Biographische Einleitung

Da Scheffel, der Anfang 1849 als Bürgerwehrmann nach Karlsruhe einberufen war, dort über freie Zeit verfügte, ließ er sich, als die Aussichten des Frankfurter Verfassungswerks immer unsicherer wurden, von Häusser überreden, die Redaktion der in Karlsruhe erscheinenden »Vaterländischen Blätter« zu übernehmen, des Organs der konstitutionellen nationalen Fortschrittspartei. Gegenüber den partikularistischen Tendenzen der badischen Volksvereine suchte er in dem Blatt den deutschen Gesichtspunkt noch einmal zur Geltung zu bringen. Dies tat er auch am 12. und 13. Mai auf der großen Volksversammlung in Offenburg, die den deutschen Großmächten zum Trotz die Durchführung der Reichsverfassung in Baden beschloß. Auf den Rat des Märzministers Bekk ließ Großherzog Leopold am 13. Mai die Reichsverfassung sowohl von den Soldaten wie von der Bürgerwehr feierlich beschwören. Dennoch kam es noch am Abend zu der Militärrevolte, die den Großherzog veranlaßte, sofort die Flucht zu ergreifen. Als die zur Verteidigung der Bürgerschaft und der Stadt aufgerufene Bürgerwehr in der Nacht das Zeughaus gegen die stürmenden Tumultuanten zu verteidigen hatte, war auch Scheffel dabei beteiligt. Sein Freund und Kamerad Kamm hat ihm die Betätigung hervorragenden Mutes nachgerühmt.

Nach dem Siege der Revolution war seines Bleibens nicht länger in Baden. Er folgte dem Beispiel Häussers und v. Preens, die sich gleich anderen Heidelberger Familien über die hessische Grenze nach Auerbach an der Bergstraße begeben hatten. Es waren meist Männer der Gagernschen Partei, die mehr oder weniger Anteil an der deutschen Bewegung genommen, der republikanischen Propaganda aber als Gegner gegenübergestanden hatten, darunter mancher alte Burschenschafter. Einzelne der Flüchtlinge, Franz v. Roggenbach, Aug. Lamey, Julius Jolly haben später als Minister ihre Prinzipien zur Durchführung bringen können. Scheffel verbrachte die schönen Maitage meist zeichnend in der romantischen Umgebung der zwischen Heidelberg und Darmstadt gelegenen Sommerfrische am Fuße des Melibokus, des Abends aber fand er sich zur Maibowle ein, die nach seinem späteren Urteil ja »kein Mann in Europa« so gut zu brauen verstand wie Häusser. Mit Spannung und Bedauern erlebte man das Heranrücken der preußischen Truppen unter dem Prinzen von Preußen gegen die badische Grenze und sehr zwiespältig war die Genugtuung über die Siege dieser Truppen, obgleich sie Ordnung ins Land brachten. Vom 13. Juni an befand sich das Hauptquartier des Generals v. Peucker für eine Weile ganz in der Nähe, in Zwingenberg. Aber der leuchtende Mai und die lachende Natur der Bergstraße dämpften den Unmut. Auf gemeinsamen Ausflügen ergötzte Scheffel die Gesellschaft durch die Mitteilung seiner humoristischen Lieder. So gelangte das Lied »Als die Römer frech geworden« eines Abends von dem Riesenaltar des »Felsenmeers« herab zu wirkungsvollem Vortrag. Es ist sehr wahrscheinlich, daß damals in Auerbach zu Füßen des »Chattenbergs«, wie ein alter Name den Melibokus bezeichnet, der famose Festbardit der Chatten »Ha'– Hamm'– Hammer dich emol, emol, emol« in der Ballade »Am Grenzwall« (s. Bd. 6 »Gaudeamus«) erstmals erklungen ist.

Der Flüchtlingskolonie in Auerbach hatte sich auch der humorvolle Gesangssolist des »Engern«, der Pfarrer der Gemeinde Ziegelhausen bei Heidelberg, Christoph Schmezer, angeschlossen.

