Im Jahre 1630 heiratet Rubens nach vierjähriger Witwerschaft Helene Fourment, seine Nichte. Sie war die Tochter einer Schwester Isabella Brants. Er fand in dieser seiner neuen Gattin fast ganz den Körper seiner früheren Liebe, nur verjüngt, gleichsam in seinem Glanze erhöht. Isabella Brant war dunkelbraun gewesen, Helene Fourment ist blond. In dem »Gartenspaziergang« erscheint sie in Begleitung ihres Gemahls und gefolgt von dessen Sohne, wundervoll in ihrer Kindlichkeit, Einfachheit und Frische. Ihre ländliche Schönheit - Schönheit der Früchte, Milch und Butter - scheint sich nicht so sehr diesem schon gealterten Manne, der sie an Händen hält, darzubieten als dem Ruhme, den er schon für die Welt bedeutet. Unwillkürlich ist man geneigt, sie sich als gutmütig, zugänglich und herzenswarm zu denken. Sie ist nicht eitler auf ihre volle und leuchtende Gesundheit als Früchte, Bäume und Blumen auf ihren Glanz, sie hat sich ihm versprochen, ihm hingegeben und bleibt ihm unentwegt treu. Dank ihrer beginnt Rubens neu aufzuleben, und mit 53 Jahren entleiht er ihr eine zweite Jugend, und betrügt sich über sein eigenes Alter. Mit Heiterkeit verwandelt er sich wieder zu sich selbst zurück, seine Kunst entfaltet und steigert sich zum letzten Male und nun zu ihrem höchsten Ausdruck.

Es wird wohl zugegeben, dass Rubens ein gewaltiger, epischer und lyrischer Maler sei, aber nicht, dass er ein Psycholog in dem Sinne der Bemühung sei, den menschlichen Ausdruck, das Seelenbild im Gesicht in seinen Tiefen zu erfassen und im Bilde vollendet festzuhalten. Und obwohl er sich unablässig in dieser Richtung bemüht hat, schreibt doch die Kritik gerade hier das Gelingen nur van Dyck zu. Dennoch war Rubens vielleicht der bessere Menschenkenner von beiden. Er wusste sie zu behandeln, zu durchschauen, zu bezaubern, und sein glückliches Auftreten in politischen Angelegenheiten, seine Erfolge als Gesandter beweisen am besten diese Fähigkeit. Sollte nun er, der so geschickt war, Charaktere zu prüfen und zu verstehen, der Fähigkeit bar gewesen sein, sie darzustellen und gleichsam vor sich hinzuwerfen in ihrer körperlichen Form und beseelten Physiognomie? Sein Pinsel gehorcht nicht nur jeder feinsten Bewegung seiner Hand, sondern auch den unmerklichsten Nuancierungen seiner Intelligenz. Die Porträts, die er zum Ruhm und zur Feier seiner jungen Gattin schuf, sind alle bewunderungswert. Niemals vielleicht haben Mund, Stirne, Kinn, Ohren, Wangen und Lippe vollkommener die Seele eines sinnlichen, herzlichen, glühenden und glücklichen Menschenwesens zum Ausdruck gebracht, und jenes Bild der Helene Fourment, das man nach Rubens selbst »das Pelzchen« nennt, ist sicher das vollkommene Wunder eines blanken und schauernden Frauenkörpers. Die Peinlichkeit der genau eingehaltenen Naturwahrheit (man sieht sogar oberhalb des Knies die Spuren der Strumpfbänder im Fleische eingedrückt) macht sie allerdings gleichsam bloß zum Bilde eines Körpers; aber doch, wieviel Leben, Licht, kühn gemengte Scham und Schamlosigkeit, Furcht und Freude, Liebe und Hingabe spiegeln sich in diesem jungen und jubelnden Gesichte!

