Ein Bild seines Lebens und Wirkens

In innerster Verbindung mit Kleists sittlichem Rigorismus stand sein patriotisches Gefühl, und beides wirkte hier zusammen, um die Flammen des Hasses gegen die Franzosen zu entzünden, über die er schon bei seinem ersten Aufenthalte in Paris an seine Schwester geschrieben hatte: »Ich kann Dir nicht beschreiben, welchen Eindruck der erste Anblick dieser höchsten Sittenlosigkeit bei der höchsten Wissenschaft auf mich machte. Diese Nation ist reifer zum Untergange als irgend eine andere.« Und eben diese Nation, diese »Affen der Vernunft«, wie er sie einmal nennt, sollte er ihre siegreichen Fahnen weiter und weiter tragen sehen über Deutschlands Fluren hin! In seiner Hermannsschlacht kommt sowohl seine tiefe Erkenntnis von dem Franzosentum in wildem Humor zum Ausdruck wie das Gefühl unersättlicher Rachbegier gegen unsere Peiniger. Sowie ihm alles zuwider war, was nur im mindesten an die Phrase streifte, so erfaßte er auch hier fest und ohne Schwanken seinen Gegenstand, in rücksichtsloser Kritik gegen Feinde und Freunde. Sowie er die flunkernde und glänzende Lüge bei den Franzosen haßte, so war ihm auch bei uns alle patriotische Schöntuerei, der das Mark zur Tat fehlte, verächtlich. Alles was die Zeit zur Erscheinung brachte, ist in seiner Hermannsschlacht mit Kühnheit und mit Klarheit zur Anschauung gebracht, wenn wir uns unter Rom Paris, unter den Römern die Franzosen und unter den alten Germanen die Deutschen seiner Zeit vorstellen. Wie er die Fürsten des Rheinbundes dem verdienten Hasse preisgibt, so wendet er sich gelegentlich mit Geringschätzung und mit Spott gegen die kokette Geheimnistuerei des »Tugendbundes«, indem er seinen Helden von den mißvergnügten Deutschen als von »Schwätzern« reden läßt –

Die schreiben, Deutschland zu befreien
Mit Chiffern, schicken mit Gefahr des Lebens
Einander Boten, die die Römer hängen,
Versammeln sich im Zwielicht – usw.

Er wollte Taten, rücksichtslose Taten, wie sie dem lange genährten Haß entsprechen sollten. Wie die Spanier jetzt in ihrem Kampfe gegen die Unterdrücker handelten, das war sein Ideal auch eines deutschen Befreiungskampfes. Verrat, Gift und Meuchelmord, alles sollte gelten, um das Gezücht zu vertilgen, das unsern Boden und die Rechte der Menschheit mit Füßen trat. Aus diesem Gefühl haben wir uns auch die Ausschreitungen des Hasses zu erklären, wie sie in einzelnen Szenen, wie in der gefühlsverletzenden Behandlung des wehrlosen Septimius, in der Abschlachtung des Varus (entgegen der historischen Tradition) und in dem furchtbaren Rachewerk der Thusnelda, zum Ausdruck kommen. So haben wir in diesem Schauspiel das merkwürdigste Beispiel in unserer Literatur, daß ein so fernliegender Stoff so in die lebendige Gegenwart versetzt wurde. Zeigt schon die Kühnheit dieses Gedankens uns den wahrhaft groß angelegten und selbständigen Dichter, so entspricht auch die Ausführung ganz der genialen Idee.

Der Zeitpunkt, da gerade Oesterreich den Krieg gegen Frankreich vorbereitete, übte seinen Einfluß auf die dramatische und hier eminent symbolische Darstellung. Indem er Oesterreich durch Hermann repräsentierte, ließ er den herrschsüchtigen Marbod nicht fallen, sondern dieser sollte, indem er der gemeinsamen Sache sich anschließt, durch die Schnelligkeit der Aktion den Ausschlag geben. Bei dieser Rolle Marbods hatte er Preußen im Sinne, und der preußische Dichter war deutscher Patriot genug, um dennoch schließlich die deutsche Krone demjenigen zusprechen zu lassen, der das Werk der Befreiung durchführte, indem er Marbod zu Gunsten Hermanns entsagen läßt.

