Wir leben in einer Neugestaltungszeit der Seelen von historischer Bedeutung. Jeder Mensch, der selbst eine Seele hat, wird immer mehr von der Empfindung der geheimnisvollen Wirkungen der Wahlverwandtschaft durchdrungen; von sympathischen und antipathischen Einflüssen, von unterbewussten Mächten, vor allem auf dem erotischen Gebiete, Empfindungen, denen als einer der ersten Ola Hansson – aus der schwedischen Provinz Schoonen, wo verfeinerte Sensibilität der Charakterzug der Kunst ist – in »Sensitiva Amorosa« Ausdruck gab. Die Empfindungen des Erotisch-Dämonischen sind nicht neu. Aber sie wurden früher in ebenso hohem Grade verletzt, wie sie jetzt beachtet, ja zuweilen sogar gezüchtet werden. Diese erlesene Sensibilität, diese vibrierenden Nerven, diese wechselnden Stimmungen, diese Reizsamkeit der Empfindungen haben die Frau – und der Mann – von heute als ihre Überlegenheit, ihre kulturelle Errungenschaft vor jeder anderen Generation voraus. Aber der neue Reichtum bringt auch zahllose neue Konflikte mit sich. Die Sinne gehen ihre eigenen Wege und werden da angezogen, wo die Seele fremd bleibt, oder abgestossen, obgleich das Herz von Zärtlichkeit erfüllt ist. Bevor nicht die Physiologie und Psychologie des Ekels verstanden ist, haben wir es in der Lösung der erotischen Probleme noch nicht weit gebracht. Jeden Tag – und jede Nacht – sind seine unzähligen bewussten und unbewussten Einflüsse tätig und verwandeln die Gefühle von Ehegatten und Liebenden. Und obgleich unsere Zeit sich dessen immer mehr bewusst wird, versteht sie es weder dem gefährlichen Einfluss der bedeutungsvollen Unbedeutendheiten des Zusammenlebens entgegenzuarbeiten, noch ihren günstigen Einfluss zu steigern.
Nur die erotisch genialsten Frauen haben jene Feinfühligkeit erreicht, die es ihnen unmöglich macht, in der Liebe irgend etwas ohne die Empfindung zu geben und zu empfangen, die eine von Charlotte Brontës Frauen mit den Worten ausdrückt: you fit me into the finest fibre of my being.
Alle entwickelten modernen Frauen wollen nicht »en mâle mais en artiste« geliebt werden. Nur ein Mann, von dem sie fühlt, dass er auch die Freude des Künstlers an ihr hat und der ihr diese Freude durch zaghafte feine Berührungen ihrer Seele wie ihres Körpers zeigt, kann die Liebe der Frau von heute bewahren. Sie will nur einem Manne angehören, der sich immer nach ihr sehnt, selbst wenn er sie in seine Arme schliesst. Und wenn eine solche Frau ausbricht: »Du begehrst mich, aber du kannst nicht liebkosen, nicht lauschen« ... dann ist der Mann gerichtet.
Die Frauenliebe der Gegenwart unterscheidet sich von der älterer Zeiten unter anderem durch die Unermesslichkeit ihrer Ansprüche an ihre eigene Fülle und Vollkommenheit und an eine entsprechende Fülle und Vollkommenheit im Gefühl des Mannes.
Aber unsere Seele ist zwar häufig tiefer, zuweilen aber auch seichter als unser bewusstes Sein und Wollen. Darum kann es geschehen, dass die neue Liebe in ihrer ganzen Stärke in einer ihrer eigenen Liebesgrösse unbewussten Frau lebt, während hingegen einer anderen, die diese Liebe mit ihrem ganzen Willen wünscht, vielleicht die Tiefe des Gefühls, die Wahlsicherheit des Instinkts fehlt.