Schmezer war ein Franke, am 29. April 1800 zu Wertheim am Main geboren. Studiert hatte er als Burschenschafter in Halle und Heidelberg; von besonderem Einfluß auf ihn waren namentlich Daub und der Rationalist Paulus gewesen, der sich bekanntlich durch seine natürliche Erklärung der Wunder Jesu einen Namen gemacht hat. 1830-39 war Schmezer Pfarrer in Baden-Baden, wo der geistreiche Kanzelredner eine große Welterfahrung erwarb, und seit 1840 stand er der Gemeinde von Ziegelhausen vor, die Nähe Heidelbergs auch zur Vertiefung seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse benutzend. Schmezers Spezialität im »Engeren« war der melodramatische Vortrag humoristischer Gedichte und Lieder. Wie sein Bruder, der Braunschweiger Opernsänger, war er im Besitze einer Stimme von seltener Kraft und Fülle. Nicht nur seine Kenntnis der humoristischen Musikliteratur, sondern auch eigene Begabung setzten ihn in den Stand, für neue Texte dieser Art wirksame Melodien zu finden. In Schmezers Gesellschaft ist Scheffel auf die schwungvollsten und kraftvollsten seiner komischen Lieder für den »Engeren« gekommen.

Sechs Wochen dauerte der Aufenthalt in Auerbach, aber der Humor, den Scheffel dort entfaltete, war nach seinem eigenen Bekenntnis nur die umgekehrte Form der Melancholie, die ihn im Innern beherrschte. Am 15. und 16. Juni fanden die Gefechte bei Käfertal unweit Mannheim und bei Ladenburg statt. Am 25. zogen die siegreichen Preußen in Karlsruhe ein. Am 29. wurde die halbaufgelöste Insurgentenarmee hinter der Murglinie bei Gernsbach nach verzweifelter Gegenwehr geschlagen. Die Festung Rastatt, die sich unter Tiedemanns und Corvins Kommando noch drei Wochen hielt, mußte sich am 23. Juli ergeben. Als nach dem Gefechte bei Gernsbach die Reichstruppen Weinheim besetzten, wurde v. Preen an Stelle des von dort vertriebenen zweiten Beamten als Amtsverwalter angestellt. Auf v. Preens Bitte kam Scheffel als Volontär zu ihm, blieb aber nicht lange. Er wurde dann »mehr aus Interesse an der Situation als an dem Geschäft« Aktuar bei dem Zivilkommissar Geh. Rat Schaaf, dem er ins preußische Hauptquartier Kuppenheim vor Rastatt zu folgen hatte. Als aber die Zumutung an ihn herantrat, in den Untersuchungskommissionen für die politischen Gefangenen verwendet zu werden, hielt er das mit seiner ganzen Stellung zur Revolution und mit seiner Ehre für unvereinbar. Er wurde damals »wegen seiner kurzen journalistischen Tätigkeit und einer Rede aus den Märztagen« seiner Stelle plötzlich enthoben.

