Jean de La Bruyère

136 Zitate, Sprüche & Aphorismen Autor

"Man muss es wie die anderen machen": Ein höchst bedenklicher Grundsatz, der fast immer bedeutet: "so schlecht wie die anderen", sobald man mehr damit meint als jene reinen, unverbindlichen Äußerlichkeiten, die von Gewohnheit, Mode und Regeln des Anstands abhängen.

Am sichersten macht man Karriere, wenn man anderen den Eindruck vermittelt, es sei für sie von Nutzen, einem zu helfen.

Anfang und Ende einer Liebe kündigen sich dadurch an, daß man sich scheut, mit dem anderen allein zu sein.

Aus der Physiognomie läßt sich keine feste Regel für die Beurteilung des Charakters der Menschen schöpfen; sie kann uns nur zu Mutmaßungen dienen.

Aus Schwachheit haßt man einen Feind und möchte sich an ihm rächen, und aus Faulheit besänftigt man sich und rächt man sich nicht.

Bei manchen Menschen muss Anmaßung die Größe, Unmenschlichkeit die Festigkeit des Charakters, Arglist den Geist ersetzen.

Bei vielen Leuten ist nur der Name etwas wert.

Beim Anblick eines gewissen Elends empfindet man ein gewisse Scham, glücklich zu sein.

Bescheidenheit verhält sich zum Verdienst wie Schatten zu den Gestalten eines Gemäldes: Sie erst geben Kraft und Relief.

Das beste aller Güter, wenn es überhaupt Güter gibt, ist die Ruhe, die Zurückgezogenheit und ein Plätzchen, das man sein eigen nennen kann.

Das Verlangen, zu besitzen und seine Habe zu vergrößern, lässt den Menschen keine Ruhe. Die Galle schmerzt, der Tod kommt heran, und mit welkem Gesicht und altersschwachen Füßen sagt man noch: Ach, mein Vermögen, meine angelegten Gelder!

Das Volk versteht unter Beredsamkeit die Fähigkeit, mit heftigem Gebärdenspiel und laut schallender Stimme lange Zeit allein zu sprechen.

Dem, der sich mit Geduld wappnet, liegen keine Vorteile zu fern.

Den Mund auftun und beleidigen ist bei manchen Leuten eins.

Der Anstand, das rücksichtsvolle Benehmen und die feine Lebensart von Leuten beiderlei Geschlechts geben mir keine schlechte Meinung von dem, was man die gute alte Zeit nennt.

Der Einfältige ist immer lächerlich; das gehört zu seinem Charakter.

Der Eitle kommt auf seine Rechnung, ob er Gutes oder Schlechtes von sich redet; der Bescheidene spricht nicht von sich.

Der Haß des Menschen ist so hartnäckig, daß der Wunsch eines Kranken nach Versöhnung mit seinem Feinde als das untrüglichste Vorzeichen seines Todes gelten kann.

Der Held scheint nur von einem Metier zu sein, nämlich dem Kriegshandwerk, wogegen der große Mann von allen Metiers zu sein scheint, sei es der Robe, des Degens, des Kabinetts oder Hofes. Beide zusammengetan wiegen jedoch einen rechtschaffenen Mann nicht auf.

Der Hochherzige ist über Beleidigung, Ungerechtigkeit, Schmerz und Spott erhaben; und wäre unverwundbar, wenn er nicht durch Mitgefühl litte.

Der Hof ist wie ein Gebäude aus Marmor erbaut. Ich meine damit, daß er aus sehr harten, aber sehr polierten Menschen besteht.

Der Parteigeist erniedrigt die größten Männer bis zur Kleinlichkeit des Volkes.

Der Stand der Schauspieler galt bei den Römern für schimpflich, bei den Griechen für ehrbar. Heute denken wir über sie immer noch wie die Römer, verkehren aber mit ihnen wie die Griechen.

Der Tod, welcher der Hinfälligkeit zuvorkommt, kommt zur besseren Zeit, als der, welcher ihr ein Ende setzt.

Die Anmut ist dem Belieben unterworfen: Die Schönheit ist gültiger und weniger abhängig von Geschmack und Meinung.

