Heinrich Heine über Abschied

  • Der Brief, den Du geschrieben,
    er macht mich gar nicht bang.
    Du willst mich nicht mehr lieben,
    aber Dein Brief ist lang.
    Zwölf Seiten, eng und zierlich!
    Ein kleines Manuskript!
    Man schreibt nicht so ausführlich,
    wenn man den Abschied gibt.

Heinrich Heine

deutscher Dichter

* 13.12.1797 Düsseldorf
† 17.02.1856 Paris (Frankreich)

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Heinrich Heine verfügt über feine Beobachtungssinne. Hier schenkt er uns sein Talent zum Thema Abschied, das er zu differenzieren weiß.

Abschiede sind manchmal so klare Ereignisse, dass sie kein einziges weiteres Wort mehr benötigen. Andere Menschen brauchen vielleicht noch ein paar wenige Worte und gehen dann - bestenfalls - in angemessener Form auseinander. Alles ist gesagt. Was soll noch weiteres Gerede!

Dann aber gibt es den anderen Typus, der seinen Abschied opulent gestaltet und am Ende doch noch sehr viele Worte braucht. Sucht er vielleicht noch einen Strohhalm, um den Abschied hinauszuschieben? Oder steckt er selbst noch mitten im Prozess der Dinge? Will er das Ruder noch einmal zurückreißen, weil er nicht sicher ist, ob der andere das gemeinsame Boot schon längst verlassen hat? Ist er mit der Trennung innerlich noch nicht fertig, auch wenn die Trennung äußerlich längst beschlossen ist?

Welche Form von Abschied oder Trennung denn nun besser oder schlechter, unsinniger oder sinnvoll ist, hängt von den Personen und ihrem Verhältnis ab. Zudem können Abschiede vielerlei bedeuten. Für manche ist es ein Adieu auf immer. Man hatte seine gemeinsame Zeit und irgendwann hat es nicht (mehr) gepasst. Im Idealfall sind sich die Betroffenen darüber einig und der Schmerz darüber kann sich in Grenzen halten.

Dann gibt es die Abschiede, die letztlich nur Pausen bedeuten. Ein Abstand auf Zeit. Mögen es Wochen, Monate oder Jahre sein. "Man geht niemals so ganz"… ein Teil bleibt immer zurück. Es gibt Menschen, die sind fest davon überzeugt sind, dass es endgültige Abschiede nicht gibt, weil sie stark in sich erfühlen, dass Verbindungen auch über den Tod hinaus aufrecht erhalten bleiben können.

Andere Abschiede tragen schon direkt den Keim eines guten Neuanfangs in sich. Es ist ein Abschied vom alten Sein, einer alten inneren Haltung, die abgelegt wird und dann eine Neuöffnung unter neuen Bedingungen wieder zulässt. Dazu könnte auch ein solcher Brief gehören, wie ihn Heine beschreibt – auch wenn er selbst den Keim des Neuanfangs nicht ausdrücklich erwähnt, sondern mehr das Zaudern des Abschied Nehmenden kurz reflektiert.

Die Interessenlagen bei voneinander Scheidenden können sowohl gleichartig wie auch diametral in der Sache sein. Die Form, wie man voneinander scheidet, sagt viel aus. Im Falle von Heines Beobachtung macht sich am Ende noch jemand viel Mühe mit seinen vielen Worten. Ist es bei solcherart Bemühen um den anderen vielleicht auch erträglicher, mit dem Abschiedsschmerz umzugehen, weil man weiß: Man hat noch einmal alles versucht! Man hat ein letztes Mal alles in die Waagschale geworfen und kann nun besser loslassen!

Dienen die vielen Worte am Ende eines Abschieds nochmals einem letzten inneren Loslassen-Üben und Gehen-Können im Frieden, haben sie auch eine letzte sinnvolle Berechtigung.

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