Fernando Pessoa

65 Zitate, Sprüche & Aphorismen Autor

Alles auf der Tafel von einem Tag zum anderen auslöschen, neu sein mit jedem anbrechenden Morgen, in einem ständigen Wiederaufleben unserer emotionalen Jungfräulichkeit, das, allein das lohnt die Mühe, zu sein oder zu haben, um zu sein oder zu haben, was wir auf unvollkommene Weise sind.

Alles gehört den anderen, bis auf meinen Kummer, nichts von alldem zu haben.

Besitzen heißt verlieren.

Besitzen wir irgendetwas? Wenn wir nicht wissen, was wir sind, wie wissen wir dann, was wir besitzen?

Besitzen wir irgendetwas? Wenn wir nicht wissen, was wir sind, wie wissen wir dann, was wir besitzen?

Bevor ich auf die Welt kam, hat man die Tapisserien meines Ahnensitzes verkauft.

Da wir dem Leben keine Schönheit abzuringen vermögen, sollten wir zumindest versuchen, unserem Unvermögen Schönheit abzuringen.

Das Alltagsleben ist ein Heim. Der Alltag ist wie eine Mutter.

Das gesamte Leben der menschlichen Seele ist eine Bewegung im Schatten. Wir leben in einem Zwielicht des Bewußtseins, uns nie dessen sicher, was wir sind, oder dessen, was wir zu sein glauben.

Das große Los des Lebens fällt nur denen zu, die es auf gut Glück kaufen.

Das Leben ist eine unfreiwillige Reise, ein Experiment. Eine Reise des Geistes durch die Materie, und da der Geist der Reisende ist, reist man im Geiste. Auf diese Weise hat so manche Seele in der Kontemplation intensiver, extensiver und stürmischer gelebt als andere in der äußeren Welt.

Das Leben wäre unerträglich, wenn wir uns seiner bewusst würden.

Der Drang zu begreifen, der für so viele edle Seelen den Drang zur Tat ersetzt, gehört in die Sphäre des Empfindungsvermögens. Energie durch Verstandeskraft ersetzen, die Verbindung zwischen Wille und Gefühl unterbrechen, allen Gesten des materiellen Lebens das Interesse nehmen, dies ist, sofern man es vermag, mehr wert als das Leben, das so schwer ganz zu besitzen ist und so traurig, wenn wir es nur zum Teil besitzen.

Der Erfolg liegt im Erfolghaben, nicht darin, dass man die Vorraussetzung zum Erfolg besitzt.

Der Überdruß ist nicht die Langeweile des Nichts-zu-tun-Habens, sondern die ärgere Krankheit, zu fühlen, daß es sich nicht lohnt, irgendetwas zu tun.

Die Gefühle, die am meisten schmerzen, die Gefühlswallungen, die am meisten quälen, sind diejenigen, die ganz absurd sind - Verlangen nach unmöglichen Dingen, eben weil sie unmöglich sind, Sehnsucht nach dem, was nie gewesen ist, Wunsch nach dem, was gewesen sein könnte, Kummer darüber, nicht ein anderer zu sein, Unzufriedenheit mit der Existenz der Welt. Alle diese Halbtöne des seelischen Bewusstseins schaffen in uns eine schmerzerfüllte Landschaft, einen ewigen Sonnenuntergang dessen, was wir sind. Unser Selbstgefühl ist dann ein verlassenes Feld in der Abenddämmerung, traurig mit Schilf bestanden neben einem Fluss ohne Schiffe, der hell zwischen entfernten Ufern dunkelt.

Die Lüge ist schlicht die ideale Sprache der Seele.

Die Realität als eine Form der Illusion erkennen und die Illusion als eine Form der Realität ist so notwendig wie nutzlos. Das kontemplative Leben muß, um überhaupt existieren zu können, die objektiven Akzidenzien als weitverstreute Prämissen für eine Folgerung betrachten, die es nicht ziehen kann; doch muß es zugleich die nicht notwendig wahre Beschaffenheit des Traumes in gewisser Weise der Aufmerksamkeit als wert erachten, die wir ihm widmen und die genau uns zu kontemplativen Menschen macht.

