Johann Wolfgang von Goethe über Genuß

  • Kein Genuß ist vorübergehend; denn der Eindruck, den er zurückläßt, ist bleibend.

Johann Wolfgang von Goethe

deutscher Dichter

* 28.08.1749 Frankfurt am Main
† 22.03.1832 Weimar

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Wie oft ist uns nach Jammern zumute, wenn etwas Genussvolles zu Ende geht. Kaum, dass wir etwas genossen haben, was uns besonders gut tat, sehnen wir uns schon wieder nach der gleichen Befriedigung unserer Lust. Menschen sind halt eine gierige Spezies. Vor allem dann, wenn es unser Genuss- und Sinnesbefriedigung dient.

Nun kommt der Altmeister Goethe daher und tröstet uns mit seinem Wort über den vorübergehenden Genuss. Er sagt uns, dass er nicht episodisch oder vergänglich ist, sondern bleibend sei. Dieser Gedanke jedoch erscheint vielen Menschen fremd, weil für sie nach dem Ende des Genusses derselbe eben auch wieder rasch verschwindet. Aber was ist mit dem Eindruck, von dem der Dichterfürst spricht?

Menschen nehmen Eindrücke in ihr Erinnerungsvermögen auf. Das kann ein bewusster, gewollter Akt sein oder aber auch ein Akt, der sich ganz unbewusst vollzieht. Im letzteren Falle ist es jedoch so, dass der Genuss besonders gut gemundet haben muss, wenn wir ihn auch ohne gedankliches Wollen in uns abspeichern.

Wer in den Disziplinen des geistigen Arbeitens ein wenig geübt ist, dem wird es gelingen, den einmal erlebten Genuss auch wieder so lebendig in seinen Erinnerungen hervorzuholen, dass er einen gewissen Anteil des einmal Erlebten nun neu und wiederholt in sich erleben kann. Wie stark oder schwach dieses Erleben dann ist, hängt von der inneren Disposition des Menschen ab. Ist seine Phantasie groß, seine Freude an diesem Akt umfassend intensiv, wird es ein so starkes Erleben sein können, dass es dem ursprünglichen Genuss in der Realität nun auch in der Phantasie recht nahe kommen kann.

Verschwendet er hingegen nur einen kurzen Nebengedanken daran, dann wird es eher nicht zu einem neuen inneren Nach-Erleben kommen, als vielmehr nur eine schöne Erinnerung sein.

Die Möglichkeit des Verbleibens eines einmal erlebten Genusses im menschlichen Gemüt wird vermutlich von vielen Menschen nicht genutzt. Dabei könnten sie ihr eigenes Leben durch diesen Willensakt einer verlebendigten Erinnerung enorm bereichern und wären vom faktischen Erleben des nächsten konkreten Genusses in der sinnlichen Welt viel weniger abhängig.

Doch ein solcher Akt braucht eine Anstrengung, die man der Bewusstseinsarbeit zuordnet. Um dahin zu kommen, was Goethe als möglich beschreibt, muss man klaren Sinnes auch das Ziel anstreben. Man muss sich die konkrete Erinnerung heraufholen, muss sie im Bild nochmals verlebendigen und in Herz und Seele tief aufnehmen. Je tiefer wir dann unsere Gefühle damit verbinden, umso stärker wird sich dies auf die Körperebene übertragen.

Das unnachahmlich Zarte im Gaumen des Genießers

Beispiel: Man denke an ein vortreffliches Zitronensorbet, dass man irgendwo zu einem wundervollen Essen genossen hat. Vielleicht war man in geselliger Runde oder auch mit dem/der Liebsten verabredet. Die Stimmung war ähnlich hell und sonnig, wie einem das Zitronensorbet, das der Ober brachte, schon von weitem entgegen leuchtete. Das Wasser lief schon im Munde zusammen, als die Zutaten in schnellen Gedanken realisiert wurden: Frische Zitronen, Vanilleschote, Minze, vielleicht noch eine feine Erdbeere dazu, das süße Halbgefrorene. Ein unnachahmlich Zartes, Schmelzendes, das darauf wartet, gleich zahllose Geschmacksrezeptoren zu betören. Da lechzt schon alles im Vorfeld nach dieser zarten Köstlichkeit, bevor auch nur der erste Löffel zum Munde geführt wird. …Und dann ein göttlicher Genuss! Man möchte gar nicht mehr aufhören damit, wenn man erst einmal begonnen hat. Der Eindruck der Lust ist so groß, dass sich mancher schon vorstellen mag, in dieser köstlichen Masse gleich ein ganzes Bad nehmen zu dürfen…

Hat man solche tiefen Erlebnisse mit der sinnenfrohen Lust – an was auch immer – so sind dies prägende Eindrücke, die nicht mit dem Verzehr alleine beendet sind.

Will man nun diesen sinnlichen Schatz zu anderen Zeiten in sich heben – in Zeiten, wo es nicht möglich ist, das Gewünschte zu genießen, braucht man nur diese wunderbare menschliche Fähigkeit der Erinnerung aktivieren. Und schon läuft einem das Wasser im Mund zusammen… und die alte Freude stellt sich ein.

Doch Vorsicht! Es ist eine böse Falle für jene, die die Freude an diese Erinnerung nun auch vom physischen Genuss abhängig machen. Wer in diese Falle tappt, kann trotz der schönen Erinnerung nun enttäuscht werden, weil er ja "nur" mit einer Vorstellung arbeitet, die aber nicht zugleich auch physisch real ist.

Hat man jedoch die Gier und Lust schon überwunden oder gut im Griff, dann ist das Andocken an das Schöne dieser Erinnerung eine auch nachträglich neue Freude. Man spürt das süß-saure Halbgefrorene it der feinen Kombination von Vanille und Minze so real auf seiner Zunge, dass sich ein neuer Genuss wieder einstellen kann, weil die Disziplinierung der Gier keine Hemmung der Sinnesfreude mehr bedeutet.

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