Aber nicht nur der großen Tendenz nach, sondern auch in dramatischem und theatralischem Sinne muß die Hermannsschlacht als ein wahrhaft großes Werk des Dichters bezeichnet werden. Trotz der auch hierin vorkommenden Uebertreibungen, die vorhin erwähnt wurden, erkennen wir doch hier kein willkürliches Schalten seiner erhitzten Einbildungskraft, sondern wir sehen überall die Konsequenzen, die der unerbittliche Dichter der Wahrheit aus dem einheitlichen und eindringlichen Gedanken des ganzen Werkes zieht: Der überfeinerten und zur Fäulnis gelangten Kultur des Romanismus setzte er die gewaltige Naturkraft des germanischen »Barbarentums« entgegen. Wie er in diesem Barbarentum auch die natürliche Schlauheit und den Mutterwitz in der Gestalt des Hermann zur Geltung kommen läßt, so hat er diesen Gedanken am treffendsten in den Worten des Varus, kurz vor seinem Ende, ausgesprochen –

Da sinkt die große Weltherrschaft von Rom
Vor eines Wilden Witz zusammen!

Diese ganz selbständige Charakteristik des schlauen Hermann, der so ganz und gar nicht der gewohnten Vorstellung des deutschen Recken entsprach, war allerdings wieder eine Kühnheit, die den echten und originalen Dichter kennzeichnet, der immer nur ganz seiner eignen Idee folgte, und nichts danach fragte, wie diese zu den herkömmlichen Anschauungen stimmte. Und wie mit dem Charakter des Hermann, so ist er auch mit dem der Thusnelda verfahren, die er keineswegs als das Musterbild des deutschen Weibes aufstellen wollte, mit jener Mischung von weiblichem Heroentum und hausfraulicher Biederkeit, wie sie durch die Sage und durch die Dichtung, namentlich von Elias Schlegel und von Klopstock, dem deutschen Volke zum Eigentum geworden war. Aber so wie Kleist sie geschildert hat, in ihrer Wandelung aus der naivsten Ursprünglichkeit, Treuherzigkeit und Einfalt zur äußersten grausamsten Wut, ist sie psychologisch durchaus gerechtfertigt, und der Dichter folgte auch hierin wieder rücksichtslos dem Gebote der Wahrheit. Kleist hat sich selbst einmal, wie Dahlmann berichtet, sehr originell und bezeichnend über seine Thusnelda auf Befragen geäußert, indem er sagte: »Sie ist im Grunde eine recht brave Frau, aber ein wenig einsaitig, wie die Weiberchen sind, die sich von den französischen Manieren bangen lassen.« Zu jener fürchterlichen Energie, mit welcher Thusnelda das Rachewerk ausführt, trägt nicht wenig das Gefühl der Beschämung vor ihrem großen Gatten bei und ihr Wunsch, an dem Römer und an sich selbst die Verirrung zu sühnen. Gerade bei ihrer naiven Gläubigkeit mußte sie in ihrer Enttäuschung sich durch die glatte Tücke des Römers umso tiefer und schmerzlicher verwundet fühlen. Und da sie selbstverständlich von dem christlichen Gebote, dem Feinde zu vergeben, nichts weiß, so stimmt dieser Akt der Rache auch zur Idee der ganzen Dichtung. Wie Hermann, nachdem er die eitle Frau so tief gedemütigt hat, sich gegen sie schonend verhält, um sie wieder zu sich zu erheben, ist wieder ein feiner und tiefer Zug in der Dichtung. Wie bei Kleist durch die Herbheit seines Wesens überall das tiefe Gefühl durchbricht, so sehen wir danach auch den Helden dieses Dramas, den wir so lange nur als den schlauen Fuchs kennen lernten, im Momente vor der Entscheidung, in der wahrhaft großartigen Szene am Eingange des Teutoburger Waldes, übermannt von der Größe des Augenblickes und erschüttert von dem wunderbaren Bardengesang, so weich und ergriffen werden, daß er nicht zu sprechen vermag. Sowohl diese Situation wie auch die große Szene des Marbod mit den Kindern Hermanns gehören zu jenen Kleistschen Schönheiten, welche in der deutschen dramatischen Dichtung nicht ihresgleichen haben, und in denen er nur mit Shakespeare zu vergleichen ist, ohne doch ein Nachahmer desselben zu sein.

