Beweise geistiger Eingebung
Bei diesem seltsamen Schreibgeschäfte ereignete es sich auch, daß Lorber das von ihm Niedergeschriebene selbst unrichtig auffaßte oder ein einzelnes Wort darin nicht verstand. So geschah es am 26. Mai 1840. Er hatte damals über die Anfrage eines Freundes, wie man die Propheten lesen solle, eine kurze Belehrung zu Papier gebracht, welche dahin lautete, man müsse dazu ein starkes Vergrößerungsglas nehmen. Wir, seine Freunde, vermochten aber uns diese offenbar symbolische Rede nicht gehörig auszulegen. Lorber meinte sofort, unter diesem Vergrößerungsglase habe man die Gnade Gottes zu verstehen. Wir wendeten ihm darauf ein, der Mensch könne sich diese ja nicht, wie es hier angeordnet werde, eigenmächtig selbst nehmen, auch werde die Gnade später noch im besonderen erwähnt. Er blieb aber fest bei seiner Behauptung und versetzte, der Mensch könne ja die Gnade Gottes verdienen, und daher hänge die Erwerbung derselben allerdings von ihm selbst ab. Darauf gingen wir auseinander. Des nächsten Tages aber teilte mir Lorber mit, er habe in Bezug auf unser gestriges Gespräch angefragt und in der bekannten Weise wörtlich folgende Eröffnung erhalten: "Daß Meine Rede die andern nicht verstanden habe, ist nicht zu wundern, wohl aber, daß auch du sie nicht verstanden hast! Jenes Vergrößerungsglas ist die Demut, deren Begriff viel weiter ist, als ihr ihn gewöhnlich nehmt. Sie ist es, die das eigene Ich ganz klein, alles, was außer ihm ist, aber groß erscheinen macht."
Hierher gehört auch ein Vorkommnis vom 14. Juni 1840. Ich verweilte damals wieder einige Zeitlang bei Lorber, während er an einem in dem schon erwähnten Werke "Geschichte der Urschöpfung" enthaltenen Reimgedichte zu schreiben fortfuhr. Nachdem er dessen zehnte Strophe (Kap. 32, Vers 6) vollendet hatte, wandte er sich zu mir und sagte: "Jetzt habe ich ein Wort niederschreiben müssen, das ich wahrhaftig selbst nicht verstehe. Was heißt denn das: 'Verjahen'? - Dabei reichte er mir das beschriebene Blatt zur Einsichtnahme hin, und ich sah, daß der Schluß dieser Stanze lautete:
"Würdet ihr dann wohl auch Meiner großen Liebe nahen?
Nein, sag' Ich; in alle Zweifel würd't ihr euch verjahen!"
Ich erinnerte mich wohl, dem Worte schon im Alt- oder Mittelhochdeutschen begegnet zu sein, wußte aber über dessen Begriff nicht augenblicklich Bescheid zu geben. Nachdem ich in den folgenden Tagen mehrere Wörterbücher zu Rate gezogen hatte, fand ich endlich in Wolf-Ziemanns Mittelhochdeutschem Wörterbuche, Leipzig 1838, die Wörter "jach", "jahen", dann die weitere Wortform: "gach", "gahen" und endlich auf Seite 544 "vergahen" mit der Bedeutung "sich zum Schaden eilen, übereilen", welche für den vorliegenden Fall ganz paßte, indem der Schlußsatz dann so viel sagen würde, als: "In alle Zweifel würdet ihr euch jäh (gach) stürzen". Ober in der noch gebräuchlichen Volkssprache: "vergachen". - Diese Auslegung mag übrigens die richtige sein oder nicht, so liefert das Gesagte doch den besten Beweis, daß Lorber bei seinem Schreiben nicht seiner eigenen, sondern einer fremden Intelligenz Folge geleistet hat.
Einen noch schlagenderen, ja unwiderlegbaren Beweis dafür lieferte folgendes Ereignis: Am 25. Juni 1844 gab mir Anselm Hüttenbrenner einen Aufsatz Lorbers zu lesen, welchen dieser zwei Tage vorher niedergeschrieben hatte. Es wurde darin kundgetan, daß Schelling, Steffens und Gustav A. berufen oder vielmehr auserwählt seien, um unter den Protestanten die Gemüter auf das Erscheinen dieser neuen theosophischen Schriften vorzubereiten. Zur Bestätigung dessen waren darin zwei Stellen aus dem Werke Steffens': "Die falsche Theologie und der wahre Glaube" mit genauer Angabe der bezüglichen Seitenzahlen wörtlich angeführt. - Weder Anselm Hüttenbrenner noch Lorber hatten bis dahin Steffens auch nur dem Namen nach gekannt. Lorber war daher hoch erfreut, als ihm jener, welcher inzwischen im Konversationslexikon von Brockhaus nachgeschlagen hatte, die Mitteilung machte, es gebe wirklich einen Schriftsteller dieses Namens, und dieser habe wirklich ein Werk mit dem angeführten Titel im Drucke erscheinen lassen.
Da ich dieses Werk des mir übrigens wohlbekannten Autors ebenfalls nicht kannte, so machte ich sogleich darauf Bestellungen bei der Universitätsbuchhandlung, welche es mir am 24. Juni einhändigte. Ich übergab es noch am Abende desselben Tages an Anselm Hüttenbrenner und verfügte mich des nächsten Morgens zu ihm, um zu erfahren, welches Ergebnis sich bei der zwischenweiligen Vergleichung der Texte in Druck und Schrift ergeben habe. Hüttenbrenner hatte bereits die von Lorber mit Hinweisung auf die Seiten 5 und 6 angedeutete Stelle im Buche aufgefunden, und ich überzeugte mich selbst, daß sie mit jener in Lorbers Manuskript angeführten wörtlich übereinstimmte, nur daß in letzterem ein paar Wortversetzungen vorkamen. Die übrigen von Lorber angegebenen Stellen, welche auf den Seiten 109, 129 und 136 des Buches angetroffen werden sollten, hatte Hüttenbrenner darin nicht aufgefunden. Und auch bei einer von ihm und mir nun gemeinschaftlich wiederholten Suche vermochten wir dort nichts zu entdecken, was mit dem Texte in Lorbers Schrift von Wort zu Wort übereingestimmt hätte, wohl aber trafen wir dort auf Stellen, welche den nämlichen Geist atmeten, in welchem Lorbers Anführungen geschrieben waren. Es bleibt aber bei dem Umstande, da uns nur die zweite Auflage dieses Werkes zur Hand war, doch noch immer die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß sich vielleicht in dessen erster Auflage auch diese Stellen wörtlich vorfinden. Jedenfalls beweist die wörtliche Übereinstimmung der auf den Seiten 5 und 6 wirklich im Drucke vorgefundenen Stelle mit jener in der Handschrift Lorbers, daß er sie unter dem Einflusse einer andern Intelligenz als der seinen niedergeschrieben hat - was freilich allen jenen unbegreiflich, ja als Humbug erscheinen muß, welche diesem Beweise menschlicher Erfahrungswissenschaft hartnäckig Ohr und Augen verschließen.