Mitte August unternahm er dann mit Häusser eine längere Reise in die Schweiz, vom Bodensee zu den Quellen des Rheins, in die Graubündner Alpen und über den Splügen bis zum Comosee, »um in frischer Luft auch wieder frische Gedanken zu holen«. Über sein erstes Betreten Italiens schrieb er an Eggers: »An Italiens Grenze habe ich auch ein Weniges in das Land meiner Jugendwünsche hineingeschaut; wir stiegen über den Splügen nach Chiavenna herab und siedelten uns eine Woche lang am Lago di Como fest. Da hab' ich gewohnt, am wundergrünen See, am Fuß der Villa Sommariva, wo Thorwaldsens Alexanderzug und Canovas Statuen einen Vorschmack antiker Plastik geben, und hab' das Lorbeergezweig und die Olivenbäume um mich rauschen lassen und in italischer Luft und in italischem dolce far niente wieder meinen alten Menschen, d. h. den kunst- und natursinnigen, der seit 1848 unter einem Trümmerhaufen politischer Pflastersteine begraben lag, zur Auferstehung gebracht; und hab' in der Schifferbarke die Odyssee gelesen, und die hat besser getönt als alles Broschürengequicke über allgemeines oder besonderes Wahlrecht oder über den Erbkaiser und weiß der Teufel was noch. Da hab' ich auch viel Deiner gedacht; lieber Fritz, Du mußt auch nächstens nach Italien ... Dem alten Goethe ist auch bei seiner italienischen Reise ein Licht aufgegangen wie eine Pechfackel ... Ich hab freilich diesmal nur hineingeschaut, denn weiter zu gehen, lag nicht in meinem Plan und Rom hab' ich mir für bessere Zeiten als Winterstation ohnedies vorbehalten.« Die Rückreise hatte ihn über München geführt und dort hatte er auch bei Schlichtegrolls vorgesprochen. »Im Hause Schlichtegroll war ich mit alter Freundlichkeit aufgenommen. Die trefflichen Leute haben freilich nicht geahnt, was für Gedanken in mir heraufdämmerten, als ich an der Seite der Frau Julia saß und sie mit unbefangener Heiterkeit – und schöner als je – sich mit mir unterhielt.« Auch diesmal hatte ihn sein Skizzenbuch begleitet, und nach der Rückkehr fand er Muße daheim und in Heidelberg, manch flüchtige Skizze künstlerisch auszuführen. Studien über die Geschichte Graubündens, zu denen ihn die dort empfangenen Reiseeindrücke veranlaßten, befriedigten seinen historischen Sinn und lenkten ihn ab von der peinlichen Gegenwart. In dieser Stimmung bewarb er sich Ende des Jahres um die freigewordene Stelle eines besoldeten Rechtspraktikanten beim Bezirksamt in Säckingen, und er hatte Erfolg.

Anfang 1850, also mitten im Winter, traf Scheffel in der altersschönen »Waldstadt« am Oberrhein ein, und bis zum 1. September 1851 dauerte sein Aufenthalt. Hier empfing er den Stoff für seinen »Sang vom Oberrhein« »Der Trompeter von Säckingen« (s. Bd. 5), und es gewährt einen eignen Genuß, bei der Lektüre der »Säckinger Episteln« (s. Bd. 4), einer Reihe humorsprühender, eingehender Berichte über seine Erlebnisse aus dem Anfang und dem Schluß dieser Zeit an die Seinen daheim sich klarzumachen, wie viel von persönlich Erlebtem in die Dichtung überging.

Die badische Amtsstadt, die so stattlich von dem ehrwürdigen Fridolinsmünster überragt wird, war früher eine der vier österreichischen »Waldstädte am Rhein« (neben Rheinfelden, Laufenburg und Waldshut) und eine Zeitlang auch Sitz des Waldvogts, der im Hauensteiner Land zwischen Rhein, Wehra und Wutach das kaiserliche Schirmrecht gegenüber den Freiheiten des Volks und den Rechten der Abtei St. Blasien ausübte. Zwischen Basel und Konstanz, am rechten Ufer des jugendlich dahinrauschenden Rheines, etwa gleich weit vom Rheinfall bei Schaffhausen und der Spitze des Feldbergs, zu Füßen des Eggbergs und gegenüber dem schweizerischen Bötzberg und dem Frikktal gelegen, teilt sie mit den meisten Stiftungen welterfahrener Heidenapostel das angenehme Schicksal einer ebenso günstigen wie schönen Lage.

