Hier ist nicht von den jungen Frauen die Rede, die ungetraute Gattinnen von Männern sind, welche erst später ein Heim für Kinder und für ein volles Zusammenleben begründen können. Diese Frauen können freilich den Schmerz erleben, dass sie zu fest auf ihr eigenes Herz oder das eines anderen gebaut haben. Aber sie sind rein in ihrem Willen gewesen, und ihr Wille war auf das zukünftige Zusammenleben gerichtet, nicht auf »Erlebnisse«, deren einziger Wert darin besteht, dass sie einander rasch ablösen.

Diese jungen Frauen müssen darum genau von jenen unterschieden werden, die die Hetären der Gegenwart geworden sind. Diese Neu-Griechinnen sind fein kultivierte, reich begabte, stilvolle und auserlesene Typen der zerebralen und polygamen Frau. Die Liebe ist für sie ein Genusswert – der etwas höher steht als der der Zigarette, mit der ihre schmalen Finger spielen, oder der des Alkohols, der ihren bleichen Wangen Wärme gibt – aber ausgesprochen tiefer als der Dichtertaumel oder die Farbenfreude.

Sie teilen mit den Männern die Schaffenslust, die Arbeitsfreude, die Schönheitsgenüsse, die Ideen und die Liebesfreiheit. Nichts wäre ihnen unwillkommener als mögliche Folgen ihrer »Liebe«, die von Verhältnis zu Verhältnis gleitet, unter einer wachsenden Empfindung der Leere, der Müdigkeit, der Ohnmacht. Unfruchtbarkeit in jeder Beziehung, dies ist ihr Schicksal und ihr Urteilsspruch. Denn einzig und allein für das Unfruchtbare hat das Leben keine Verwendung. Zuweilen sind sie auch nicht imstande weiter zu leben – um nur wieder und wieder überzeugt zu werden: dass ihre Seele nicht lieben, nicht schaffen, nicht leiden und nichts anderes wollen kann, als sich vom Baume des Lebens zu lösen wie eine beschädigte Knospe, eine verdorbene Frucht.

Anmerkung: Einige junge Schriftstellerinnen – besonders die Dänin Edith Nebelong – in »Gold« – haben diesen Zustand geschildert.

Aber auch diese Strömung, in der alles nur gleitende Wellen und funkelnder Schaum zu sein scheint, hat für den, der lange genug lauscht, einen klagenden Unterton: die Dunkelscheu davor, bei sich selbst »tief innen ein leeres schwarzes Loch« zu finden; der Hass gegen die schwindelnde Bewegung der Grossstadt und des modernen Lebens ohne grosse Ziele, gegen ihren ewigen Rhythmus der Aufreizung und des Überdrusses, der Betäubung und Unruhe, all dies, das man »das moderne Leben« nennt, ein Leben, das sie gehindert hat, je zu – leben!

Noch ein anderer Unterton ist da. Er ist schwerer zu deuten, und nur der junge Dichter der »Renate Fuchs« hat es voll verstanden, dass es unter diesen gleitenden Wellen auch suchende gibt; solche, die sich allem zum Trotz im Innersten rein für ihr grosses Erlebnis bewahrt haben; die es unfehlbar entdeckt, sich ihm unbedenklich hingegeben haben, im selben Augenblick, in dem es ihnen gegenübertrat. Aber die Schlussseiten, für die das ganze Buch geschrieben ist, haben nur wenige verstanden. Und die Keuschheit der Seele, die da geschildert wird, dürfte wohl auch so selten sein, dass sie dem schwer fassbar wird, der nicht mit dem Dichter einsieht, dass »für uns jetzt ein Zeitalter mit einem neuen Massstab für die Beurteilung der Frau beginnt. Tiefe innere Revolutionen sind im Anzuge ... wohin man sich wendet, sieht man überall unverstandene Frauen, unglückliche Ehen, erstickte Sehnsucht, unterirdische Flammen.«

Die reinste dieser Flammen schlägt hier und da aus der Tiefe empor, wenn eine wahrhaft weibliche Frau mit all der Macht, die ihrer Natur eigen ist, ihr Recht auf Mutterschaft behauptet.

