Fjodor Michailowitsch Dostojewski über Liebe

  • Einen Menschen lieben heißt ihn so sehen, wie Gott ihn gemeint hat.

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

russischer Schriftsteller

* 11.11.1821 Moskau (Rußland)
† 09.02.1881 Petersburg (Rußland)

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Die Liebe ist eines der ganz großen Zentralthemen der Menschheit. Jeder Mensch hat das Bedürfnis geliebt zu werden und auch selbst lieben zu können. Vielen sind diese Chancen auch real gegeben, indem sie einen Partner finden, der ihre Ergänzung zu sein scheint, der sie aufrichtig liebt und dem sie ebenfalls ihre Liebe schenken können.

Was die Möglichkeiten der Liebe angeht, so ist die Welt vortrefflich gut eingerichtet. Ob und wie wir sie nutzen, liegt nur an uns selbst. Die Liebe steht für jeden offen und schließt nichts und niemanden aus.

Die Liebe zu lernen ist vor allem zunächst eine Aufgabe. Denn das, was der Mensch unter Liebe versteht, ist etwas anderes als das, von dem der bedeutende russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski spricht. Vor Gott sind wir Menschen alle gleich. Ob dumm oder gescheit, arm oder reich, korrupt oder heilig – Gott liebt auch den Verbrecher, dem er verzeiht und den er ebenso unterschiedslos liebt wie den Buckligen, den Schönen, den Tölpel, den Schlauen oder den nörgelnden Greis.

Das tun Menschen nicht, wenn sie einen anderen Menschen lieben. Es beginnt schon mit der Auswahl. Sie suchen sich das Objekt ihrer Begierde nach ganz gewissen Kriterien aus. Er oder sie muss in den Augen des Suchenden "schön" sein, angenehm, wohlgefällig. Das Äußere eines Menschen spielt für die meisten eine zentrale Rolle. Für Männer vermutlich noch stärker als für Frauen. Doch kein Geschlecht ist gefeit vor der Selektion dessen, was man in Schönheitskategorien verortet.

Kommt zu der äußeren Schönheit noch innere Schönheit hinzu, dann steigert sich die Lust und die Freude am Partner enorm. Charme und Anmut entspricht dem Wunsch vieler Männer oder auch männlichen Schutz, Tapferkeit und Stärke wissen die Frauen zu beeindrucken. Gesellen sich dann noch weitere Tugenden wie Verlässlichkeit, Treue, Charakterstärke, Ehrlichkeit usw. hinzu, wird sich die Liebe umso stärker entwickeln. Mit anderen Worten: Die menschliche Liebe ist vielfachen Bedingungen unterworfen. Gesteigert wird das Ganze dann noch durch die Möglichkeit, diesen perfekten Partner mit innerer und äußerer Schönheit nun auch noch als reich, potent, kreativ und erfolgreich zu erleben. Dann ist das Glück perfekt!...

Doch ist das Glück? Und ist es wirklich perfekt? Oder ist das mehr eine Wunschvorstellung? Die Liebe funktioniert nicht aufgrund der Außenbedingungen, auch wenn uns diese noch so wichtig erscheinen. Was passiert denn, wenn es in diesem theoretisch perfekten Partner nun einen Einbruch ergibt, eine schwere Krankheit, ein Unfall, Verlust des ganzen Vermögens… lebt die Liebe, die man zu leben glaubt, dann unbeirrt weiter? Oder ist es in vielen Fällen dann nicht auch schnell aus mit dem perfekten Glück, weil es letztlich nie eine richtige Liebe war, sondern nur die Außenbedingungen halt so paradiesisch anmuteten?

Liebe ist weder Schicksal noch Zufall

Gott liebt die Menschen bedingungslos. Deshalb kann diese Liebe auch nicht vergehen. Alle Geschöpfe sind vor seinen Augen gleich viel wert. Mit dieser Haltung, die die Menschen ihm in der Religion zuordnen, steht er weit über der sehr bedingten Liebe, wie wir sie in aller Regel leben und deshalb auch darunter so leiden.

Wir lieben unsere Mitmenschen eben nicht, wie Gott ihn gemeint hat, sondern wir lieben ihn so, wie wir ihn sehen und sehen wollen. Wenn nun dieser Mensch sich als anders entpuppt, als wir ihn gerne hätten, wird die Sympathie, die wir Liebe nennen, früher oder später entzogen. Und dass fast jeder Mensch anders ist und noch ganz anderes bereithält, als der Partner auch nur ahnt, zeigt die Wirklichkeit. Vor allem die Wirklichkeit der bitterbösen Auseinandersetzungen, der Trennungen und des Unfriedens.

Vieles beruht darauf, dass unsere menschliche Liebe mit einer großen Anzahl von Irrtümern von Anfang an verbunden ist. Die schwerwiegendsten Ver-Irrungen haben mit dem falschen Bild zu tun, das wir uns selbst im Zustand von (blinder) Verliebtheit aufbauten und es unter Umständen auch noch ausbauten. Je schwächer hier die Menschenkenntnis entwickelt ist und Wahrnehmung und Beobachtung unzureichend sind, umso krasser werden sich die Irrtümer der eigenen Vorstellungen früher oder später zeigen.

Es gibt aber Paare, die tatsächlich lebenslang miteinander glücklich sind. Sie haben in aller Regel für dieses Glück beidseitig viel getan. Sie haben Krisen überwunden und haben sich nicht an den schwindenden Äußerlichkeiten einer ehemals blühenden Schönheit geklammert, sondern an das Wesentliche. Das Wesentliche eines Menschen sind Herzkraft und Charakter, Verhaltensweisen und Liebefähigkeit und vor allem auch die Liebe, die sich um Kompromisse bemüht, die ringt und keine Mühe scheut. Diese Menschen sind Vorreiter für eine Entwicklung, die irgendwann einmal alle Menschen umfassen soll. Noch sind sie zahlenmäßig gering. Aber sie zeigen uns, dass das Göttliche Lieben auch einmal dem Menschen zu eigen werden kann, wenn er das Göttliche in sich entzündet und es im Alltag in konkreten Taten auch lebt.

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