Das Recht auf Mutterschaft
Jeder weiss, dass die Produktionsform der modernen Gesellschaft die häusliche Arbeit der Frau immer mehr darauf beschränkt, die Konsumption zu leiten, anstatt wie in früheren Zeiten auch einen grossen Teil der im Hause verbrauchten Werte selbst hervorzubringen. Jeder sieht auch ein, dass die tiefstwirkende Ursache der Frauenbewegung nicht die Behauptung der juridisch-politischen Menschenrechte der Frau gewesen ist, sondern in erster Linie die Frage, wo sie Verwendung für ihre im Haushalt immer weniger benötigte Arbeitskraft finden und die Möglichkeit zu jener Selbsterhaltung ausserhalb des Hauses erlangen soll, die die geänderte Produktionsweise notwendig macht.
Durch den immer zunehmenden Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilen der Gesellschaft übte die Frauenarbeit tiefgehende Wirkungen auch auf andere Gebiete als das des Arbeitsmarkts aus. Die Konkurrenz zwischen den Geschlechtern hat – was die körperliche Arbeit betrifft – für Mann und Frau die schlechteren Arbeitsbedingungen mit sich gebracht, die ein Überfluss an Arbeitskraft in der Regel hervorruft: das heisst niedrige Löhne, lange Arbeitszeit und unsichere Arbeitsgelegenheit. Die Möglichkeit der Ehe ist von der Erwerbsarbeit beider Gatten abhängig geworden. Die verheirateten Frauen, die teilweise von den Männern versorgt werden, haben durch ihre »Supplementlöhne« die Löhne der sich selbst erhaltenden Unverheirateten gedrückt; und wenn diese sich ihrerseits verheiraten, fehlt ihnen die Lust und die Fähigkeit, einen Haushalt zu besorgen, und sie vergeuden durch ihre Nachlässigkeit mehr, als sie in der Fabrik verdienen. Die Folgen der Fabrikarbeit der Frau zeigen sich überdies in Unfruchtbarkeit, grosser Säuglingssterblichkeit, in der Entartung der am Leben bleibenden Kinder in physischer wie in psychischer Beziehung, in einem schlechteren Familienleben mit allen seinen Folgen, Vernachlässigung, Trunksucht und Verbrechen.
In der Mittelklasse hinwiederum hat die Konkurrenz zwischen den Geschlechtern teils unmittelbar die Heiratsmöglichkeiten des Mannes verringert, teils mittelbar den Wunsch beider Geschlechter, eine Ehe einzugehen, vermindert.
Das, wie es scheint, unerbittliche Gesetz, dass nur Einseitigkeit stark macht, hat die Verfechterinnen der Frauensache in der Behandlung aller mit ihrer »Sache« zusammenhängenden sozialen Fragen »linkshändig« gemacht. Sie haben das Arbeitsrecht der Frau durchgedrückt, ohne auf die Bedingungen wie auf die Wirkungen der Arbeit zu achten. Die Frauen, von der vereinten Triebkraft des Zeitgeistes und der Notwendigkeit geleitet, haben Arbeitsverdienst von jedweder Beschaffenheit und zu jedwedem Lohne gesucht. In der Mittelklasse war die Folge die, dass viele Mädchen, denen die Arbeit nicht vollen Lebensunterhalt zu geben brauchte, die Arbeitsbedingungen der Frauen, die darauf angewiesen waren, herabgedrückt haben. So sind diese letzteren auf einem für Gesundheit und Sittlichkeit gleich gefährlichen Existenzminimum festgehalten worden. Die Familientöchter selbst konnten hingegen gesteigerte Lebensansprüche befriedigen, und dies hat wieder dem Manne die Möglichkeit, ihnen in der Ehe annehmbare Lebensbedingungen zu bieten, aufs äusserste erschwert.
Es wurde schon dargelegt, dass die Selbstversorgung der Frau eine tiefe Bedeutung für die Liebe in der Ehe besessen hat und noch besitzt. Der schwedische, seiner Zeit immer vorauseilende Dichter Almquist gab sie schon um 1830 an, als er schrieb, nur die Frau, »die froh und arbeitsam alles aufbringen kann, was ihr zum Leben zukommt«, mache es dem Manne, dem sie sich gibt, möglich »sich selbst mit Recht zu sagen: Ich bin geliebt«.
Aber niemand kann im vorhinein berechnen, wie eine neue soziale Kraft nach allen Richtungen wirken wird; wie sich mit den Bedürfnissen auch die Seelen ändern werden, so dass neue Forderungen und neue Kräfte entstehen. Das erotische Problem der heutigen Jugend ist eines der schlagendsten Beispiele für diese Unberechenbarkeit.