Die Bescheidenheit ist für das Verdienst, was die Schatten bei den Gestalten eines Gemäldes: Sie geben ihnen Kraft und Relief.

Die Extreme sind verderblich und gehen von Menschen aus; jeder Ausgleich ist gerecht und kommt von Gott.

Die falsche Größe ist ungesellig und unzugänglich. Da sie ihre Schwäche wohl fühlt, so verbirgt sie sich oder zeigt sich wenigstens nicht offen und läßt nur soviel von sich sehen, als nötig ist, um Ehrfurcht einzuflößen.

Die feine Lebensart schließt nicht immer Güte, Billigkeit, Gefälligkeit, Dankbarkeit in sich. Aber sie verleiht wenigstens den Anschein davon und stellt den Menschen äußerlich dar, wie er innerlich sein sollte.

Die Frechheit der Quacksalber und ihre traurigen Erfolge kommen der Heilkunde und den Ärzten zugute: Diese lassen nur sterben, die anderen töten.

Die Gewißheit des Todes wird durch die Ungewißheit seines Eintretens gemildert.

Die große Mehrzahl der Menschen geht vom Zorn zur Beleidigung über. Manche aber verfahren anders: Sie beleidigen, und dann erst erzürnen sie sich. Die Überraschung, die dieses Verfahren jedesmal hervorbringt, läßt in uns das Vergeltungsgefühl gar nicht aufkommen.

Die größten Dinge wollen ganz schlicht gesagt sein; Sie verlieren durch Emphase.

Die Haupteigenschaft eines Redners ist der ehrenvolle Charakter. Ohne diesen artet er zum Deklarator aus.

Die Kinder kennen weder Vergangenheit noch Zukunft, und - was uns Erwachsenen kaum passieren kann - sie genießen die Gegenwart.

Die Kinder würden den Vätern vielleicht weit teurer sein so wie andererseits die Väter ihren Kindern, wenn diese nicht den Anspruch hätten, Erben zu werden.

Die Leidenschaft tyrannisiert den Menschen; der Ehrgeiz aber hält in ihm die übrigen Leidenschaften zurück und gibt ihm eine Zeitlang den Anschein aller Tugenden.

Die Leute von Geist tragen alle Wahrheiten und Ansichten im Keim in sich selbst, ihnen ist nichts neu, sie bewundern selten, sie stimmen zu.

Die meisten Frauen urteilen über Verdienst und gutes Aussehen eines Mannes nach dem Eindruck, den sie davon haben, und gestehen dem, für den sie nichts empfinden, kaum das eine noch das andere zu.

Die meisten Menschen legen den größten Wert auf die Meinung der anderen, obwohl ihnen diese doch als schmeichlerisch, unaufrichtig, neidisch und voreingenommen bekannt ist.

Die nämliche Sache ist in dem Munde eines Menschen von Geist eine Naivität oder ein Witz, im Munde eines Einfältigen eine Dummheit.

Die Treulosigkeit ist sozusagen eine Lüge der ganzen Person.

Die unerfreulichen Charaktere, davon die Welt voll ist, nicht ertragen zu können, zeugt von schwacher Wesensart: Im Verkehr muss es Scheidemünze und Goldstücke geben.

Die wahre Größe ist ungezwungen, vertraulich, leutselig. Sie läßt sich nahekommen und mit sich umgehen. Sie verliert nichts, wenn man sie in der Nähe sieht. Je mehr man sie kennenlernt, desto mehr bewundert man sie.

Die äußersten Gegensätze berühren sich.

Du glaubst, du hast ihn hinters Licht geführt. Wenn er sich aber nur so stellt, wer ist dann der größere Narr, er oder du?

Ehrgeiz heißt die Leidenschaft, die alle anderen Leidenschaften im Zaum hält.

Ein Autor muss mit gleicher Bescheidenheit Lob und Tadel seiner Werke hinnehmen.

Ein bestrafter Schuldiger ist ein Exempel für den Pöbel. Ein unschuldig Verurteilter geht alle ehrbaren Leute an.

Ein Gesandter ist ein Chamäleon, ein Proteus. Einem geschickten Spieler gleich, lässt er sich oft nichts von seiner Laune und Stimmung anmerken… Dann wieder weiß er eine Gemütsverfassung vorzutäuschen.

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