Die Frauen von heute lernen alles und dringen zu vielem vor, auch zu den feinsten Gedanken über die Liebe. Aber ob die in die ars amandi so eingeweihten Frauen der Gegenwart wohl auch gelernt haben, mit ganzer Seele, mit all ihren Kräften und ihrem ganzen Sinn zu – lieben? Ihre Mütter und Grossmütter hatten – auf einer viel niedrigeren Stufe des bewussten erotischen Idealismus – nur ein Ziel vor Augen: ihren Mann glücklich zu machen. Das bedeutete damals, dass die Gattin alles ertragen und nichts fordern sollte; unermüdlich dem Lebensziele des Mannes dienen, auch wenn sie es nicht verstand, und dankbar die Brosamen seiner Persönlichkeit aufnehmen sollte, die ihr von der Tafel zufielen, an die seine Freunde zum Fest geladen waren. Aber welche rege Zärtlichkeit, welche würdige Anmut, welche schöne Freude wussten nicht die feinsten dieser geistig unbeachteten Frauen zu entfalten!
Der neue Mann träumt von dem neuen Weibe so wie sie von dem neuen Manne. Aber wenn sie einander wirklich finden, ist die Folge oft die, dass zwei entwickelte Gehirne zusammen die Liebe analysieren oder zwei abgebrauchte Nervensysteme mit einander einen zerfasernden Kampf um die Liebe auskämpfen. Das Ganze endet gewöhnlich so, dass jedes von ihnen bei irgend einer zurückgebliebenen Verkörperung des alten Adam und der ewigen Eva Ruhe sucht. Aber mit schlechtem Gewissen. Denn sie glauben sich noch immer für das neue Erlebnis bestimmt, obgleich ihre Liebesmöglichkeit klein war und nur ihre Liebesgedanken gross.
Erst wenn der Mairegen der neuen Gedanken reich genug geströmt ist, um durch die Wurzel als Saft in den Lebensbaum zu steigen, wird ein grösseres Glück aus der neuen Liebe erwachsen, die keine Schuld daran trägt, dass die Menschen sie grösser geträumt haben, als sie bis auf weiteres selbst sind.
Der Individualismus hat die Liebe vertieft und zugleich erschwert. Er hat ein gesteigertes Bewusstsein unserer eigenen Wesensart, unserer eigenen Stimmungen erweckt; er hat neue Seelenzustände geschaffen und – wie oben bemerkt wurde – unzählige ehedem schlummernde Lust- und Unlustgefühle in Schwingung gebracht. Aber die persönlich reizbare Empfindlichkeit hat sich noch nicht zu einer entsprechenden Feinfühligkeit für das ebenso empfindlich gewordene Seelenleben der anderen entwickelt. Die Fähigkeit, zu geben und zu opfern ist nicht ebenso rasch gewachsen wie die, zu nehmen und zu fordern. Von dem doppelten Herzschlag der Liebe – sein Selbst zu finden und sich selbst in einem anderen zu vergessen – ist nun der erstere dem letzteren bedenklich voraus. Erst wenn die in Selbstentdeckungen versunkenen Frauen ihren persönlich errungenen Lebensinhalt, ihre individuelle Mannigfaltigkeit, ihr eigenartiges Seelenleben mit der sonnigen, gesunden Ruhe, der opferfreudigen Hingebung älterer Zeiten vereinigen werden, werden sie durch ihre neue Entwicklung mächtiger sein als die Frauen dieser Zeiten. Es ist ein Zeichen der Gesundheit, dass Männer und Frauen ihre Erfahrungen und Gedanken über diese Fragen mit einer Offenheit austauschen, wie nie zuvor; dass sie sich viel weniger verstellen, bevor sie verheiratet sind, so wie die Frauen auch aufgehört haben es zu tun, nachdem sie sich verheiratet haben. Es gab eine heldenmütige Verstellung, für die Mrs. Carlyle das typische Beispiel geworden ist, aber an und für sich war sie doch ein Diebstahl an der ethischen Entwicklung des Mannes. Immerhin wünscht man oft, dass die jungen Gattinnen der Neuzeit mehr von der altmodischen Gabe hätten, glückslächelnd den Wünschen des Geliebten entgegenzukommen, nicht nur an ihren eigenen festzuhalten! Die moderne Frau will nicht um des augenblicklichen Friedens willen irgend etwas scheinen. Und sie hat recht, wenn es sich um etwas Wesentliches im Denken und im Geschmack, im Fühlen und im Wollen handelt; sie hat doppelt recht, wenn sie sagt, dass all die Lüge und List, die das eheliche »Glück« von den Gattinnen früherer Zeiten verlangte, Mann und Frau erniedrigte; und dass, was man so gewann, kein wirklicher Gewinn war. Nichts ist gewisser, als dass die Seelen, die volle Offenheit trennen würde, niemals zusammengehörten; dass die vertrauensvolle Sicherheit das Zeichen der wirklichen Zusammengehörigkeit ist. Nichts ist weiser als der Wille der heutigen Frau, das Leben mit eigenen Augen zu sehen, nicht – wie die Frauen früherer Zeiten – nur mit denen des Mannes. Aber hat sie auch selbst das Vermögen bewahrt, alles mit dem Gedanken zu sehen, was wohl die Augen des Geliebten darin finden würden?
