Die Gesellschaft steht vor immer komplizierteren Aufgaben. Eine bisher ungenützte Kraft bietet nun ihre Mitwirkung zur Lösung an: die zum Gesellschaftsbewusstsein erwachte Frau.
Immer inbrünstiger wünschen alle Denkenden neue Zustände herbei. Aber solche entstehen nicht allein durch neue äussere Verhältnisse, wie der Sozialist allzu willig glaubt. Auch nicht durch neue Gedanken und Erfindungen, wie der Gelehrte allzu einseitig meint. Neue Zustände entstehen vor allem durch neue Menschen, neue Seelen, neue Gefühle. Nur diese schaffen neue Lebenspläne, neue Handlungsweisen; nur sie werten die Werte um, die unzählige einzelne dann tagein tagaus erstreben. Ein neuer Gedanke wird zuerst bei einem Einzelnen Gefühl und Triebkraft, dann bei Einigen, dann bei Vielen, schliesslich für das Ganze. Wer das bei irgend einer bestimmten Idee verfolgen konnte, weiss, dass das so ist wie im Frühling, wo zuerst eine einsame Birke auf der Sonnenseite ihre gelbgrüne Fahne entfaltet; dann zieht das Gelb, Rotbraun und Grün einen immer dichteren Schleier über das Grau, bis schliesslich alle Kronen sich in Fülle runden, alle Farben auf einen Ton gedämpft sind und man sich kaum mehr erinnert, wie es in der farbenschillernden Zeit war, als der Faulbaum weiss im Grün stand, die Butterblumen in wilder Sonnenfreude sich über das Gras ausstreuten, die Maiglöckchen aus dem Blattversteck perlten und der Kuckuck den Sommer kündete!
Die Gefühle sind der Lebenssaft, der ansteigt, wenn die menschliche Landschaft Farbe und Form ändert. Darum ist nie eine tiefe geistige Umwälzung gelungen, ohne dass die Frauen mit dabei beteiligt waren. Auf diese grosse, schon mittelbar wirksame Macht der Frau kann man mit Recht die Hoffnung gründen, dass ihre unmittelbare Machtausübung noch wirksamer werden wird – wenn sie dabei ihre weibliche Eigenart bewahrt!
Die Frauen haben seit urdenklichen Zeiten nicht nur mittelbar, nein auch unmittelbar an der Regierung der Völker und an ihren Kämpfen teilgenommen, ohne dadurch irgend einen neuen Einsatz zu machen.
Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, dass die Frauen in Frankreich und in England – durch den Grundbesitz – in früheren Zeiten eine Form des Wahlrechts hatten, das sie in ersterem Lande bei der grossen Revolution, in letzterem durch die grosse Wahlrechtsreform wieder verloren. Aber dieses ihr Stimmrecht hat keine sichtbaren Spuren in den Gesetzen, politischen Ideen und Gesellschaftsverhältnissen ihres Landes hinterlassen. Alles vollzog sich damals wie später nach der Führung der Männer. Nicht das Wahlrecht der Frauen also, sondern nur ihre Art, es zu gebrauchen, wird das bedeutungsvolle sein.
Ganz wie die strengere Geschlechtsmoral die Liebe der Frau seelenvoller machte – bis sie nun die Freiheit der Liebe fordern kann, weil sie damit einen neuen Einsatz zu leisten hat – so dämmten die Hindernisse, die der äusseren Tätigkeit der Frau gesetzt waren, ihr Gefühlsleben ein. Während der Arbeitsteilung in ein »männliches« und ein »weibliches« Gebiet wurde die Eigenart der Frau gefestigter; ihr Gefühl vertiefte sich nach der Richtung, in der sie nun bereit ist, es unmittelbar im Dienste der Menschheit zu betätigen. Die Liebe hat ihrer ganzen Art zu denken und zu fühlen, zu wollen und zu wirken den Stempel aufgedrückt. So ist sie zu jener Verschiedenheit von dem Manne gelangt, die sie nun im öffentlichen Leben behaupten muss.