Als Kleist seine Dichtung vollendet hatte, schickte er sie anfangs Januar 1809 nach Wien, wo er eine Aufführung im Burgtheater noch am ehesten erwarten zu dürfen meinte. In seinem Briefe an den damaligen Wiener Dramaturgen, den Dichter Collin, sprach er die Ansicht aus, daß der Erfolg dieses Stückes sicherer sei als der des »Käthchen von Heilbronn«, und daß er es deshalb gern vor diesem auf die Bühne bringen möchte. Er sollte auch hierin wieder eine schmerzliche Enttäuschung erfahren; das Käthchen kam in Wien ein Jahr später zur Aufführung, aber die »Hermannsschlacht« blieb ganz liegen, ungewürdigt, unausgeführt. Man sah es wohl als eine seltsame Kühnheit an, daß ein deutscher Dichter aus den Empfindungen der die Gemüter bewegenden Gegenwart zum Volke reden wollte, wo nur die Diplomaten das Recht hatten, patriotisch oder – unpatriotisch zu sein. War ihm aber in Wien das Wort nicht gestattet, so konnte er in jener Zeit auf eine andere deutsche Bühne gehabt, und nur in seinen Freundeskreisen in Dresden konnte das Manuskript still von Hand zu Hand gehen. Kleist aber hatte in seinem Schmerze darauf als Motto das Distichon gesetzt:

Wehe, mein Vaterland, dir! Die Leier zum Ruhm dir zu schlagen,
Ist, getreu dir im Schoß, mir, deinem Dichter, verwehrt.

Noch ehe ihm die Hoffnung auf die Aufführung in Wien geschwunden war, hatte Kleist mit Dahlmann verabredet, Dresden zu verlassen und sich zunächst nach Prag zu begeben. Dort, meinte man, sei es sicherer, die Entwickelung der großen Ereignisse abzuwarten, nachdem der sächsische Hof sich der schlechten Sache angeschlossen habe. In Prag erst wurde Dahlmann mit dem Manuskript der Hermannsschlacht bekannt gemacht, und er erzählt uns, mit wie »unwiderstehlichem Herzensklange« ihm der Dichter, trotz seiner bedeckten Stimme, einzelne Partien aus dem Drama vorlas und namentlich mit dem Vortrag des Bardengesanges eine erschütternde Wirkung gemacht. Als sie Prag nach einigem Aufenthalt verlassen hatten, um weiter zu gehen, waren sie noch nicht bis nach Wien gelangt, als die Schlacht bei Aspern (am 21. Mai 1809) sie überraschte. Beide besuchten sogleich mit Eifer das Schlachtfeld, aber gerieten dabei wieder in Bedrängnis, indem ein österreichischer Offizier sie als Spione der Franzosen im Verdacht hatte. Kleist hatte die Naivität, sich als »Dichter« zu legitimieren, indem er ein paar Gedichte, die er bei sich trug, vorzeigte. Die österreichischen Offiziere hatten ihm deshalb keineswegs eine größere Achtung bezeigen wollen, aber man belästigte die Verdächtigen nicht weiter.

Zu den Gedichten, welche aus Kleists wild erregter Stimmung der Zeit hervorgegangen waren, gehörten außer dem diabolisch-humoristischen »Kriegslied der Deutschen« vor allem sein großer Schlacht- und Rachegesang: »Germania an ihre Kinder«, der an wildem Zorn und an hinreißend dichterischer Kraft alles hinter sich läßt, was in jener Zeit und später an patriotischen Gedichten erschienen war.

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