Reinhold Niebuhr über Gleichmut

  • Gott, gib mir die Gelassenheit,
    Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
    den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
    und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

    God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
    Courage to change the things I can,
    And wisdom to know the difference.

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Reinhold Niebuhr

amerikanischer Theologe, Philosoph und Politikwissenschaftler

* 21.06.1892 Wright City (Missouri) (USA)
† 01.06.1971 Stockbridge, Massachusetts (USA)

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Warum nur ärgern wir uns so oft, wenn wir auf Dinge oder Ereignisse stoßen, die wir nicht ändern können? Muss sich denn die Welt ständig um unsere eigenen Wünsche drehen? Mit etwas mehr Gelassenheit unliebsamen Ereignissen gegenüber wäre doch auch für uns der Alltag lebens- und liebenswerter. Doch wo nimmt man diese Gelassenheit nur her, die Reinhold Niebuhr uns dringend anrät?

Seinen nicht leicht umzusetzenden Rat steigert er jedoch noch. Denn er fordert uns weiter dazu auf, Mut zu entwickeln, gewisse Dinge eben doch zu ändern. Dazu sollen wir auch noch die Weisheit entwickeln, alles fein säuberlich zu unterscheiden. Das alles packt er in ein Gebet, eine Ansprache zu Gott. Menschen, die atheistisch sind, könnten eine solche Ansprache an ihre eigene innere höhere Weisheit halten. Auch sie kann als Ansprechpartner geeignet sein um jenes feine Unterscheidungsvermögen zu entwickeln, das dieses Zitat meint.

Gelassenheit braucht Vertrauen ins Sein. Eine Form von Besonnenheit, die das Herz ebenso fordert wie den Verstand. Einen Gleichmut, der zugleich aber auch über einen praktischen, gesunden Realitätssinn verfügt und in der Lage ist, eine Sachlage schnell zu durchschauen. Dann kann man abwägen, ob das eigene Eingreifen Sinn macht und man die Situation durch eigene Kraft verändern kann oder man zu der Tugend der Gelassenheit greifen und akzeptieren kann, das so manches im Leben nicht optimal läuft – aber letztlich damit doch zumeist auch nichts Wesentliches verloren geht.

Niebuhrs Gebet kann zu einer stillen Meditation voller Kraft werden. Es wird eine Macht beschworen, die helfen soll, den idealen Weg zwischen den Möglichkeiten zu finden. Jeder Mensch, ob gläubig oder nicht, ist von solchen guten Mächten im Leben begleitet. Solche Worte, wie sie uns Niebuhr schenkt, können leise oder laut gesprochen sein.

Entscheidend dabei ist, ob sie auch intensiv in solchen Momenten gedacht und durchfühlt werden. Denn dadurch erst entwickelt sich die neue Kraft für die wahren Fähigkeiten, die in uns allen schlummern.

Unsere Probleme mit der Umsetzung

Die Leistung einer neu erworbenen Gelassenheit kann dann sowohl in der schöpferischen Veränderung einer Sache oder Situation liegen wie aber auch in der stillen Hingabe und Akzeptanz. Wir üben uns damit auch im gefassten Hinnehmenkönnen. Eine solche innere Bitte, mit tiefem Ernst in sich bewegt, führt zur richtigen Haltung und zum guten Tun, das uns Gelassenheit und Mut zur Veränderung zum Geschenk macht. Belohnt werden wir mit dem Gefühl der inneren Sicherheit und der Gewissheit, das Beste, das wir hatten, in solchen Augenblicken auch zum Einsatz gebracht zu haben. Mit dem Ergebnis kann man dann so oder so auch gut leben.

Aber Hand aufs Herz: Warum fällt es den meisten von uns denn so schwer, diese scheinbar einfache Gelassenheitsübung in unser Leben zu integrieren? Fast scheint es so, als seien wir alle von einem Unruhe-Virus gepackt, der uns nur in der Theorie unserer Vernunft ein tiefes Ja dazu sagen lässt.

Geht es dann aber an die Umsetzung, so fallen uns allen tausend Gründe ein, warum wir eben gerade jetzt nicht gelassen sein können. Oder wollen wir es am Ende gar nicht, weil unsere Emotionen nach ganz anderen Taten rufen? Zum Beispiel der des Abreagierens.

Hat man sich gerade tüchtig geärgert, so ist es einfach schwierig, immerzu gelassen zu reagieren. Selbst dann, wenn die innere Stimme der Vernunft dazu rät. So manches menschliche Temperament will lieber zurückballern, will sich rächen oder doch zumindest verteidigen, wenn ein Angriff spürbar wurde. Dann aber ruhig und still zu sein und über den Dingen zu stehen, überfordert uns zumeist.