Die Welt gehört demjenigen, der nicht fühlt.

Die wesentliche Vorbedingung, um ein praktischer Mensch zu sein, ist ein Mangel an Sensibilität. Die beste Vorbedingung für die Praxis des Lebens ist die Triebkraft, die zum Handeln führt, das heißt der Wille. Nun gibt es aber zwei Dinge, die das Handeln beeinträchtigen - die Sensibilität und das analytische Denken, das letztlich nichts anderes ist als ein Denken mit der Sensibilität.

Ein wahrhaft sensibler und vernünftiger Mensch versucht naturgemäß, wenn ihn Übel und Ungerechtigkeit der Welt bekümmern, zunächst dort gegen sie anzugehen, wo sie am deutlichsten zutage treten, nämlich bei sich selbst. Und damit wird er sein Leben lang beschäftigt sein.

Es gibt eine seelische Niedergeschlagenheit, die weitergehender ist als alle Angst und aller Schmerz; ich glaube, sie ist nur denen bekannt, die Angst und Schmerz meiden und sich selbst gegenüber so diplomatisch sind, ihrem eigenen Überdruß aus dem Weg zu gehen. Da sie auf diese Weise zu gegen die Welt gepanzerten Wesen werden, verwundert es nicht, daß sie in Momenten der Bewußtwerdung plötzlich die ganze Last ihres Panzers wahrnehmen und das Leben als eine umgekehrte Angst, als einen nicht erlittenen Schmerz.

Es gibt kein Glück außer einem Glück bei vollem Bewusstsein. Aber das Bewusstsein des Glückes ist unglücklich; denn sich glücklich wissen heißt einsehen, dass man durch das Glück hindurchgeht und es alsbald hinter sich lassen muss.

Es gibt keinen Spiegel, der uns selber als äußere Wesen zeigen könnte, weil es keinen Spiegel gibt, der uns aus uns selbst herausziehen könnte.

Es gibt Momente, in denen uns alles ermüdet, sogar das, was zu unserer Erholung beitragen sollte.

Es gibt sogar Leute, die Gott selbst ausbeutet, und das sind die Propheten und Heiligen in der Leere der Welt.

Es kommandiert, wer nicht fühlt.

Für den Normalmenschen heißt fühlen leben und denken heißt zu leben verstehen. Für mich heißt denken leben und das Fühlen liefert mir nicht mehr als Nahrung für mein Denken.

Geld ist schön, weil es eine Befreiung bedeutet.

Glücklich, der den Tisch als Holz sehen kann, den Tisch als Holz fühlen kann - der das Holz des Tisches sieht, ohne dabei den Tisch zu sehen, und sei es nur für einen Moment im Leben. Danach wird er «wissen», was ein Tisch ist, aber er wird sein ganzes Leben lang nicht vergessen, daß er Holz ist. Und er wird dann den Tisch, den Tisch als Tisch noch mehr lieben.

Güte ist das Feingefühl roher Seelen.

Ich beneide alle Leute darum, nicht ich zu sein.

Ich bin der Zwischenraum zwischen dem, was ich bin, und dem, was ich nicht bin, zwischen dem, was ich träume, und dem, was das Leben aus mir gemacht hat, der abstrakte und leibliche Mittelwert zwischen Dingen, die nichts sind, da ich ebenfalls nichts bin. Welche Unruhe, wenn ich fühle, welch Unbehagen, wenn ich denke, welche Nutzlosigkeit, wenn ich will!

Ich bin die lebendige Bühne, auf der verschiedene Schauspieler auftreten, die verschiedene Stücke aufführen.

Ich bin es müde, geträumt zu haben, freilich nicht müde zu träumen.

