Die Eigenart des Peter Paul Rubens

Selbst zur Zeit des höchsten Glanzes, als Brügge der Kunst eine wundervolle und persönliche Heimstätte bot, waren die flämischen Maler Weltfahrer. In ihnen war eine übermächtige Neugier nach der Ferne und das glühendste Interesse für die Wirklichkeit. Alles auf Erden zu schauen und es mit Bedacht, Sorgfalt und Glut darzustellen, schien jedem unter ihnen die höchste, stärkste und schönste Freude.

Die großen Meister Italiens waren niemals gereist. Michelangelo, Raffael, Veronese, Tintoretto und vor ihnen Giotto, Massaccio, Botticelli blieben allzeit jenseits der Alpen. Die Natur zieht sie zwar an, aber nur jene Form der Natur, die schon einem teils griechischen, teils römischen Ideal angepasst ist. Sie haben nicht, wie die Flamen, die Leidenschaft für das Gegenwärtige, sondern alle mehr oder minder ein Bedauern für das Entschwundene und mühen sich eigentlich eher, jene Vergangenheit in ihren Werken neu erstehen zu lassen. Die wundervollen Vorbilder der Antike stellen sich zwischen sie und die Welt, so dass der unmittelbar sinnliche Eindruck sie kaum mehr zu bannen vermag.

Nun kann man aber sicherlich sagen, dass Flandern mehr Lehren von Italien zu empfangen hatte als Italien von Flandern, dass es immer der Norden war, der den Süden suchen kam, und selten nur der Süden zu ihm emporklomm; man mag zugeben, dass das Licht zu allen Zeiten einem Künstlerauge höchste Verlockung bedeuten musste und von allem Anbeginn die irdische Freude und Gesundheit symbolisierte. Dennoch aber lebte in den glorreichen Tagen der van Eycks die Kunst Flanderns ihr eigenes Leben und schuf mehr Neues als die italienische. Antonello von Messina, Zanetto Buggato, Johannes de Justo fügten sich ihren Lehren und entflammten ihre Palette an ihrer Sonne. Jan van Eyck ist übrigens keiner von denen, die Lehren empfangen, er ist einer von jenen, die sie nur geben. Aber nichtsdestoweniger verändert auch er seinen Wohnort, besucht die ganze Erde und schafft vielleicht durch seine bloße Gegenwart in fremden Ländern eine neue Blüte vieler Kunstschulen. Spanien, Portugal, Burgund, die Provence und das Rheinland begeistern sich an seinen Schönheitsformen und beginnen sie zu pflegen. Und bald mehren sich in ganz Europa die Meisterwerke, die von flandrischen Malern geschaffen oder inspiriert worden sind. Ja es scheint sogar einen Augenblick, als wollte die persönliche naturalistische unmittelbare Kunst des Nordens sich allgemein Bahn brechen und endgültig die Ästhetik der antiken Traditionen vernichten. Dann hätte die neue Zeit für immer die alte unterjocht, die nichts anderes ist als ein Tod, der selbst nicht sterben will.

Aber schon zur Zeit des Rubens ist dieser große Kampf entschieden und Flandern besiegt. Leonardo, Michelangelo, Raffael sind wie plötzliche Wunder erstanden, und man sieht bald nur noch ihr neues Licht in allen Blicken sich spiegeln.

Der letzte große, wahrhaft flandrische Maler, Pieter Brueghel, fühlt sich verlassen wie irgendein Dorfmaler, der weder Kunst noch Kultur kennt, und die Floris, Francken, Lombard, Maerten de Vos, Calvaert, de Witte, van Veen nehmen in der Öffentlichkeit den Platz ein, der ihm gebührt hätte. Sicherlich besitzen diese Maler einige wertvolle Fähigkeiten, und manches von ihnen signierte Werk ist bemerkenswert, aber keines von ihnen flämisch genug, um die geschwätzige und emphatische italienische Manier zum Schweigen zu bringen, die sich in ihren Bildern breit und vordringlich gebärdet. Bastardkunst ist diese ihre Betätigung; denn ein Maler und ein Künstler überhaupt kann sich nur dann voll zum Ausdruck bringen, wenn seine Persönlichkeit stärker ist als das, was er von seinen Meistern erlernt hat.

Dass ein Künstler notwendigerweise von andern abhängig sein muss, wer würde das bezweifeln? Jeder Meister beeinflusst immer die Anfänge seines Schülers. Nur zieht sich nach und nach in dem Maße, als der Schüler sich seines eigenen Selbst bemächtigt, der Meister aus seinen Werken zurück, um schließlich ganz aus ihnen zu verschwinden. Erst an dem Tage, wo die Summe der schöpferischen und persönlichen Fähigkeiten die Summe der fremden und erlernten übersteigt, unterzeichnet der wahre Künstler zum erstenmal sein erstes Bild. Diese aber, die Frans Floris, die Francken, Lombard, Maerten de Vos, Calvaert, de Witte und van Veen sind niemals dazu gelangt, dieses erste Bild mit vollem Recht signieren zu dürfen.