Anmerkung: Laura Marholms Schriften waren in Deutschland nach dieser Richtung bahnbrechend für eine gesündere Auffassung. Aber seither haben andere Frauen häufig in der Romanliteratur denselben Gegenstand behandelt. An der Spitze steht noch immer Gabriele Reuter mit »Aus guter Familie« und anderen Arbeiten. »Sie« von Baronesse A. Falke gehört zur selben Gruppe. Unter neueren Schriftstellern, die das Recht der unverheirateten Mutter behandelt haben, sind – ausser Sudermann mit »Heimat« – Helene Böhlau mit »Mutterrecht« und die schon erwähnte Marg. Beutler und R. Brée (Pseudonym), sowie Inge Maria: »Der Schrei nach dem Kinde«. In warnender Richtung bewegen sich hingegen Adele Gerhards »Pilgerfahrt« und Marie Sillings »Wandlungen«. Unter den mir unbekannten Arbeiten – die als Beweis erwähnt werden sollen, wie lebhaft die Frage jetzt behandelt wird – sind: Annie Lenz: »Mutter« (ein Drama); Elsa Plessner: »Die Ehrlosen«; Marie Stahl: »Frauenehre«. In Frankreich ist die Frage novellistisch von Daniel Lesueur und anderen mir unbekannten Schriftstellerinnen behandelt worden. Sie hat u. a. eine Schrift von Lydia Martial hervorgerufen, »La femme intégrale«, worin das Recht jeder gesunden Frau auf ein Kind vertreten wird. Nina Carnegie-Mardon hat medizinische und statistische Darlegungen von Louis Frank, Dr. Keifer und Louis Maingie in der Schrift »Die Versicherung der Mutterschaft« zusammengestellt. Eine Broschüre über den Gegenstand ist von Hugo C. Jüngst herausgegeben: »Die Furcht vor dem Kinde«. Grant Aliens Tendenznovelle »The woman who did« behandelt auch das Problem der freien Liebe und der Mutterschaft. Aber mit diesen Andeutungen ist noch lange nicht alles erschöpft, was die Frage an belletristischen Arbeiten, sowie an Artikeln und Broschüren hervorgerufen hat.

Aber das Recht auf ein Ausnahmeschicksal hat nur der, dessen Glück es schafft. Mit anderen Worten der, den es in eine solche Übereinstimmung zwischen den eigenen Lebensbedürfnissen und den umgebenden Lebensverhältnissen versetzt, dass die Kräfte des Individuums so ihre höchstmögliche Entwicklung erreichen.

Und da dies selten der Fall ist, wenn der einzelne sich eine Stellung schafft, die ihn in Kampf mit der Gesellschaft bringt, kann es also nicht ein solches Ausnahmeschicksal sein, auf das der Denkende die Mehrzahl der jetzt unter das Arbeitsjoch gebeugten Frauen hinweisen wird, die ihr Schicksal verbessern wollen. Die unmittelbarste Möglichkeit ist für den Anfang die: die Art und die Bedingungen ihrer Arbeit zu verbessern.

Die Frauen müssen es sich angelegener sein lassen, Arbeitsgebiete zu entdecken oder zu schaffen, auf denen sie etwas von ihrem Frauenwesen, ihrer menschlichen Persönlichkeit ausdrücken können. Es gehört zu den erfreulichen Zeichen der Zeit, dass dies zu geschehen anfängt. So hat z. B. in Dänemark eine ausgezeichnete Mathematikerin – gerade von den oben erwähnten Gründen bestimmt – ihre wissenschaftliche Tätigkeit aufgegeben und ist die erste Fabrikinspektorin des Nordens geworden. So hat in Deutschland eine Chemikerin aus denselben Gründen dieselbe Laufbahn gewählt. Eine Juristin widmet sich da ausschliesslich dem Kinderschutz; eine andere – in Frankreich – der Advokatur, um armen Frauen zu helfen. Aber noch gibt es allzu viele Frauen, denen ihre glückliche Lage freie Arbeitswahl ermöglicht und die dessenungeachtet den Beruf gesucht haben, der ihnen das sicherste Einkommen oder die grösste Pension gewähren kann, nicht den freiesten Gebrauch ihrer persönlichen Kräfte!