Eine Skizze im Louvre stellt die gleiche Helene dar, aber bekleidet und mit einem Kinde auf ihren Knien. Das junge Mädchen ist zur Mutter geworden. Niemals scheint Rubens seliger gewesen zu sein, als da er dieses Bild malen konnte. Man fühlt gleichsam, wie stolz er ist, allen die Fruchtbarkeit seines häuslichen Lebens und die Fruchtbarkeit seiner Kunst zeigen zu können. Und wirklich, dieses Werk ist so stürmisch wie nur irgendeines seiner Jugend, es ist leicht, hinreißend und großartig. Jeder der raschen und gleichsam ungeduldigen Pinselstriche zeugt von einer einzigen äußersten Sicherheit. Das Kleid, der Hut mit seiner wilden und übermütigen Feder ist gleichsam leicht hingekräuselt in dieser Skizze, die vielleicht schöner ist als jedes vollendete Werk; denn die ganze wissende Virtuosität des Meisters wird darin klar, und nichts von alldem, was er schuf, scheint in einer so sicheren und glücklichen Weise eine Form des Lebens in künstlerische Gestaltung emporzutragen. In seinen Männerbildnissen wird seine Kunst ruhiger und wissender. Nebst dem »Orientalen« der Kasseler Galerie, der sich breit hinspreizt in seiner dekorativen Pose, ganz wie der massige König in der »Anbetung« von Antwerpen, bezeugen die Porträts des van Thulden in der Pinakothek zu München und des Unbekannten in der Galerie Liechtenstein die erstaunliche seelische Scharfsichtigkeit des Malers. Besonders das zweite dieser Bilder ist ein Meisterwerk. Der aufrechtstehende Mann, dessen eine Hand den Knopf der Armlehne umfasst, während die andere längs des Körpers niederfällt, der Mund, den man durch das Dickicht des Bartes als freimütig und eigenwillig fühlt, der gerade, offene, freie Blick, die hohe und breitgeformte Stirn, die feste Nase, von zwei tiefen Falten zur Seite eingeschlossen und überhöht, erzwingen diesem Menschen die Aufmerksamkeit selbst des zerstreutesten Blickes und stellen ihn gleichsam als Typus der unbedingten, aber doch offenen und ehrlichen Manneszähigkeit hin. Der Baron de Vicq im Louvre und der ErzherzogAlbrecht im Museum zu Brüssel erreichen diese Wirkung nicht mit der gleichen Überlegenheit, aber welche wundervolle Selbstanalyse ist wiederum dem Selbstporträt Rubens' im Wiener Hofmuseum zu entraten. Ganz wie Rembrandt war er verschwenderisch mit dem eigenen Bilde. In vielen seiner Darstellungen tritt er selbst auf, bald als Ritter in der Rüstung, bald in gewöhnlicher Volkskleidung. In den Florentiner Uffizien hat er sich auf dunklem Grunde gemalt : vornehm blickt sein Antlitz, klar und hell die Augen, aufrecht ist seine Haltung, man fühlt den Edelmann. Damals stand das ganze Leben noch blühend vor ihm. In seinem Wiener Selbstbildnis blickt er jedoch nicht mehr nach vorne, sondern schon zurück. Das Fleisch ist weicher und mürber geworden, das Auge schon wie verbraucht, und die Augenlider schwerer darüber gesenkt. Die Haare sind noch lockig, aber bereits hoch über die Stirne hinaufgerückt. Stolz jedoch ist noch der Schlapphut dem Kopf überstülpt, und auf den Degen stützt sich die schöne und männliche Hand des Meisters. Nicht etwa Enttäuschung liest man auf dem gealterten Gesichte, sondern einzig das Bedauern über das entschwundene Leben. Die Haltung ist aufrecht, aber schon zeigt sie mehr eine angenommene Gewohnheit als eine künstliche und gefundene Stellung. Niemals hat sich Rubens, wie es Rembrandt so oft tat, in Atelierkleidung gezeigt, mit abgetragenem Gewand und ungeordnetem Haar. Er kennt nicht jene epische Familiarität, die weder vor Hässlichkeit noch vor Gewöhnlichkeit zurückschreckt. Er will immer der vornehme Herr bleiben, indessen Rembrandt keine Scheu hat, uns als Mensch in seiner Menschlichkeit entgegenzutreten.