Die Antwort auf diese Gewissensfragen entscheidet darüber, ob die neue Frau wirklich die Entwicklung der Liebe in die Richtung leiten wird, der ihr Wille zustrebt. Denn nur dadurch, dass sie selbst besser liebt, wird sie allmählich die Leidenschaft des Mannes vermenschlichen und sie von der blinden Gewalt des Blutes befreien, die das Spiel des Auerhahns und die Brunst des Hirsches zu tierisch schönen Schauspielen, die Liebe des Menschen hingegen tierisch macht. Die, welche glauben, dass die gesunde Stärke der Natur dadurch geschwächt werden wird, sprechen ebenso töricht, wie jemand, der beweisen wollte, dass der künstlerische Trieb im Balzen des Auerhahns gesünder und stärker sei als der, welcher Beethovens Symphonien geschaffen hat!
Aber es ist nicht genug damit, dass die Frau die Führung übernimmt und das Ziel festsetzt. Sie muss selbst für die Aufgabe entwickelt werden, und zwar nicht nur in der oben erwähnten Richtung. Ihre Seele ist noch kein sicherer Führer für ihre Sinne, und ihre Sinne nicht für ihre Seele. Umsoweniger kann sie dann eine sichere Führerin für die Seele oder die Sinne des Mannes sein, die sie ausserdem oft nicht versteht und darum ohne Zaudern verurteilt – für die Sünden verurteilt, zu denen sie nicht selten selbst verleitet hat!
Die neuen Frauen verlangen vom Manne Reinheit. Aber ob sie wohl ahnen, wie ihre Behandlung des schüchternen, unsicheren Jünglings einerseits und des erfahrenen, sicheren Eroberertypus andrerseits auf den ersteren wirkt, der vielleicht um seine erotische Reinheit kämpft, in der Hoffnung, dass der Lohn des Sieges das Glückslächeln eines Weibes sein wird, der aber sieht, wie dieses Weib ihn selbst mit hochfahrendem Mitleid behandelt, während es hingegen bewundernd die Flecken des Leoparden betrachtet? Ob wohl alle jungen Frauen, die ihren Abscheu vor der Unreinheit der geschlechtlichen Gewohnheiten des Mannes aussprechen, selbst nur von sanfter edler Freude am Gefallen geleitet sind? Ob sie sich niemals die verächtlichste aller Falschspielereien erlauben: die der Liebe?
Solange »reine« Frauen ihre Lust an dem grausamen Spiele der Katzen haben; so lange sie mit den geschmeidigen »Stimmungsvarianten« der Serpentintänzerin der Verantwortung für ihren Flirt entgleiten; solange sie in den Stiergefechten der Eifersucht eine Huldigung geniessen, so lange schüren sie das Höllengebräu, um das dann die Männer mit der fledermausbeflügelten Schar der Nacht ihren Hexensabbath feiern.
Es gibt mehr Männer, die von »reinen«, als von »unreinen« Frauen verführt sind.
Und dabei sind nicht einmal die im wahren Sinne des Wortes reinen Frauen ohne Schuld. Die Frau – für die die Liebe in so viel tieferer Weise als für den Mann das Leben gilt – empfindet in der Nähe der Liebe jene Schauer, die einen Sonnenaufgang begleiten, den man wachend erwartet hat. Ihre physisch-psychische Scheu nimmt abwechselnd die dem liebenden Manne unbegreiflichen Ausdrucksformen des stummen Entweichens, des jähen Stimmungswechsels, des leeren Mädchenkicherns, des düsteren Missverstehens an.
