Arthur Schopenhauer über Übel

  • All unser Übel kommt daher, daß wir nicht allein sein können.

Arthur Schopenhauer

deutscher Philosoph

* 22.02.1788 Danzig
† 21.09.1860 Frankfurt am Main

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Der Mensch ist ein einsamer Wolf, meinen die einen. Der Mensch ist ein Herdentier, meinen die anderen. Beide haben recht, da sich die Rhythmik des Verhaltens zu der einen oder anderen Seite hin im Zuge der Persönlichkeitsentwicklung immer wieder einmal verändert.

Die Einsamkeit oder das Alleinsein sucht man zumeist dann freiwillig auf, wenn man sich entweder in Krisen befindet oder in Zweifeln, wo der Verstand sich über die Dinge des Lebens neu Klarheit verschaffen muss.

Alte Werte und Traditionen greifen nicht mehr so recht und das Neue ist noch nicht geboren. Bevor es glaubhaft und spruchreif wird, braucht es Zeiten des Besinnens, der Kontemplation, in denen die Einflüsse anderer Menschen unter Umständen nur stören oder weiter die Gedanken verwirren.

Andere Menschen sind ganz unfreiwillig allein. Ob sie auch einsam sind, hängt vom Einzelfall ab. Denn Alleinsein muss nicht zwangsläufig auch mit dem Gefühl des Verlassenseins, das wir mit der Einsamkeit zumeist assoziieren, zusammentreffen. Oftmals trifft sich aber beides.

Entscheidend ist für die eigene Lebensqualität, ob man sich darin wohlfühlt, sich "richtig" fühlt oder abgelehnt, aussortiert, verlassen oder unfreiwillig isoliert.

Früher oder später suchen die meisten Menschen jedoch auch wieder die Nähe ihrer Mitmenschen, weil sie aus diesen Verbindungen eine Unmenge Vorteile und Lebensqualität für sich selbst ziehen, die im Gegenzug auch an die anderen zurückgeschenkt werden kann.

Nun spricht Arthur Schopenhauer dennoch in seinem Sprichwort davon, dass alles Übel daher kommt, dass wir nicht allein sein können. Es geht also bei unserem Herdentriebverhalten und unserer Sehnsucht nach Gemeinsamkeit nicht nur um die schönen Dinge des Lebens.

Schauen wir uns die Wirklichkeit an, so ist kulturübergreifend festzustellen, dass jede Form von Gemeinsamkeit unter Menschen zugleich auch eine große Herausforderung ist. Am Drastischsten erleben wir dies in Form großer Kriege, die bis heute unseren Erdball zahlreich durchziehen. Machtstreben vor allem ist es, das die Übermacht des einen über den anderen zu Gewalttätigkeiten mit zahllosen Toten, Zerstörung und unendlichem Leid treibt. Insofern ist Gemeinschaft keineswegs ein Hort der Glückseligkeit, den wir suchen aber so oft auch nicht finden.

Vom Übel und seiner Chance zum Guten

Nicht nur im Großen, in den Konflikten zwischen Völkern, Staaten und Kulturen tobt der Krieg gegen jeden Gemeinsinn. Auch im Kleinen, in jeder Familie, in jeder Beziehung kommen wir immer wieder schnell an Grenzen, die uns aufzeigen, wie schwierig es um den Frieden im Zusammenwirken mit anderen Menschen bestellt wird. Eintracht, Harmonie oder brüderliche Gesinnung ist ein Ziel, das immer wieder neu durch die Egoismen verhindert wird.

Verbundenheit, die Kameradschaft und Geistesverwandtschaft sucht, braucht ein Höchstmaß an charakterlicher Reife und tätige Verantwortung ebenso wie innere Disziplin und Überblick über die sachlichen und emotionalen Gegebenheiten einer kritischen Situation.

