Biographische Einleitung

Es sind nur drei Stunden von Sankt Gallen nach Arbon ans Bodenseeufer. Wie Scheffel es wenige Wochen später in seiner Arbeitsstube auf dem Schulzenhof am Twiel seinen Ekkehard tun ließ, fuhr er nun selbst von Arbon auf dem See nach Konstanz, wo einst Bischof Salomo sein strenges Regiment führte. Und wie sein Ekkehard hielt er sich in Konstanz nicht auf, weil es ihn nach dem Hohentwiel drängte. Mit zwei ihm befreundeten Rechtspraktikanten am Hofgericht, G. v. Stoesser aus Karlsruhe und Grohe aus Mannheim, die er besuchte, ging er gleich am nächsten Tag auf der badischen Seite des Untersees, die Reichenau links liegen lassend, nach Radolfzell. Er hatte jetzt kein bewunderndes Auge für die waldumhegten Bergschlösser am Thurgauer Ufer, für Schloß Arenaberg, das gerade damals viel Neugierige anzog. War doch Napoleon III., der dort einen Teil seiner Jugend verbracht hatte, seit dem Ausbruch des Krimkriegs in ganz Europa hoch zu Ansehen gelangt, und gar viele Damen in Deutschland schwärmten für seine Gemahlin, die Beherrscherin der Mode, Eugenie. Scheffels Blick ruhte mit Freude auf der stolzen Wölbung des Hohentwiel, dem Burggemäuer auf deren Spitze. Seine Seele war erfüllt von dem Wunsche, diesen deutschen Berg, der einst die Hofburg der Herzöge von Alemannien, von Schwaben getragen, zu dem ihm gebührenden Ruhm zu verhelfen! Wer wußte von den nach den Alpen verlangenden Touristen, die damals vom Rheinfall bei Schaffhausen mit der Eilpost auf dem Thurgauer Ufer nach Konstanz fuhren, etwas Rechtes von den alten Zeiten, die er nun im Bild der Dichtung heraufbeschwüren wollte?

Sein Weg von Radolfzell nach Singen führte ihn über Rielafingen; den Manen seiner Großmutter mußte er huldigen, die hier als junges Mädchen aufgewachsen war und die im Jahr ihrer Hochzeit den Zusammensturz der Burgveste erlebt hatte. Dann ging's durch Singen zum Schultheiß Pfizer und er »nistete« sich ein.

Während der folgenden sechs Wochen, die er dann im Hegau und am Bodensee verbrachte, entfaltete der Frühling allmählich seine ganze Herrlichkeit. Und es geschah, was er bald nach der Ankunft auf dem Twiel an Otto Müller nach Frankfurt als Wunsch geschrieben, »die Bodenseeluft, die Alpen im Hintergrund, das Wehen des Frühlings,« die sorgten dafür, daß von ihrem Wesen Kraft und Frische und Schönheit in das Werk übergingen, das er nun begann und für das ihm die Landschaft und ihr Volksleben ringsum, sein Wandern und Forschen auf dem Heimatboden der Großmutter Motiv auf Motiv bot. Die Fahrten, die Ekkehard von Ermatingen über die Reichenau nach Radolfzell, dann als Gesandter der Herzogin vom Twiel aus nach den, damals noch nicht durch die Landstraße beschnittenen Heidenlöchern bei Überlingen und auf den Hohenkrähen unternimmt, wurden vom Dichter vor dem Schildern derselben ähnlich erst selbst unternommen! Wohl mehr im Gedenken an die Kyffhäusersage und an die Haseler Erdmännleinshöhle, in der er den Stillen Mann »entdeckt« hatte, als an Herzog Ulrichs Höhlenversteck in Hauffs »Lichtenstein« schuf er unter dem Lokaleindruck der Sipplinger Höhlen die Gestalt des für die Welt verschollenen kaiserlichen Einsiedlers, den das Kopfweh ebenso peinigt wie die Reue über den schimpflichen, den Nordmännern von ihm eingeräumten Frieden. In den Gefilden zwischen Singen und Radolfzell sich ergehend, entwarf er den Plan zur »Hunnenschlacht«. Die alte Herzogsburg auf dem Hohentwiel sich aus den Trümmern im Geiste neu zu erbauen, erleichterte ihm seine genaue Kenntnis der Wartburg! Zwischen den Klingsteinblöcken am Abhang m Grase liegend, der Weide von Ziegen und Gänsen, mußte der Dichter des Hirtenidylls gedenken, das er für Emma Heim nach dem verhängnisvollen Besuche in Zell als Vielliebchen gezeichnet hatte. Aus dieser Erinnerung gestaltete sich in seiner Phantasie das märchenduftige Hirtenidyll Audifax, und Hadumoth, berufen, mit seiner heroischen Wendung, der Flucht der beiden treuen Gespielen aus dem Hunnenlager mit dem Goldschatz der »Hunnen«, im Roman für Ekkehards Dichterphantasie ein Vorbild zu schaffen, das dessen Interesse für die Sage von Walthari und Hiltgunde und deren Flucht aus dem Hoflager Etzels mit dessen Goldschatz belebt. Im Kapitel »Auf der Ebenalp« hat Scheffel deutlich ausgesprochen, daß er diese Absicht gehabt hat. Da hat Ekkehard in seiner Bergeinsamkeit eine Vision. »Die Gedanken flogen hinüber ins ferne Hegau und weiter, es war ihm, als säße er wieder bei Frau Hadwig auf dem Hohenstoffeln, als käme Audifax mit Hadumoth aus der Hunnennot heimgeritten, als sah er das Glück in Gestalt jener zwei verkörpert, und aus dem Schutt vergangener Zeit tauchte auf, was der sinnige Konrad von Alzey ihm dereinst von Walthari und Hiltgunde erzählt...« Gewiß ist Scheffel auch den Rhein hinauf, am Laufener Strudel und dem Wieladinger Strahl vorbei gen Säckingen gewandert, um Hadumoths Wanderung ins Hunnenlager mit allen Sinnen selbst zu erleben.

