Die Befreiung von der Mutterschaft

Für das Denken, das von der Oberfläche des Lebens zu den Tiefen dringt, ist die Forderung des Rechtes auf Mutterschaft ein Zeichen der Gesundheit, ein Beweis dafür, dass in einem Volke der starke, gesunde Frauenwille rege ist, die Erde zu erfüllen, ohne den das Volk nicht lange auf Erden leben kann. Wenn auch gewisse Äusserungen dieses Willens das lebensteigernde Ziel verfehlen, an und für sich ist der Wille verehrungswürdig.

Bezeichnend für die Begriffsverwirrung in diesen Fragen ist es jedoch, dass der Beweis der Gesundheit den Sittlichkeitswächtern Entsetzen einflösst, während sie ruhig die Zeitrichtung betrachten, die von Stoff zu Tragik für die einzelnen, wie für die Völker erfüllt ist: den Willen zur Befreiung von der Mutterschaft.

Das Christentum mit seiner Vertiefung des Persönlichkeitsbegriffes bei gleichzeitiger Rücksichtslosigkeit gegen die Gattung stempelte im Gegensatz zu der Antike die Ehe zur Privatangelegenheit der Individuen. Die Entwicklung der Liebe setzte die Befreiung fort, die das Christentum begann. Wie ich schon früher dargelegt habe, gestehen die Vertreter des Christentums noch immer das Recht zu, unverheiratet zu bleiben und das Kindergebären einzuschränken, wenn nur beides unter Enthaltsamkeit geschieht.

Für den Evolutionisten hingegen ist nicht die Form das Entscheidende, sondern nur die Gründe. Die Gefahr für die möglichen Kinder oder für die Mutter selbst; die Furcht, ökonomisch oder persönlich für die Erziehung der Kinder nicht zuzureichen; der Wille, all seine Kräfte für eine bedeutungsvolle Lebensarbeit einzusetzen; ein malthusianischer Standpunkt in der Bevölkerungsfrage – diese und andere Motive erscheinen dem Evolutionisten als gute Gründe, die Elternschaft einzuschränken oder ganz davon abzustehen. Und den einzelnen wird nach dieser Richtung auch Wahlfreiheit in Bezug auf die Art zuerkannt, die am besten mit der Meinung der Wissenschaft über die Gesundheit und mit ihrer eigenen über Sittlichkeit und Schönheit übereinstimmt.

Und sobald man der Ansicht ist, dass der einzelne auch Selbstzweck ist, mit dem Rechte und der Pflicht, der Art seines Wesens gemäss in erster Linie eigene Forderungen zu erfüllen, muss es die Angelegenheit des einzelnen bleiben, wenn er seine Bestimmung als Geschlechtswesen überhaupt nicht erfüllen oder die Erfüllung der Aufgabe einschränken will.

Aber da der einzelne nur im Zusammenhange mit der Menschheit seine höchste Lebenssteigerung erreichen, seinen Selbstzweck erfüllen kann, so hat er auch Pflichten gegen die Gesamtheit und nicht zum wenigsten als Geschlechtswesen. Hat das Leben dem einzelnen das Schicksal gegeben, das eine sittliche Elternschaft ermöglicht, die Voraussetzungen, die den neuen Leben günstig sind, dann wird eine Einschränkung der Kinderzahl nur dann sittlich sein, wenn sie – durch die Lebenssteigerung der einzelnen selbst, wie der Kinder – dem Ganzen zu gute kommt.

Aber wenn ausschliesslich kleinliche und selbstische Gründe – wie die Rücksicht auf das Erbteil der Kinder, eigenes Wohlleben und Wollust, eigene Schönheit und Bequemlichkeit – Väter und Mütter bestimmen, die Anzahl der Kinder unter der das Wachstum des Volkes sichernden Durchschnittszahl zu halten, dann ist diese Handlungsweise antisozial. Wer sich hingegen mit wenigen oder gar keinen Kindern begnügt, weil er ein Werk auszuführen hat, der kann der Gesellschaft durch die Hervorbringung eines anders gearteten Wertes Ersatz leisten.