Die Arbeitskonkurrenz der Frau mit dem Manne hat nämlich eine tiefe Missstimmung zwischen den Geschlechtern erzeugt. Die Frauen fühlen sich – mit Recht und mit Unrecht – unterschätzt und unterboten, die Männer hingegen halten sich für verdrängt, wenn der niedrigere Lohnanspruch der Frau die Konkurrenz zu ihren Gunsten entscheidet. Aber das ist nur die Aussenseite der Sache.
Die neue Frau selbst – der umgewandelte Seelentypus – widerstrebt dem Manne. Die mannhaften Emanzipationsdamen sind zwar jetzt schon bald ausgestorben. Man kann sie also übergehen und nur bei den jungen Frauen verweilen, die ihre Möglichkeit, erotisch zu fesseln, bewahrt haben oder bewahren wollen.
Diese haben jedoch die Ruhe, das Gleichgewicht, die Empfänglichkeit verloren, die einst die Frau zu einem schönen, leicht fassbaren Stück Natur machte, anspruchslos und unmittelbar gebend wie diese. Wenn der Mann da mit seinen Grübeleien, seiner Müdigkeit, seinen Enttäuschungen zu dem geliebten Weibe kam, badete er sich rein wie in einer kühlen Welle, er fand Ruhe wie in einem stillen Walde. Nun kommt sie zu ihm mit ihren Grübeleien, ihrer Müdigkeit, ihrer Unruhe, ihren Enttäuschungen. Ihr Bild ist refusiert; ihr Buch verkannt, ihre Arbeit missbraucht, ihr Examen bevorstehend; ihr ... immer ihr! All diese »ihr« machen, dass der Mann sie zerstreut, verständnislos, unzugänglich findet.
Anmerkung: In der Literatur hat diese Erscheinung schon Beachtung gefunden. Charakteristisch ist der Roman »Der Geopferte« von Dr. Ella Mensch, wo die Selbstzufriedenheit der neuen Frau das Unglück des Mannes ist, ferner Kiplings »Dunkelheit.«
Und selbst wenn sie noch die Empfänglichkeit der Liebe für ihn hat, so hat sie doch ihre Spannkraft verloren. Sie wählt ihre Arbeitsbedingungen nicht, sie muss Überarbeit annehmen, wenn sie überhaupt Arbeit erhalten will. Aber die Liebe will – wie treffend gesagt wurde – Ruhe haben, will träumen können; sie kann nicht von den Überbleibseln unserer Zeit und unserer Persönlichkeit leben. Und so sinkt der Wert der Liebe – wie alle anderen Persönlichkeitswerte – unter den jetzigen Arbeitsbedingungen, die die Lebenskräfte erschöpfen und die Menschen selbst die Bedeutung des Begriffs »leben« vergessen lassen. So werden die heutigen Menschen von der Liebe ausgeschlossen: nicht nur von der Möglichkeit, sie ehelich zu verwirklichen, sondern auch von der Möglichkeit, sie voll zu erleben.
Anmerkung: Charles Albert: »L'amour libre«.
Diese übermüdeten jungen Frauen haben auch gar nicht die Möglichkeit, den Reiz ihrer äusseren Erscheinung und ihres Wesens zu pflegen. Dies geschieht nunmehr mit bewusstem Stil nur von den Damen der feinsten Welt – oder der »Halbwelt« – Damen, die keine andere Gesellschaftsaufgabe erfüllen, ausser der mehr schönen als würdigen: das Gleichnis von den Lilien auf dem Felde zu veranschaulichen. Aber nur wenige Frauen sind jetzt in der Lage zu diesem Kultus ihrer berauschenden und selbstberauschten Schönheit, und immer wenigere glauben die Ruhe oder das Recht dazu zu haben. Immer mehr Frauen müssen am Arbeitsleben teilnehmen, und immer wenigere werden überdies von dem Ideal der Formvollendung angezogen, immer mehr hingegen von dem der Persönlichkeitsgestaltung. Aber dieser Umschwung bringt eine Unsicherheit in der Form mit sich, bis wieder neue Formen geschaffen werden. Und der Mann liebt beim Weibe gerade die Sicherheit und Leichtigkeit, das Ruhen in ihrem eigenen Machtgefühl, das den suchenden Jungfrauen der Jetztzeit gewöhnlich fehlt. Aber man begegnet auch schon einer neuen Art junger weiblicher Wesen, die weder ausschliesslich arbeiten, noch ausschliesslich gefallen wollen, die das Problem lösen, zugleich tätig und schön zu sein.
Der allertiefste Konflikt liegt also darin, dass die jungen Männer die jungen Mädchen unabhängig von der Liebe wissen, die sie ihnen bieten, dass sie sich gewogen fühlen und – zu leicht befunden! Die Erwerbstüchtigkeit der Frau hat so, wie Almquist es hoffte, allerdings eine grössere Möglichkeit für den Mann herbeigeführt, sich geliebt zu glauben, aber – auch eine geringere Aussicht, es zu sein!