Rubens hat es getan, und dies ist es, was ihn scharf von der römischen Schule von Antwerpen unterscheidet. So wie van Eyck, sein Ahnherr, und wie die meisten der Nachfahren fühlte auch er sich von der Sonne angezogen. Schon hatte damals die flämische Malerei ihre autochthone Sprache verloren, die Sprache, die ihnen die Gotik mit ihrer minuziösen Feinheit geschaffen hatte, diese Sprache der Intimität, der Frömmigkeit, der naiven Einfachheit, die schlichten und guten Menschen biblische Geschehnisse, friedliche Sitten und den Reiz häuslichen Lebens im Bilde darstellte. Diese Sprache der absoluten Aufrichtigkeit, aus der jeder Pomp, jede geschwätzige Beredsamkeit streng verbannt war, diese Sprache, wenn ich so sagen darf, des Schweigens, die vor jeder lauten Regung zurückscheute und jeder zu heftigen Gebärde.

Aber damals war die Welt in jene Stunde der Entwicklung gelangt, wo die starken und mächtigen Leidenschaften, die großen und weitausgreifenden Ideen, das glühende, lärmende, bewegte und geschmückte Leben jedes Genie verlockten. Um diese neuen Gefühle im Bilde auszudrücken, bedurfte der Maler einer andern Sprache, das heißt: einer andern Technik. Diese Sprache nun und diese Technik wurde von den Italienern des sechzehnten Jahrhunderts geschaffen, und Rubens übernahm sie. Er, der Flame, sprach in seiner Malerei Italienisch, so wie später einmal die flämischen Dichter Französisch schrieben, um ihre modernen Ideen, ihre Weltanschauung ausdrücken zu können. Für beide Epochen, für die damalige und für die heutige, war gleiches vonnöten : ein Ausdrucksmittel, das Allgemeingültigkeit sich erzwingen konnte und dem das intime und pittoreske Heimatsidiom weichen musste.

Im Bestreben, diese neue Sprache zu sprechen, die der Form nach italienisch, der Wirkung nach universell war, vergaßen die Frans Floris, die Francken, Lombard, Maerten de Vos, die Calvaert, de Witte, die van Veen ihre eigene Seele zum Ausdruck zu bringen. Der eine wandte seine ganze Mühe daran, die Zeichnungen Raffaels, der andere, die geschwellten Muskulaturen Michelangelos nachzubilden. Die Farben Venedigs, das Rosa, Blau und Gelb des Tizian und Tintoretto verlockten van Veen, die schale Illuminierkunst der römischen Schule zog Lombard in ihren Bann. Für sie bestand Kunst darin, technische Schwierigkeiten zu überwinden und Aufgaben nach allen Kunstregeln ziemlich zu vollenden. Sie arbeiteten so ein ganzes Leben lang, aber sie schufen niemals. Übrigens wohnte wohl keinem von ihnen genug Feuer inne, um daraus eine persönliche Glut zu entflammen.

Die innere Kraft des Peter Paul Rubens aber ist durchaus schöpferisch und daher für ihn die Beziehung zu den großen Italienern ohne Gefahr. Er saugt ihre Lehren in sich auf, nicht aber sie ihn. Er spricht ihre Sprache, aber frei, in seiner eigenen Art. Das frische und wie fliegende Spiel ihrer Pinselführung wird das seine, aber noch freier, noch schwunghafter. Ihr leichter oder starker Strich mit seinen tausend Nuancen wird der seine, aber nur, um bei ihm noch sicherer, entschiedener und geschickter zu werden. Ihre prunkende Farbe - ich meine die der Venezianer - beeinflusst ihn nur insoweit, als sie ihn die flandrische Palette, die des van Eyck, erneuern hilft, wo das Rot, Gelb und Grün in eigener Weise sich vom dunkelbraunen oder grauen Grunde abheben und er so noch mehr klingende Kraft den alten Farbtönen und alten Harmonien zu geben vermag. Diese wertvolle Unabhängigkeit gestattet ihm, nun seinerseits eine Schule zu schaffen und zum zweitenmal in Flandern der Kunst eine herrliche Heimstatt zu geben. Die Fähigkeiten seiner Rasse brechen, wie schon einmal im fünfzehnten Jahrhundert, wieder durch, aber nun verwandelt und gleichsam verstärkt. Nun verlangen auch zum erstenmal die Tatkraft, die Sinnlichkeit, der Realismus ihren Platz in der Kunst. Die Technik ist erneut, der Ausdruck verwandelt, aber alles Tiefe aus der Seele dieses Volkes klingt nun wiederum siegreich neu in der glühenden Orchestrierung seiner Farben und Formen empor. Um festzustellen, wie sehr Rubens er selbst bleibt, selbst wenn er sich freiwillig, um des Erlernens willen, fremden Meistern unterwirft, genügt es, die Kopien zu betrachten, die er nach ihren besten Werken schuf. Vergebens bemüht er sich nachzubilden, er kann immer nur seine eigenen Visionen schaffen. Alles - Farbe und Zeichnung - wird sein Eigentum. Er verwandelt sogar den Typus der Gestalten, und nur die Komposition, der Umriss bleibt gewahrt. Wirklich, man könnte sagen, dass er bei den andern immer nur den Ausgangspunkt seines Weges nimmt, um stets, was immer er auch tun möge, zu sich selbst zu gelangen. Er ging von Leonardo da Vinci, von Tizian, von Veronese aus, aber immer kam er nach Flandern oder vielmehr nach Antwerpen zurück, kam immer wieder zu sich selbst, zu Peter Paul Rubens.

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