Die meiste Mühe machte dem Dichter die Darstellung des Herzenskonflikts zwischen Mönch und Herzogin. Mit genialer Finderkraft hatte er in Virgils Heldengedicht Stellen über Didos Liebe zu Äneas aufgespürt, die sich in seiner Dichtung für die Beziehungen Hadwigs zu Ekkehard in ähnlicher Weise verwenden ließen, wie Dante in der Göttlichen Komödie für die Episode von Malatestas Leidenschaft für Franzeska da Rimini den Ritterroman »Lanzelot« verwertet hat. Er hielt sich in der Charakteristik der Herzogin an die Überlieferung; ein Vorbild des wirklichen Lebens fehlte ihm. In seiner Mutter wie in seiner Schwester war der Zug zu höherem geistigen Leben, der die Herzogin Hadwig beseelt, ja auch lebendig, aber in ganz anderer Weise; freilich, der tapfere Sinn der Frau Major lebte in der Herzogin auf. Seit 1846 war ihm der Kommandant der Wartburg, der kunstsinnige Major v. Arnswald bekannt, und durch die Mutter, die diesem inzwischen eine vertraute Freundin geworden war, wußte er von der stillen Liebe desselben zu der die Bildhauerkunst übenden Herzogin Helene von Orleans, einer geborenen Prinzessin von Mecklenburg-Schwerin, die seit Louis Philipps Sturz in Eisenach lebte. Aber diese Toggenburgliebe des edlen Schloßhauptmanns zu der musterhaft lebenden Fürstin bot wenig Analogien. So war er für Hadwig auf seine Phantasie angewiesen, der aus der Literatur der »jungdeutschen« Dichter jener Epoche, den Dramen Heinrich Laubes z. B., manche Anregung zufloß. Für das Charakterbild Ekkehards schöpfte er dagegen die Hauptzüge aus seinem eigenen Wesen. Die Saumseligkeit und Zaghaftigkeit im Liebeswerben, die ihn so unglücklich gemacht, hatte auch Ekkehard zu bereuen. Es war dem Dichter überhaupt damals noch dem schönen Geschlecht gegenüber große Schüchternheit eigen. Wir wissen aus Briefen der Frau Major Scheffel, daß ihren Sohn in jenem Jahre die zärtliche Umarmung seitens der zu Besuch in Karlsruhe erschienenen Pariser Cousine Adele Stolz in die größte Verlegenheit brachte. Es ist dieselbe Cousine, von der er in der fünften Säkkinger Epistel erzählt hat, daß sie bei einem Besuche in Heidelberg, als er selbst noch Student war, am Wolfsbrunnen »in, Rauschen des Quells und der Linden« ihm auf seine Erklärung, was das germanische Gemüt unter Träumen verstehe, geantwortet habe: »Oh! que je puisse rêver toujours avec vous!« Zwei Hauptszenen seines Romans lassen Hadwig und Ekkehard auf einer Anhöhe am Waldesrand stehen und ins Land hinaus träumen. An der gefällten heiligen Eiche auf dem Gipfel des Hohenkrähen unterbricht den zärtlichen Liebestraum der Herzogin Ekkehards zage Sündenfurcht. Unter der Riesentanne am Abhang des Hohenstoffeln, wo die Hochzeit der langen Friderun mit Cappan stattfindet, läßt sich dann Ekkehard von dem verlockenden Zukunftstraum des stolzen Weibes bezaubern. Der alte Ahorn im Burggärtlein des Hohentwiel, das Scheffel dem der Wartburg nachgebildet, hatte im Garten von Scheffels Elternhaus sein Vorbild; das Unternehmen des Erzählens unter dem Ahorn von deutscher Heldensage auf Geheiß Frau Hadwigs war so recht nach dem Geschmack der Frau Majorin, die unter ihrem Ahorn so manchen poetischen Wettkampf ähnlicher Art veranstaltet hat. Wir wissen von poetischen »Gartengesprächen«, die sie für sich und Wilhelmine v. Cornberg gedichtet und poetischen Stegreiftournieren, die sie mit dem Münzrat Kachel ausgefochten hat.