Es ist ebenso natürlich wie erfreulich, dass die Frau mit ihrer Forderung, an den gesellschaftlichen Pflichten und Rechten Teil zu haben, gerade in unserer Zeit hervortritt, wo der Begriff des Zusammenhanges, das Gefühl der Solidarität in jedem einzelnen Volke wie auch unter den Völkern immer bewusster geworden ist. Denn ein klareres Bewusstsein des Zusammenhanges wird die Frau vor einer Anzahl männlicher Irrtümer bewahren; ein tiefer gefasstes Solidaritätsgefühl wird sie vor einer Anzahl weiblicher Schwächen behüten – während die besten Züge der weiblichen Eigenart für die Vertiefung des Solidaritätsgefühls unschätzbar sein werden. Der moderne Mensch ist immer empfindlicher gegen seine eigenen Leiden geworden, und dies ist die erste Voraussetzung dafür, auch die der anderen zu empfinden. Aber nun handelt es sich darum, auch wirklich das Gefühl für andere so sehr zu vertiefen und zu verfeinern, dass der Gesellschaftsorganismus es nicht mehr erträgt, wenn eines seiner Glieder eine Lebenshemmung erleidet, der abgeholfen werden kann. Hier wird die tiefere Sensibilität der Frau, ihre reichere Zärtlichkeit ihre grosse Aufgabe erfüllen können. Allerdings beginnt es, – wie schon an anderer Stelle dargelegt wurde – immer unmöglicher zu werden, vom »Manne« oder von der »Frau« im allgemeinen zu sprechen, weil die Individualisierung jedes Geschlecht immer verschiedener in sich macht, während die Entwicklung die beiden Geschlechter einander immer mehr nähert. Dutzendfrauen wie Dutzendmänner haben mehr Verstand als Gefühl. Aber wo bei dem Manne Empfindungsfähigkeit vorhanden ist, ist sie heftiger und vorübergehender, bei der Frau hingegen inniger und werktätiger. Die Mehrzahl der Männer wie der Frauen denken selten. Aber wenn Mann und Frau denken, dann ist der Weg des Mannes in der Regel der der Deduktion und Analyse, der Weg der Frau der der Intuition und Synthese. Sie vereint Instinkt und Reflexion, so wie sie beim Dichter vereint sind. Beider Denken bildet nur in dem Sinne eine zusammenhängende Lichtlinie, wie eine perspektivisch gesehene Laternenreihe es tut. Ihre Handlungen haben – wie seine Gedichte – die unbewusste Zielbewusstheit der Eingebung.
Diese allgemeinen Kennzeichen sind freilich in vielen einzelnen Fällen aufgehoben. Es ist z. B. Tatsache, dass die strahlendsten Erscheinungen der christlichen Barmherzigkeit Männer waren. Dies hindert doch nicht, das bei den Frauen »the milk of human kindness« reicher fliesst als bei den meisten Männern.
Diese Überlegenheit ist die natürliche Folge der Mütterlichkeit, die sich im Frauengeschlecht allmählich zu einem unmittelbaren Gefühl für alles Schwache und Hilfsbedürftige, alles Keimende und Werdende entwickelt hat.
Aber daraus geht hervor, dass die Frau, wenn sie durch ihre Teilnahme am öffentlichen Leben eine grosse neue, zukunftsteigernde Kraft werden soll, nicht allein nichts von der Macht des Mitgefühls, die sie schon hat, verlieren darf, sondern dass sie sie im Gegenteil vertiefen und erweitern muss. Mütterlichkeit ist nicht bei allen zu finden, die schon Mütter sind, und wir sind ja in der wunderlichen Lage, dass – während der Mann einzusehen beginnt, wie sehr die Gesellschaft die Mütterlichkeit braucht – eine Anzahl Frauen nicht mehr Mütter sein wollen, weil ihre persönliche Entwicklung und ihre bürgerlichen Aufgaben dadurch gehemmt werden. Nichts ist unumgänglicher, als dass die Frau für ihre neue Gesellschaftsaufgabe intellektuell vorgebildet wird. Aber verliert sie dabei ihre weibliche Eigenart, dann tritt sie an die Gesellschaftsaufgabe heran, wie ein Landmann mit vervollkommneten Ackergerätschaften, aber – ohne Aussaat!
Bei aller privaten Tätigkeit ist die Individualität die vornehmste Aussaat, während auf dem Arbeitsfelde der Gesellschaft hingegen die Frauen auf lange hinaus durch ihre allgemein-weibliche Eigenart am meisten bedeuten dürften. Leider ist es nämlich im öffentlichen Leben oft noch so, dass die Individualität ein Hemmnis für die gemeinsame Arbeit bildet, die sich da eher durch Parteigemeinsamkeit der Interessen und Ansichten vollzieht, als durch das Zusammenwirken von Verschiedenheiten. Nur in seltenen Fällen hat ein »Wilder« die Möglichkeit, in die Beschlüsse einzugreifen. Weniger als einzelne Persönlichkeit, eher als ein neues, starkes Prinzip, als ein grosser Einsatz eines bisher ungebrauchten Wertes, dürfte die Frau bis auf weiteres die Gesellschaft beeinflussen können. Gewiss werden einzelne Frauen – durch geistige Überlegenheit, intellektuelle Entwicklung, Willensstärke und Arbeitskraft – zur Lösung der Gesellschaftsaufgaben viel von allgemeinmenschlichem Werte beitragen. Aber im letzten Grunde muss man doch auf den Artunterschied zwischen Mannes- und Frauenwesen die Hoffnung gründen, dass die Teilnahme der Frauen an der Gesellschaftsarbeit eine tiefgehende Wirkung hervorrufen werde.