Anmerkung: In »Stille Tiefen« und anderen Arbeiten hat Anna Roos und in der Novelle »A quarante ans« Hilma Angered-Strandberg diese Eigenart der Frau behandelt, die von grosser Bedeutung für die Evolution der Liebe wie der Menschheit ist und darum nicht bekämpft, sondern nur entwickelt werden soll. Solange die Frau sich ohne Unterscheidung gab, war die Auswahl der Liebe noch ohne Bedeutung. Erst nachdem die Schamhaftigkeit entstanden war, war diese Auswahl möglich und gereichte der Gattung zum Vorteil. Denn wenn die Schamhaftigkeit schliesslich von der starken Anziehung besiegt wird, die ein bestimmter Mann ausübt, kommt dies oft daher, dass der Liebesinstinkt des Weibes bei ihm eine für das Menschengeschlecht wertvolle Eigenschaft gefunden hat.
Und all das Widerspruchsvolle – nicht das Rätselvolle – beim Weibe entzündet die Unruhe im Blute des Mannes.
Von den sogenannten Frauenhassern kann die Frau am meisten über die Natur des Mannes lernen. Denn der Frauenhasser ist immer ein Mann, der in ausgesprochen männlicher Weise das Weib geliebt hat und in den Ausbrüchen seiner Enttäuschung die innersten Wünsche der Männer verrät. Unsere Zeit hat zwei solche grosse Verzögerer der Entwicklung der Liebe nach der Richtung, in die die moderne Frau sie leiten will.
Der eine ist Strindberg.
Während Männer, die in den achtziger Jahren zwischen zwanzig und dreissig waren, oft von der Bedeutung sprechen, die er damals für sie hatte, hört man niemals irgend eine Frau das gleiche sagen. Die Ursache dürfte darin liegen, dass Strindbergs jugendliche Frauenanbetung nicht seelenvoll genug war, die Frauen zu rühren; dass seine »Ehestands«-Erotik niedrig war und seine Strafgerichte in der Periode des »Frauenhasses« ihre Gewissen unberührt liessen. Denn die Frauen wissen, dass der Dichter aus dem Begriffe »Das Weib« selbst das Marterrad geschaffen hat, an das er durch eine reine Sehnsucht nach Liebesglück gebunden war, aber das von der Ohnmacht getrieben wurde, selbst – in tieferem Sinne – zu lieben, das heisst, sein Ich in einem anderen Wesen zu vergessen. Nicht mit dem Klarblick der Zärtlichkeit und des Verständnisses, sondern mit der Blindheit der Leidenschaft und des Misstrauens hat er die Frauennatur geschildert. Und darum hat er von diesem Mysterium weder Offenbarungen empfangen noch gegeben. Die Frauen betrachten die von Strindbergs Frauenhass inspirierten Gestalten – und diese sind seine originellsten – wie Böcklins Meerfrauen: mit Bewunderung für die Stärke der Phantasie, die sie geschaffen, aber ohne Gefühl der Zusammengehörigkeit mit ihrem Wesen. Aber in dem Masse, in dem eine Frau das ist, was zu sein ihr Strindberg die Möglichkeit abgesprochen hat: eine Denkende, die ein gewaltiges Genie bewundern, und eine Fühlende, die von einem tragischen Schicksal gerührt werden kann, wird sie sich nicht abschrecken lassen, bei Strindberg das zu lernen, was er sie lehren kann, nämlich was die einseitige Männlichkeit von den Frauen verlangt. Und trotz des Strindbergschen Unverständnisses all des Tiefsten, was die heutige Frau von sich selbst, vom Manne, von der Liebe will, liegt doch etwas Berechtigtes in manchen seiner ausschliesslich und altmodisch männlichen Forderungen, das die moderne Frau nicht übersehen sollte.
