren, andere scheinbar Kleists eigene Dichtungen parodierten, um damit das Urteil der Weimarer lächerlich zu machen. Wie maßlos bei Kleist die Ausbrüche seiner gereizten Dichtereitelkeit waren, hatte er auch noch später in einem Briefe an Iffland gezeigt, als dieser sich nicht dazu verstehen wollte, das »Käthchen von Heilbronn« in Berlin aufzuführen. Ueber seine damalige Stimmung in Dresden erzählte Frau von Rühle: Sie sei einmal mit Kleist auf der Brühlschen Terrasse schweigend auf und nieder gegangen, als Kleist plötzlich in die Worte ausbrach: »Ja, ja, es ist nicht anders, Müller muß sterben, ich muß ihn ins Wasser werfen, wenn er mir nicht freiwillig seine Frau abtritt!« – Die Freundin, die gar keine Ahnung von einer Leidenschaft Kleists zu der Frau Adam Müllers hatte, fuhr erschrocken auf und befragte ihn, was er meine, worauf Kleist die Worte in allem Ernst wiederholte und sich auch durch keine Einwendungen davon abbringen ließ. – Die Leidenschaft mag gar nicht vorhanden gewesen sein, aber er hatte das Ungeheuer in seinem Gehirn ausgebrütet und gefiel sich momentan darin.

Trotz seiner bedenklichen Gemütsverfassung, in die er wieder durch mehrfaches Mißgeschick geraten war, zeigte er gerade in diesem Jahre – 1808 – eine außerordentliche dichterische Schaffenskraft. Im Phöbus erschien außer dem Fragment seines wieder neu aufgenommenen »Robert Guiskard« noch die merkwürdige Erzählung »Die Marquise von O.«, ferner sein vollendeter »Michael Kohlhaas« und endlich auch ein Fragment seiner neuesten dramatischen Schöpfung, des »Käthchen von Heilbronn«, jenes Schauspiels, welchem es allein beschieden war, ihn als Dichter populär zu machen, wenn freilich auch dies erst später, nach seinem Tode, durch eine rücksichtslose Bühnenbearbeitung geschah. Und noch ehe er dies Schauspiel in Dresden vollendet hatte, begann er ein anderes Drama, welches – obwohl er einen fernliegenden Stoff dafür gewählt hatte, doch ganz und gar in der Gegenwart wurzelte, und ein Erzeugnis seines patriotischen Herzens wie nicht minder seines politischen Verstandes war und ungewöhnlich schnell vollendet wurde. Das war »Die Hermannsschlacht«.