Als der junge Doctor juris Scheffel nach langer Postfahrt – die Eisenbahn ging erst bis zum Isteiner Klotz – in Säckingen einzog, hatte das schmucke Schloß der einstigen Großmeyer des Fürstlichen Frauenstifts für ihn noch keine Bedeutung, waren die Namen Werner Kirchhof, Hiddigeigei u. s. w. ihm völlig unbekannte Klänge. Und als er am nächsten Tag auf der gedeckten alten Holzbrücke stand, die Säckingen mit Stein am Schweizer Ufer verbindet, und aus einer der Fensterluken hinab auf den Fridolinsacker im Strom und hinüber zu den Zinnen des »Herrenschlößleins« lugte, da ahnte er nicht, daß er jene Insel drei Jahre später als Dichter mit einem unternehmenden Spielmann beleben werde, der sie benutzt, um unbemerkt vom Rhein her einem im Giebelzimmer des Schlosses lauschenden Edelfräulein das Geständnis seiner Liebe in sehnsuchtsvollen Trompetentönen zuzuhauchen. Noch war »des Herrenschlößleins schlankbetürmter Bau« keineswegs so stattlich wieder hergestellt und herrschaftlich eingerichtet, wie es später durch den Seidenfabrikanten Th. Bally geschah, und die unteren Räume dienten sogar samt dem Garten mit seinen hohen Wildkastanienbäumen den Zwecken einer Brauerei und Gastwirtschaft. Dafür drängten sich aber auch noch nicht wie heute in das Bild der Stadt die Wahrzeichen der seitdem zur Blüte gekommenen Industrie; der ganze Ort war noch inniger verwachsen mit seiner ländlichen Umgebung und den Tannenwaldbergen im Hintergrund, die den stillen, heute »Scheffelsee« genannten Bergsee umhegen. Der ganze erste Eindruck heimelte den Dichter an; auch die Lage seiner Amtsstube in dem hohen Staffelgiebelhaus, dem früheren Stiftsgebäude, war seinem historischen Sinn sympathisch.

Zudem kam er nicht als Fremdling, sondern wohlvertraut mit den Vorzügen und Reizen der Waldstadt hierher; war doch sein Vater als junger Regierungsingenieur längere Zeit in der Gegend tätig gewesen, hatte ihm dieser doch im Knabenalter schon Ort und Gegend gezeigt. Ein paar Stunden von Säckingen rheinaufwärts aber, in Großlaufenburg auf der Schweizer Seite, wohnte der Fürsprech und Großrat Wilhelm Heim, der Onkel von Josephs Schwarzwaldbäschen in Zell, ein jovialer, gastfreier Mann. Und war es nicht Hebels Heimat, die ihn ringsum grüßte, das Quellgebiet der Poesie, die ihm in der Kinderzeit die vertrauteste war? Im Tal der Wiese und der Wehra wie auf dem Hauensteiner Wald fand er den unverfälschten alemannischen Volksschlag, den Hebel mit ebenso viel Liebe wie Naturtreue in der Mundart des Landes geschildert hat!

Gleich in der ersten Epistel an daheim, die seinen Eintritt ins Amt als »Respizient für Kriminal- und Polizeisachen« vermeldete und auch schon des Honoratiorenstammtischs im »Goldenen Knopf« beim Gastwirt Broglie und des Posthalters Malzacher, bei dem einst der Vater gewohnt, Erwähnung tat, rühmte er das Interesse, das für Hebels Poesie und Prosa in diesem Kreise bestand. In der nächsten Epistel, »Wie der Doktor Scheffel seine erste Ausfahrt in den Wald gehalten und dabei den Balthes Nicker, mehrere Schneelandschaften und andere Hauensteiner Biedermänner sowie den ›Meysenharts Joggele‹ kennen gelernt hat«, kam Hebel ebenso zu Wort wie im März in der Schilderung des »Sankt Fridolinifests«, zu dem Tausende von Teilnehmern aus dem Rheintal und vom »Wald« auf dem Säckinger Markt vor dem Münster zusammengeströmt kamen. Die Zundelfrieder- und Zirkelschmiedsgeschichten des »Rheinischen Hausfreunds« mögen das Ihrige dazu beigetragen haben, daß Scheffel dann mit so köstlichem Humor in der »sechsten Epistel« seine bisherigen Erfahrungen als Polizeirespizient für den Nachweis ins Feld führte, daß gerade das, was die Poesie verherrliche, von der Polizei oft verpönt werde. Wohl klagte er dabei über die Ironie des Schicksals, daß er »antipolizeiliches Gemüt« sich jetzt mit der Besorgung von Polizeigeschäften befassen müsse, aber sein Bericht klang heiter aus in dem Bekenntnis, daß es Momente gäbe, wo der Polizeirespizient sich lediglich in Poesie auflöse und sich höchst polizeiwidrig aufführe.