Aber auch die Möglichkeit der Wahl ist nur den Ausnahmsbegabungen oder den Ausnahmsverhältnissen vorbehalten. Der Mehrzahl der Frauen, die arbeiten müssen oder wollen, fällt es schwer, einen Beruf zu finden, der ihnen wirklich ein Rückgrat gibt, nicht nur einen Blumenstab, um sich daran zu lehnen. Um einen grösseren organischen Zusammenhang zwischen der Frau und ihrer Arbeit zu ermöglichen, wäre nichts notwendiger als eine Unternehmungsvermittelungsanstalt, der man von verschiedenen Orten Verzeichnisse der dort benötigten Arbeiten praktischer oder ideeller Art einschickte, und dann, im Zusammenhang damit, eine neue Art »Hypothekenbank«, aber eine, bei der die Einzeichnungen auf die Tatkraft, die Arbeitsfähigkeit, die Erfindungsgabe der jungen Frauen gemacht würden, eine Bank also, die unter billigen Amortisierungsbedingungen die Kulturdarlehen vorstreckte, die erforderlich wären, damit diese jetzt ungenutzten Hilfsquellen für den Reichtum der Nation eingesetzt werden könnten. Die Glückssumme der unverheirateten Frauen würde steigen, wenn ihr Schaffenstrieb so wenigstens in einer starken und gesunden Tätigkeit ausgelöst würde, durch die sie einigermassen ihr Bedürfnis, Zärtlichkeit zu bezeugen und um sich Behagen und Schönheit hervorzurufen, befriedigen könnten.

Kein »Kulturfond« wäre der Aufmerksamkeit der Donatoren würdiger als ein solcher!

Anmerkung: Als dies 1896 in »Missbrauchte Frauenkraft« von mir gesagt wurde, wurde es als der Wunsch ausgelegt, aus allen jungen Mädchen nur »Kindermädchen« zu machen! Seither hat man jedoch angefangen, die Notwendigkeit der Ausbildung für den Beruf der Kinderpflegerin und die Vorteile der gebildeten Kinderpflegerin einzusehen, ebenso auch die Notwendigkeit einer wirklich zeitgemässen Ausbildung für die Aufgaben des Haushalts. Aber die praktische Arbeit der Frau kann noch viel umfassender werden, und das Bild der werteschaffenden Macht der Frau, das Johan Bojer in »Mutter Lea« entworfen, braucht kein unerreichbares Ideal zu bleiben. Nicht der in unserer Zeit immer häufigere landwirtschaftliche Grossbetrieb, aber der Kleinbetrieb – in Verbindung mit Gärten, Hühnerhöfen, Meiereien, Konservefabriken – könnte in den Händen tüchtiger Frauen die grösste Bedeutung erlangen. Und einige erfreuliche Ansätze in dieser Richtung fordern zur Nachahmung auf. Landhäuser wie Güter stehen in Menge leer und bieten die Möglichkeit zu solchen Unternehmungen, sowie dazu, auf dem Lande stille, geschmackvolle, billige Ruhe- und Sommerheime einzurichten im Gegensatz zu den teuren, stillosen Touristenhotels. Gebildete Frauen sollten auch in den Städten Hotels gründen, wie die gemütlichen Hospize in Berlin, Christiania u. a. mit bis in die kleinste Einzelheit festen Preisen und Trinkgeldverbot. Ein drittes Gebiet wären kooperative und künstlerische Bekleidungs- und Wohnungsausschmückungsgeschäfte, verbunden mit einem Architektenbureau und einer Auskunftei für Geschmacksfragen. Ein viertes wäre die Errichtung angenehmer und guter abstinenter Speisehäuser: in der Schweiz sind die Frauen in Begriff, dieses ganze Gebiet zu reformieren. Ferner eine Organisation des Lebensmittelverkaufs, um dem Emporschrauben der Lebenskosten durch die Zwischenhändler zu entgehen. Auf einigen anderen, jetzt halb philanthropischen Gebieten müsste die Tätigkeit so geordnet werden, dass sie nicht von der Wohltätigkeit unterstützt zu werden brauchte, z. B. die Organisation der Arbeiterwohnungen in den Städten und deren Vororten. Dann kommen all die Unternehmungen, die bis auf weiteres durch eigenes Vermögen oder die Hilfe anderer bestritten werden mussten: Lesesäle, Kindergärten, Vorlesungsabende u. dgl., was man im ganzen Lande braucht.