Wenn die Frauen – mit einem atavistischen Rückfall in die alten Kochbuchvorschriften, »nach Geschmack zu nehmen« – das zu können glauben, was die ganze Summe von männlichem Mut, Genie, Begeisterung, Opferwilligkeit und Idealismus bisher nicht vermocht hat; wenn sie bei jeder Meinungsverschiedenheit über Mannes- und Frauenwesen dem Manne auch alle weiblichen Fehler beilegen, aber für sich den Anspruch auf alle männlichen Verdienste erheben, dann überzeugt uns dies nur von – der Entbehrlichkeit der Frau, bis sie bescheidener wird.
Es wäre jedoch um das Recht der Frau, am öffentlichen Leben teilzunehmen, schlecht bestellt, wenn sie ihm nicht etwas wirklich Unentbehrliches, Neues, Eigenartiges zuführen könnte.
Dieses Neue ist nicht ihr Idealismus und Enthusiasmus, wie schön und leicht er auch aufflammen mag, weil die Frau um so viel entzündlicher ist als der Mann, um so viel eifriger, ihre Begeisterung in Tat umzusetzen.
Denn bedeutungsvoll wird nur der Enthusiast und Idealist, der die Flamme seiner Begeisterung in seiner blossen Hand tragen kann, sie tragen kann trotz Brandwunden, sie brennend erhalten trotz Windstössen und so Schritt für Schritt sich dem Ideale nähern kann. Aber solche Enthusiasten und Idealisten – weibliche oder männliche – sind selten, viel seltener als Genies. Sie sind des Lebens Wein und des Lebens Salz. Doch das tägliche Brot auf dem Tische der Gesellschaft können nur die Werte sein, die die Mehrzahl aufzuweisen vermag.
Sehen wir nun die Mehrzahl an, so dürfte bei den Männern das Gerechtigkeitsgefühl, bei den Frauen das Zärtlichkeitsgefühl der grösste Wert sein. Dies bedeutet nicht, dass Männer nicht unerhörte Ungerechtigkeiten dulden wie begehen, ebenso wie Frauen Grausamkeiten. Aber es bedeutet, dass für das öffentliche Handeln des Mannes – bei Revolten wie Revolutionen – die stärkste Triebfeder das Gerechtigkeitsgefühl ist, während das Zärtlichkeitsgefühl hundert Frauen in Bewegung setzt, wenn die Gerechtigkeitsleidenschaft eine antreibt. Nichts ist gewöhnlicher, als schon von den Lippen des Knaben die Worte zu hören: »Recht ist ihm geschehen;« von denen des Mädchens hingegen: »er tut mir aber doch leid!«
Bisher ist nur das männliche Gefühl für die Gesellschaftsgestaltung entscheidend gewesen. Erst wenn das weibliche den gleichen Spielraum erhält wie das männliche; erst wenn das eine dem Extrem des anderen die Wage halten kann, wenn das seine ihre zu grosse Weichheit, das ihre seine zu grosse Härte ausgleicht, erst dann wird die Gesellschaft wirklich durch Väterlichkeit und Mütterlichkeit den berechtigten Bedürfnissen aller ihrer Kinder gerecht werden können.
Aber verkümmert das weibliche Zärtlichkeitsgefühl – dann stehen wir auf demselben Standpunkte, wie bevor die Frau in das Spiel eintrat. Dann werden wir immer weiter »die Steine rücken«, und es wird uns nicht gelingen, »das Spiel umzuwerfen«.
Es ist einmal dargelegt worden, dass das soziale Hirn sich im Laufe der Zeiten mehr entwickelt hat als das einzelne: dadurch dass man mehr gemeinsam dachte und fühlte, hat sich auch die Fähigkeit gesteigert, Mittel zur Förderung des gemeinsamen Wohls zu finden!
Es ist wahrscheinlich; dass die weiblichen Gehirne ihre Tüchtigkeit vor allem dadurch zeigen werden, dass sie die Mittel finden, die das Leben steigern und bewahren, was für die Frau um so viel bedeutungsvoller ist als für den Mann. Denn jedes Leben hat irgend eine Frau unendlich mehr gekostet als irgend einen Mann; jeder auf der Wahlstatt des Krieges oder der Arbeit Verstümmelte hat einmal irgend eine Frau durch sein Kinderlächeln beglückt, hinterlässt immer irgend eine Frau in Tränen.