Aber nur im ersten halben Jahr hat Scheffel mit solchem Humor sich über den Konflikt seiner Dichternatur mit seinen Dienstobliegenheiten ergangen. Schon sehr bald nach seiner Ankunft in Säckingen hatte er an Schwanitz geschrieben: »Leider hab ich den Schmerz um Altdeutschland auch hierher mitgenommen und kann ihn immer noch nicht los werden!« Und am 13. Juli 1850 schrieb er, tieferregt über das Schicksal, von dem Schleswig-Holstein nach Abschluß des Friedens zwischen Preußen und Dänemark bedroht war: »An alte Hoffnungen und Träume und an mein liebes Altdeutschland denk ich freilich leider nicht mehr viel – da schwimmt täglich viel Wasser den Rhein herunter und der Schmerz bleibt doch der nämliche – und was nützt's, wenn Einer auch dran denkt? Es gibt höchstens ein Gefühl, wie das des alten Capulet, der im Randal der Straße, wo die Seinigen und die Montagues sich herumschlugen, ans Schwert greifen wollte und merkte, daß er nur seinen Schlafrock anhatte. 'S Dunner und 's Wetter! sagen unsre Wälder. Und was nützt's, wenn Einer dran denkt, wie voriges Jahr unterm Banner der schwarzrotgoldenen Farben die Dänen gehauen und ihre Schiffe zusammengeschossen worden sind ... Heut bin ich in unserm famosen Bierkeller am Rhein gesessen, und während all das Volk kegelte und trank, hab' ich in Rhein hinuntergeschaut und aus den Wellen hat der alte Traum von 1848 heraufgeklungen und ich hab' an meine liebe mütterliche Freundin gedacht, die Frau Etatsrat Esmarch in Schleswig, die jetzt auch wohl samt ihrem blonden Töchterlein Mimi von Haus und Herd fort muß –.« Im vierten Stück des »Trompeter«, »Jung Werners Rheinfahrt«, findet sich in den Trostworten, mit denen der Genius des Rheins Wernern tröstet, ein Nachklang dieser Stimmung: »Und ich kenn Euch, deutsche Träumer... Und des deutschen Volks Geschichte, Sturm und Drang und bittres Ende Steht in meinem Lauf geschrieben.« Mit der Familie des Schleswiger Patrioten Esmarch, der 1848 Abgeordneter in der Paulskirche war, war Scheffel in Frankfurt näher befreundet worden. »Die unbefangene Weiblichkeit der Tochter Mimi,« schrieb er an Eggers, »der ich, gerade weil sie Braut ist, mich harmlos und heiter nähern konnte, hat mir einen tiefen und früher ungekannten Eindruck gemacht.« Jetzt wurde sie Frau Hauptmann v. Wartenberg in Berlin.

Einen Monat später, nach dem unglücklichen Ausgang der Schlacht bei Idstedt, schrieb Scheffel an den Etatsrat Heinrich Karl Esmarch selber: »Wenn ein guter Wille und ein heiliger Zorn über unser deutsches Elend hinreichten, um mich armen Schreiber an den Platz hinzustellen, wo jetzt Jeder hingehört, der noch Herz und Ehr im Leibe hat, so stünde ich längst als Wehrmann bei einem ihrer tapferen Bataillone und hörte die dänischen Kugeln pfeifen. Verhältnisse, Umstände, Rücksichten, und wie all die nichtigen Motive heißen, die den edlen Trieb im Menschen abtöten, wollen es anders, und so bleibt mir nur der miserable, leider Gottes echt deutsche Trost, Ihnen, teurer Herr, mit der Feder meine Teilnahme auszudrücken... Und wenn's unser Geschick nicht ist, daß wir als altersschwaches Kulturvolk uns zu Grabe legen sollen, und wenn unser Deutschland durch eiserne Tat mal wieder jung geworden ist, dann wird sich's noch dankbar an seine besten Söhne in Schleswig-Holstein erinnern und wird zu den Kämpfern von Idstedt sagen: Ihr seid die einzigen, die's verstanden und mir den Weg zur Gesundheit zeigten.«