Zu den das eine Mal sittlichen, das andere Mal unsittlichen Motiven, keine oder wenige Kinder zu haben, kommt nun noch der Wunsch der Frau, ihre rein menschlichen Eigenschaften anderen Aufgaben zu widmen. Damit sind jedoch nicht jene Frauen gemeint, die ihre Ehe auf eigene Erwerbsarbeit neben der des Mannes gründen mussten, eine Notwendigkeit, die sie bis auf weiteres von der Mutterschaft abhält, obgleich sie noch stets von dem künftigen Kinde träumen. Hier ist nur die Rede von der persönlichen Selbstbehauptung der Frauen.

Die Frauen wollen nicht mehr die Einkünfte des Mannes verwalten, sondern eigene verdienen; sie wollen nicht den Mann als Vermittler zwischen sich und der Gesellschaft, sondern sie wollen selbst ihre Interessen vertreten; sie wollen ihre Begabung nicht auf das Haus beschränken, sondern sie auch im öffentlichen Leben zum Ausdruck bringen. Und nach allen diesen Richtungen haben sie Recht. Aber wenn sie, um so »das Leben leben« zu können, »von der Last des Kindes befreit« sein wollen, dann wird man nachdenklich. Denn solange keine Kinderpflegeautomaten erfunden sind, keine männlichen Volontäre sich angemeldet haben, muss ja diese Last auf andere Frauen fallen, die – mit oder ohne eigene Mutterschaft – dann gezwungen sind, doppelt zu tragen. Wirkliche Befreiung ist also für die Frauen nicht möglich, nur eine neue Verteilung der Lasten.

Die schon »Befreiten« versichern, dass sie – indem sie erwerben, studieren, schaffen, politisieren – die Empfindung haben, ein höheres Dasein mit grösseren Seelenbewegungen zu leben, als die Kinderstube es ihnen hätte bieten können. Sie sehen auf die »passive« Tätigkeit, Kinder zu gebären, herab – und mit Recht, wenn sie nur passiv bleibt – ohne einzusehen, dass sie die Möglichkeit birgt, wie keine andere ihre ganze Persönlichkeit in Aktivität zu versetzen. Und der Mensch hat ja das Recht, sein eigenes Glück zu wählen – oder sein Unglück!

Aber worauf diese Frauen kein Recht haben, ist, als ebenso grosse Gesellschaftswerte angesehen zu werden wie jene, die ihre grössten Seelenbewegungen durch ihre Kinder erfahren, die Wesen, die nicht allein den feinsten Stoff für menschliche Bildkunst darstellen, sondern auch die einzigen Werke, durch die die Unsterblichkeit eines Schaffenden gewiss ist! Was diese das Kind fürchtenden Frauen auch nicht erwarten können, ist, dass man ihre Erfahrung als ebenso wertvoll ansehe wie die der Frauen, die – nachdem sie ihre unmittelbaren Mutterpflichten erfüllt haben – im öffentlichen Leben ihre im Privatleben gewonnene Entwicklung nutzbar machen.

Der Naturtrieb besitzt ebensowenig wie der Kulturtrieb einen geheimnisvollen und unfehlbaren Leitstern. Beide können den einzelnen sowohl wie das Menschengeschlecht in bezug auf das Ziel irre führen, das beide unbewusst oder bewusst suchen: höhere Lebensformen. In der Mütterlichkeit hat die Menschheit ihre bisher vollkommenste Lebensform innerhalb der Gattung als Ganzes genommen erreicht. Die Mutterschaft ist ein natürliches Gleichgewicht zwischen dem Glück des einzelnen und dem der Gesamtheit, zwischen Selbstbehauptung und Selbsthingebung, zwischen dem Sinnlichen und dem Seelenvollen. Eine grosse Liebe, eine geniale Schaffenskraft kann in einzelnen Fällen dieselbe Einheit erreichen. Aber der ungeheure Vorzug der Mutter ist, dass sie mit ihrem Kinde in den Armen – ohne bewusste Mühe und ohne zu den begünstigten Ausnahmen zu gehören – die Einheit zwischen Glück und Pflicht besitzt, die die Menschheit in ihrer Gesamtheit erst nach unendlichen Mühen auf anderen Gebieten erreichen wird. Aber wenn die persönliche Selbstbehauptung, das eigene Glück sich im Bewusstsein der Frau immer mehr vom Zusammenhange mit dem Kinde löst, dann wird diese Einheit erschüttert.