Es ist also nicht unbedingt die Einsicht, die uns fehlt, sondern es ist vor allem wohl unser Nervensystem, das im Stress des Alltags häufig zur nervösen Unruhe neigt. In solchen Momenten werden oft entscheidende Fehler gemacht.

Jetzt wäre es an der Zeit, die Gelassenheitsübung vom mentalen Bereich auch auf die Handlungsebene zu übertragen. Das braucht Disziplin und vor allem eine wissende Souveränität um das richtige Tun.

Wir brauchen dafür blitzschnelle Überblicke, warum die Gelassenheit nicht nur uns selbst, sondern auch der Sache dient. Schnelldenker sind hier im Vorteil. Oder auch jene, die ein gutes intuitives Gespür für das Richtige haben.

Gründe für unser Versagen

Warum uns das nicht immer gelingt, ist im Grunde in Niebuhrs Zeilen aufgeführt: Wir denken häufig, dass wir bestimmte Dinge eben doch ändern können, wenn wir uns jetzt nur tüchtig durchsetzen.

Ob diese gewünschte Änderung möglich oder unmöglich ist, ob sie ein Hirngespinst oder ein frommer Wunsch ist, zeigt sich erst dann, wenn sie probiert wurde. Und das bedeutet: Ade, Gelassenheit! Hier ist nun das Experiment des Tuns gefragt. Denn der Überblick, ob wir besser etwas sein oder lassen sollten, fehlt uns noch mangels Versuch.

Doch ist Gelassenheit tatsächlich auch immer richtig? Geht es bei einer Reihe von Menschen in Sachen Versuch und Irrtum gar nicht immer um die Sache, sondern auch darum, ob zum Beispiel Mut gefragt ist, der sich an einer Sache zeigen muss? Hier kommen nun gleich viele Schicksalsfragen ins Spiel, die die Sache mit der Gelassenheit von einer ganz anderen Seite betrachten lässt. Wir wissen doch, dass vieles auch anders ist als es scheint.

Manches hat gleich mehrere Ebenen, die sich auf den ersten Blick absolut widersprechen können. Und was dann? Was, wenn es darum geht, neue Grenzen zu überwinden, neue Dinge zu finden, neue Charakterfelder in der eigenen Persönlichkeit auszutesten? Was, wenn es darum geht, dass ein Mensch lernen muss, sich zu wehren? Wie sollte er das machen, wenn er immer nur in der Gelassenheitsübung ist?

Betrachtet man das von mehreren Seiten, so ist festzustellen, dass es sowohl klug und weise sein kann, aber in anderen Fällen auch durchaus suboptimal. Entscheidend ist es, worum es prioritär eigentlich tatsächlich geht. Und der innere Friede ist für jemanden, der erst durch die Niederungen des Konfliktes noch zu gehen hat, bevor er sich zur wahren Souveränität entwickelt hat, nicht von Anfang an der einzig richtige Weg. Er würde sich damit um seine eigene Entwicklung betrügen. Der innere Friede steht meist am Ende einer langen Entwicklung. Und nicht wenige Menschen, die im Grunde ihres Herzens sehr ängstlich, gar feige sind, schieben Gelassenheit auch vor und missbrauchen sie damit und sich selbst, weil sie nicht wirklich echt ist.

Gewiss ist es aber auch eine Frage von Charakter und Temperament, wenn es ums Tun und Lassen geht. Workaholics und Menschen, die zu großem Tatendrang neigen, werden hier viel mehr Problem mit dem Nicht-Tun bekommen, als Menschen, die eher einem phlegmatischen oder sanguinischen Temperament angehören. Dazu kommt weiter das Talent, Situationen in ihren realistischen Möglichkeiten blitzschnell in Bezug auf die Erfolgschancen abzuwägen. Das wäre eine weitere Gabe, die darüber mit entscheidet, ob Gelassenheit leichter oder schwer fällt – und damit auch das Lassen oder Sein-Lassen.

Es gibt also mannigfaltige Gründe, warum es dem einen Menschen schwerer und dem anderen Menschen leichter fällt, diese Gelassenheitsübung, die uns Reinhold Niebuhr ans Herz legt, auch ins Herz und ins Handeln klug zu übersetzen und für sich selbst abzuwägen, ob sie auch für die eigene Entwicklung jetzt richtig ist.

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