Damit sind viele Menschen hoffnungslos überfordert, weil sie zwar ein gemeinsames Ziel im Sinn haben, aber dabei übersehen, was es dafür von ihnen selbst braucht, um auch erreicht zu werden. Wunsch und Wirklichkeit gehen gerade in den Beziehungen untereinander eine oft äußerst schwierige Konstellation durch Uneinsichtigkeit ein. Die Fehler des anderen sind immer schnell entdeckt. Der Balken im eigenen Auge jedoch verführt zu jener Betriebsblindheit, die echte Solidarität und ein gemeinsames Weiterkommen in der sozialen Kunst des Miteinanders verhindert.

Schopenhauer hat also durchaus Recht, wenn er das Übel behauptet. Dennoch bleibt es eine einseitige Betrachtung, die die Entwicklung zum Guten zumindest nicht im Ansatz als Möglichkeit erwähnt.

Sympathie, Vertrauen und Zuneigung sind wichtige Grundlagen, die gepflegt und entwickelt werden müssen, damit in Krisenzeiten der Konflikte die Interessen nicht gleich kollidieren, sondern einem neuen konstruktiven Prozess auch gewachsen sind.

Je mehr wir uns darüber im Klaren werden, dass die unfreiwillige Form der Einsamkeit und des Alleinseins, die zugunsten einer gesunden Gemeinschaft ein hohes Maß an Gleichklang erfordert, und je genauer wir wissen, was es dafür an Eigenschaften, Werkzeugen und Handlungsoptionen braucht, desto eher werden wir eine gesunde Balance im Miteinander finden können, die nach und nach zu mehr Harmonie.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Harmonie zu entwickeln, die auch dauerhaft tragfähig ist, braucht Zeit. Denn ein jedes Individuum ist aufgerufen, an dieser Gemeinschaftsleistung seine ganze Kraft bewusst und stark einzusetzen. Und zwar nicht nur in der eigenen Beziehung, sondern an jedem Platz, wo wir auf andere Individuen treffen, die ganz andere Interessen hat, als wir selbst. Beruf, Freunde, Verwandtschaft, Nachbarschaft – da ist niemand ausgenommen, der nicht in unser tägliches Übfeld des neuen Miteinanders hineingehört. Das alles braucht Wachsamkeit und Zeit, die wir uns dafür nehmen müssen. Es bedeutet aber auch, dass es neben dem Zeitfaktor auch vor allem die eigene Persönlichkeitsentwicklung braucht, die stark genug wird, mit den derzeit noch unvermeidlichen Konflikten immer weiser umzugehen.

Zur Persönlichkeitsentwicklung, die ein jeder nur freiwillig in die Hand nehmen kann, weil und wenn er diese Notwendigkeit einsieht, gehört als erstes auch eine gesunde Form von Selbstkritik, die Auskunft darüber gibt, ob und wo wir selbst die Bremse sind, die den inneren Frieden verhindert. Finden wir da unsere eigenen Schwachpunkte, ist schon viel erreicht, sofern diese Erkenntnisse dann auch mit einer Verhaltenseinigung einhergehen und nicht bloß mit einer Einsicht, die auf dem Trockendock der theoretischen Vorhaben liegen bleibt.

In dem Maße, wie wir aber erkennen lernen, dass diese soziale Kunst des Miteinanders eine der größten Errungenschaften des menschlichen Geistes ist, werden wir uns entsprechend motiviert fühlen, diesen Weg auch zu gehen, ihn selbst aktiv mit zu gestalten und können erleben, wie sich mit uns auch unser Umfeld und unsere ganze Lebensqualität nach und nach zum Positiven verändert. Wir haben es selbst in der Hand.

Die Menschheit ist auf einem guten Weg, trotz der schlimmen Nachrichten, die uns ständig erreichen. Aber die Menschheit ist auch noch auf einem sehr langen Weg, um das Übel auszumerzen, dass wir uns immer wieder selbst in der Interaktion mit den Mitmenschen antun. Scheut man diese Länge nicht und weiß zugleich um den enormen Gewinn einer gesunden Gemeinschaft, dann ist weiter Hoffnung angesagt, dass es uns irgendwann auch umfassend gelingt.

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