Biographie

Lorbers äußeres Wesen

Lorbers Äußeres entsprach keineswegs der Vorstellung, die sich etwa ein Kenner seiner übersinnlichen Schriften von ihm machen mochte. Er war vielmehr das Gegenteil eines im Hinblicke auf die Schriften etwa vermuteten ätherisches Wesens. Seine mehr als mittelgroße und gedrungene Gestalt hatte sogar eine gewisse Derbheit an sich. Der Kopf war ziemlich groß, die Stirne hoch und breit, die Lippen voll, alle Gesichtsformen sanft abgerundet, die Miene freundlich und die graublauen Augen von einer wohlwollenden Milde beseelt. Das braune Haar trug er gescheitelt auf den Nacken herabfallend und auf dem Kinne einen gleichfarbigen, in den letzten Jahren seines Lebens ergrauenden Vollbart. Wenn er sich mit seiner geliebten Violine produzierte, erschien er in tadellosem schwarzen Anzuge, für gewöhnlich aber vernachlässigte er sich in der Kleidung. Und wenn dieser unscheinbare Mann mit langsamem, etwas schwerfälligem Gange die Straße einherschritt, ahnte wohl niemand in ihm den Mittler jener geheimnisvollen Kundgebungen, die schon Tausende von Druckseiten füllten und in mehreren, auch weit entfernten Ländern eine Schar begeisterter Anhänger hatte.

Lorber benahm sich im Umgange sehr bescheiden, für unsere gern ein erhöhtes Selbstbewußtsein zur Schau tragende Zeit sogar zu demütig; jedoch war er selbst noch während der Zeit, da er sein ernstes Schreibgeschäft betrieb, ein guter Gesellschafter. Wenn er sein Tagewerk vollendet hatte, liebte er es, den Abend in der Gesellschaft von Befreundeten bei einem Glase heimischen Weines heiter zu verbringen.

Drehte sich das Gespräch um weltliche Dinge, so erzählte er oft die drolligsten Erlebnisse und Anekdoten, so daß sich die lachenden Zuhörer dabei auf das beste unterhielten. Nahm das Gespräch aber bei der Anwesenheit von Gleichgesinnten eine ernstere Wendung, so war bald der tiefste Ernst und eine wahrhaft überirdische Ruhe über ihn verbreitet und die tiefsinnigsten und erhabensten Lehren und Ideen entströmten seinen beredten Lippen, so daß dabei die gespannt aufmerkenden Hörer nicht selten ein heiliger Schauer überkam. Sagte ihm jedoch die Gesellschaft in keiner Weise zu, so konnte er stundenlang, ohne ein Wort zu sprechen, teilnahmslos dasitzen.

Manchmal geschah es wohl auch, daß sich Uneingeweihte, die von seinem mysteriösen Schreiben nur obenhin munkeln gehört hatten, der Abendgesellschaft seiner Freunde unliebsam beigesellten und ihn durch allerlei Sticheleien zu hänseln suchten. In solchen Fällen ließ er die Neckereien meistens unbeachtet fallen oder er wies den Spötter - wie einen, der ihn einmal fragte: "Was gibt es Neues, Lorber? Sie sind ja unseres Herrgotts Kanzlist!?" - mit solchem Ernste in Blick und Ton zurecht, daß jenem für die Zukunft ganz die Lust verging, ihn seines frommen Geheimschreiberdienstes wegen wieder zu verhöhnen.

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