Ein großer Teil seiner Tätigkeit als »Amtspraktikant« war aber auch ein wahrer Hohn auf die »Märzerrungenschaften« und die deutsche Reichsverfassung, die er vor Jahresfrist so hoffnungsfroh jubelnd begrüßt hatte. Die Trennung der Verwaltung von der Justiz, diese alte Forderung des deutschen Liberalismus, hatte wohl die Frankfurter Nationalversammlung zum deutschen Grundrecht erhoben und Scheffel selbst war auf die Reichsverfassung beeidigt worden. Aber die Reaktion hatte die so schwer errungene Reichsverfassung samt den Grundrechten vernichtet. In Säckingen herrschte seit Unterdrückung der badischen Revolution das Kriegsrecht, und bis in den Herbst 1850 stand hier das 4. preußische Jägerbataillon als Okkupationstruppe. Mit Strenge wachte der preußische Stationskommandant darüber, daß die verschärften Ordnungsgesetze von der Bevölkerung auch gehörig befolgt wurden, und wenn das auch nicht hinderte, daß zwischen einzelnen der Offiziere, zumal dem Bataillonsarzt Dr. Korff, einem gemütlichen Westfalen, und dem im »Knopf« verkehrenden badischen Beamten ein angenehmer Verkehr bestand, so hatten gerade die Herren vom Kriminal- und Polizeidienst, Dr. Scheffel, der Aktuar Steinmann und der Untersuchungsrichter Göring, letztere beiden gleich ihm lebenslustige, für Humor empfängliche Naturen, infolge der Zumutungen des Stationskommandos viel Ärger und unnütze Arbeit. War man doch im Jahre vorher in Säckingen den flüchtigen Insurgenten, die hier Unterschlupf und Entkommen gesucht hatten, vielfach hilfreich gewesen, und noch waren über diese Fluchtbegünstigungen Untersuchungen im Gange. Der Polizei lag es aber auch ob, mit Eifer darüber zu wachen, daß kein politisch Anrüchiger aus der Schweiz sich über die Säckinger Brücke ins Land zurückstehle.

In jener Epistel von der Poesie und Polizei hatte Scheffel über den Eifer des preußischen Stationskommandanten noch scherzen können. Auch sein vermutlich im Beginn der Ferien nach einer Besteigung der Scesaplana gedichtetes Wanderlied mit dem Refrain: »Naus aus dem Haus! Naus aus der Stadt! Naus aus dem Staat! Nix wie naus!« atmet auftrutzenden Humor. Als aber im Frühjahr 1851, längst nach dem Abzug der preußischen Okkupationstruppe, ein Übergriff des badischen Platzkommandanten, Hauptmann Schwarz, ihn persönlich traf, da entlud sich der in ihm aufgespeicherte Groll in aller Schärfe, und es wäre zwischen ihm und jenem Hauptmann zum Duell gekommen, wenn die oberen Behörden es nicht verhindert hätten. Während sich Scheffel bereits am Schweizer Ufer im Pistolenschießen übte – er hatte den Fürsprech Heim zum Sekundanten gewählt –, wurde der ganze Vorgang amtlich an das Ministerium des Innern und an das Kriegsministerium sowie an Scheffels Vater gemeldet. Hauptmann Schwarz mußte erklären, er habe keine Ehrenkränkung des Doktor Scheffel beabsichtigt, dieser aber erhielt einen Verweis wegen Widersetzlichkeit gegen den militärischen Befehl. Und was war die Veranlassung des Konfliktes? Scheffel und einige seiner Freunde hatten sich in einem Zimmer des Lesevereins im »Goldenen Knopf« ein wenig über die Polizeistunde hinaus mit lustigem Singsang unterhalten. Vielleicht waren es ein paar der humoristischen Lieder, wie er sie in Heidelberg für den »Engeren« gedichtet hatte, welche das Ohr des rigorosen Hauptmanns so empfindlich verletzt hatten. Und der Poesie Scheffels ist glücklicherweise auch die Verstimmung zugute gekommen, die ihn nach jenem Konflikt befiel. Am »11. Mayen 1851« ist jene letzte (7.) seiner Säckinger Episteln, und zwar an sein »lieb und frumm Schwesterlein Maria« verfaßt worden, die in altväterischem Märchenton von seinem Besuch der Erdmännleinshöhle bei Hasel erzählt und uns erkennen läßt, wie Scheffel zur Erfindung des »Stillen Mannes« im »Trompeter« gelangt ist. Da berichtet er von einer Tropfsteinbildung, die beim Kienspanschein einem alten Kriegsmann glich, »so sich auf sein Schwert stützete und das Haupt zum ewigen Schlaf an den Felsen neigete«, und weiter erzählt er, das von ihm durch eine Frage unabsichtlich gekränkte Erdmännlein habe ihm gedroht, ihn in eine Tropfsteinsäule zu verwandeln.

