Biographie

Materialisation

Endlich ereignete sich auch ein Fall, welcher vermuten läßt, daß Lorber auch die Befähigung gehabt habe, sich zum Materialisations-Medium, wie man dies neuestens nennt, auszubilden. - Er bewohnte damals ein Zimmer zu ebener Erde in der Wickenburggasse, in welchem sein Schreibtisch unmittelbar an dem Fenster stand, in dessen Nähe sich rechts die Eingangstür befand. Eines Tages, so erzählte er mir, als er eben am Tische saß und schrieb, stand plötzlich ihm zur Seite rechts zwischen Tisch und Tür eine weibliche Gestalt in der damals gewöhnlichen Kleidertracht und lächelte ihn, als er von der Feder aufsah, freundlich und gleichsam erfreut an, wie jemand, dem eine beabsichtigte Überraschung geglückt ist. Er erkannte in dieser Gestalt seine ehemalige Schülerin R., ein junges Mädchen, welches von ihm Unterricht im Gesang genommen und sich als Sängerin der Bühne gewidmet hatte, vor einiger Zeit aber gestorben war. Als sie die Miene des Erstaunens, mit der er sie anstarrte, bemerkte, sagte sie: "Ja, ja, ich bin's! Faß' mich nur an!" Und als er damit zögerte, wiederholte sie ihre Aufforderung dringend: "Nun, so faß' mich nur an!" - Als Lorber ihr hierauf endlich Folge leistete, fühlte er tatsächlich den elastischen Widerstand eines menschlichen Körpers; aber als er diesen kaum wieder losgelassen hatte, war die ganze Gestalt auch plötzlich schon verschwunden.

Ich war über diese Erzählung ganz verblüfft, getraute mich aber nicht, dem Erzähler, der dazu selbst eine geheimnisvolle Miene der Verwunderung machte, etwas dagegen einzuwenden und ließ die ganze Sache, die ich mehr für eine Sinnestäuschung als für eine wirkliche Tatsache anzusehen geneigt war, stillschweigend auf sich beruhen, indem ich wohl wußte, daß Lorber durch jeden Zweifel, den man in seine Worte setzte, sich gekränkt fühlte. Erst in der neuesten Zeit, als von allen Seiten, zumal aus England und Amerika, häufige Nachrichten von tastbaren, plastischen Geisterscheinungen einliefen und berühmte Gelehrte nicht nur aus eigenen Ländern, sondern auch in Deutschland für deren Wirklichkeit Zeugnis ablegten, erinnerte ich mich wieder jener Erzählung Lorbers, und sie gewann in meinen Augen nun um so mehr an Bedeutung, als der Gegenstand derselben durch die jetzigen, gleichartigen Phänomene auffallend bestätigt und zugleich dargetan wurde, daß für Jakob Lorber auch in dieser Art der Mediumschaft der Vorrang der Priorität in Anspruch genommen werden kann.

Indem ich hiermit meinen gewissenhaft erstatteten Bericht über Jakob Lorbers Leben und dessen außerordentliche Begabung abschließe, bin ich mir recht gut bewußt, daß die in der stoffgläubigen Weltanschauung der Gegenwart Befangenen meinen Freund Lorber sowie mich, seinen Biographen, wenn nicht geradezu als Betrüger, so doch als von arger Selbsttäuschung Betrogene ansehen und als solche, je nach ihrer Charakteranlage, verspotten oder bemitleiden werden. Die Wohlwollenden unter ihnen werden mich, den beinahe Neunzigjährigen, vielleicht damit zu entschuldigen suchen, mein hohes Alter habe mein Auffassungs- und Beurteilungsvermögen so bedeutend geschwächt, daß ich für die oben erzählten Abenteuerlichkeiten als Zeuge aufzutreten vermochte. Diesen milden Richtern gebe ich aber zu Bedenken, daß das von mir hier Berichtete in die Zeit zwischen mein 40. und 64. Lebensjahr fällt, somit in eine Zeit, in welcher die Geisteskräfte des Menschen in der Regel noch nicht bis zur Unzurechnungsfähigkeit abzunehmen pflegen. Es war mir in jenen Jahrzehnten die Verwaltung verschiedener öffentlicher Ämter anvertraut, und ich habe damals auch einige schriftstellerische Arbeiten veröffentlicht.

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