Eine vorübergehende Erschütterung war notwendig. Denn die Befreiung des Weibes bedingte – wie jede andere Befreiung – gerade die Störung der Gleichgewichtslage, die der Druck der Übermacht und die Trägheit der Tradition geschaffen hatte, des gekünstelten Gleichgewichts, das nur der Druck auf der einen, die Trägheit auf der anderen Seite erhalten konnte. Es war notwendig, dass die Töchter sich gegen das Frauenideal der Väter erhoben, die Schwestern gegen den brüderlichen Löwenanteil, der auf ihre Kosten so reichlich zugemessen war, die Mütter gegen die Auffassung ihres Berufes, die sie in der Pflichtensphäre des Tierweibchens festhielt.

Sie mussten die Emanzipation durchführen, die es möglich gemacht hat, dass sie ihr Hirn – nicht nur ihr Herz – gebrauchen, um ihre ewige Aufgabe zu erfüllen: die neuen Leben zu erziehen und zu bewahren.

Schon die gebildete – ja selbst die ungebildete – Mutter von heute verwendet bei ihrer Kinderpflege doppelt so viel Hirnkraft, aber nur halb so viel Muskelkraft, als ihre Grossmutter verbrauchte. Sie versteht es besser, zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem zu unterscheiden; sie kann durch Umsicht Mühen und Plagen vermeiden. Und wenn alle Mütter die praktische und theoretische Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege der Kinder erhalten, die ihre Wehrpflicht bilden muss, dann wird die Aufgabe in der Richtung des Unpersönlichen noch mehr vereinfacht sein, aber sich in der Richtung des Persönlichen immer mehr vertiefen. Die Mutter wird ihre Intelligenz und ihre Phantasie, ihren Kunstsinn und ihr Naturgefühl, ihre Kenntnisse der Physiologie und Psychologie gebrauchen, um dem Kinde die Bedingungen zu schaffen, durch die es sich am besten und freiesten selbst entwickeln kann; sie wird hingegen davon abstehen, das Kind – umzuarbeiten! Sie wird auf diese Weise viel Zeit gewinnen, die jetzt für unnötige Wartung und schädliches Erziehen vergeudet wird.

Aber sich der persönlichen Pflege entziehen, das wird die Mutter nie können, ohne die Schmach der Desertion auf sich zu laden.