Ein Teil der Lieder des »Stillen Mannes« ist sicher noch in Säckingen entstanden. Man findet in ihnen den Niederschlag jener melancholischen Resignation des an der Gegenwart verzweifelnden früheren Freiheitsschwärmers. »Die Blicke scharf wie der junge Aar, Das Herz von Hoffnung umflogen, So bin ich dereinst mit reisiger Schar In den Kampf der Geister gezogen...« Auch die kirchliche Reaktion, die sich in Säckingen recht bemerkbar machte, bedrückte ihn. Auf Ausflügen geriet er mit jüngeren Hetzkaplänen in Streit, so gemütlich er sich mit den älteren Dorfgeistlichen aus Wessenbergs Schule zu stellen wußte. Die ganze Gestalt des dem Leben entflohenen, versteinerten Träumers in der Haselmannshöhle ist eine allegorische Personifikation der Weltflucht des Dichters, die sich am 21. Juli 1851, kurz nach dem Tode seiner inniggeliebten Großmutter Krederer in einem Brief an Schwanitz dahin aussprach: »Mein äußeres Leben ist seit langen Monaten so monoton, daß es keinen Stoff zum Schreiben abgibt, und die verschiedenen Disharmonien tief im Herzen, die von anno 1848 her datieren, mag ich nicht auf dem Papier auskramen ... Ich habe mich an die alte Mutter Natur zurückgewendet und pflege im Tannenwald und auf den Bergeshöhen einen still innerlichen Kultus.« Dazu stimmt völlig, was der Stille Mann von der Zauberkraft des Waldes singt und der Wunderquelle, die dort dem Schoß der Erde frisch und hell entströmt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Scheffel, der damals auch vermutlich das einfach innige Gedicht »Im Schwarzwald« (s. »Nachgelassene Dichtungen«) verfaßte, ursprünglich eine Gedichtsammlung plante, die den Titel »Lieder des stillen Mannes« erhalten sollte; der Plan wurde dann verdrängt durch den neuen, die Geschichte des Werner Kirchhofer zum Gegenstand einer Dichtung zu machen, wobei er zunächst, so scheint es, an eine Erzählung dachte.

Wie uns der Dichter selbst in den schönen, aufschlußreichen Widmungsgedichten zur ersten und vierten Auflage des »Trompeter von Säckingen« erzählt hat, ist ihm die erste Anregung zu dem Epos durch das Grabmal gegeben worden, das damals noch einen hervorragenden Schmuck des Säckinger Friedhofs bildete und dessen lateinische Grabschrift dem Sinne nach lautet: »Ewige Ruhe für die Seele, wie es sie im Leben auch für den Leib erstrebte, fand durch einen sehr glücklichen sanften Tod das an gegenseitiger Liebe unvergleichliche Ehepaar: Herr Franz Werner Kirchhofer und Frau Maria Ursula von Schönau, jener am letzten Mai 1690, diese am 21. März 1691. Mögen sie in Gott leben.«