Aber um so erfindungsreich zu werden, müssen die Frauen das bleiben, was sie sind: ungestüm in der Stärke ihrer Liebe, rasch vibrierend, sonst können sie die Einseitigkeiten des Mannes in der Kulturarbeit nicht ausgleichen. J. S. Mills Buch von der Hörigkeit der Frau hat keine vortrefflicheren Seiten als jene, wo er die Gabe der Frau hervorhebt, von ihren individuellen Beobachtungen geleitet, intuitiv eine allgemeine Wahrheit zu finden und sie, unbehindert von allem Theoretisieren, unbedenklich und klarblickend, in einem bestimmten vorliegenden Falle anzuwenden. Die Frau hält sich, meint er, an das Wirkliche, wenn der Mann sich in Abstraktionen verliert; sie sieht, was ein Beschluss in dem einzelnen Falle bedeuten wird, während er diesen Blick über den allgemeinen Wahrheiten verliert, welche er aus der Wirklichkeit abstrahiert hat, die er in die Abstraktion hineinzwingen will. Diese Eigenschaften der Frau machen sie im guten Sinne rücksichtsloser, rascher, unmittelbarer in ihrem Handeln, während ihr gleichzeitig ihr innigeres oder leidenschaftlicheres Gefühl Mühen, Enttäuschungen und Leiden gegenüber mehr Ausdauer und Geduld verleiht.
Und dieser Meinung Mills entspricht die Ibsens, dessen Grundanschauung von der Frau gerade die ist, dass sie an Selbstbehauptung und Rücksichtslosigkeit stärker wird, sobald es sich um die Werte der Persönlichkeit handelt, aber auch hingebender und opferwilliger auf dem persönlichen Gebiete. Er sieht sie weniger gehemmt von religiösen und sozialen Dogmen, aber von grösserer Frömmigkeit und tieferem Gemeingefühl erfüllt, als der Mann es ist; er sieht bei ihr mehr Einheit zwischen Denken und Handeln, mehr Spontaneität im Handeln, ein sichereres Erfassen des Daseins, mehr Mut es zu leben. Mit einem Worte: er meint, dass die Frau öfter etwas ist, weil sie nicht gestrebt hat, etwas zu werden; dass sie häufiger Wunder zu wirken vermag, weil sie sich nicht mit dem Möglichen begnügen kann.
Anmerkung: Man sehe »Der Torpedo unter der Arche« in »Die Wenigen und die Vielen«.
Nicht vollkommner also, aber – zum Glück für die Fülle des Lebens – anders wurde die Frau, schon als das Leben die Naturfunktion der Mutter und des Vaters verschieden gestaltete; sie zu ungleich gearteten Wesen machte, keines über-, keines untergeordnet, nur unvergleichbar. Diese Differenzierung muss fortbestehen – nicht zum wenigsten in der Politik. Denn sonst würden die Stimmen der Frauen nur die Stimmenzahl verdoppeln, nicht die Beschlüsse ändern; und ihre Beteiligung an der Politik würde ihre kostbaren Kräfte nur vergeuden.
Auch im öffentlichen Leben muss die Frau also den Wunderglauben ihrer Liebe bewahren, ihren Mut zur scheinbaren Unvernunft, diesen Mut, der schon in den Sagen und Märchen der Völker die schönsten Sinnbilder gefunden hat. Was das Privatleben sie gelehrt hat, muss sie nun das öffentliche Leben lehren!
Die Aufgabe ist die denkbar schwerste. Denn es gilt hier, die raschaufflammende Empörung oder Begeisterung des Gefühls zu bewahren, aber befreit von Willkür und Ungerechtigkeit. Es gilt, auf das schlafwandlerisch sichere Pfadfinden des Gefühls zu vertrauen, aber sich gegen die Gefahren der Dummdreistigkeit zu panzern. Es gilt, seinem Gefühle die Beweglichkeit zu lassen, aber es von dem Zusammenhange mit Launen und Unzuverlässigkeit zu lösen. Es gilt, den Blick für das Einzelne zu behalten, aber ihn doch zum Ganzen erheben zu können!
Um all dies zu vermögen, muss die Frau willig sein, vom Manne da zu lernen, wo er seine Stärke hat, ohne sich durch den männlichen Hohn über weibliche Schwächen, durch die männlichen Ansprüche an Überlegenheit verleiten zu lassen, jene Art Stärke anzustreben, die nicht die ihre sein kann. Denn so könnte sie nur jene Stärke einbüssen, die sie sich zu eigen gemacht hat.