Christian Morgenstern

166 Zitate, Sprüche & Aphorismen Autor

"Organisation" ist das große Wort, dem die Zukunft gehört.

Alle Erziehung, ja alle geistige Beeinflussung beruht vornehmlich auf Bestärken und Schwächen. Man kann niemanden zu etwas bringen, der nicht schon dunkel auf dem Wege dahin ist, und niemanden von etwas abbringen, der nicht schon geneigt ist, sich ihm zu entfremden.

Alle Geheimnisse liegen in vollkommener Offenheit vor uns. Nur wir stufen uns gegen sie ab, vom Stein bis zum Seher. Es gibt kein Geheimnis an sich, es gibt nur Uneingeweihte aller Grade.

Alles öffentliche Leben ist wenig mehr als ein Schauspiel, das der Geist von vorgestern gibt, mit dem Anspruch, der Geist von heute zu sein.

Als ein wesentliches Merkmal der Menschen möchte ich ihre ethische und ästhetische Anspruchslosigkeit bezeichnen.

Als Primaner versuchte ich zum ersten Mal, zu einer lebendigen Vorstellung zu gelangen, was wir des Alls Unendlichkeit nennen. Ich legte mich nachts auf einen fast horizontal gestellten Klappsessel in den Garten und bemühte mich, über das rein Bildmäßige des Sternenhimmels hinaus in seine Wirklichkeit einzudringen. Es gelang mir so wohl, daß ich empfand: Jetzt noch eine Sekunde solcher Erdabwesenheit, ein einziger kleiner Schritt weiter, und mein Gehirn ist auf immer verloren. Und ich brach das schauerliche Experiment ab.

An unsere jungen Dichter: Geht ins Volk, mischt euch unter die gewöhnlichen Leute, sucht ihre Freundschaft zu gewinnen, sucht so reden zu lernen, daß sie euch verstehen wie ihresgleichen!

Auch der Baum, auch die Blume warten nicht bloß auf unsere Erkenntnis. Sie werben mit ihrer Schönheit und Weisheit aller Enden um Verständnis.

Beethoven, ein Gesang Gottes vor sich selbst.

Beim Menschen ist kein Ding unmöglich, im Schlimmen wie im Guten.

Bemerke, wie die Tiere das Gras abrupfen! So große ihre Mäuler auch sein mögen, sie tun der Pflanze selbst nie etwas zuleide, entwurzeln sie niemals. So handle auch der starke Mensch gegen alles, was Natur heißt, sein eigenes Geschlecht voran. Er verstehe die Kunst, vom Leben zu nehmen, ohne ihm zu schaden.

Betrachte den Fühler dieses feingliedrigen Käfers! Was ist der Mensch anderes als solch ein Fühler, von unbekannter Urkraft ausgestreckt, tastend sich über die Dinge zu unterrichten suchend, zuletzt forschend zurückgekrümmt auf sich selbst? Der Mensch, ein Taster Gottes nach sich selbst.

Da sie nur Lehrer für 600 Mark sich leisten können, bleiben die Völker so dumm, daß sie sich Kriege für 60 Milliarden leisten müssen.

Das Ich ist die Spitze eines Kegels, dessen Boden das All ist.

Das ist meine allerschlimmste Erfahrung: Der Schmerz macht die meisten Menschen nicht groß, sondern klein.

Das Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas.

Das Talent zur Disziplin ist die Wurzel von Preußens Größe.

Das Wort reißt Klüfte auf, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Sprache ist in unsere termini zerklüftete Wirklichkeit.

Das, was allem Rauchen solchen Reiz verleiht, ist, daß sich der Raucher, wo auch immer, mit einer vertrauten Atmosphäre umgeben kann, einer mehr oder minder verklärten Zone, innerhalb der er ein bescheidenes Gefühl von Heimat empfinden darf.

Dem Steigenden werden Gärten der Schönheit zu Wüsten der Unbedeutendheit.

Den seelischen Wert einer Frau erkennst du daran, wie sie zu altern versteht, und wie sie sich im Alter darstellt.

Den seelischen Wert einer Frau erkennst du daran, wie sie zu altern versteht.

Den Ästhetikern: Zeigt Wege der Zukunft, aber beschwört nicht ewig die Toten gegen uns.