Der zweite grosse »Frauenschmäher« der Zeit ist Nietzsche. Und doch hat kein Mann grössere Worte von der Mutterschaft gesagt als er, der prophezeit, dass die Frau als Mutter die Welt erlösen wird. Kein Zeitgenosse hat stärker die Bedeutung der Schönheit und Gesundheit der Ehe für die Steigerung des Menschengeschlechts betont. Kein Dichter hat reichere Worte über das Wesen der grossen Liebe gesagt. Aber keiner hat den neuen Willen des Weibes zu eben dieser Liebe weniger verstanden. Kein Seelenforscher der neueren Zeit hat tiefere Entdeckungen in der Menschennatur gemacht, aber für keinen hat »Mensch« einseitiger »Mann« bedeutet. Diesen meint Nietzsche immer, wenn er den Menschen eine Einheit aus mehreren Seelen, ein Geheimnis für sich selbst nennt; wenn er von der Spannung der ungeahnten Offenbarungen spricht, die wir erwarten können, wir, die wir täglich erfahren, dass jeder sich selber »der Fernste« ist. Das Weib ist für ihn das Fertige, Einfache. Das Naturgebundene, das Allgemeinweibliche in ihr ist das Wertvolle; das Zusammengesetzte, das Sondergeprägte hingegen das Naturwidrige. Nicht in den harten Worten, die Nietzsche über gewisse Frauen sagt, liegt seine Ungerechtigkeit, sondern darin, dass er die Natur des Weibes als eine flache Ebene sieht, während er die des Mannes in Höhen und Täler, in Tiefen und Untiefen scheidet. Und doch ist der Unterschied zwischen einer »grande amoureuse« und dem Nachtfalter, zwischen dem Muttermenschen und dem Mutterweibchen grösser als zwischen einer männlichen Herren- und einer Sklavenseele! Seine Einteilung der Frauen in Katzen, Kühe und Affen gibt den Möglichkeiten der Frau einen ebenso engen Rahmen, wie eine Einteilung der Männer in Füchse, Büffel und Pfauen deren Geschlechte geben würde. Da fehlten nicht nur Nietzsches eigene Tiere, der Adler und die Schlange, sondern auch andere Arten, vor allem – der Löwe und der Esel! In der Unempfindlichkeit für den weiblichen Persönlichkeitswert auf dem Gebiete der Erotik kann Nietzsche mit Luther verglichen werden, wenn auch dieser mit der Grobheit des Bauern spricht, Nietzsche hingegen mit der beflügelten Anmut des Dichters.
Aber selbst die Frauen – oder besonders die Frauen – verstehen schon, dass die harten Schläge von jenen Flügeln der Sehnsucht gegeben wurden, die sich stets aufschwang und stets zurückgestossen wurde, die Sehnsucht nach der Frau, die er hätte lieben können.
Und wenn die Frauen dies begreifen, können sie auch verzeihen, dass er nicht den ersten Pfeiler der Brücke sah, die zum Übermenschen führt: die stolze starke Überzeugung des befreiten modernen Weibes, dass der Reichtum ihres Menschenwesens, dass ihr ganzer Persönlichkeitswert – und nicht nur die Macht der Hingebung ihres Frauenwesens – die Voraussetzung für die Vervollkommnung der Liebe und der Mütterlichkeit bildet. Und nachdem sie verziehen haben, dürfen sie sich nicht abhalten lassen, bei Nietzsche tiefe Wahrheiten über das ewig Bleibende in der Natur des Weibes als Geschlechtswesens, sowie über seine und des Mannes vom Geschlechtsgefühl bestimmte Sehnsucht nach einander zu erfahren.
Nach der Begegnung mit Nietzsche dürfte es der Frau von heute so ergehen wie Psyche nach der Begegnung mit Pan, als dieser sie ermahnt hatte, sich der Sorge des Suchens zu entschlagen und sich mit leichter errungenen Freuden zu trösten, sie wird erneute Stärke fühlen, das grosse Ziel ihrer Sehnsucht zu erreichen.
Wie Psyche hat die moderne Frau die Unmittelbarkeit und das einfache Glück verloren, weil sie es versucht hat, das Wesen der Liebe zu ergründen. Auch sie wird erst nach langen Leiden in einem höheren Zustand beglückt werden und beglücken.