Ehe wir auf dieses außerordentliche Werk näher eingehen, soll hier noch einiges über sein im stärksten Sinne romantisches Schauspiel gesagt sein. Wir wissen, daß Kleist in seinen Beziehungen zum weiblichen Geschlecht niemals ein reines Glück empfand. Seine Beziehungen zu seiner ehemaligen Braut sind für diese Seite seines Wesens lehrreich. Trotz seiner im allgemeinen durchaus liebevollen Natur hatte er selbst ihre Liebe wiederholt auf die härteste Probe gestellt. Wenn schon für eine wirkliche tiefe Leidenschaft in allen seinen Briefen viel zu sehr der pädagogische Zug hervortritt, indem er immerfort nur bestrebt war, für ihre weitere »Bildung« etwas zu tun, so ließ auch die Auflösung des Verhältnisses erkennen, wie kühl er darüber empfand und daß ihn eine wirkliche tiefe Leidenschaft dabei niemals erfüllt hatte. Aber auch zu der ruhigeren Auffassung eines auf gegenseitiger Neigung und auf gleichberechtigtem Vertrauen beruhenden Verhältnisses konnte er sich nicht verstehen, weil er stets das Weib als den minder berechtigten Teil des Bündnisses betrachtete und er seiner Braut gegenüber die Stelle eines Despoten spielte, der zwar geliebt sein wollte, aber auch unbedingte Unterwerfung forderte. Aehnliche herrische Launen scheinen auch das zweite und schneller vorübergehende Verhältnis in Dresden gestört zu haben. Daß es dieser Bruch gewesen sei, der ihn zu einem Selbstmordversuch führte, ist bei seinem Verhalten und nach seiner ganzen Natur durchaus unglaubwürdig und die andern ihn viel schmerzlicher treffenden Enttäuschungen haben wohl allein den Anlaß dazu gegeben. Als er aber jetzt das »Käthchen von Heilbronn« schrieb, hatte er offenbar die Liebe des Weibes zum Manne so schildern wollen, wie er sie sich dachte und beanspruchte, als eine blinde Unterwerfung und unbedingte sklavische Ergebenheit, die an Anbetung grenzte. Daß er auch hier, in dem was er schildern wollte, in krasse Übertreibung geriet und viel weiter ging, als es zur Durchführung seines Gedankens nötig war, lag überhaupt in seiner Natur, denn diese Maßlosigkeit in der Ausführung erkennen wir in jeder seiner dramatischen Dichtungen. Wie er aber schon in der Raserei der Liebesleidenschaft seiner übermenschlichen Penthesilea dennoch den zarteren Liebesszenen eine wahrhaft entzückende Poesie zu verleihen wußte, so hatte er auch sein Käthchen trotz ihrer hündischen Anhänglichkeit mit einem so zarten Reize der Weiblichkeit und rührender Unschuld und mit einer solchen Fülle echtester Poesie ausgestattet, daß wir sie trotz aller uns verstimmenden Momente gerne so hinnehmen wie sie ist. Indem er die Gewalt der Liebe als ein unergründliches Rätsel in der Natur begriff und darstellte, umgab er dieses geheimnisvolle Walten im Menschenherzen noch mit andern rätselhaften Erscheinungen, mit den Wundern des »Hellsehens« und mit Dingen, welche schon einer übersinnlichen Welt angehören, wie die Erscheinung des die Unschuld schützenden Cherub. Daß er diesem Käthchen zu Liebe den Charakter ihres Gegenstückes, der Kunigunde, mit den schwärzesten Farben schilderte, verleitete ihn auch wieder zu einer seiner immer wiederkehrenden Extravaganzen, indem er die herzlose Kokette, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht ist, nicht nur zu einem Scheusal, sondern auch zu einer widerwärtigen Karikatur machte. Aber auch dieses Bild stimmte zu dem märchenhaften Charakter, den das Ganze annahm, und zu welchem das Mittelalter mit seinem rauhen und glänzenden Rittertum, mit dem geheimnisvollen Walten des Femgerichtes und andern Dingen vortrefflich stimmte. Hier hatte der große romantische Dichter sich in einer Welt gefühlt, in der er heimisch war, und deshalb haben wir auch in keinem seiner andern Werke einen so echten und historischen Lokalton zu bewundern wie in diesem wahrhaftesten romantischen Ritterschauspiel. Daß Kleist diesen Stoff, der mit allen seinen darin waltenden Kräften mehr für die Schilderung als für die sichtbare dramatische Aktion geeignet schien, nicht wie den Kohlhaas zu einer Erzählung, sondern zu einem Schauspiel gestaltete, mag wohl darin seinen Grund haben, daß er gerade in den beiden Dramen, die ihm als Ideale vorgeschwebt hatten, nichts erreichen konnte, indem das eine, Penthesilea, auf entschiedensten Widerspruch stieß, während er mit dem andern, Robert Guiskard, gar nicht zustande kommen konnte. Vielleicht wollte er nun, mit dem Griff ins romantische Mittelalter, gerade einen Stoff behandeln, der mit der vielfach äußerlich, bewegten Handlung voll spannender ihm recht theatralisch dankender Szenen das große Publikum erobern sollte. Das ist denn auch geschehen, aber wie gesagt, erst später. Denn die ersten Aufführungen des Schauspiels in Wien, am 17., 18. und 19. März 1810, hatten keinen nachhaltigen Erfolg. Erst zwölf Jahre nach dem Tode des Dichters hatte es durch die Holsteinsche Bühnenbearbeitung weite Verbreitung gefunden, und nachdem man mehr und mehr durch die Lektüre sich mit dem Zauber der darin herrschenden Poesie vertraut gemacht hat, wird es auch in seiner reinern Gestalt seinen Platz auf der deutschen Bühne behaupten. Es möge hier übrigens auf eine Bemerkung hingewiesen werden, welche der Theaterkritik« der Spenerschen Zeitung, Friedrich Schulz in Berlin, bei Besprechung der ersten Berliner Aufführung des Käthchen i. J. 1824 machte. Schulz, der mit Kleist persönlich verkehrt hatte, verwirft die Holbeinsche Bearbeitung zwar als eine Verstümmelung des Werkes. Dennoch meint er, wäre eine Bearbeitung nötig gewesen, weil aber Kleist kein Wort aus seinem Werke habe missen wollen, so habe er darauf verzichten müssen, »sein geliebtes Käthchen auf unserer Bühne zu schauen.«

Während Kleist noch mit der Vollendung seines Schauspiels beschäftigt war, hatten seit dem unseligen Frieden von Tilsit die politischen Verhältnisse sich immer trauriger und hoffnungsloser gestaltet. Aber der zunehmende Druck, der in Deutschland auf allen Gemütern lastete, mußte endlich das Gefühl der Hoffnung auf eine Veränderung der Lage gewaltsam zum Durchbruch kommen lassen. Die Bestrebungen der Männer wie Stein und Scharnhorst, Jahn und Arndt, Fichtes Reden an die deutsche Nation, sowie die Stiftung des Tugendbundes waren die Symptome des neu erwachenden patriotischen Geistes. Die Unruhen wuchsen allenthalben, und als die Spanier mit so heroischem Beispiele vorangingen, die französische Tyrannei abzuschütteln, richteten sich die Hoffnungen zunächst auf Oesterreich, welches im stillen sich zum Kampfe vorbereitete.

Diese Bewegung konnte Kleist nicht gleichgültig lassen, und von der Insel der Romantik, auf der ihn sein Käthchen trösten sollte, tat er plötzlich den kühnen Sprung auf den Boden der Gegenwart und – dichtete seine »Hermannsschlacht«, dieses in seiner Art einzig dastehende Drama des patriotischen Hasses. Besonders waren es die Spanier und ihr patriotischer Radikalismus, der in seinem Herzen zündete. Auch Blücher hatte damals geschrieben: »Ich weih nicht, warum wir uns nicht den Tirolern und Spaniern gleich achten wollen.« Kleist aber steigerte diesen Gedanken der berechtigten Notwehr eines ganzen Volkes wieder zur äußersten Höhe des in ihm entflammten Hasses gegen die Bedrücker.

Wenn Goethe an Kleist über die Penthesilea von jenen Dramatikern geschrieben hatte, die noch immer »auf ein Theater warten, das da kommen soll«, so konnten diese damals berechtigten Worte auf Kleists »Hermannsschlacht« keine Anwendung mehr finden, wohl aber konnte man bei diesem Drama sagen, der Dichter habe dabei an ein »Deutschland« gedacht, das da kommen soll.

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