Durch Gleichnisse und Anspielungen dieser Art seinen Angehörigen und Freunden eine besondere Freude zu machen, war überhaupt eine Hauptquelle des Humors in Scheffels Werken. Der Weinhandel, den der unter die Hunnen geratene Wanderschwab Snewelin aus Ellwangen nach Pommern betreibt, die auf den Bodensee angewandten Vergleiche mit Eindrücken, die Scheffel als Student auf Rügen empfing, sollten seinen Freund Eggers gaudieren. Für den »Engeren« gemünzt war der dem studentischen Salamanderreiben nachgebildete gottesdienstliche Akt der »schlecht getauften« Sonnenanbeter am Felsblock unter der heiligen Eiche des Hohenkrähen. Der Dichter, der in den folgenden Sommermonaten seinen Roman in Karlsruhe und Heidelberg bis zur Katastrophe beendete, befand sich während des Schaffens in herrlichster Laune; er fühlte sich ganz Herr seines Stoffes und seiner Stimmungen. Sein Humor fügte sich willig dem künstlerischen Takt. In der Kunst, mit der er es vermocht hat, die ernsten Motive und Konflikte, Personen und Begebenheiten im »Ekkehard« mit ähnlichen von humoristischer Färbung harmonisch zu kontrastieren, reicht Scheffel an Shakespeare. Das asketische Hexentum der Wiborad beim Kloster Sankt Gallen, des Kellermeisters Rudimann genußfröhlich Treiben auf der Reichenau, das naturfrohe Waldläufertum des Leutpriesters von Radolfzell, die dem roten Meersburger schließlich doch einmal erliegende Trinkerkraft des Kämmerers Spazzo, des blöden Heribald sorglose Tapferkeit, die täppische Zärtlichkeit des Liebespaars Friderun und Cappan, das Verhältnis des braven Wächters Romeias zur lieblich weitheiteren, stets hilfsbereiten und unverlegenen Zofe Praxedis, die kleinlichen Intriguen der pfäffischen Gegner des Ekkehard gegenüber der strengen Tugend und dem einen Leidenschaftsausbruch desselben: wie sind diese Figuren und Beziehungen alle zu rein künstlerischer komischer Wirkung gebracht!

Als einen Akt der Selbstbefreiung von quälender, hoffnungsloser Leidenschaft hatte Scheffel den Roman unternommen; und als er in der Gestaltung desselben soweit gelangt war, daß er seinen Helden gleiche Leidenschaft nachzuempfinden hatte, da fügte es sein Schicksal, daß er selbst vom Leben wiederum in diese Stimmung versetzt ward. Für den 10. August 1854 war Emma Heims Hochzeit anberaumt. Sie sollte in Freiburg stattfinden, wo der Apotheker Heim sich als Rentner angekauft hatte. Es ergingen dringende Einladungen an den Major Scheffel und die Seinen zur Teilnahme. Der alte Herr wollte bei dem Familienfeste nicht fehlen, und er forderte den Sohn auf, ihn zu begleiten. Joseph fuhr mit, in desperatester Stimmung, wie von einem Dämon getrieben. Das Haus der alten Heims in der Neuen Vorstadt war von Gästen überfüllt. Die Braut, so hat die Cousine als Greisin dem Herausgeber der Briefe Scheffels an sie erzählt, hatte zur Großmutter, des Apothekers Mutter, in den obersten Stock ziehen müssen. Am 9. August spät abends kam der Major mit Joseph an. Emma war schon zur Ruhe gegangen. Am nächsten Morgen versammelte sich alles im unteren Stock in dem großen Zimmer, um zur Kirche zu fahren. Nur Joseph Scheffel fehlte. Er suchte Emma im Hause und traf sie auf der Treppe, die vom obersten Stock herabführt, von Schleier und Brautkleid umwallt. Von seiner Empfindung überwältigt, kniete Scheffel auf den Stufen nieder und bedeckte Emmas Hände mit Küssen. Dann erhob er sich, drückte ihr die Myrten in die Haarflechten und küßte sie. Darauf schritten sie herunter zu den Gasten. Der Dichter blieb während des Hochzeitsfestes schweigsam; der Aufforderung, einen Toast auszubringen, kam er nicht nach. Längst vor dem Ende brach er ohne Abschied auf. Der aufregenden Nachwirkung dieses Erlebnisses verdankt wohl das Kapitel »Verstoßung und Flucht« seine innere Glut. Was er dann den Ekkehard altem Plane gemäß nach seiner Flucht vom Twiel tun ließ, unternahm nun auch er. Er reiste über Singen, Konstanz, Sankt Gallen, Appenzell ins Weißbad, das zu Füßen der Herrlichkeit des Säntis liegt, und vom 1. bis zum 7. September wohnte er hoch oben, 4000 Fuß überm Meer, neben der Höhle des Wildkirchli unter der Ebenalp beim Uscherwirt. Dort dichtete er, umfriedet von den Bergriesen, die sich im Seealpsee spiegeln, von dem »alten Leid« neugenesend, was die Schlußkapitel des Romans von Ekkehards Genesung bis zur Vollendung des Waltharilieds und von seinem Abschiedsgruß an die Herzogin von Schwaben erzählen. Einige Zeit später hat Scheffel dem Züricher Maler und Dichter August Corrodi geschrieben: »Und wenn Ihr auf die Ebenalp kommt, grüßet mir meine alten lieben Bergwände, denen ich die beste Sommerfrische und den ungequälten Schluß des Büchleins zu danken habe – und grüßet mir auch die Babe Sefi Uhlmann, deren Sennhüttlein neben dem Äscherwirtshaus steht, die ich als Benedicta in die letzten Kapitel versetzt, und saget dem kleinen braunen Geschöpf, wenn ich wiederkomme, woll' ich auch in stiller Mondnacht in Grubenmanns Einsiedelhöhle zum gedämpften Schall der Maultrommel mit ihr tanzen und kein so finster Gesicht machen ...« Ins Fremdenbuch des Äscherwirts aber schrieb er (s. Nachgelassene Dichtungen) ein Abschiedslied; in ihm bekannte er von sich: »Er schleppte auf den Berg herauf Viel alte Sorg' und Qual; – Als wie ein Geisbub' jodelnd fährt Er fröhlich jetzt zu Tal.«