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Jagden, Idyllen, ländliche Szenen im Schloss oder bei der Arbeit, Felder, Hügel, ländliche Gärten, fürstliche Parke, nichts was die Natur an Licht, Erde, Wasser, Grün und Wind schuf, fehlt in seinem Werke. Rubens malt bald ungeheure Bäume, die tragisch entwurzelt mit abgekappten Stümpfen und gekrümmten Zweigen auf der Erde hingestreckt liegen und über denen sich in aufgestufter Jagd die Hunde mit den gehetzten Ebern Kämpfe liefern (Dresdener Galerie). Bald wieder entrollt er längs der Wiesen und Felder üppige Wege, durch die Gespanne und Herden ziehen und auf denen die alten Bäuerinnen hinwandern, die in ihren Körben Eier zum Markte tragen, und Weiber von der Mühle, die ihre Esel mit der rechts und links überhängenden Last der Getreidesäcke bepackt haben (Schloss von Windsor). Bald wieder Gruppen von Liebhabern, Scharr und Schäferinnen, die sich am Rande eines Grabens oder auf grünen Hügeln umarmen, indessen rings um sie die wie Marmor grau und schwarz gefleckte Gruppe schwerer, wuchtiger Kühe weidet (Pinakothek in München). Und dann jenes funkelnde und wilde Turnier im Louvre, eines seiner an Farben und heißen Linien reichsten Blätter, wo die Waffenwut mit ihren blitzenden Gesten blendend dargestellt ist.

Rubens scheint sich in diesen bald stillen, bald leidenschaftlichen Landschaften von seinen großen Gemälden gleichsam ausgeruht zu haben, so dass sie uns anfangs bloß als ein Nebenteil seines Werkes erscheinen. Doch für den, der sie genauer betrachtet, bieten sie so wahrhafte künstlerische Schätze, dass Constable nur mit vollen Händen aus ihnen zu schöpfen brauchte, um als Neuerer zu erscheinen und die englischen Maler zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur wahren Erfassung der Natur anzufeuern.

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Von allen seinen Genrebildern - denn als nordischer Maler, der er war, mussten ihn die Gebräuche und das Interieur des täglichen und intimen Lebens seines Landes lebhaft beschäftigen - ist die Kirmes des Louvre das berühmteste und typischste. Der Schwung und die Kraft eines Rubens waren selbstverständlich viel zu brennend, zu ungestüm, als dass er wie Teniers ein solches Fest hätte ruhig und klar und übersichtlich auffassen und malen können. Er musste es wild und sinnlich darstellen, ganz so, wie er einst sinnlich und selbst zotisch den Silenuszug sich geträumt hatte. Die Kirmes ist eine ähnlich jähe und wilde Explosion von Lebenslust. Auch dieser moderne Faunszug mit seinen wilden Lümmeln, seinem Weibsgesindel, seinen Umschlingungen und Trunkenheiten stampft mit schwankem Schritt über das Land und wandert durch die Runde der Dörfer wie einst die antiken Mänaden und Satyrn über die ganze Welt. In diesen beiden Szenen hat sich die Gemeinheit, die Schamlosigkeit und der Zynismus dank einer unbegreiflichen epischen Glut, einer Jugendkraft und eines inneren Frohsinns in jene Kraft hinüber gerettet, die man vielleicht in der ganzen Kunst nur noch in Shakespeares Falstaff findet. Alle Laster, die Fresssucht, die Trunkenheit, die Ausschweifung sind hier in einer so donnernden Hymne gefeiert, dass man gar nicht auf ihre einzelnen Worte achtet, um nichts von ihr zu hören als den Rhythmus, ihre ungeheure Musik. Keine Zurückhaltung, kein Maß, keine Dämpfung, brutal bricht sie aus mit Zimbelschlägen, rauschender Blechmusik und dem Gröhlen der breiten Bassgeigen; aber eine solche Kunst bändigt diesen Sturm der Töne, dass jeder, der in das Bild blickt, unwillkürlich an jene burlesken Getöse der Dorforchester denken muss. Diese Kirmes wird bestehen bleiben als ein wundervolles Bild des Lebens und seiner Tollheit, eine wundervolle Lobpreisung der Masseninstinkte, ein schöner Strom roter und wilder Farben, die durch das Grün der Felder bis zu den blauen Horizonten rollen. Und die gewundene Linie des Tanzes, die nach allen Richtungen hin schwingenden Gesten der tänzerisch Rasenden verewigen im Bilde das Gefühl jenes Taumels, der bei einem dörflichen Fest auch den Teilnahmlosen ergreift.

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