Es gibt eine Anzahl von Frauen, welche meinen, dass das Muttergefühl selbst unabhängig von den mütterlichen Mühen und der mütterlichen Verantwortung für das Kind bestehen könne; dass dieses folglich von der Gesellschaft betreut werden, aber dennoch den Reichtum der Mutter- und Vaterliebe besitzen könnte. Diese Frauen müssen nie bedacht haben, dass beim Menschen wie beim Tiere die Elternzärtlichkeit aus Mühen und Opferwilligkeit entsteht, dass sie damit steigt und dass sie um so geringer wird, je weniger Anforderungen an sie gestellt werden. Wenn ein Vater zeitweilig eine Mutter ersetzt, wird er zärtlich wie diese; wenn ein krankes Kind die Kräfte der Mutter aufsaugt, kommt es ihrem Herzen am nächsten; wenn die Kinder heranwachsen, wird die Zärtlichkeit weniger spontan innig, obgleich sie sich dann anstatt dessen durch den persönlichen Austausch vertiefen kann. Die staatliche Pflege der kleinen Kinder wäre gleichbedeutend mit dem Hinwelken der Innigkeit der elterlichen Liebe. Die durch die körperliche Nähe des Kindes geweckte Zärtlichkeit beweist besser als irgend ein anderes Gefühl die Einheit der Sinne und der Seele. Ohne die sinnliche Nähe verliert die seelische, ohne den seelischen Eindruck verliert der körperliche seine Macht. Der Mutterinstinkt hat sich wie alle anderen Instinkte durch die Stetigkeit der äusseren Bedingungen gebildet. Er ist durch bestimmte Empfindungen und Begriffsverbindungen erworben. Als gewisse dieser zuerst bewussten Seelenregungen unbewusst wurden, so dass sie automatisch von niedrigeren Nervenzentren ausgeführt werden konnten, wurden die höheren Nervenzentren, die früher bei diesen Verrichtungen tätig gewesen waren, für höhere Aufgaben freigemacht. Aber werden die Empfindungen und Begriffsverbindungen, die ursprünglich den Instinkt schufen, geschwächt, dann verliert dieser seine schlafwandlerische Sicherheit. Was leicht »von selbst« ging, wie der Sprachgebrauch es richtig nennt, wird wieder mühsam. Mit der Erschütterung des Instinkts kommen, wenn auch äusserst langsam, entsprechende Erschütterungen der Organe, mit denen dieser verbunden ist. So war das Nähren vielleicht eine erworbene Fähigkeit, die »natürlich« wurde. Jetzt ist es so schwierig geworden, dass in den oberen Klassen die Mehrzahl selbst beim besten Willen diese Funktion kaum ein paar Monate oder überhaupt nicht erfüllen kann. Die Wissenschaft steht schon fragend vor der Möglichkeit, dass die Milchdrüsen und damit der besondere Charakter des Frauenbusens verschwinden könnte. »Aber,« fährt ein schon citierter Gelehrter fort, »wenn die Muttermilch wirklich unentbehrlich ist, damit die Nachkommenschaft die höchste Kraft und beste Qualität erreiche, dann werden die so Aufgezogenen die physisch und psychisch Tauglichsten sein; folglich auch Sieger im sexuellen Wettbewerb, und so würde die Fähigkeit, Muttermilch hervorzubringen, erhalten bleiben ... Wenn nicht, so werden wertvollere Eigenschaften an Stelle der verlorenen errungen werden.«

Anmerkung: Man sehe Chr. v. Ehrenfels: »Die aufsteigende Entwicklung des Menschen« (Politisch-Anthropologische Revue, April 1903). Der Gedankengang in seiner Gesamtheit ruht hier auf einer von Darwins jetzt umstrittenen Ansichten, die jedoch durch den berühmten Gehirnanatomen Bechterew (man sehe »Bewusstsein und Hirnlokalisation« 1898) eine Stütze erhalten haben. Die Anwendung der Ansicht auf das Nähren ist nur eine Annahme von mir. Im Zusammenhang damit muss an solche Fakten, wie dass – nach einer Angabe aus Wien – drei Viertel der gestorbenen Säuglinge nicht von ihren Müttern gestillt wurden, erinnert werden. Ein französischer Arzt, Lulaing, hat statistische Beweise dafür erbracht, dass die Säuglinge in doppelt so grosser Anzahl sterben, wenn sie nicht von ihren Müttern genährt werden. Er hat nicht weniger als 13 952 Kinder armer Familien untersucht. Bei den Kindern, die an der Mutterbrust aufgezogen wurden, stieg der Sterblichkeitsprozentsatz nur auf 14,24, während er bei denen, die Ammenmilch erhielten, 31,29 betrug, und bei den mit der Flasche aufgezogenen Kindern war der Prozentsatz noch höher! Von den untersuchten 13 952 Kindern erhielten nur 6409 – also nicht einmal die Hälfte – die Mutterbrust. Die Ursache liegt in den sozialen Verhältnissen: die Mütter sind gezwungen, kurze Zeit nach der Geburt des Kindes auf Arbeit zu gehen, und können ihnen darum nicht die Brust, ja nicht einmal selbst die Flasche geben. Dr. L. hält es für absolut notwendig, dass jeder Mutter (die es kann) Gelegenheit gegeben werde, ihr Kind sechs Monate lang zu stillen. Und er befürwortet, dass für diesen Zweck Pflegeanstalten errichtet werden.