Nach alledem erklärt es sich leicht, was Adolf Stern in seiner »Geschichte der neueren Literatur« von Scheffels »Ekkehard« gesagt hat, daß die Art, wie hier der Dichter eine Fülle historischen Materials mit unmerklichem Zug in Fleisch und Blut verwandelt und für sich und den Leser ein Empfindungsverhältnis gewonnen hat, sich der Nachahmung entzieht. Und was Scheffel über das Waltharilied als Werk seines Ekkehard so treffend gesagt hat: »Wer von der alten Mutter Natur seine Offenbarung schöpft, dessen Dichtung ist wahr und echt,« das gilt auch von diesem Roman. Er ist die höchste Leistung des künstlerischen Realismus in seiner Gattung. Was der junge Goethe so begeistert im »Werther« geschildert, was Schiller in seinem letzten Drama, im »Tell« als poetischer Landschaftsmaler gezeigt hat, das findet sich im »Ekkehard« innigst verschmolzen: der ursprünglich empfindende Mensch in seinem Zusammenhang mit der Natur und ein Volk als Produkt seiner Bodenständigkeit in der heimatlichen Landschaft. Alle die geistigen Neigungen und Kräfte, deren Widerstreit unsern Dichter vor seiner Romreise beunruhigt hatten, seine Liebe für die Ahnenheimat und ihre Vorzeit, seine Wanderlust mit dem Ziele der Alpenherrlichkeit, seine Freude an Burgen- und Höhlenromantik, sein historischer Sinn, der gleich sehr der Welt der Antike wie der deutschen Altertumskunde zugewandt war, seine rechtshistorischen Studien, sein Interesse für die altdeutschen Legenden, Sagen und Bräuche und sein starker Wirklichkeitssinn, der ihn sowohl zum Landschaftsmaler wie zum naturwissenschaftlichen Beobachter der Landschaft gemacht hatte, sein mit den alten Überlieferungen spielender Humor und sein großdeutscher Patriotismus, der schon vor 1848 »realpolitisch« zu denken gelernt hatte: dies alles hatte sich hier harmonisch vereinigt, um etwas Neues, Schönes, Großes im Reich der Poesie hervorzubringen! »Heimatkunst« im höchsten Sinn des Worts hatte er hier geboten, aber eine solche, die aufs ganze deutsche Vaterland hinauswies, die wohl den alemannischen Heimatboden deutscher Kultur feierte, aber nicht dem engherzig eitlen Partikularismus das Wort redete! Ekkehard, deutet der Schluß an, wird Kanzler beim Sachsenkaiser, dem er zu mannhaftem Auftreten gegenüber dem Landesfeind rät. Und nirgends schließlich hat Scheffels Naturandacht auf Bergeshöhen großartigeren Ausdruck gefunden als in dem Kapitel, das den freigewordenen Mönch als Bergbruder der Sennen auf der Ebenalp schildert.

Im Februar 1855 schrieb Scheffel im Bewußtfein einer vollbrachten Großtat dichterischen Schaffens das Vorwort zum »Ekkehard«, das so stolzbescheiden mit dem Satz der geistlichen Komödiendichterin Hroswitha von Gandersheim ausklingt: »Wofern nun jemand an meiner bescheidenen Arbeit Wohlgefallen findet, so wird mir dies sehr angenehm sein; sollte sie aber wegen der Verleugnung meiner selbst oder der Rauheit eines unvollkommenen Stils niemandem gefallen, so hab' ich doch selber meine Freude an dem, was ich geschaffen.«

Er war nach Heidelberg gegangen, um hier, am Orte seiner vorbereitenden Quellenstudien, dem Roman noch den Anhang von historischen Nachweisungen anzufügen zur Erhärtung des geschichtlichen Charakters der Erzählung. Er behielt dabei die Möglichkeit im Auge, daß er sich auf Grund dieser Quellenstudien um die Zulassung zur Dozentenlaufbahn an einer Hochschule bewerben könne, wie er es im Herbst des vergangenen Jahres unter Einreichung seiner Übersetzung des Waltharilieds am Züricher Polytechnikum getan hatte, vergeblich, weil der übrigens auch von ihm hochgeschätzte Tübinger Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer den Vorzug erhielt.

Zu der mühsamen Arbeit holte er sich Erfrischung im »Engeren« sowie an dem Schmezerschen Stammtisch im »Holländer Hof«, wo ein junger Sprachgelehrter aus Frankreich, L. Filliard, Scheffels Interesse für die Entstehung des Waltharilieds teilte.

