Freude

Hast du dich schon einmal so von ganzer Seele, aus aller deiner Kraft und mit all deiner Dankbarkeit gefreut, liebe Seele? Hast du gefühlt, wie es in dir aufjauchzte vor Entzücken, vor Überraschung, vor unsagbarer Seligkeit?

Weißt du wirklich was das ist: Freude?

Oder was noch viel schöner ist: Hast du in deinem Leben schon die Gelegenheit gehabt, Freude zu machen? Weißt du Seele, was das für ein Glück ist, Freude zu machen? Es ist vielleicht das einzige wirkliche, unzerstörbare Glück, das uns auf Erden geschenkt ist, und wir können nicht dankbar genug dafür sein. Wir wissen selbst nicht, welch hohe Gabe es ist, da wir oft nicht im Stande sind, den Grad der Freude zu ermessen, die wir bereitet haben. Meistens macht man mehr Freude als man es gedacht, und tut auch weher als man es gewollt oder gefürchtet hat. Man liest so schwer das wunderbare verschlossene Sphinxbuch: Eine andere Seele! Man steht davor und fragt sich, wie man hineindringen soll und ob man hineindringen darf. Um sichersten und besten dringt man mit einer großen und tiefen Freude hinein, nicht mit einem überwältigenden Geschenk, das vielleicht nicht den Wünschen des andern entspricht, oder ihn sogar peinlich demütigt, weil es unverhältnismäßig ist: aber mit einer ganz kleinen liebevoll erdachten Freude, damit kann man Wunder tun. Eine Dame hatte gehört, daß eine andere in bitterste Not geraten war, und nicht wußte wie sie ihre zahlreiche Familie ernähren sollte, obgleich sie nicht zu stolz war, die geringste Arbeit zu verrichten, von früh bis spät. Sie besuchte sie und fand sie nicht zu Hause, ließ aber ein Veilchensträußchen für sie zurück als Liebesgruß. Die Verarmte freute sich mehr über dieses Freundschaftszeichen als über ein Geschenk, das ihr nur demütigend gewesen wäre, Freude machen ist eine ganz besondere und sehr große Kunst, die nur in des Herzens feinsten Tiefen erblühen und gepflegt werden kann. Denn es ist nicht leicht, es richtig anzufangen und es gelingt nur dann, wenn man sich ganz in die Seele des andern versetzt und sich mit ihm freut, als wäre einem das Geschenk zu teil geworden; manchmal ist ein Wort eine große Freude, manchmal ein Blick, ein Lächeln, ein Winken, ein Händedruck, der aus des Herzens Grunde gekommen ist, und oft unbewußt getröstet und erquickt hat. Man sollte immer dem Instinkt folgen, der uns treibt: denn der Instinkt zeigt uns mit unfehlbarer Sicherheit, wo die Blume wächst, die man pflücken und schenken soll, wo die wunde Stelle in des andern Herzen ist, auf die man Balsam legen kann. Freude ist der Sonnenstrahl, der eine Kammer vergolden kann, und wäre es auch nur für einen Augenblick! Der Augenblick ist doch gewesen und zählt im Leben. Und der die Freude gebracht hat, ist doppelt erfreut, denn Freude machen ist von allen Erdenglückseligkeiten die größte. Sie ist so goldrein, so klar, so erhaben über alle niedrigen Gefühle, daß sie den veredelt, der sie spenden darf, und oft vor seinen eignen Augen besser erscheinen läßt. Denn der Strahl, der aus des andern Auge in das seine fiel, war noch weit wärmer, als der den er gebracht! O Seele! Freude und wieder Freude! das sollte deine Losung sein! Freude und immer Freude!

Laß die Blume nicht stehn, die du dem Freunde bringen wolltest, laß das Wort nicht ungesagt, das ihm Trost spenden sollte, laß die Hand nicht an deiner Seite niederhängen, deren Druck erquicken sollte. Wenn du in ein Zimmer trittst, denk nur gleich, wen du erfreuen sollst, du kommst doch nie umsonst herein, du bist hingeschickt, um irgend etwas zu tun, das sonst ungeschehen bliebe. Sieh dich um und gleich wirst du entdecken, wer es ist, der deiner bedarf, und dem du hast Gutes bringen sollen, und wäre es auch nur ein Morgengruß, da seine Nacht unruhig und bange gewesen, und er es nicht eingestehen will; oder ein Wort, damit er den Klang deiner Stimme hört, den er besonders gern hat. Oft verlangt ein Kranker nur nach dem gewissen Klang einer gewissen Stimme, die er lieb hat, auch wenn der Sinn der Worte ihn nicht erreicht, und ihm wird wohler.