An dieses Grabmal, dessen Platte neuerdings der Außenwand der Säckinger Stiftskirche eingefügt worden ist, knüpfte sich eine damals schon halb verschollene Überlieferung. Jener Werner Kirchhofer war nach dieser Sage ein geborener Säckinger Bürgerssohn, der als begabter Musiker Mitglied der Musikkapelle des Großmeyers vom Säckinger Frauenstift, des Freiherrn von Schönau, war. Als dieser erfuhr, daß sich zwischen dem kecken Musiker und seinem Töchterlein ein Liebesverhältnis angesponnen hatte, entließ er denselben aus seinem Dienst, während er die Tochter als Hoffräulein nach Wien zu bringen beschloß. Vor dem Aufbruch ließ Maria jedoch den Geliebten dies Vorhaben wissen. Bald nach ihr schied auch Werner von Säckingen, um im Wandern Trost für der Liebe Leid zu suchen. Da er mit Glücksgütern nicht gesegnet war, schloß er sich einer Musikbande an und veranstaltete es, daß diese sich zur Kaiserstadt an der Donau wandte. Hier erregte er als Musiker Aufsehen. Er fand Gönner, die sein Talent weiter ausbilden ließen, und ward Hof- und Domkapellmeister. So kam es zum Wiedersehen auf ganz ähnliche Weise, wie es Scheffel im »Trompeter« geschildert hat, nur daß der Stephansdom in Wien statt des Petersdomes zu Rom die Stätte des Wiedersehens war und nicht der Papst, sondern der Kaiser, zum Fürsprecher für die Liebe des jungen Paares beim alten Freiherrn wurde.

Diese Sage war, als Scheffel nach Säckingen kam, nur noch bei wenigen in Erinnerung. Aber gerade der Bürgermeister Leo, der von den Honoratioren des Städtchens dem geist- und gemütvollen Rechtspraktikanten aus Karlsruhe besonders nahetrat, war mit der Überlieferung vertraut. Seine Mutter war Kammerdienerin der letzten Fürstäbtissin gewesen. Scheffel, der anfangs bei den Eltern des Bürgermeisters Leo am Markt gewohnt hatte, aber dann in den altertümlichen Kommenderhof an der Rheinbrücke zum Färber Hermann Leo gezogen war, konnte von diesem Näheres über die Sage erfahren. Wie P. A. Streicher nachgewiesen hat, ließ sich auch aus den Akten der Stiftsschaffnei ersehen, daß der historische Kirchhofer, ein »Symphoniacus«, von 1686-1690 Dirigent des Säckinger Domchors gewesen ist. Nun studierte Scheffel auch die Werke über die Geschichte des Stifts und der Stadt Säckingen, Balthers Vita S. Fridolini in Mones Quellensammlung zur badischen Geschichte, vielleicht auch die nur handschriftlich vorhandene, erst 1852 gedruckt erschienene Geschichte des Frauenstifts von Van der Meer und was in Baders »Badenia« zu finden war. So kam er auch zur eingehenderen Beschäftigung mit den merkwürdigen Rebellionen der Hauensteiner »Wälder«, von deren rotwamsiger Tracht und naiv kräftiger, dreinschlagfroher Eigenart er schon in der Epistel über die Poesie und Polizei mit besonderem Behagen geschrieben hatte, denn ihre Streitsucht brachte nicht wenige Wälder als Angeklagte, Zeugen und Kläger nach Säckingen aufs Amt. In jener Epistel hat er auch schon der »Salpeterer« gedacht, der Anhänger eines seit 1725 bestehenden politischen Geheimbunds unter den, nach ihren faltigen Pumphosen auch »Hotzen« genannten, zäh am Althergebrachten hängenden Hauensteiner Waldbauern. Die Rechtsanschauungen dieser Geheimbündler gingen auf die Traditionen der reichsunmittelbaren Grafschaft Hauenstein und der den »Wäldern« vom Grafen Hans von Hauenstein bestätigten freien Gemeindeverfassung zurück, die auch ein kaiserlicher Waldvogt bestätigt hatte; sie erkannten die badische Staatsgewalt, Amt und Pfarrer, nicht an und hatten dafür unter strengen Strafordnungen zu leiden.

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