Die Jahre 1853 bis 1855 waren des »Engeren« Blütezeit. Jugendfrische Vertreter aller Wissenschaften verkehrten hier in kordialer Form miteinander. Schmezer hielt im Museum seine Vorträge über Humboldts Kosmos und die neuere geologische Forschung, wie über die Fortschritte der Astronomie. Den Scherzgesprächen, die sich unter den Freunden daran knüpften, entkeimten in der Zeit vor und nach der Schöpfung des »Ekkehard« die »naturwissenschaftlichen« Kommerslieder Scheffels, die seinen tiefen ernsten Anteil an den geistigen Errungenschaften jener Epoche zur Voraussetzung haben, welche durch Forscher vom Range Liebigs, R. Bunsens, Agassiz', Karl Vogts, A. Brehms u. a. ein naturwissenschaftliches Gepräge erhielten. In jener fröhlichen Zeit nach Beendigung des Romans erklang auch im »Engeren« zuerst das Lied von der wilden Jagd des Rodensteiners, dessen Klage »Gibt's nirgends mehr 'nen Tropfen Wein des Nachts um halber Zwölf« den Protest des Schmezerschen Kreises gegen die frühe Polizeistunde des noch herrschenden reaktionären Polizeiregiments zu drastischem Ausdruck brachte. Ein Gespräch über Wagners »Fliegenden Holländer« weckte in dem Rechtsanwalt Mays die Erinnerung an die pfälzische Sage vom »Dick Enderlein von Ketsch«, und Scheffels Ballade vom »Enderle« mit ihrem klirrenden »Remplem« gab dem Pfarrherrn von Ziegelhausen, der als »Augur von Tegelinum« im »Pumpus von Perusia« zu ewigem Leben erstand, den Stoff zu einer neuen Prachtleistung seiner Gesangskomik. Besonders intim verkehrte Scheffel mit Ludwig Knapp, dessen Schicksale als andauernder Privatdozent der Jurisprudenz ihn abgehalten hatten, sich auf gleiche Bahn zu wagen, und dessen kaustischer Witz von ihm als stets wirksames Heilmittel gegen die Anfälle seiner Melancholie empfunden wurde.

Seine Wohnung hatte er diesmal droben im Brückenhäuschen des Heidelberger Schlosses mit einem entzückenden Blick in den Schloßhof und auf die prächtige Schloßfassade, beim Kastellan, wo schon Otto Müller, der Herausgeber der »Deutschen Bibliothek«, vor ihm gewohnt hatte. Beim Frühlingsfest des »Engeren« am 25. April 1855 konnte dann ein neues Lied vom Meister Josephus gesungen werden, in dem das freudige Aufatmen seiner Seele jubelnden Ausdruck gewann: »Des Engeren Maiwein- und Frühlingslied« (s. Nachgelassene Dichtungen).

Mit solchen Eindrücken verließ der Dichter, noch ehe der »Ekkehard« erschienen war, nach Empfang des Honorars von 1200 Gulden, die ihm Meidinger für eine erste Auflage von 10000 Exemplaren und das Verlagsrecht auf 15 Jahre zahlte, die Heimat wieder, im Kopf und Herzen bereits den Plan zu einer neuen Dichtung. Sein Ziel war Venedig und sein Begleiter Anselm Feuerbach. Dieser junge reichbegabte Maler, ein Sohn des Archäologen, Neffe des Philosophen und Enkel des Kriminalisten Feuerbach, war drei Jahre jünger als Scheffel, und um die Zeit der Entstehung des »Trompeter« aus der Schule Coutures in Paris als neuerungskühner Kolorist nach Karlsruhe gekommen. Während Scheffel dort am »Ekkehard« schrieb, vollendete Feuerbach sein Gemälde »Pietro Aretino«, das den merkwürdigen Tod des geistreichen Satirikers inmitten der Freuden eines Gastmahls bei Tizian darstellt. Der Spötter war an einem Lachkrampf erstickt. Dieses Bild tat es Scheffel an. Er suchte des Malers nähere Bekanntschaft. In Heidelberg, wo Anselms Mutter lebte, wurde die Freundschaft befestigt. Als der Maler vom Großherzog Friedrich von Baden den Auftrag erhielt, für ihn Tizians »Assunta« (»Mariä Himmelfahrt«) in der Accademia dell' arte von Venedig zu kopieren, faßte der Dichter den Plan zu einem neuen Roman, der das venezianische Kulturleben zur Zeit Pietro Aretinos und Tizians zum Gegenstand haben sollte. Wie im »Ekkehard« die Herzogin Hadwig als Freundin humanistischer Studien dargestellt ist, so sollte die Heldin des neuen Romans eine jener kunstbegeisterten Frauen sein, deren die italienische Renaissance eine ganze Anzahl hervorgebracht hat: die jugendschöne Schülerin Tizians, Irene di Spilimbergo, welche Tasso und andere hervorragende Dichter Italiens nach ihrem frühen Tode in Gedichten verherrlicht haben. Als Vorbild für diese Gestalt schwebte dem Dichter seine Schwester Marie vor, die als Meister Frommels Schülerin große Fortschritte gemacht und neuerdings manche Bewerbung ausgeschlagen hatte, um ihrer Kunst treu zu bleiben. Emil Frommel, der Sohn, hat in seinem Buch »Aus goldnen Jugendtagen« ihr Bild entworfen als das Ideal eines jungen Mädchens, deren schöne Gestalt der ganze Reiz der Jungfräulichkeit übergoß. »Dazu strahlte eine Reinheit des Gemüts aus ihren blauen Augen, die keinen bösen Gedanken in ihr aufkommen ließ. Sie war eine echte, reichbegabte Künstlernatur.«