Sei du so warm, daß dein Erscheinen wirkt wie ein Strahl, daß du Freude machst, nur weil du gekommen bist, liebe Seele. Das kannst du sehr wohl durch vollkommenes Selbstvergessen und Selbstentäußerung. Statt einzutreten mit dem Gedanken, daß man dir nicht wohl will, sei du wohlwollend, und du wirst siegen wie die Sonne über den Frost und Winterreif über Nebel und düstere Wolken. Vor deiner unverwüstlichen guten Laune werden dunkle Stirnen sich aufheitern, und ein Lächeln erwachen und ein freundlich Wort zu den Lippen aufsteigen, die vorher mürrisch verschlossen waren. Es gibt Menschen, welche die Gabe haben, überall gute Laune und Freude hinzutragen, wo sie auch immer erscheinen. Man kann sich darauf verlassen, daß das stets ganz altruistische Menschen sind, in die nie ein Hauch von Selbstsucht hat eindringen können, weil einfach kein Platz dafür da ist, weil sie von den andern erfüllt sind, und von dem, was diese bedürfen, daß sie nicht Zeit haben an ihr eignes Ungemach zu denken.

Es gibt Menschen, ohne welche es gar keinen rechten Spaß gibt, weil ihre gute Laune auch dem scheinbaren Ungemach die heitere Seite abgewinnt, und den andern weismacht, es sei alles herrlich, und prachtvoll, wenn es auch noch so bescheiden ist.

Man kann einem Menschen bei der wenigstguten Mahlzeit Appetit machen, indem man ihm vorspiegelt, das Essen sei sehr gut, oder mit so heiterem Scherz über die schlechte Speise hinweghilft, daß der andre satt wird, und nicht weiß wie. Man kann auch dem andern ein lukullisches Mahl ganz verderben, indem man es schlecht findet, und alles daran kritisiert. Die Phantasie, diese liebenswürdigste Gesellschafterin, macht eben alles hell, wo sie einkehrt. Zumal das Essen kann man durch Phantasie gut machen und verderben. Phantasie ist die große Freudenbringerin, sie läßt einen erraten, womit man Freude bereiten kann, sie macht heiter, wo alles dunkel war, sie erfreut, wo kein Grund zur Freude vorhanden ist.

Deswegen kann man nicht dankbar genug sein, wenn einem diese Freudenbringerin in die Wiege gelegt worden ist. Man macht sich selbst das Leben so viel schöner, wenn man es durch seine Phantasie erhellen läßt.

Freude ist der liebste Gast, den man nie verfehlen sollte in die Ehe und an jeden Mittagstisch einzuladen. Freude ist so hell, daß sie eine Leuchtkraft ist, da wo sonst keine andre Leuchtkraft vorhanden ist, oder erschwungen werden kann. Singen bei der Arbeit ist darum so ratsam, weil das Singen froh macht und viele schlimme Gedanken fortjagt. Singen bei Kranken ist so gut wie Arzenei, mit sanfter leiser Stimme ein Lieblingslied, und jeder Kranke wird lächeln! Ist das Lächeln nicht überhaupt eine Himmelsgabe, die Gott seinen Menschenkindern hat zu Teil werden lassen, damit sie wie Engel aussehen sollten? Jedes Gesicht wird schöner durch freundliches Lächeln, aber nicht durch schadenfrohes oder hämisches Lächeln, aber durch das Lächeln, das wie der erste Frühlingsgruß alle Knospen schwellen macht, und das Gefühl gibt, daß Hoffnung und Liebe nicht erstorben sind. Das Harte für Blinde ist, daß sie nie das Lächeln sehen, das man ihnen entgegenbringt, und mit dem man sie so gern erfreuen möchte, wenn man es ihnen nur zeigen könnte. Ein Blinder, der lächelt, ist so rührend wie er es selbst nicht ahnt, ein lächelnder Kranke überhaupt reißt einem das Herz auf und manchmal ab, denn es kann ein Lächeln geben, das herzzerreißender ist als die bitterste Klage und doch so lieblich, daß es unvergessen bleibt, jedem, der es einmal sah! Lächeln ist der Freude Schwester, wenn sie es nicht manchmal selbst ist; denn die Freude lächelt! Deswegen wollen die Völker, die sich Herrscher gegeben haben, ihre Herrscher gern lächeln und immer lächeln sehen, damit sie das Gefühl haben, daß sie dafür da sind, um ihnen Freude zu machen und ihnen alles hell und leicht zu machen, was sie vorher bedrückte. Ein Lächeln sieht schon aus wie ein liebevolles Versprechen. Ein Lächeln sieht aus als könnte und als wollte man helfen. Ein Lächeln kann Finsternis zerstreuen. Wie erhaben kann ein Lächeln sein, auf einem fälschlich angeklagten oder verleumdeten Gesicht, wie ergreifend ein Lächeln, wenn die Not so groß scheint, daß der arme Mensch unter ihrer Last zusammensinken müßte, wenn sein Lächeln nicht stärker wäre, als die Not und ihr scheußlich grinsendes Totengesicht. Seele! wenn du nur immer wüßtest, was du fortlächeln kannst, wie würdest du alles dran setzen um deinem Gesichte die Freundlichkeit abzugewinnen, die so wohl tun würde! Es ist nicht so schwer als du es wähnst. Du kannst lächeln, liebe Seele, du kannst es wirklich! Es haben Menschen auf dem Scheiterhaufen gelächelt und auf der Folterbank gestrahlt! Es haben Sterbende so gelächelt, daß ihr Tod wie eine Apotheose ausgesehen hat. Du kannst es ganz gut, wenn du nur immer vor Augen hast, daß du Freude machen sollst und willst! Freude, liebe Seele! Wie hat sie Schiller besungen und was hat Beethoven für einen ewigen und unvergänglichen Jubelhymnus daraus gemacht!