Ich blicke auf mein vergangenes Leben wie auf ein weites Feld in der Sonne, wenn sie durch die Wolken bricht; und ich bemerke mit metaphysischem Staunen, daß mein bedachtestes Tun, meine klarsten Vorstellungen, meine logischsten Vorhaben letztlich nichts anderes waren als angeborene Trunkenheit, naturgegebene Narrheit und großes Unwissen.

Ich habe keine Begabung zum Chef, auch nicht zum Gefolgsmann.

Ich mache Landschaften aus dem, was ich fühle.

Ich unterwerfe mich weder dem Staat noch den Menschen, ich leiste ihnen den Widerstand der Trägheit.

Im heutigen Leben gehört die Welt nur den Narren, den Grobschlächtigen und den Betriebsamen. Das Recht zu leben und zu triumphieren erwirbt man heute fast durch die gleichen Verfahren, mit denen man die Einweisung in ein Irrenhaus erreicht: die Unfähigkeit zu denken, die Unmoral und die Übererregtheit.

In mir steckt mehr innerer Schlaf als in mir Platz findet.

Je höher ein Mensch steht, auf desto mehr Dinge muss er verzichten.

Jeder hat seinen Alkohol. Ich finde genügend Alkohol im Existieren.

Jeder Mensch der Tat ist seinem Wesen nach lebhaft und optimistisch, weil, wer nicht fühlt, glücklich ist.

Jedes Ding ist, je nachdem, wie man es betrachtet, ein Wunder oder ein Hemmnis, ein Alles oder ein Nichts, ein Weg oder ein Problem. Es immer wieder anders betrachten heißt, es erneuern und vervielfältigen. Daher hat ein kontemplativer Mensch, ohne sein Dorf je zu verlassen, gleichwohl das ganze Universum zur Verfügung. Das Unendliche findet sich in einer Zelle wie in einer Wüste.

Jedes Ding, das wir sehen, sollten wir zum ersten Mal sehen, da es auch tatsächlich das erste Mal ist, daß wir es sehen. Und so ist jede gelbe Blume immer wieder eine neue gelbe Blume, selbst wenn es die wäre, die man als eben die gleiche wie gestern bezeichnen will. Aber weder ist der Mensch derselbe, noch ist die Blume dieselbe. Selbst das Gelb kann nicht dasselbe sein. Es ist schade, daß die Augen der Menschen nicht so beschaffen sind, dies zu begreifen. Wir könnten alle glücklich sein.

Jedes Handeln ist der Natur nach die Projektion der Persönlichkeit auf die Außenwelt, und da die Außenwelt zur Hauptsache von menschlichen Wesen bestimmt wird, folgt daraus, daß diese Projektion der Persönlichkeit vor allem bedeutet, daß wir uns auf dem Weg unserer Mitmenschen querlegen, ihn hinderlich gestalten und sie je nach Art unseres Vorgehens verletzen und erdrücken.

Sich nichts unterwerfen, keinem Menschen, keiner Liebe, keiner Idee, jene distanzierte Unabhängigkeit wahren, die darin besteht, weder an die Wahrheit zu glauben, falls es sie denn gäbe, noch an den Nutzen, sie zu kennen - dies, scheint mir, ist die rechte Befindlichkeit für das geistige, innere Leben von Menschen, die nicht gedankenlos leben können.

Sobald wir vermögen, diese Welt als Illusion und Trugbild zu betrachten, können wir alles, was uns widerfährt, als Traum betrachten, als etwas, das vorgab zu sein, weil wir schliefen. Dann werden wir scharfsinning und zutiefst gleichgültig gegen alle Unbill und alles Unglück des Lebens. Dann sind jene, die starben, um die Ecke gebogen, und deshalb sehen wir sie nicht mehr; dann gehen jene, die leiden, an uns vorüber wie ein Albtraum, wenn wir fühlen, oder wie ein unangenehmer Tagtraum, wenn wir denken. Und unser eigenes Leid wird nicht mehr sein als dieses Nichts.

Um die Wahrheit zu erreichen, fehlen uns Daten, die dafür genügen würden, und geistige Prozesse, welche die Auslegung dieser Daten erschöpfen würden.

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