Wie die märchenhafte Schönheit der Lagunenstadt mit ihrer Stimmungsfülle und Farbenpracht zunächst auf Scheffels Schönheitssinn wirkte, das spiegelt getreulich der längere Brief aus Venedig an die Seinen, der in die »Reisebilder« (s. Bd. 3) Aufnahme gefunden hat; die ganze Reise schilderte er humoristisch in der »Venetianischen Epistel« zur Belustigung für den »Engeren« (s. Bd. 4). Aber diese Epistel vermerkt auch schon die feindliche Macht, welche den historischen Vorstudien für den Tizian-Roman, die Scheffel inzwischen in der Markusbibliothek begonnen hatte, ein frühes Ende bereitete. Die furchtbare Choleraepidemie, welche damals ganz Oberitalien verheerend überzog, setzte sich in Venedig fest. Eine Zeitlang trotzten die beiden Künstler, jener hinter der Staffelei, dieser hinter seinen Büchern und Exzerpten der Panik, während in ihrer nächsten Umgebung die Opfer der Cholera »wegstarben wie die Fliegen.« Da, eines Abends, brach Feuerbach, wie er im »Vermächtnis« erzählt, »buchstäblich vor Elend und Müdigkeit vor der Staffelei zusammen.« Das war eine Mahnung in letzter Stunde. »Scheffel war zum Schatten geworden und konnte nicht mehr arbeiten. Ich hielt etwas länger stand. Endlich ging es aber auch nicht mehr.« So beschlossen sie Ende Juli, die Stadt zu verlassen.

Auf der Herfahrt durch das Sarcatal war den beiden das gar malerisch in einem kleinen blauen See hineingebaute, von alten riesigen Zypressen bewachte Castell Toblino ungemein einladend erschienen; dorthin flüchteten die beiden Künstler, ohne bestimmt auf Unterkunft rechnen zu können. In diesem alten echt italienischen Schlößchen, auf dessen Weinbergen der köstliche Vino santo gedeiht, verlebten sie dann das äußerst romantische Sommeridyll, das Scheffel in wechselnder Stimmung für den »Engeren« schilderte in dem »Gedenkbuch über stattgehabte Einlagerung auf Castell Toblino im Tridentinischen«, das in seiner ursprünglichen Fassung erst 1901 aus dem Nachlaß des Dichters veröffentlicht worden ist (s. Bd. 4). Große Abschnitte aus diesem »Gedenkbuch« bearbeitete er aber nach seiner Heimkehr auf Otto Müllers Bitte für das von diesem und Theodor Creizenach herausgegebene »Frankfurter Museum«, und diese Kapitel erschienen mit einer besonderen stimmungsvollen Einleitung im Jahrgang 1856 (Nr. 11-13) dieser neugegründeten vornehmen Zeitschrift unter dem Titel »Aus den Tridentinischen Alpen«, von wo sie nach Scheffels Tod in den Band seiner »Reisebilder« übergingen.

Das »Tobliner Gedenkbuch« ist das bedeutendste Prosawerk von Scheffels für den »Engeren« entfalteten Humor. Manchmal an Sternes »Empfindsame Reise« anklingend, offenbart es den ganzen Stimmungsreichtum von Scheffels Gemüt und die Meisterschaft seiner komischen Darstellungskunst. Von dem dunklen Hintergrund des furchtbaren Waltens der Cholera in Venedig heben sich Bilder voll Glanz und Pracht italienischer Tal- und Tiroler Hochgebirgslandschaft, liebliche und heitere Abenteuer ab, die den Charakter ganz persönlichen Erlebnisses tragen. Das Phantasiestück »Der See von Toblino«, das 14. der Miniaturkapitel, ist den schönsten Stimmungsmalereien in Heines Reisebildern ebenbürtig. Ein Schleier von Wehmut liegt über dem Stilleben, das doch die Schönheit des Lebens feiert ... »Lebet schön, denn die Welt ist schön!« ... Und am Schluß des Kapitels preist er, was den See so frisch und erquickend mache und vor allem Stagnieren bewahre: »l'aria tedesca, sorpassata dall'aria italiana«, die deutsche Luft überflutet von der Italiens.

Das Gedenkbuch ist jedoch ein Fragment und das letzte (20.) der Kapitelchen hat die Überschrift »Von vielem was noch zu erzählen wäre, aber was nicht mehr erzählt werden kann.« Und drinnen steht verzeichnet: »Von dem Poetenwinkel, wo der Meister Josephus die Geschichte von der Irene von Spielberg zuweg bringen wollte. Wie der Meister Josephus stecken blieb und den Herrn Dietrich von Rodenstein nicht einmal bis nach Venedig brachte, wo er die Irene erst kennen lernen sollte.« Und so weiter! So scherzte er, noch im sicheren Glauben, daß ihm das geplante große Werk zur rechten Zeit schon gelingen werde, gerade wie ihm jetzt dies »Gedenkbuch« für den »Engeren« gelungen war, das er für keine »Arbeit« erachtete und das doch beinahe ein ganzes Buch war. Wie mag er im Geiste das Ergötzen der Heidelberger Freunde über die Kunde, daß ein Rodensteiner in dem vom Meister Josephus geplanten Roman eine Rolle spielen solle, damit ein Element deutschen Krafthumors in das venezianische Kulturbild aus der Hochrenaissance hineinkäme, vorausgenossen haben!