Der Ausdruck "Lieber Gott" über den schon Nietzsche spottet, mußte in der Tat dem Deutschen zu erfinden aufgespart bleiben. Es sollte ihm nur einmal aufgehen, wie er sich selbst damit den Blick für die unaussprechliche Gewaltigkeit und Fürchterlichkeit des Weltganzen verdirbt, wenn er dessen höchster Personifikation das vertrauliche Wörtchen "lieb" voransetzt.

Der bedeutende Mensch ist ein Mensch, an dem viele andre sich klar werden. Er greift in ihr Unbewusstes und stärkt dort das ihm Verwandte.

Der gesunde Mensch ist schön und sein Zustandekommen erstrebenswert. Aber es muß ein bißchen irgendwelcher Krankheit in ihn kommen, daß er auch geistig schön werde.

Der Ironiker ist meist nur ein beleidigter Pathetiker.

Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.

Der Mann hat sein Ziel und das Weib seinen Sinn.

Der Mensch en masse wird erst dann wieder achtbar werden, wenn er sich entschließt, neuen Adel aus sich zu züchten. Die schönsten Dinge auf Erden sind nur durch Adel möglich. Noch mehr: Der wahre Adel ist selbst das schönste Ding der Erde.

Der Mensch, das Individuum, ist Gottes Einfalt, ist einfältig gewordene Gottheit.

Der moderne Jude - als Denker - wird selten glauben, das heißt ahnend ergreifen könne. Aller Gottesgedanke könnte nämlich, so fürchtet er, doch am Ende nur die feinste Blüte einer großen Dummheit sein. Sich dem Hineinfall auf eine Dummheit aber auch nur auszusetzen, dünkt seiner mißtrauisch gewordenen Seele unerträglich. Er hat, wie Peer Gynt, nicht den Mut, durch das Anonyme hindurchzustürmen.

Der moderne Mensch "läuft" zu leicht "heiß". Ihm fehlt zu sehr das Öl der Liebe.

Der Preuße hat keinen anderen Weg zur Kunst als den der Einfachheit. Pracht wird bei ihm zu Schwulst, Luxus zu Unsittlichkeit.

Die beste Erziehungsmethode für ein Kind ist, ihm eine gute Mutter zu verschaffen.

Die meisten Menschen sprechen nicht, zitieren nur. Man könnte ruhig fast alles, was sie sagen, in Anführungsstriche setzen.

Die meisten Menschen verdunsten einem wie ein Wassertropfen in der flachen Hand.

Die Menschenverachtung ist für den nachdenkenden Geist nur die erste Stufe zur Menschenliebe.

Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen.

Die Natur ist die große Ruhe gegenüber unserer Beweglichkeit. Darum wird sie der Mensch immer mehr lieben, je feiner und beweglicher er werden wird.

Die Sitte des In-den-April-Schickens ist bei uns lange nicht genug verbreitet und geübt. Der erste April müsste ein wahrer Festtag für die Nation werden, ein Dies Saturnalius - in jedem Falle ein lebenswürdigerer Feiertag als mancher offizielle.

Die Sonne grübelt nicht, warum sie scheine. / Sie scheint. Ihr Leben, Künstler, sei das Deine!

Die Sterne lauter Noten. Der Himmel die Partitur. Der Mensch das Instrument.

Die zur Wahrheit wandern, wandern allein.

Dir sind die Alpen nicht hoch, nicht geheimnisvoll genug, du träumst von den Anden, vom Kaukasus, vom Himalaja. Und doch gilt es eben hier die Seele ganz zu weiten und schon hier letzte Erhabenheit zu empfinden. Sind nicht alle diese Berge gleiche Klippen der großen blauen, strahlenden Geister- und Gottes-See, auf die immer wieder hin zu blicken, ja, die früher oder später mannhaft zu befahren unsere edelste Bestimmung und Freiheit ist?

Ein berühmter Arzt ist wie eine Millionenerbin. Er weiß nie, wieweit man ihn als Menschen und nicht nur als Arzt liebt.

Ein Buch ist nicht etwas, was ein Mensch geschrieben hat, sondern dieses Menschenmysterium selbst, ebenso wie das Musikstück, das ich heut abend von dem Nachbarhause herüberklingen hörte, kein Musikstück von Beethoven war, sondern das Mysterium Beethoven selbst.

Ein Hauptzug aller Pädagogik: Unbemerkt führen.

Ein Kunstwerk schön finden heißt, den Menschen lieben, der es hervorbrachte.

Ein wirklich eigener Gedanke ist immer noch so selten wie ein Goldstück im Rinnstein.

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