Briefe zur ästhetischen Erziehung

Zitate Leben & Werk
Friedrich Schiller

Friedrich von Schiller (1759-1805) war als einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker nicht nur Dichter, Philosoph und Historiker, sondern auch ein Freund Goethes und bildete mit ihm gemeinsam wie auch mit Fichte, Schelling, Hegel, Herder und Wieland den Kern jener Gruppe, die man die "Klassiker" nennt.

Neben seinen Dramen sind vor allem seine "Briefe zur ästhetischen Erziehung des Menschen" als philosophische Arbeit eines der Kernstücke der deutschen Geistesgeschichte. Aufgrund des schwierig zu lesenden Inhaltes ist es bedauerlich, dass diese "Briefe" nicht jene verdiente Würdigung und Akzeptanz in der Bevölkerung fanden, die sie aufgrund ihres unerschöpflichen Reichtums verdient hätten. Man kann sich an ihnen zerdenken, wenn man sich tief genug einlässt.!

In diesem Werk appellieren hohe geistige Ideale an das Innerste im Menschen und sind deshalb auch als pädagogisches Werk von hohem Wert. Dennoch gibt es wohl eher wenige Schulen, die diese Inhalte den heutigen Jugendlichen vermitteln. Ist es nicht "modern" genug mit seinen idealistischen Gedanken? Oder ist es die Sprache Schillers, die uns dieses Werk so entfremdet? Oder hat sich die Haltung zu Werten und Idealen tatsächlich so stark verändert? Die "Briefe zur ästhetischen Erziehung" könnten als Lebensbegleitbuch und Richtschnur fungieren, wenn sie sich dem Menschen in seiner Tiefe erschließen. Es geht in den "Briefen" unter anderem auch um die Befreiung von aller Starrheit. Es geht um ein flexibles inneres Lebendigwerden der Sinne, in dem sowohl die Seelenprozesse ebenso wirken und sich entfalten können wie die Lebensprozesse der Natur.

Brauchen wir all das heute nicht mehr in Zeiten, wo alle Tabus gebrochen sind und sich die Freiheit des Individuums vor allem in exzessiven Formen von Egoismus oder Egozentrik zeigt? Dabei ist keine gesellschaftliche Gruppe ausgenommen. Zugleich aber radikalisieren sich andere Gruppen zum Gegengewicht, weil sich jene Freiheit, von der Schiller schreibt, noch immer als unerreicht zeigt. Auch die Kunst, die eine Schlüsselrolle bei diesen hohen Zielen zu spielen hätte, hatte zu Schillers Zeiten einen so unvergleichlich anderen Stellenwert als heute in der Gesinnung der Menschen und galt als das Höchste überhaupt. Die Sinnentleerung, die Desorientierung und tiefe Depression, die viele Menschen heute erfasst, spricht Bände in unseren Krankheitsstatistiken wie auch in den zu beobachtenden Gemütszuständen, die oftmals einer Lähmung der Lebenskräfte gleichkommen. Und dort, wo diese nicht gelähmt sind, ist das Zielen und Trachten heute dem Körper selbst geschuldet, der schön, fit, gesund, vital und leistungsbereit zu sein hat, allein schon um die Segnungen der modernen Industrie, des kulturellen Infotainments und allen technischen Verführungen zu konsumieren und zu bezahlen.

Zwingt uns unsere heutige Zeit, uns einem krankmachenden Geschwindigkeitswahn auch im Geistigen zu unterwerfen, die uns komfortable Technik mit unglaublichen Möglichkeiten offeriert? Und hindern uns zugleich all diese Segnungen nicht daran, uns trotz all dieser wundervollen technischen Hilfsmittel jener inneren gesunden Ruhezone zu nähern, die ein gesundes Gegengewicht zum alltäglichen Stress ermöglichen würde – wenn wir nur die Zeit dazu fänden? Sind wir nicht längst zwanghaft in einem technischen Hamsterrad, wo Idealismus und Freiheit zu theoretischen Visionen geworden sind, die zwar verbalisiert, gewünscht, aber doch nicht praktisch gelebt werden? Wie viel Prozent der Bevölkerung nimmt sich denn die Zeit für eine kontemplative oder meditative Auszeit, um den Geist zu beruhigen, die Gedanken zu klären und Kraft zu sammeln für eine neue Form von gesundem Leben? Schillers Ideale könnten in diesem Zusammenhang heilende Wirkung entfalten.

Vom Natur-Kultur-Dualismus

Schillers "Briefe" zeugen davon, dass er selbst die Naturkräfte im Menschen als unberechenbar und chaotisch erlebte. Einfluss entfalteten auf seine Sichtweise dabei auch seine persönlichen Erlebnisse der Französischen Revolution. Friedrich von Schiller erlebte, dass nach der Entmachtung des herrschenden Adels das Volk dennoch wieder in Phasen brutalen Terrors zurück glitt und die Menschen nun unter anderen neuen Formen von Gewalt litten, die sie selbst erzeugten. Der Idealismus, den Schiller aber trotz all dieser Erlebnisse und Erfahrungen in seinem geistigen Horizont pflegte und erweiterte, ist vielen heutigen Zeitgenossen oft nicht einmal mehr nahe zu bringen oder verständlich zu machen. Die Erhabenheit, die er fühlte, die Freiheit, an die er glaubte, ist von einer Reinheit, die schwer zu vermitteln ist. Die Empfindungen des Menschen und seine Sinnlichkeit setzt Schiller mit Passivität gleich. Und die Natur an sich ist mit dem Erleiden von Gewalt verbunden. Aber die Vernunft bedeutet für Schiller auch eine kreative Aktivität und die Befreiung von der Natur alleine.