Der Gedanke an den »Engeren« begleitete ihn auch nach Meran. Ein Zusammentreffen mit Häusser war verabredet. Aber als Scheffel ankam, hatte dieser, der in Begleitung seiner Frau reiste, Meran schon wieder verlassen, wodurch sein Vorhaben, von den mit Häusser geplanten Fahrten ins Etschland für das »Frankfurter Museum« »heitere Briefe« zu schreiben, vereitelt wurde. Mißmutig floh er die Geselligkeit, die sich ihm in den Kurhotels bot, und es kam nur zu jenem »Bericht aus Meran« an den Engeren (s. Bd. 4), der von allerhand einsamen Fahrten auf die Schlösser und Burgen in der Umgebung Merans erzählt und von der famos illustrierten »Chronica«, die der auf Schloß Lebenberg ansässig gewesene, 1852 verstorbene Maler und Dichter Friedrich Lentner aus München in der von ihm zu einem stimmungsvollen Künstlerheim ausgestalteten Burg hinterlassen hatte. Da leitete nach Scheffels Besteigung des Hohen Ifinger eine schlagartige Blutkongestion nach dem Kopf eine Gehirnentzündung ein, die ihn nach der Heimkehr, wie er noch im gleichen Jahr an Schwanitz schrieb, »lange Wochen an den Abgründen einer furchtbaren Melancholie« erhielt. Die Krankheit hatte schon während der ganzen Reise in ihm gespukt. Er suchte nach der Genesung in Briefen an Otto Müller, Schwanitz, Eisenhart, den Hauptgrund zu dem Leiden in der »übermäßigen Arbeit am Ekkehard«, »während welcher er gar nicht unter die Menschen ging, gar keine Erholung hatte.« Auch hat er in dem eingehenden Brief an Schwanitz vom 24. Januar 1857 Diätfehler anderer Art in Betracht gezogen. Der eigentliche Keim zu dem Gehirnleiden, das sich zu einer schweren, Jahre andauernden Melancholie im Sinne der Seelenheilkunde auswuchs, schlummerte aber nach dem Urteil Kußmauls, der den Freund schon damals ärztlich beriet, schon längst in ihm und »hatte nichts mit Bier und Wein zu tun.«

Wie wenig Scheffels Geisteskraft als solche durch die akute Gehirnentzündung gelitten hatte, bewies er, halbgenesen, im Sommer 1856 auf einer mit Eisenhart und einem Freunde desselben, Dr. Hierl, unternommenen Erholungsreise nach Südfrankreich.

Gleich im Anfang der Reise, so erzählt Eisenhart in dem von seiner Frau herausgegebenen Buche »Scheffel und seine Familie«, im Schwarzwald und im Elsaß, wußte Scheffel jedem Ort, den sie berührten, eine launige Anekdote oder eine historische Notiz anzuhängen. »Es war erstaunlich, wie wohlbeschlagen er in der Geschichte war.« Die traurigen Eindrücke einer furchtbaren Überschwemmung, die in Lyon herrschte, bewirkten jedoch einen Umschlag seiner Stimmung, und die Reisebilder, die er im nächsten Herbst und Winter für die damals gleichfalls neue Zeitschrift »Westermanns Monatshefte« schrieb, »Ein Gang zur großen Karthause in der Dauphiné«, »Avignon«, »Ein Tag am Quell von Vaucluse«, so reizvolle Genrezüge sie enthalten, sind von düsterer Grundstimmung beherrscht. In dem ersteren Aufsatz erzählt er von dem unheimlichen Eindruck, den der nächtliche Gottesdienst in dem Kloster des ewigen Schweigens, der Grande Chartreuse, auf ihn machte: er kam sich vor, »als wäre er selber bald reif für den Weißen Karthäuserhabit.« Zum Überfluß befiel ihn auf der Rückreise, bei Bordighera, ein hochgradiges Wechselfieber, bei dessen Anfällen ihn furchtbare Delirien plagten. (Vgl. »Dem Tode nah« in »Gaudeamus«, Bd. 6.)

Heilung von der Malaria suchte und fand er nach der Heimkehr in Rippoldsau, wo der wackere Badearzt Dr. Feyerlin sein Vertrauen gewann und die Quelle ihn sympathisch ansprach. Und hier fand er nach einiger Zeit auch seinen Humor wieder. Das schalkhafte behagliche Waldidyll vom Bruder Rippold und der Gründung von Rippoldsau (s. »Gaudeamus«, Bd. 6) spiegelt seine eigene Genesungsfreude wieder.

Er war mit Mutter und Schwester nach Rippoldsau gegangen, und was diese ihm sehnlichst wünschten, hoffnungsfrohes Liebesglück, begann ihm in dem tannenduftigen Schwarzwaldtal zu lächeln. An Marie, die ihn während seines Krankenlagers im Elternhaus als sein guter Engel gepflegt hatte, schloß sich eine junge Straßburgerin an, die Tochter eines reichen elsässer Kaufmanns. Der Dichter verliebte sich in sie und fand Gegenliebe. Als er aber nach der Heimkehr, einer Einladung jenes Herrn folgend, in Straßburg erschien und bei diesem um das Mädchen in aller Form anhielt, sah er seine Bewerbung zurückgewiesen. Den Kaufherrn hatten die Auskünfte über des Freiers materielle Verhältnisse nicht befriedigt. Das Mädchen verhielt sich, wie es dem Melancholiker schien, passiv. In welchen Zorn ihn diese neue Demütigung versetzte, zeigen grell die satirischen Ereiferungen über die »Laura von heute« und das Schicksal, das die moderne Welt dem Dichter, der nicht »wenigstens bürgerlicher Realitätenbesitzer« ist, zuweist, in dem Reisebild »Am Quell von Vaucluse«, das von Petrarcas glänzendem Dichterlos handelt. Auch in dem Romanzenzyklus »Magnus vom finstern Grund« (s. Bd. 6 »Frau Aventiure«) schwelt dieser Groll nach.

