Franz Grillparzer über Scheidung

  • Ruf sie zurück, mit ihr rufst du dein Glück.
    Ein neues Band, es wär' ein neu Beginnen,
    mit ihr nur setzest du dein Leben fort.
    Und wie die Wunde, die, von kluger Hand
    geschlossen, allgemach, verborgen heilt,
    die abgerißnen Fäserchen sich suchen
    und eigne Heilkraft, selbsterzeugte Säfte
    hinüber und herüber Brücken baun,
    bis selbst der Narbe letzte Spur verschwunden,
    so wirst du stehen, ein gesunder Leib,
    in deiner frühern Kraft und deiner Schöne.
    Sag nicht, sie habe Fehler, dies und das.
    Es ist das Weib vom Selbst des Manns ein Teil.
    Und wer hat seinen Arm sich abgehauen,
    weil er ihm nicht gefiel, den Fuß gekürzt,
    weil er zu lang, das Auge ausgebohrt,
    weil braun es war, nicht blau? Ertrag das Leichte,
    damit dir jemand tragen hilft, was schwer!
    Und findest du die Beste des Geschlechts,
    kannst du ihr geben die Erinnerungen,
    die jene mitträgt aus dem Lenz der Tage,
    wo noch das Leben grün, die Wünsche biegsam,
    von einem Schnitt der bittersüßen Neigung
    sich Pfropfreis fügt und Stämmchen hold in eins,
    zu eines Daseins ungeteilten Früchten?
    Das Alter, Herr, ich seh's an meinem Ohm,
    ist weis' und klug, die Jugend aber heilig;
    erhalt sie in der Jugendfreundin dir!

Franz Grillparzer

österreichischer Schriftsteller

* 15.01.1791 Wien (Österreich)
† 21.01.1872 Wien (Österreich)

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