William Shakespeare über Traum

  • Romeo: Frau Mab, wer ist sie?
    Mercutio: Sie ist der Feenwelt Entbinderin.
    Sie kommt, nicht größer als der Edelstein
    am Zeigefinger eines Aldermanns,
    und führt mit 'nem Gespann von Sonnenstäubchen
    den Schlafenden quer auf der Nase hin.
    Die Speichen sind gemacht aus Spinnenbeinen,
    des Wagens Deck' aus eines Heupferds Flügeln,
    aus feinem Spinnengewebe das Geschirr,
    die Zügel aus des Mondes feuchtem Strahl.
    Aus Heimchenknochen ist der Peitsche Griff,
    die Schnur aus Fasern. Eine kleine Mücke
    im grauen Mantel sitzt als Fuhrmann vorn,
    nicht halb so groß als wie ein kleines Würmchen,
    das in des Mädchens müßigem Finger nistet.
    Die Kutsch' ist eine hohle Haselnuß,
    vom Tischler Eichhorn oder Meister Wurm
    zurechtgemacht, die seit uralten Zeiten
    der Feen Wagner sind. In diesem Staat
    trabt sie dann Nacht für Nacht, befährt das Hirn
    Verliebter, und sie träumen dann von Liebe,
    des Schranzen Knie, der schnell von Reverenzen,
    des Anwalts Finger, der von Sporteln gleich,
    der Schönen Lippen, die von Küssen träumen.
    (Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,
    weil ihren Odem Näscherei verdarb.)
    Bald trabt sie über eines Hofmanns Nase,
    dann wittert er im Traum sich Ämter aus.
    Bald kitzelt sie mit eines Zinshahns Federn
    des Pfarrers Nase, wenn er schlafend liegt:
    Von einer bessern Pfründe träumt ihm dann.
    Bald fährt sie über des Soldaten Nacken:
    Der träumt sofort von Niedersäbeln träumt
    von Breschen, Hinterhalten, Damaszenen,
    von manchem klaftertiefen Ehrentrunk.
    Nun trommelt's ihm ins Ohr. Da fährt er auf
    und flucht in seinem Schreck ein paar Gebete
    und schläft von neuem. Eben diese Mab
    verwirrt der Pferde Mähnen in der Nacht
    und flicht in struppiges Haar die Weichselzöpfe,
    die, wiederum entwirrt, auf Unglück deuten.
    Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
    die auf dem Rücken ruhn, und ihnen lehrt,
    als Weiber einst die Männer zu ertragen.

William Shakespeare

englischer Dichter und Dramatiker

* 23.04.1564 Stratford-upon-Avon (England)
† 23.04.1616 Stratford-upon-Avon (England)

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