Diese schwergeprüften Sänger wußten, was Freude bedeutet, sie wußten, daß ein Freudenstrahl für Ewigkeiten von Pein trösten kann, und in den Himmel erheben.

O Seele! Nur ein wenig Kraft, ein ganz klein wenig Selbstüberwindung und du wirst reich belohnt sein! Du wirst sogar erstaunen wie Feindschaft verstummt und sich nicht mehr regen kann, dort, dahin du Freude getragen hast! Dein Lächeln hat den Groll zu nichte gemacht. Statt selbst zu grollen, heiter blicken, liebevoll heiter, und siehe: der Feind weiß gar nicht mehr, wo sein Haß hingekommen ist! Er ist auf einmal wie weggeblasen.

Und daß du schenken darfst, Seele, das ist ein so erhabenes Glück, daß man sich nur wundern muß, wie du es übers Herz bringen kannst, nicht alles wegzuschenken, was du besitzest, nur um das Glück zu genießen, Freude machen zu können!

Schenken ist ja die allerherrlichste Freude, die man haben kann, und der Blick, der aus frohen Augen einem entgegenleuchtet ist doch tausendmal mehr wert als jedweder Gegenstand in unserm Besitze. Es gibt nichts, gar nichts, das eines Freudenblickes unwert wäre, oder gar zu kostbar, um einen solchen zu erwecken! Und wenn es deine einzige und ganze Habe ist! Aber Mensch! Du kannst vielleicht nur einmal in deinem Leben einen solchen Blick ernten, und du wolltest dir dieses einzige Erdenglück entgehen lassen?

Conrad Ferdinand Meyer hat eines seiner schönsten Gedichte dem Freudemachen gewidmet. Danach läßt sich garnichts mehr sagen, das erschöpfender wäre.

Man kann nie wissen wie weit eine Freude reicht, die man hat machen wollen, denn sie schlägt Wellen unberechenbar weit.

Ich hatte einer sehr teuern, jetzt eben verstorbenen Freundin, ein Märchen in Versen geschrieben und ihr dasselbe nach Paris geschickt. Sie war so unbeschreiblich glücklich darüber, daß sie in eine Kirche ging, niederkniete und betete: »Lieber Gott: mach daß ich einen andern so erfreuen darf, wie mir es beschert worden.«

Als sie aus der Kirche geben wollte, sah sie nahe der Kirchentüre einen wohlgekleideten fein aussehenden totenbleichen Mann knien. Sie war bereits an ihm vorübergegangen, kehrte aber zu ihm zurück und ihre Scheu überwindend fragte sie: »Sind sie vielleicht krank mein Herr?« »Nein, aber ich habe seit drei Tagen nichts gegessen!«

Ihr Herz jubelte ein Dankgebet. Fünfundzwanzig Jahre nachher brachte sie mir ein Exemplar des Figaro mit nach Bukarest, in welchem ein ergreifender Artikel stand: Die Geschichte eines Goldstückes, in welchem ein nun wohlhabender Fabrik- oder Minenbesitzer in Spanien die Geschichte erzählt und hofft, die Wohltäterin, die ihn gerettet, sei noch am Leben und sein Dank würde die Unbekannte erreichen.

Das war Freudemachen, und das Seltenste vom Seltenen: Die Wellen kamen bis zu mir zurück!

0 liebe Seele! laß dir das Freudemachen nicht entgehen! Du weißt nie wie weit es reicht, und bis wohin es getragen wird! Laß nicht ein hungrig Kind am Bäckerladen und ein armes am Spielsachenladen stehen! mach das brennende Herzchen froh und glücklich! Du wirst dich noch in Jahren über den einzigen stummen Blick aus den beredten Kinderaugen freuen! Es geht sehr tief, und der Lohn ist weit größer als die Gabe!

Freude und noch einmal Freude sei die Losung! Sie ist himmelgeboren, und sie liegt in der Möglichkeit des Ärmsten, der sein Stück Brot teilt, des Hungernden, der noch Hungrige laben kann, und wäre es mit einer am Wege gepflückten Leere oder dem letzten Schluck aus seiner Feldflasche. Man kann immer noch etwas opfern. Zum Freudemachen ist kein Händchen zu klein, kein Beutel zu leer, kein Herz zu trauervoll.

Zum Freudemachen schließe all deine Schleusen auf, liebe Seele, und du wirst dich wundern, wie unermeßlich reich du bist!

Zum Freudemachen gib dich selbst, deine Ruhe, deine Freiheit, deine heiligsten Gedanken, deine reichste Phantasie, zum Freudenmachen ist nichts zu gut, das dein ist!

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