Schiller weist uns darauf hin, dass der Mensch zwei Grundtriebe hat. Den Vernunfttrieb und den Naturtrieb. Der Vernunfttrieb wirkt durch die Notwendigkeiten der Natur selbst. Denn der Mensch ist sozusagen gezwungen, in einer gewissen Weise zu denken, durch die Umstände, in denen er steht. Man hat keine Freiheitsgedanken zu denken, wo sich aus natürlichen Gründen andere Situationen ergeben, wie beispielsweise in der Mathematik, wo eben zwei mal zwei vier ist und sich keine Zahl oder Rechner beliebig die Freiheit nehmen kann, eine fünf zu behaupten, will er zugleich auch ernst genommen werden. Insofern bedeutet die Logik eine strenge Vernunftnotwendigkeit. Allerdings, so befand Schiller, steht er damit auch unter einem geistigen Zwang.

Gegenüber steht laut Schiller aber alles, was in den Trieben und Emotionen des Menschen lebt. Die Kluft zwischen beidem versucht er zu überwinden, indem sich die Vernunftnotwendigkeit sozusagen den Trieben und Emotionen "herabneigt" oder zuneigt und eine Brücke schlägt. Liebt man etwas, geht man anders damit um, als wenn man es verabscheut. Insofern kann man sich aus einer starren Notwendigkeit selbst befreien.

Auf den Flügeln der Einbildungskraft

Politisch orientiert sind Schillers "Briefe" nur im ersten und letzten Brief. Zunächst schreibt er darüber, warum er sich nicht so sehr mit der Politik, sondern mit der Ästhetik auseinandersetzt. Ganz am Ende kehrt er nochmals zur Politik zurück.

In den "Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen" sind es mal der Stofftrieb, der Spieltrieb oder der Formtrieb, die im Fokus seiner Betrachtungen stehen. Mal ist der Naturstaat, der ästhetische Staat oder der Vernunftstaat. Schillers Freiheitsvision erscheint klar: Der Schritt von der ästhetischen zur politischen Freiheit war anzustreben – und zwar über einen ästhetischen Staat. Doch seine Vorstellungen blieben politisch Utopie, was ihn nicht daran hinderte, an der Befreiung der Gedanken festzuhalten. Dazu brauchte es das freie Gespräch und die Kunst. Formen, die auch die heutigen Menschen teilweise noch suchen, die den Geist Schillers wissentlich oder unwissentlich in sich tragen.

Schiller schrieb einmal: "Auf den Flügeln der Einbildungskraft verlässt der Mensch die engen Schranken der Gegenwart". Er fordert uns auf zu spielen. Er wusste, wie ernst und selbstvergessen das Spiel zu sein hat und wie spielerisch jeder Ernst sein sollte. Auch sollten wir im Spiel uns dem Schönen ergeben. "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." Auch ein solcher Satz könnte heute große Missverständnisse bei vielen Zeitgenossen auslösen, für die ein Spiel eben nicht mit jenem schiller‘schen Ernst verbunden ist, sondern vielmehr mit Fun, Action, Spaßhaben, oberflächlicher Fröhlichkeit oder halsbrecherischen Abenteuern oftmals einhergeht. Das meinte Schiller gewiss nicht, sondern hatte anderes im Sinn. Aber ob er es schon so genau wusste, das "wie" und die Umsetzung genau kannte? Es ist umstritten. Was er klar sah, war die Schwächung der Menschheit. Und was er wollte, war ihre gesunde Stärkung. Werkzeug, Hilfsmittel und Heilung waren ihm vor allem das Spiel und die Kunst. Mit ihr wollte er Himmel und Erde vereinen. Von ihr, so dachte er, hängt es ab, ob Leben als Kunstwerk gelingt - oder man scheitert. Gedanken, die gedacht wurden, bevor die Lokomotive der Technik, die ein anderes Denken präferierte, über diese Phase hinweg donnerte.

Die nachgeborenen Generationen konnten die Ideale Schillers nicht verwirklichen. Einzelne Individuen aber gewiss. Sie gab es zu allen Zeiten. Die zeitgeistigen Bedingungen haben sich seit Schillers "Briefen" geändert, die Kunst ist entthront worden. Die Menschen müssen sich heute neue Ideale suchen, wenn sie nicht am mangelnden Idealismus, der alltagstauglich, spielerisch und frei zu leben wäre, nicht dauerhaft erkranken wollen.

Christa Schyboll

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