Eine Essayistin hat mit grosser Feinheit dargelegt, dass immer gerade die Frauen, deren Lebensinhalt das Kind, nicht der Mann ist, am anziehendsten auf die Männer gewirkt haben, weil ihre innerste Unabhängigkeit vom Manne ihnen die Ruhe der elementaren Naturkraft gegeben hat, während hingegen jene Frauen, deren Lebensinhalt zuerst und zuletzt der Mann ist, weniger anziehend gewesen sind. Sie legt dar, dass diese Käthchen von Heilbronn-Naturen jetzt nicht nur mit dem Instinkt des Mannes, sondern auch mit ihrer eigenen persönlichen Entwicklung in Konflikt geraten, so dass sie als Frauen gerade jene rücksichtslose Kraft des Mannes begehren, die sie als Menschen verabscheuen. Für diese Art Männer wird folglich der ursprüngliche Mangel an Anziehungskraft dieser Frauen noch durch ihre jetzige Selbstbehauptung und Unabhängigkeit verschärft.
Anmerkung: Rosa Mayreder, Aufsätze in »Die Zukunft« und »Die Zeit«.
Aber während diese Entwicklung das Glück für die Frauen erschwert, die immer in der Minderzahl gewesen sind – die Heldinnen oder Märtyrerinnen der grossen Liebe – sind es hingegen die heutigen Arbeitsbedingungen, die die Mehrzahl der Frauen, diejenigen, welche ihren Lebensinhalt im Kinde haben, mehr denn je die Härte des Lebensgesetzes fühlen lassen, das dem Menschen »die Macht, zu wünschen, und den Zwang, zu entsagen,« auferlegt.
Immer mehr dieser jungen unverheirateten Frauen fangen an nachzudenken, ob nicht ihre Macht, zu wünschen, einen Sinn haben muss, der der Entsagung eine Grenze zu setzen vermag? Ihr erwachender Lebenswille sträubt sich gegen die Anerkennung des Rechts auf Arbeit als des Alpha und Omega ihrer Menschenrechte. Und gegen jene, die ihr raten, durch Arbeit und Askese, Askese und Arbeit ihr sündiges Verlangen zu stillen, erhebt die eine oder andere ihr über das Kontorpult oder den Katheder gebeugtes Haupt und antwortet mit einem jungen Weibe, das im Leben wie in der Dichtung Aufruhr gemacht hat, dass von den Sünden:
»... nur eine wird nicht vergeben,
Die die treibende Kraft zerbricht –
Das ist die Sünde gegen das Leben –
Ich bin das Leben: ich sündige nicht.«
Anmerkung: Margarethe Beutler: »Gedichte«.
So stehen zwei Gruppen der Töchter unserer Zeit als neue Vertonungen der uralten Doppelnatur des Weibes da.
Für die eine Gruppe ist das Kind nicht der unmittelbare Zweck der Liebe, und am allerwenigsten kann das Kind alle Mittel zu dessen Erreichung heiligen. Wenn eine solche Frau vor die Wahl gestellt würde, ohne die Mutterschaft eine Liebe, so gross wie sie sie geträumt, zu geben und zu finden, oder durch eine geringere Liebe Mutter zu werden, dann würde sie ohne Schwanken das erstere wählen. Und wird sie Mutter, ohne die volle Höhe ihres Wesens in der Liebe erreicht zu haben, dann empfindet sie das als eine Erniedrigung. Denn weder das Kind, noch die Ehe, noch die Liebe sind ihr genug, nur die grosse Liebe ist ihr genug.
Anmerkung: Zuletzt hat Elisabeth Kuylenstjerna diesen neuen Frauentypus gezeichnet, der jedoch auch schon früher in der Literatur hervorgetreten ist, z. B. in den Werken A. Ch. Lefflers, A. Agrells, in Harald Gotes Dramen usw.
Dies ist der bedeutungsvollste Schritt nach vorwärts, den die Frau gemacht hat, seit sie sich von der Gefühlssphäre des Tierweibchens der des Menschenweibes näherte. Und – wie schwere Leiden auch diese Seelenverfassung für die einzelnen bergen mag – kann doch niemand, der tief genug blickt, an seiner Überzeugung irre werden, hier vor der Lebenslinie zu stehen.
Diese dürfte jedoch nicht mit dem Wege jener Frauen zusammenfallen, die nun das Recht auf Mutterschaft verlangen, nicht nur ohne die Ehe, sondern auch ohne die Liebe!