Augenblicklich wäre vielleicht kein Unternehmen wichtiger, als ein weibliches »Heimhilfekorps« zu organisieren, mit garantierter Ausbildung, in einem Fachverein mit bestimmten Lohnbedingungen zusammengeschlossen (die am Tage und am Abend verschieden wären); mit einer praktischen, schmucken Arbeitsuniform und im übrigen mit der ganzen Organisation, die – für die Arbeitgeber wie für die Arbeiterinnen – eine glückliche Lösung der mit jedem Tage unleidlicher werdenden Dienstbotenfrage ermöglichen würde.

Überhaupt wäre es auch aus dem Gesichtspunkt der Mutterschaft wünschenswert, wenn die Fachausbildung der Frau der oberen Klassen sich mehr auf die verschiedenen Zweige der praktischen Arbeit richten würde. Denn das Abnehmen der körperlichen Arbeit – die durch den Sport nicht ersetzt werden kann – hat zum grossen Teile die vermehrten Leiden hervorgerufen, die die Mutterschaft der modernen Frau bereitet.

Für alle die Frauen hingegen, die gezwungen sind, bei ihrer Lohnarbeit auszuharren, gilt es wenigstens, so weit in die soziale Frage einzudringen, als notwendig ist, um die Pflicht der Solidarität und die Notwendigkeit der Organisation einzusehen, wenn sie die erhöhten Löhne, die kürzere Arbeitszeit, die Sommerruhe, überhaupt die besseren Bedingungen erlangen wollen, die sie erlangen müssen, um ihre geistige und körperliche Lebenskraft halbwegs zu bewahren und damit das Mass von Lebensfreude, das jeder besitzen kann. Die erste Voraussetzung dafür ist, dass die Familientöchter aufhören, Arbeit unter Lohnbedingungen anzunehmen, von denen eine sich selbst versorgende Frau nicht leben kann, und dass überhaupt die Frauen aufhören, sich für besonders verdienstvoll zu halten, nur weil sie arbeiten – unbekümmert um den Schaden für das grosse Ganze, den ihre Arbeit unter dem Preise zur Folge hat.

Aber diese arbeitenden Frauen brauchen nicht nur den Willen zur Erhöhung ihres eigenen Lebens, sondern vor allem ein regeres Gefühl für die Organisation des Ganzen. Ihre persönlichen Forderungen an Bildung, Ruhe, Schönheit, Liebe, Mutterschaft müssen in Zusammenhang mit denen aller gebracht werden, so dass sie auch anfangen, für andere das zu fordern, was sie für sich selbst wünschen. Anstatt durch missglückte Lebensversuche ihr eigenes Dasein zu verringern, sollten sie andere Frauenseelen mit ihren Träumen von einem schöneren erfüllen. Und um dies zu können, müssen sie sich immer empfänglich und tätig erhalten, nach allen Seiten gebend und empfangend.

So schwillt aus unzähligen kleinen Bächlein der Strom der Willen, der einmal die alten Grenzen zwischen der Macht, zu wünschen, und dem Zwange, zu entsagen, verschieben wird. So wird die liebesberaubte Frau ihr eigenes kleines Geschick in dem Schicksal der vielen vergessen können und trotz eigener Lebenshemmungen empfinden, dass sie lebt – weil sie die Schläge des Herzens der Menschheit in ihrem eigenen fühlen und dadurch, dass sie ihr eigenes Herz erweitert, das der Menschheit vergrössern wird.

 Top