Die neue schwere Herzensenttäuschung und Demütigung wurde ihm aber auch zum Ansporn, sich um eine feste literarische Stellung umzutun, die seinen bisherigen Erfolgen als Dichter entspräche. Er durfte hoffen sie in München unter der Ägide des Königs Maximilian II. zu finden, unter der sich damals ja ein ganzer Kreis von Dichtern zusammengeschart hatte, zu dem Emanuel Geibel, Paul Heyse, Hermann Lingg, Franz v. Kobell, W. H. Riehl, Felix Dahn, Jul. Grosse, Fr. Bodenstedt gehörten, lauter hervorragende Dichter, die im Verein der »Krokodile« einen sehr anregenden Verkehr hatten. Schon im Anfang des Jahres 1856 hatte ihm aus München Paul Heyse geschrieben, daß man sich dort für ihn interessiere und ihm wohl demnächst eine Stelle anbieten werde. Der Dichter des »Ekkehard«, mit Ludwig Steub schon längst befreundet, fand bei den »Krokodilen« wie bei seinen alten Bekannten in der Künstlerschaft, bei Moritz Schwind, Feodor Dietz, Robert Vischer u. a., die herzlichste Aufnahme. Eisenhart, nunmehr Stadtgerichtsassessor in München, hatte sich mit der Tochter des gemütlich-geistreichen Dichters, Mineralogen und Gemsenjägers Franz v. Kobell verlobt, was dem Freunde dessen Haus öffnete.

Scheffel hielt sich für geheilt. Auch die gesuchte Stelle bot sich ihm. König Max hatte kurz vorher das große literarische Unternehmen »Bavaria« angeregt und die Oberleitung dem Professor Riehl übertragen. Dieser fand sich bald in der Lage, Scheffel einzuladen, sich an dem Unternehmen als Redakteur und Mitarbeiter zu beteiligen, und Scheffel sagte zu. Auch die Mitarbeit an den »Fliegenden Blättern« nahm er wieder auf; der Maler Eduard Ille illustrierte für diese die »Altassyrische Ballade« (»Im schwarzen Walfisch«), »Des Kometen Jammer«, »Das wilde Heer« mit großem Erfolg. Scheffels Hauptvorhaben aber war, nun ernstlich an den Tizian-Roman zu gehen. Dies sagte er auch dem König, als dieser ihn in einer Audienz empfing. Schon hatte er in der Staatsbibliothek, der gegenüber er in der Ludwigsstraße wohnte, die Studien dafür aufgenommen, da regte sich in ihm das Verlangen, seine Schwester, das Vorbild für die Irene von Spielberg, bei sich zu haben; er wollte sie teilnehmen lassen an all der künstlerisch gehobenen Geselligkeit, die sich ihm darbot. Ein großartiges Künstlerfest war in Sicht. Die lebenslustige farbenprächtige Rubenszeit sollte erstehen. Er wurde in den Strudel der Vorbereitungen durch seine Freunde gezogen und lud Marie ein, auf einige Wochen zu ihm zu kommen und das Fest mitzumachen. Sie kam. Die Geschwister besuchten Galerien und Museen, Freunde und Bekannte, die Kostüme eines vlämischen Bauernpaars wurden für den Rubensball ausgesucht, eine Partie nach Starnberg mit Eisenharts unternommen. Am Vorabend des Künstlerballes, am 13. Februar, fühlte sich Marie so unwohl, daß sie sich zu Bett legen mußte. Der damals noch in München grassierende Typhus brach bei ihr aus. Was ärztliche Hilfe vermochte, geschah, die Eltern wurden telegraphisch herbeigerufen, das liebe, schöne Mädchen erlag – zwei Tage nachdem Joseph seinen 31. Geburtstag unter verzweiflungsvoller Spannung verlebt hatte – der schrecklichen Krankheit! Das Wiedersehen Josephs mit den Eltern war furchtbar. Der Ärmste peinigte sich mit Selbstvorwürfen, durch seine Einladung schuld an dem Unglück zu sein. Gebrochen an Leib und Seele kehrte er mit der Mutter über Stuttgart nach Karlsruhe zurück, während sein Vater und Karl Klose dem Sarg mit der Toten dorthin das Geleite gaben. (Vgl. »Louise v. Kobell, J. V. v. Scheffel und seine Familie«.)

Wer entsetzliche Verlust brachte den Dichter um allen Gewinn dieser Genesungs- und Aufschwungszeit. Die poetischen Pläne, die das liebliche Bild Mariens zum Mittelpunkt hatten, mochte er nun nicht fortführen. Aber die Trauer um die Tote drückte ihm dennoch die Feder in die Hand. Während der Bildhauer Knoll in München Mariens Antlitz in Ton modellierte, während in Karlsruhe eine kunstbegabte Freundin der Verstorbenen, Sascha von Berkholz, demselben im Bilde die Farben des Lebens lieh, während später die Nachricht vom Tode der Holden den Maler Feuerbach zu seiner »Iphigenie auf Tauris« begeisterte, verdichtete sich der Schmerz des Bruders zu einem poetischen Bilde. Die kleine Erzählung »Hugideo« entstand.

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