Der oben zitierte deutsche Arzt Alsberg führt als Beweis für die geschlechtliche Entartung teils die zunehmende Notwendigkeit chirurgischer Hilfe beim Geburtsakt an, teils die Verkümmerung der Brustwarzen, durch die das Stillen unmöglich wird. Diese Verkümmerung wird teils durch das eigene Verschulden der Frauen verursacht, teils ist sie eine Folge des Alkoholismus der Väter.

Professor Bunge, der bekannte Antialkoholiker, hat darauf hingewiesen, dass die Unfähigkeit der Mütter, ihre Kinder zu stillen, in unmittelbarem Zusammenhange damit steht, besonders durch den gesteigerten Alkoholkonsum der Frauen, und der englische Arzt Dr. Sullivan hat gezeigt, dass die Trunksucht der Mütter einen unvergleichlich grösseren Einfluss auf die Kindersterblichkeit und auf die abnehmende Lebenskraft der Kinder hat, als die des Vaters. Und es ist zu hoffen, dass die Gesetzgebung in diesem Falle eingreifen wird, sowie man schon in Frankreich einen Gesetzvorschlag eingebracht hat, der darauf abzielt, den Mädchen bis zu zwanzig Jahren das Tragen eines Korsetts wegen der gefährlichen Folgen für die künftige Mutterschaft zu verbieten.

Es ist also denkbar, dass die abnehmende Neigung und Fähigkeit der Frau nach dieser Hinsicht unbewusst der Entwicklung der Gattung dient. Oft entscheidet erst die Zukunft, was Fortschritt, was Entartung war. Aber gewiss ist, dass nichts unwissenschaftlicher sein kann, als alle Sorge für die Zukunft mit dem Dogma zu beschwichtigen: dass der Wille, in der Nachkommenschaft weiter zu leben, so stark sei, dass nur die Entarteten ihn nicht besitzen; dass bei dem gesunden Weibe nichts dem Mutterinstinkt zu schaden vermöge!

Für den evolutionistisch Denkenden ist alles einer möglichen Umwandlung unterworfen, und nirgends wirkt etwas, das »nichts machen« kann. Nicht ein Hirn, nicht ein Nervensystem entzieht sich auch nur den unbewussten Eindrücken der Strasse. Sie versinken in das unterbewusste Seelenleben und können Jahrzehnte später daraus emportauchen. Nicht ein Mensch ist derselbe – oder wird je derselbe – wenn er z. B. von einer Vorlesung fortgeht, als der er hinkam. Immer sind irgendwelche Seelenwogen in Bewegung gesetzt worden, und diese Bewegung setzt sich bis ins Unendliche fort. Wenn dies schon von der Inschrift eines Strassenschildes gilt, von der flüchtigen ärgerlichen oder freudigen Stimmung des Augenblicks, um wie viel mehr dann von den Eindrücken, die unsere Tage, unsere Jahre beherrschen! Die Vorstellungen werden aus dem edlen oder unedlen Metall der Stimmungen geschmiedet, und als Werkzeuge bearbeiten sie dann ihrerseits die Bronze oder das Gold der Stimmungen. Alle Heiligung, alle Selbstkultur ruht auf der Fähigkeit des Menschen, gewisse Gedanken abzulenken, gewisse Vorstellungen zu unterdrücken, gewisse Willensimpulse abzuwenden; andere Gedanken einzuführen, andere Vorstellungen zu steigern, andere Impulse anzureizen; mit anderen Worten: sich gewisse Seelenzustände anzueignen, andere zu verwerfen. Dadurch entsteht die Entwöhnung von einer Art von Stimmungen, die Gewöhnung an andere. Wenn diese genügende Stärke erlangt haben, werden neue Handlungsweisen, neue Lebenspläne allmählich »natürlich«; neue Instinkte bilden sich, wo Wille und Widerwille oft die gerade entgegengesetzte Stellung einnehmen, als da diese Entwicklung begann. Die Sinnlichkeit wie die Seele sind also Schöpfungen der Entwicklung, und es ist die Wollust von vielen Jahrtausenden, die sich in der Mutter regt, wenn sie die Lippen des Kindes an ihrer Brust spürt; es ist die Zärtlichkeit von ebensovielen Jahrtausenden, die sich in der Gestalt jeder neuen Mutter über das Bett des Kindes neigt.