Diejenigen, welche gehofft haben, dass die Unabhängigkeit der Frau durch die Arbeit die Gewissheit des Mannes, geliebt zu sein, verbürgen würde, haben nicht in ihre Berechnung gezogen, dass das Weib in ihrem Lebensinhalt vom Mann abhängig ist. Diese Abhängigkeit, die die Natur, nicht die Gesellschaft geschaffen hat, treibt noch viele im übrigen selbständige Frauen in Ehen ohne Liebe. Und sie treibt andere Frauen, die ihre Unabhängigkeit bewahren wollen, indem sie keine Ehe schliessen, zu dem Wunsche, ohne diese das Mutterglück zu erlangen. Der Wille des neuen Weibes, durch sich selbst, mit sich selbst, für sich selbst zu leben, erreicht seinen Höhepunkt, wenn sie anfängt, den Mann nur – als Mittel zum Kinde zu betrachten!
Gründlicher konnte sich die Frau kaum dafür rächen, dass sie selbst Jahrtausende hindurch als Mittel betrachtet wurde!
Man darf jedoch hoffen, dass die weibliche Rachsucht nicht lange diese Form beibehalten wird. Die Erniedrigung des Weibes zum Mittel hat die Entwicklung des Mannes und ihre eigene verzögert. Aber dieselbe Erniedrigung des Mannes würde die gleiche Wirkung haben, und die Kinder dürften durch den Missbrauch, den die Frau mit dem Manne treibt, ebenso leiden, wie durch den, den er mit ihr trieb. Übrigens könnte dieses selbstherrliche Dasein ja nicht einmal ein paar Generationen hindurch bestehen. Und die Unabhängigkeit vom Manne könnte folglich nie zu den erblichen Eigenschaften gehören, die die Geschlechts-Charaktere umgestalten können. Es wäre nur ein Experiment mit den Glücksmöglichkeiten einer oder mehrerer Generationen.
Das Kind muss Selbstzweck sein. Es bedarf der Liebe zu seinem Ursprung; es muss bei seiner Mutter das Verständnis der Liebe für die Eigenschaften finden, die es von seinem Vater geerbt hat, nicht erstaunte Kälte oder Abneigung gegen das ungeahnte und unwillkommene in seinem Wesen. Die Frau, die den Vater ihres Kindes niemals geliebt hat, wird diesem Kinde unfehlbar in irgend einer Weise schaden – wenn schon nicht anders, so durch ihre Art, es zu lieben! Das Kind braucht die Fröhlichkeit eines Geschwisterkreises, und selbst die zärtlichste Mutterliebe kann diese nicht ersetzen. Und schliesslich braucht das Kind den Vater, wie der Vater das Kind. Dass Kindern in wie ausser der Ehe oft vom Tode oder vom Leben Vater oder Geschwister geraubt werden, gehört zu dem Unvermeidlichen, wenigstens häufig. Aber dass eine Frau mit Wissen und Willen ihrem Kinde das Recht raubt, sein Leben durch die Liebe zu empfangen, dass sie es im vorhinein von der Möglichkeit der Zärtlichkeit eines Vaters ausschliesst, das ist eine Selbstsucht, die sich rächen muss. Das Recht auf Mutterschaft ohne Ehe darf nicht gleichbedeutend mit dem Recht auf Mutterschaft ohne Liebe werden. Es ist ebenso erniedrigend, sich in ein freies Verhältnis ohne Liebe zu begeben wie in eine liebelose Ehe. Man kann in beiden Fällen sein Kind stehlen und damit den Stolz verlieren, es einmal davon zu überzeugen, dass es die besten Lebensbedingungen für seine Entstehung gehabt hat. Liebe – das muss immer wiederholt werden – will Zukunft, nicht Augenblick; will Vereinigung, nicht nur bei der Schöpfung eines neuen Wesens, sondern weil zwei Wesen durch einander ein neues und grösseres Wesen werden können, als jedes für sich allein. Eine Frau kann sich in ihrer Liebe irren, ebenso wie in ihrer Möglichkeit, sich für die Ehe zu eignen. Aber das kann sie nicht im vorhinein wissen. Sie macht diese Erfahrungen erst, indem sie liebt. Hat sie sich in ihrer Hingebung getäuscht, dann ist es keine Rettung, diesen Irrtum in einer Ehe zu verbergen. Aber ihr Kind von einem Manne zu empfangen, von dem sie im vorhinein weiss, dass sie nie das Leben mit ihm leben wollte, das heisst im tiefsten Sinne des Wortes ein unehrliches Kind bekommen. Und so stellen sich doch eine Anzahl von Frauen vor, dass »die Madonna der Zukunft« das Mutterglück finden wird.
Anmerkung: In »Theodora«, einem in Stuttgart aufgeführten Drama von Johan Bojer, in dem dieses Thema behandelt wird, hat er eine Repräsentantin der Frauensache so sprechen lassen, wie eine Gruppe von Frauenrechtlerinnen vor einem ähnlichen Fall im Leben sprachen – was jedoch Bojer nicht bekannt war.