Wie mächtig diese Regungen der Sinne und der Seele auch geworden sind, so ist doch – aus den eben angeführten Gründen – immerhin die Möglichkeit vorhanden, dass der gewaltige Zärtlichkeitsstrom versiegt, wenn er seiner Zuflüsse beraubt wird, und dass die Menschheit dadurch ihre unentbehrlichste Triebkraft der Kulturentwicklung verlieren könnte.

Aber auch die Frauen selbst würden dabei verlieren. Nichts ist tiefer wahr, als: ... »Was einmal du gelebt, hat sich in Schicksal schon verwandelt, in dein Schicksal ...«

Aber das gilt nicht nur von dem, was wir erlebt haben, sondern auch von dem, was wir zu erleben vermieden haben!

Unser bewusstes Ich, das sind unsere Seelenzustände, die Bilder, Gefühle und Gedanken, die durch unser früheres Leben unser inneres Eigentum geworden sind; die durch gewisse Verläufe miteinander und mit unserem gegenwärtigen Ich verbunden werden. Je weniger diese Bilder, Gefühle und Gedanken in der Vergangenheit einer Frau von Muttergefühlen – geahnten oder wirklichen – bestimmt waren, desto minderwertiger wird das »Ich«, das sie zu behaupten hat, das Schicksal, das sie sich schafft. Und die Frau, die von keinerlei höheren Gründen von der Mutterschaft abgehalten wird, gehört zu den Schmarotzerpflanzen des Baums des Lebens. Die Mehrzahl dieser Frauen verbindet nicht einmal einen tieferen Sinn mit ihrer Forderung, das Leben für sich selbst zu leben. Sie zersplittern sich in vielerlei und erleben dabei nicht viel, denn nur die grossen Gefühle geben grosse Werte.

Ob wohl die Frauen, die sich so ohne weiteres von der Mutterschaft lossagen, je ein Kind, nicht in ihrem Schosse, nein, nur auf ihren Armen getragen haben? Ob sie je jenen Rausch der Zärtlichkeit empfunden haben, den ein solches weichgliedriges, wie aus den zartesten Blättern und rosigsten Farben der Blumen geschaffenes Wesen hervorruft? Ob sie wohl je in Andacht vor der grossen wunderbaren Welt versunken sind, die man gedankenlos »eine kleine Kinderseele« nennt?

Sind sie das nicht, dann kann man begreifen, dass diese Armen, die ihre Armut nicht erkennen, die Reichen ebenso arm machen wollen wie sich selbst – anstatt dass alle Armen reich gemacht werden sollten!

Wenn der Frau diese »Befreiung« der Persönlichkeit gelingt, dann wird es ihr wohl ergehen wie der Prinzessin im Märchen, die sich in Sturm und Regen vor dem Königreiche sah, das sie um eines Spielzeugs willen geopfert hatte!

In einem modernen Gedicht »Paolo and Francesca« von Stephen Phillips bricht eine Frau, die man damit tröstet, dass Kinderlosigkeit viele Leiden erspart, in die Worte aus:

Spared! To be spared what I was born to have:
I am a woman, and this my flesh
Demands its nature's pangs, its rightful throes,
And I implore with vehemence these pains!

Hört dies auf, Weibeslust und Weibesqual zu sein, dann dürften sich die Voraussagungen pessimistischer Denker von dem freiwilligen Aussterben des Menschengeschlechts verwirklichen. Aber die Frauen besässen dabei nicht die Hoheit des folgerichtigen Gedankens, der den Weltverlauf lenken will: sie würden nur als ein dem Abgrund unbewusst zurollendes Rad wirken.

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